Archiv für den Monat: Juli 2005

Bauchfrei ins Gruselkabinett

Heute komme ich von der Mensa wieder zurück zur Uni. Die Eingangshalle: voll. Ich komme mir vor, als wäre ein Casting für eine Daily Soap geplant. Ein Haufen Mädels, aufgedonnert als wolle man auf die nächstbeste Party.

Und irgendwie sahen auch alle gleich aus. Vom Stil her jedenfalls: Hüfthosen, enge Tops, Handtäschchen, Make-Up und Frisur sahen nach zweistündigem Badezimmeraufenthalt aus, Brathähnchenteint. Für die Uni normalerweise schon _overdressed_, aber für das das, was jetzt kam, _auf jeden Fall_.

Die Meute wollte oder musste in die Meckelschen Sammlungen. Das ist eine anatomische Sammlung. Also lauter Gläser mit eingelegten Organen, Präparationen von Organen, Modelle von Organen und teilweise monströsen Mutationen. Also definitiv nichts, wofür man sich aufdonnern müsste oder wo man Jungs aufreißen könnte.

Ich wunder mich sowieso, wieso immer mehr Mädels im Alltag aussehen wie Schauspieler in Fersehserien. Schlabberlook, normales Outfit, einfache Bluejeans, dezentes Make-Up – scheint alles out zu sein. Die Reduktion auf Äußerlichkeiten mehr und mehr also auch an der Uni, bei angehenden Akademikern? Schade. Aufgedonnerte Püppchen mögen ja nett anzuschauen sein, aber mehr dann auch nicht.

(un)farbige SPD

Was sticht einem als erstes ins Auge, wenn man auf die Website der SPD geht? Das grelle Rot vielleicht? Hmm, könnte sein. Fällt auch ziemlich auf und ist auch irgendwie dominant.

Aber nicht doch. Manche finden da plötzlich einen Farbton namens „umbra“. Diese erdfarbenen, grau braunen Abschnitte sind gemeint. Die einem erst beim zweiten oder dritten Hinsehen auffallen oder aber gänzlich im Hintergrund bleiben. Plötzlich wird dann dem Farbton auch eine tiefere Bedeutung mit „Symbolik“ gegeben.

Aber ich muss auch zugeben, dass mir das alte, kräftige Blau besser gefallen hat. Das sah frischer aus. Das Ocker hat was von Altmännerverein, das sieht angestaubt aus. Auf der Website fällt das gar nicht so auf, aber wenn jetzt auch die Hintergründe bei Wahlkampfauftritten oder Pressekonferenzen in diesem Umbra gehalten sind, dann wirkt das reichlich trostlos.

Wetter- und Stimmungsumschwung

Es ist schon seltsam. Wenn nach einigen heißen Tagen die Abkühlung in Form von Regen vom Himmel fällt und die Temperaturen das gleiche tun, dann merkt man das sofort, wenn man morgens vormittags das Haus verlässt. Es ist dann schon spürbar ruhiger auf der Straße.

In der Straßenbahn merkt man das auch irgendwie. Das lässt sich schlecht beschreiben. Es ist vielleicht vergleichbar mit der Stimmung nach dem Ende einer sehr ausgelassenen Party. Gar nicht mal so sehr, dass man einen Kater hat. Man fällt irgendwie so in ein Stimmungsloch. Die kühle Luft führt wohl auch zu einer Abkühlung des Gemütes. Bei der Arbeit scheint auch die Chill-out-after-Party-Stimmung überhand zu nehmen. In manchen Dingen sind wir Menschen dann doch mehr mit der Natur verbunden als uns bewusst ist.

Wobei einige den Einstrom kühler Luft nicht zu bemerken scheinen. Entweder sie haben kein Thermometer zu Hause, gucken oder hören keine Wetterberichte oder ziehen sich nach dem Kalender an: es ist Juli, also zieh ich kurze Hosen an! So auch heute. Der Messfühler zeigt 18°C an, doch manche laufen weiterhin mit Shorts und Badelatschen durch die regennassen Straßen. Wie gestern halt, nur dass es da noch 14°C wärmer war.

SPD und Vertrauen – eine seltsame Mischung

Das Wahl_manifest_ der SPD für die nächste Bundestagswahl (2005 oder 2006, je nach Verfassungsauslegung) heißt „Vertrauen in Deutschland„. Wir erinnern uns, Schröder hat letztens die Vertrauensfrage gestellt mit dem Ziel, sie zu _verlieren_. Übertragen auf das Wahlprogramm heißt das wohl, dass die SPD auch hier mit der Hoffnung in den (Wahl-)Kampf zieht, um das Vertrauen _nicht_ zu bekommen…

Live8, Afrika, Gutmenschen und Zyniker

Am Samstag fanden weltweit 9 Konzerte im Rahmen der Aktion Live8 statt. Ziel der Aktion: Die G8-Staaten werden aufgefordet, auf ihrem Gipfel am 6. Juli umfangreichen Schuldenabbau, höhere Entwicklungshilfe und bessere Handelsbedingungen für Afrika zu beschließen.

