Hysterie um RTLs „Erwachsen auf Probe“ – und wie es auch anders geht

Heute morgen im Deutschlandfunk sprach Andreas Stopp, verantwortlicher Medienredakteur des Radiosenders, über das Dilemma in der Berichterstattung über die Sendung „Erwachsen auf Probe“ von RTL: Würde man über die Sendung berichten, würde man der PR des Fernsehsenders in die Hände spielen; würde man hingegen nicht berichten, käme man dem Informationsauftrag nicht nach.

Hmm, klingt nach einem wirklichen Dilemma. Ist es aber gar nicht. Man (= Journalist) könnte nämlich einerseits die Heucheleien des Senders und die Dramaturgie der Sendung beleuchten, um dann dabei möglicherweise festzustellen, dass alles halb so wild ist. Andererseits könnte man dabei auf Hysterie verzichten, um eben gerade nicht das Format spannender erscheinen zu lassen, als es in Wirklichkeit ist und wie es der PR von RTL gut in den Kram passt.

Geht nicht? Doch, geht. Stefan Niggemeier hat zwei lesenswerte, informative aber vollkommen unaufgeregte Beiträge zu „Erwachsen auf Probe“ geschrieben. Die Babys waren nie allein, die Mütter immer in unmittelbarer Nähe, die Kinder haben keinen offenkundigen Schaden erlitten, die Protagonisten werden nicht lächerlich gemacht … und RTL will mit dem Format nicht die Welt retten sondern Geld verdienen. Also nichts, was die Hysterie rechtfertigen würde.

Dabei gäbe es im Zusammenhang mit solchen Sendungen durchaus Diskussionsbedarf, jenseits von Geschmacks- oder Moralfragen:

Manche halten die Aufregung um „Erwachsen auf Probe“ für den Anfang einer überfälligen Debatte über die Werte und Grenzen des Fernsehens heute. Aber dafür müsste man schon das taube Festhalten an der eigenen Position bei kontinuierlicher Steigerung der Lautstärke mit einer solchen Debatte verwechseln.

Die Diskussion, ob eine solche Sendung ausgestrahlt werden darf oder verboten werden muss, verhindert die Frage, in welcher Form sich das Fernsehen brisanten Themen und der Lebenswirklichkeit widmen sollte und wie es seiner Verantwortung gegenüber den Protagonisten gerecht wird. Das wären Fragen, die nicht nur angesichts der Explosion von billigsten und höchst zweifelhaften Reality-Formaten im Tagesprogramm der Sender notwendig und brisant wären.

Von dem Geschrei über die Produktion von „Erwachsen auf Probe“ bleibt, nüchtern betrachtet, vor allem eine sehr berechtigte Forderung: die Mitwirkung von Kindern bei Reality-Formaten zu regeln. Bislang gibt es nur Vorschriften für Dreharbeiten mit Kindern als Schauspielern. Sinnvoll wäre zum Beispiel die Pflicht, dass ein fachkundiger Betreuer vor Ort ist, der ausschließlich den Interessen der Kinder verpflichtet ist und nicht denen der Produktion. Eine solche, vom Jugendamt vermittelte Aufsicht könnte auch dann einschreiten, wenn die Eltern der Protagonisten sich vielleicht nicht trauen. Und er könnte, wenn – wie im Fall von „Erwachsen auf Probe“ – umstritten ist, welche Bedingungen tatsächlich vor Ort herrschten, für Klarheit sorgen.

Könnten wir bitte darüber reden, wie wir das organisieren?

Ah, können wir nicht.

Der Deutschlandfunk hat nach dem Gespräch mit Andreas Stopp eine kleine Reportage im Programm gehabt, in der es um minderjährige Mütter und ihre Probleme geht und wie der Staat ihnen hilft. Jenseits von RTL und Dramaturgie. So geht’s eben auch.

Nachtrag, nachdem ich die Sendung gesehen habe: Viel Lärm um nichts. Die Sendung ist keinen Skandal wert, man kann sie mögen oder auch nicht. Alles ist gemacht im Stil von Super-Nanny, Schuldnerberater Zwegat und „Teenager außer Kontrolle“. Auch der Sprecher ist der gleiche. Aber die Kessler nervt.

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