Das Blog, der Kommerz, der äußere Zwang

Der René von Nerdcore darf für 4 Tage in ein Hamburger Designer-Hausboot ziehen, um dort die neue Playstation 3 (PS3) auszuprobieren. Dafür zahlt Sony „ein Monatsgehalt“ plus PS3 plus Playstation Portable (PSP).

Hat René damit das Bloggen verraten, die Blogosphäre? Nö, hat er nicht. Aber in den Augen seiner Leser (ich bin seit einigen Monaten einer davon) hat er vielleicht seine Ideale verraten. Der René, der macht ja gerne einen auf antikommerziellen Rebell und vor nicht mal einem Jahr fand er Werbung auch noch total doof. Da war von „vor einen Karren spannen lassen“ und von „keine Werbung ins Blog kacken“ die Rede. (Sven von der Thüringer Blogzentrale stellt von Worte von damals und heute gegenüber.)
Bei dem Mathias Winks oder dem Nils Bokelberg stört sich keiner dran, dass die für Sony bloggen. Die bloggen eh für jeden (Opel, Coca-Cola), der mit ein paar Scheinen winkt und ansonsten keine kleinen Kinder frisst.

Noch pappt der René an seine von Sony für ein Monatsgehalt (1000 Euro, 1500, 2000?) gekauften Beiträge einen großen Button dran. So kann man gleich sehen, dass es Werbung PR ist. Das ist aber auch das Mindeste, dass man erwarten darf, wenn man noch glaubwürdig bleiben will.
Was hindert René daran, seine Meinung über diese Disclaimer-Buttons nicht in ein paar Monaten wieder zu ändern, wenn ein Angebot von – sagen wir: fünf – Monatsgehältern auf dem Tisch liegt?

Nichts.

Eben das ist das Problem. Bloggen stand und steht für mich für eine andere Art des Schreibens. Schreiben ohne äußere Zwänge, ohne äußere Einflussnahme auf Inhalt und Richtung der Beiträge.

Bloggen – Schreiben ohne äußeren Zwang

Da hilft es auch wenig, wenn man ja eigentlich nur Spaß haben will und das alles total lustig ist und Sony die Losung ausgegeben haben soll, dass es „keinerlei Beschränkungen“ über den Inhalt gibt, aber man solle „nicht ausschließlich“ die Playstation „runtermachen“. Der letzte Halbsatz klingt für mich aber dann nicht mehr ganz nach „keinerlei Beschränkung“. Sony wäre ja auch doof, wenn sie das zuließen. Wer bezahlt, bestimmt die Musik.

Glaubwürdigkeit und Authentizität sind das, was Blogs so lesenswert macht. Man hat das Gefühl, ehrliche Gefühle, ehrliche Gedanken zu lesen. Ohne finanzielle Interessen im Hintergrund.
Wenn nun Geld fließt für Beiträge, dann können die natürlich immer noch ehrlich sein. Es braucht mir aber keiner zu erzählen, dass der Blogger beim Blick auf das in vier Tagen Spielerei und Bloggerei leicht verdiente geschenkte Monatsgehalt nicht beim Schreiben den derzeitigen und mögliche zukünftige Auftraggeber im Hinterkopf hat. Und da beginnt eben der äußere Zwang, der – siehe oben – beim Bloggen eben nicht da sein sollte.

Kommerzialisierung – Kein Untergang des Bloglandes

Man muss aber die Kirche auch im Dorf lassen. Die Blogosphäre geht vom Kommerzkrams nicht unter. Die vielen ablehnenden Kommentare bei René zeigen ja, dass Gegenwehr kommt. Die käuflichen Blogger verlieren möglicherweise soviel an Glaubwürdigkeit, dass sie alsbald bedeutungslos werden.
Letztlich muss es jeder Leser mit sich selbst ausmachen was er liest; jeder Blogger muss es mit sich selbst ausmachen, was und für wen er schreibt. Das nächste Blog ist nur einen Klick entfernt und mit einem weiteren Klick ist ein Blog aus dem Feedreader gekickt.

Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, dass man mit dem Bloggen Geld verdient. Das Bildblog bspw. lese ich gern und dort geht man offen damit um, dass man damit auch Geld verdienen will bzw. muss. Kein Problem. Gegen einen Sponsor, der sich aus den Inhalten raushält und nur das Projekt finanziert, habe ich nichts. Ich habe nichts gegen Google-Ads oder Amazonlinks. Adical verstehe ich noch zu wenig, um mir darüber eine Meinung zu erlauben. (Mich stört in diesem Zusammenhang nur das elitäre Getue.)