In diesem Beitrag soll es vorrangig gar nicht um das Konzert selbst gehen, nicht um Geldof, nicht darum, dass es nur ein Konzert in Afrika selbst gab und keines in Südamerika. Es soll hier darum gehen, ob solche Aktionen was bringen für Afrika. Und wenn ja, was.

Hier und da gibt es zynische Kommentare zum Musikereignis. Der Tenor: wir sind zu keinem echten Verzicht bereit (da ist was dran, aber würde sicher auch kaum was bringen), das ist pure Selbstbeweihräucherung der Musiker, Afrika bringt das gar nichts. Der Spreeblick hält dagegen.

Gucken wir uns den letzten Punkt ein wenig genauer an, dass es für Afrika nicht bringt. Ist das wirklich so? Und was versteht man unter „was bringen“? Sicher, wenn man meint, dass mit _einem_ Konzert Afrika aus der Armut geschleudert wird, dann kann man behaupten, dass Live8 überflüssig ist.

Aber was hat Live8 denn nun wirklich gebracht? Zum ersten: wir reden wieder mal über Afrika. Das Thema war ja nur noch selten in der Presse zu finden. Nicht verwunderlich, ich selbst habe oft das Gefühl, dass auf diesem Kontinent Hopfen und Malz verloren ist. Während es sich in Südamerika oder Südostasien zu besser scheint, tut sich in Afrika irgendwie nichts.

Aber selbst umfangreicher Schuldenabbau, mehr Entwicklungshilfe und Handelserleichterungen können Afrika nicht aus der Patsche helfen. So meint heute Franklin Cudjoe in der Netzeitung. Ein lesenswerter Artikel, gerade weil er von „da unten“ kommt. Ins gleiche Horn stößt Shikwati, ein Ökonom aus Kenia.

Aber seine Argumente leuchten ein. Auch die vielen Hilfeleistungen haben die Situation in Afrika nicht deutlich verbessert. Die großen Hungersnöte scheinen besiegt zu sein, aber das wars dann auch. Immer noch sterben 30.000 Kinder am Tag, weil sie unter Armut leiden. Aber die Hilfe versickert in korrupten Staaten und kommt nicht dort an, wo sie hin muss. Afrika muss sich selbst reformieren. Es muss Demokratien schaffen, verbindliche Rechtsnormen, die eine Wirtschaft überhaupt erst möglich machen. Jedes Land muss dabei auch seinen eigenen Weg finden. Wir sehen Afrika immer als eine Einheit. Aber das dürfte in etwa so richtig sein, wie man Europa nicht als ein homogenes Gebilde bezeichnen kann. Aber diese Veränderungen müssen dort selbst passieren, da kann man von außen nur bedingt eingreifen.

Gutmenschentum hilft also nicht weiter. Zynismus aber noch viel weniger. Live8 konnte Afrika wieder ins Bewusstsein rücken. Und hat damit das erreicht, was kurzfristig zu erreichen möglich war. Das Bild vom hilfsbedürftigen Afrikaner zu verfestigen, das ist der größte Vorwurf, den man Live8 machen kann.

Update: Interview mit dem mit dem ugandischen Journalisten Andrew Mwenda: „Bitte helft uns nicht!“

Erst anmelden, dann kommentieren

Was mich ja nervt an so manchen Weblogs: dass ich mich erst anmelden muss, wenn ich einen Kommentar hinterlassen möchte.

Mal zwei Beispiele, bei denen mir das heute aufgefallen ist: Spindoktor und Netzausfall (nun nicht mehr, jetzt kann jeder kommentieren).

Beim Spindoktor hat mich immer schon gewundert, warum so wenig Kommentare vorhanden sind. Ich dachte, das liegt an den zunehmend USA-lastigen Themen oder auch daran, dass recht wenig Besucher auf der Website sind.
Dann wollte ich heute selbst mal einen Beitrag kommentieren und hätte mich dafür erst anmelden sollen. Hab ich natürlich nicht gemacht. Nur um mitzuteilen, dass der Bundespräsident nur 21 Tage bzw. drei Wochen (und nicht vier Wochen, wie es dort steht) Zeit zur Entscheidung hat, werd ich mich nicht bei Blogger.com registrieren. Dann gibt es halt kein Kommentar.

Solche Beschränkungen sollen wohl Kommentarspam verhindern. Stattdessen verhindern sie wohl in erster Linie spontane Diskussionen. Gerade für den Spindoktor eher schlecht, denn ein politisches Blog soll ja wohl gerade das anregen.

