Viel Wirbel um wenige Monate

Kann mir einer die Aufregung erklären? Die Aufregung um den SPD-Vorsitzenden Beck, seiner Idee, das Arbeitslosengeld I für über 45-Jährige ein paar Wochen länger zu zahlen und den Münterfering, der alles so lassen will, wie es Rot-Grün vor ein paar Jahren beschlossen hat.

Seit Schröders Hartz-Gesetzen gelten gestaffelt nach Dauer einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit zwischen 12 und 24 Monaten innerhalb von 24 Monaten unterschiedliche Bezugszeiträume für das Arbeitslosengeld I (ALG I). Erst ab für Personen über 55 Jahren gibt es einen Altersbonus von 3 bzw. 6 Monaten.
Danach gibt es nur noch ALG II (vulgo: Hartz IV). Das bedeutet, 347 Euro im Monat plus Miete und Heizkosten. Einkommen des Partners wird angerechnet, ebenso Vermögen über einem bestimmten Freibetrag.

Letzteres, also die „Zusammenlegung“ (muss heißen: Wegfall) von Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe und damit das Durchrauschen innerhalb eines Jahres auf niedrigstes Niveau, will Beck aber gar nicht antasten. Es geht nur um ein paar Monate längere Bezugsdauer für Ältere.

Es wird also gar kein zentraler Bestandteil der Agenda 2010 angetastet. Es geht eben nur um ein paar Monate längere Bezugszeit für Arbeitslose über 45.
Und wegen der paar Monate entsteht jetzt so ein Wirbel, so dass Münterfering gar um seinen Job als Arbeitsminister bangen muss?
Fürchtet da etwa jemand, dass der Arbeitsmarktreformteil der Agenda 2010 auf den Prüfstand kommt mit dem Ergebnis, dass es nichts gebracht hat?

Ich kann auch das Gekreische von Kommentatoren nicht verstehen, die Beck eine Rückkehr zum sorglosen Geldverteilen oder Realitätsverweigerung unterstellen. Welcher Realität verweigert er sich denn? Dass ältere Arbeitslose immer noch kaum vermittelbar sind? Dass die Agentur für Arbeit zur Zeit gar nicht weiß, wohin mit dem vielen Geld?

Genauso wie es euphemistisch heißt, die vorgenommene Kürzung von Arbeitslosengeld hätte zu „Anreizen“ geführt, eine Arbeit aufzunehmen. Nee, das ist kein Anreiz, der dahinter steckt. Das ist schiere Existenzangst, die die Leute dazu treibt, fast jeden Job anzunehmen. Denn, siehe oben, nach einem Jahr steht man mit ALG II oder, wenn man Erspartes oder einen verdienenden Partner hat, mit Nichts da.

3 Gedanken zu „Viel Wirbel um wenige Monate

  1. Ralf

    Man kann es auch mal von der anderen Seite sehen. Wer schon älter ist, der hat Zeit gehabt für solche Fälle wie Arbeitslosigkeit vorzusorgen. zudem kann man davon ausgehen das ältere alle wichtigen Anschaffungen getätigt haben und auch nur noch sehr selten für minderjährige Kinder sorgen müssen.

    Wie sieht es denn für jüngere Menschen, sagen wir mal so um die 30-35 aus? Die haben meistens eben noch Kinder die versorgt werden müssen. Zahlen oft noch Kredite für Anschaffungen wie z.B. Auto ab. In „jungen Jahren“ hat man oft viel höhere Belastungen, bekommt aber ebenso nach einem Jahr ALG II.

    Das ältere Arbeitnehmer schwerer vermittelbar sind, liegt oft an den Erfahrungen die Arbeitgeber mit ihnen gemacht haben. Die häufig genannten Gründe wie z.B. das ältere Arbeitnehmer häufiger krank seien, sind vorgeschoben und absoluter Mumpitz.
    Viel häufiger hat man das Problem das gerade ältere Arbeitnehmer sich an bestimmte Arbeitsabläufe gewöhnt haben („Das hab ich schon immer so gemacht!„) und weniger flexibel sind.
    Zudem haben sie oft eine Einstellung, die man gerne mit einer „Leck mich am Arsch“-Haltung umschreiben kann. Eben weil sie bereits die Kinder aus dem Haus haben, sagen sie öfters Nein zu ihnen übertragenen Aufgaben. Auch auf das Risiko hin entlassen zu werden. Vielen fehlt die Motivation, viele haben resigniert oder können sich, nach langen Jahren in ein und dem selben Betrieb, nicht in ein neues Arbeitsumfeld eingewöhnen.

    Für ältere Arbeitnehmer spricht das sie oft viel Erfahrung mitbringen. Allerdings gibt es auch viele die zwar viel Erfahrung haben, leider aber in veralteten Techniken. Mit neuen Techniken und Technologien kommen sie häufig schwerer zu recht oder benötigen länger um sie zu erlernen.

    Jüngere Arbeitnehmer haben zwar oft weniger Erfahrung, sind dafür meistens stärker motiviert, flexibler, lernen schneller usw. Das was den einen also fehlt, bringen die anderen mit. So gesehen herrscht Gleichstand bei den Qualifikationen.
    Das ausgerechnet ältere Arbeitnehmer schwerer zu vermitteln seien, halte ich gelinde gesagt für albern. Es gibt genauso viele junge Arbeitnehmer die wegen mangelnder Berufserfahrung keine Stelle finden.
    Warum sollte man also dann die einen besser behandeln und ihnen länger ALG I gewähren?

  2. Tobias Beitragsautor

    Letzlich ist es immer ein Problem, dass nach 1 Jahr Arbeitslosengeld schon das finanzielle Aus mit ALG II drohen kann. Da guckt man ganz schnell in den Abrund. Jüngere deshalb, weil die meist noch verschuldet sind (Autoraten, Hypothekenkredit, Kinder noch im Haus). Ältere deshalb, weil sie schlecht einen neuen Job finden.
    Bessere wäre es vielleicht, die Dauer ALG-Zahlung mit der Dauer der Einzahlung zu koppeln.

    Richtig ist allerdings, dass auch Jüngere große Probleme bei der Stellensuche haben. Eben weil ihnen die Erfahrungen fehlen. Nur wenn ihnen niemand eine Chance gibt, dann können sie auch keine Erfahrungen sammeln.
    Den 23-Jährigen Uniabsolventen mit 4 Auslandsemestern und 3 Jahren Berufserfahrung gibt es eben nicht. Bei Berufsschulabsolventen sollten ja eigentlich die Ausbildungsjahre als Berufserfahrung zählen.

  3. Geschreibsel

    Schönes Statement. Guter Punkt. Eben: „Viel Wirbel“ um relativ nix. Sturm im Wasserglas. So kommt mir das auch vor. Die eigentliche Ungerechtigkeit oder vielmehr die Diskussion über Ungerechtigkeiten und Nutzen von Hartz IV wird so karikiert und abgewürgt. Schade, SPD, eine weitere Chance vertan. Meine Meinung.

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