Werbung und (Un-)Abhängigkeit

Aber Werbung oder Sponsoring (oder allgemeiner: die Kommerzialisierung) ermöglichen nicht per se die Unabhängigkeit. Für mich ist eher das Gegenteil der Fall. Ich denke, sobald Geld im Spiel ist, ändert sich das Schreiben. Bei Google-Ads wird sich das Schreiben auf Klickzahlen hin (noch) nicht lohnen, bei Amazonlinks das Schreiben auf Buch- oder CD-Empfehlungen auch nicht.
Aber wie sieht es aus, wenn Teile oder die gesamte Existenz am Blog hängen, wenn das Blog kein reines Privatvergnügen mehr ist. Dann schreibt man auf Klickzahlen hin, weil das zu Einnahmen aus bezahlten Vorträgen oder Aufträgen/Auftritten in anderen Medien führt. Dann schreibt man so, dass das eigene Blog(-netzwerk) (weiterhin) ein gutes Werbeumfeld ergibt. Dann ist der äußere Zwang da.
Je individueller die Werbeform, desto größer die potenzielle Einflussnahme des Werbenden auf die Inhalte des Blogs. Mal sehen, wie das Adical löst. Mal sehen, wie man damit umgeht, wenn Werbekunden an Inhalten rummosern. Den Werbekunden die lange Nase zeigen? Das Blog dezent auf Linie bringen? Das Blog aus dem Netzwerk werfen zum Wohl der anderen Blogs?

Die Sache mit der Medienkompetenz ist zweischneidig. Klingt erstmal gut. Und Blogger dürfen sich wohl auch zu einer gewissen Infoelite zählen, die Medienkompetenz mitbringen. Gilt das aber für die Mehrheit der Menschen? Gilt das für die Mehrheit der Blogleser?
Wenn es so wäre, könnte man sich PR und Werbung sparen, weil keiner darauf reinfallen würde. Werbung und PR sind aber ein Multimilliardendollarmarkt. Man kann also davon ausgehen, dass es eine Wirkung jenseits der Medienkompetenz gibt.
Indem Werbung in Blogs platziert wird, versucht man ja gerade, die erlernte Skepsis gegenüber gewöhnlicher PR und Werbung zu umgehen: Man liest ein Blog, vertraut dem Autor und seiner Meinung und bekommt so, quasi als Trojanisches Pferd, Werbung untergejubelt.

Bezahlte Blogeinträge – in privaten und persönlichen Blogs – passen für mich nicht zusammen. Noch bringt man Blogs ein gewisses, diffuses Urvertrauen entgegen. Wäre schade, wenn das durch zunehmende Kommerzialisierung verloren ginge.

6 Gedanken zu „Das Blog, der Kommerz, der äußere Zwang

  1. massenpublikum Beitragsautor

    Ich sehe das ein wenig anders als Du, auch wenn Du sehr genau differenzierst. Ich denke, dass Beispiele wie die mit Sony und Nerdcore beweisen, dass Blogs zunehmend ins Blickfeld der Wirtschaft und Gesellschaft gelangen. Und das halte ich für positiv. Ich denke, die Zukunft wird uns viele bezahlte, mit Werbung bepflasterte Blogs bringen. Ich finde das alles nicht schlecht. Wenn die Qualität darunter nicht leidet. Und die sehe ich bei Nerdcore bisher nicht beeinträchtigt

  2. rene

    Sehr differenziert, in der Tat, danke dafür.

    >Es braucht mir aber keiner zu erzählen, dass der Blogger beim Blick auf das in vier Tagen Spielerei und Bloggerei leicht verdiente geschenkte Monatsgehalt nicht beim Schreiben den derzeitigen und mögliche zukünftige Auftraggeber im Hinterkopf hat.

    Nun, Folgeaufträge hatte ich beim Schreiben als allerletztes im Kopf, eher noch den Restalkohol ;-) Ich sehe diese Geschichte als einmalige Sache und habe auch als (kleines) Experiment in meinem Abschlußartikel zwei Links zu Modding und PS3-Hack-Seiten gesetzt. Mal gucken, ob die sich daran stören.

    Meine Haltung zu Werbung und gekauften Beiträgen hatte sich schon lange vorher relativiert, zB im Zuge der Opel-Aktion, bei der ich, genau wie Du, forderte, die Kirche im Dorf zu lassen. Weder Don Dahlmann, noch Felix noch MC Winkel haben durch die Opel-Aktion ihre „Glaubwürdigkeit“ (was ist das überhaupt?) verloren.