Auszeichnungen für Blogs

In dieser Woche regnete es Preise für Blogs.

Zuerst wurden die Preise des Preisbloggens der Zeit verliehen. Die gingen, wie der Name ja schon fast vermuten lässt, nur an Blogs. Es hatte sich in letzter Zeit eine Menge Kritik an diesem Preis entzündet, nachdem sich Gero von Radow, einer der Juroren, recht herablassend zur Qualität der Blogs äußerte. Danach gab es eine Welle des Nicht-mehr-nominiert-sein-wollens. Die Preisträger werde ich mir mal in den nächsten Tagen angucken, mal sehen was so dabei ist und ob ein paar davon in meinen Feedreader Einzug halten. Man mag von Awards halten was man will. Für unbekanntere Blogs ist das eine gute Werbung, die die Blogger verdient haben, wenn sie gute Blogs führen.

Dann gab es noch den Grimme Online Award. Unter den Preisträgern ist auch das BILDblog dabei. Der Preis ist sicher verdient, das Blog ist innerhalb von nur einem Jahr auf Platz 1 der deutschen Blogcharts geschossen und gehört auch zu meinen Lieblingsblogs. Über seinen Spaß am BILDbloggen, die große Hilfe durch die Leser und die geringe Bereitschaft zum Geldspenden schreibt Stefan Niggemeier, neben Christof Schultheis einer der Autoren beim BB.

Mögen die Spiele beginnen

Kanzler Schröder hat das Theater also durchgezogen: die Vertrauensfrage.

Wie begründet er also seinen Wunsch nach Auflösung des Bundestages? Er begründet es sehr schwammig und mit in der Sache oftmals irrelevanten Dingen. So ist z.B. der Wunsch der Bevölkerung, der Wunsch aller Parteien im Bundestag nach vorgezogenen Wahlen völlig unerheblich. Substanziell wird er nur, wenn er sagt:
>Grundvoraussetzung für die gesamte Regierungspolitik, ganz besonders aber für unsere Außen- und Sicherheitspolitik, sind Planbarkeit und Verlässlichkeit. Dies betrifft grundsätzliche Fragen wie die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zur Europäischen Union, die weitere Vertiefung unserer Beziehungen zu Russland und den Ausbau unserer politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu China.
Hierfür ist die Bundesregierung auf die Geschlossenheit der Koalitions-Fraktionen angewiesen. Auch hier sind vermehrt abweichende, jedenfalls die Mehrheit gefährdende Stimmen laut geworden.

Beitrittsverhandlungen mit der Türkei? Bis zum Herbst 2006?! Wusste gar nicht, dass es nun doch so schnell gehen soll.
Vertiefung der Beziehungen zu Russland und China? Seit wann wird darüber im Bundestag abgestimmt? Und überhaupt, was hat damit der Bundesrat zu schaffen? Wegen der Unionsmehrheit dort kommt doch die Inszenierung überhaupt zustande.

Also: wo sind die Gründe, die jetzt objektiv klarstellen, dass er keine Mehrheit aus den eigenen Reihen mehr auf die Beine stellen kann? Schröder kann das m.E. nicht belegen und begeht damit Verfassungbruch, mindestens aber Rechtsbeugung, weil er ein Instrument zur Auflösung des Bundestag, den Art. 68 GG, für seine Zwecke missbraucht. Er hat die Mehrheit des Bundestages (und mithin das Vertrauen) hinter sich, tut aber jedoch so, als hätte er sie nicht. Das Grundgesetz sieht eine Selbstauflösung des Bundestags nunmal einfach nicht vor. Schröder versucht es durch die Hintertür. Ich hoffe, dort steht jemand und schickt ihn wieder rein ins Bundeskanzleramt, wo er noch 1 Jahr Politik machen muss.

Es ist ja nett, wenn Schröder jetzt sagt, er brauche eine neue Legitimation seiner Politik vom „Souverän“, dem Volk also. So sprechen Politiker nur, wenn sie kurz vor eine Wahl stehen. Damals, als die Anti-Hartz-IV-Demos waren, hat niemand vom Souverän gesprochen. Ich würde auch gerne zur Wahl schreiten, aber nicht aufgrund eines Verfassungsbruchs. Ich kann noch ein Jahr warten. Über Volksabstimmungen würde ich mich aber freuen, sei bei dieser Gelegenheit angemerkt.

Aufrecht, aber ziemlich einsam stand Werner Schulz von B’90/Die Grünen da. Seine Rede ist aber lesenswert. Ihm war es nicht scheißegal, was in der Verfassung steht. Er will keine Neuwahlen um jeden Preis, gegen welches Gesetz man auch immer verstoßen muss oder welches Theater man auch immer inszenieren muss.