    Glaubwürdigkeit ist ja auch so ein Dings. Ich glaube Blogeinträgen genausowenig wie Bildzeitungsartikeln. Sie basieren auf der Realität, aber ob da jetzt die Wahrheit steht oder die Geschichte fiktional zu Ende gebracht wird, das ist mir egal. Was zählt ist: kann einer schreiben, so dass es packt. So das es wehtut oder schmeichelt. Darauf kommt es an. Der Rest ist nur fundamentalistischer Blödsinn.

    Müssen Blogs nur echte Sachen darstellen? Dürfen sie keine fiktionalen Geschichten erzählen? Dürfen sie einzelne Artikel verkaufen? Was ist mit nicht bezahlten Artikeln, die dennoch eindeutig Werbung sind? All das haben wir früher aus dem Bauch entschieden und mittlerweile kommen wir im Mainstream an, und deshalb wird darüber grade heftig gestritten. Und das ist vollkommen in Ordnung.

    Wir werden alle sehen, wo das hinführen wird.

  3. Tobias Beitragsautor

    Ich hab jetzt mal deine Blogeinträge über die PS3 gelesen. Ist keine Lobhudelei dabei – hatte ich auch nicht erwartet -, die Begeisterung für die PS3 hält sich in Grenzen. Die Filme finde ich jetzt persönlich nicht lustig, ich hab aber eh nicht viel für solche Filmchen übrig. Für Sony war das sicher nicht die erhoffte Werbung für PS3.

    Was heißt überhaupt Glaubwürdigkeit? Für mich schlicht: ich habe ein gewisses Vertrauen in das Geschriebene. Weil ich es für die ehrliche und persönliche Meinung des Bloggers halte. Anders gesagt: der Blogger ist in meinen Augen würdig, dass ich ihm glaube. Ich gehe dann mit weniger kritischer Distanz an die Beiträge heran. Das ist ja auch der Sinn, den glaubwürdige Quellen haben: dass man ihnen grundsätzlich erstmal vertraut. MC Winkel konnte in meinen Augen durch seine PR-Aktionen seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren, weil er sie für mich nie hatte. Don Dahlmann habe ich kurz nach der Ask.com-Sache aus dem Feedreader geschmissen. Felix Schwenzel ist mit der Opelaktion in meinen Augen gut umgegangen.

    Letztlich muss jeder Blogger selbst entscheiden, was in seinem Blog geht und was nicht geht. Aber so ein bisschen Grundsatzdiskussion finde ich ganz hilfreich.

  4. Pingback: Nerdcore - A Blog about very cool Stuff. Und so.

  5. Iris

    „aber ob da jetzt die Wahrheit steht oder die Geschichte fiktional zu Ende gebracht wird, das ist mir egal.“

    Mir nicht. Jedenfalls nicht bei jedem Thema. Wenn einer ein Märchenblog schreibt, dann ja. Doch Du hast nicht den Eindruck erweckt, als ob Du Märchen erzählen willst. Es las sich für mich zumindest oft so, als ob Du Deine Leser glauben lassen wolltest, dass Du’s ernst meinst.

    „Was zählt ist: kann einer schreiben, so dass es packt. So das es wehtut oder schmeichelt. Darauf kommt es an. Der Rest ist nur fundamentalistischer Blödsinn.“

    Okay, das zählt FÜR DICH.
    Für mich allerdings zählt u.a., dass einer meint, was er sagt und es mit was Besserem als Geld begründen kann, wenn er seine Meinungen grundlegend ändert. Denn ich will einfach glauben und erleben können, dass es noch Publizisten gibt, die nicht bereit sind, das ihnen (nicht zuletzt aufgrund Ihrer packenden und deshalb echt klingenden Stories) entgegengebrachte Vertrauen zu verkaufen. Fundmentalistischer Blödsinn? Meinetwegen sieh es so. Ich persönlich allerdings lese Dein Blogging künftig als das, als was Du es entlarvt* hast: seelenloses Gelaber, oberflächliche Rhetorikübungen mit eingebautem Verfallsdatum.

    „All das haben wir früher aus dem Bauch entschieden und mittlerweile kommen wir im Mainstream an, und deshalb wird darüber grade heftig gestritten.“

    Wer ist hier „wir“? Was ist für Dich in diesem Zusammenhang Mainstream und wer genau ist da Deiner Ansicht nach wo angekommen?

    ——————————
    *_nicht_ durch die Werbung, sondern durch Kommentare wie die hier von mir zitierten

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