Archiv für den Monat: Dezember 2009

Klimagipfel in Kopenhagen ist kläglich gescheitert

Die UN-Klimakonferenz von Kopenhagen, die ein Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls (läuft 2012 aus) aushandeln sollte, war ein Reinfall. Die Abschlusserklärung (PDF) hat keinen bindenden, rechtswirksamen Charakter, über schöne Worte in Absichtserklärungen kam man wieder einmal nicht hinaus. Wieder einmal wird betont, welche schlimme Sache der Klimawandel ist und dass man alles daran setzen will, dass die Erde nur um 2°C wärmer wird. Nur: konkrete Handlungen zur Abwendung der Gefahr wurden nicht beschlossen.

Wer daran jetzt nun schuld ist, interessiert mich im einzelnen gar nicht. Ich bin über das grandiose Scheitern der Politiker entsetzt: Man sieht die Gefahr, aber tut nichts, um sie einzudämmen.

Was mich daran besonders pessimistisch stimmt: Der Klimawandel ist nur ein Problemfeld auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Und er ist imho nicht mal das schwierigste Problem: der Übergang zu einer CO2-freien Energieerzeugung ist aufgrund schwindender fossiler Energieträger alternativlos und außerdem wird die Erde durch die Sonne mit genug Energie versorgt.
Wenn es also schon beim Thema CO2-Reduktion zu keiner Einigung kommt, obwohl das Thema sehr prominent ist, wie sieht es dann erst bei anderen Problemfeldern aus: Überfischung der Meere, abnehmender fruchtbarer Boden, Nahrungsmittelknappheit, Abholzung, schwindende Rohstoffreserven, Wassermangel etc. pp.

Mir scheint, man hat den Ernst der Lage in Kopenhagen nicht erkannt. Auch die deutsche Industrie und vorneweg Umweltminister Röttgen und Kanzlerin Merkel sehen offenbar im Klimawandel in erster Linie eine Geschäft für die deutsche Umwelttechnologie. Doch Technologie allein wird uns nicht retten. Es wird nicht genügen, aus dem Benziner oder Diesel aus- und in ein Elektro- oder Wasserstoffauto einzusteigen.

Meadows hat recht, wenn er sagt, Kopenhagen ist ein Täuschungsmanöver. Solange wir nicht bereit sind, unseren Lebensstil zu ändern, solange fahren wir weiter auf den Abgrund zu.

Tanklasterbombardierung in Afghanistan: Es war eine gezielte Tötung

Vor gut einer Woche hatte ich noch gemutmaßt, dass es bei dem Tanklasterangriff nahe Kunduz in Afghanistan nicht um die Zerstörung der festsitzenden LKW ging, sondern dass es für mich nach gezielter Tötung der Menschen vor Ort aussah.
Seit Samstag herrscht darüber Gewissheit. Im ComISAF-Bericht (Bericht des Oberkommandierenden der ISAF-Truppe McChrystal) steht das so drin und auch in einer Meldung des deutschen Oberst Klein (vom 6. September!) an den damaligen GI Schneiderhan beschreibt er das so:

Am 4. September um 01.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, auf Deutsch: Aufständische) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten.

Möchte man der Leipziger Volkszeitung glauben, dann war der nächtliche Angriff kein spontaner Einfall von Oberst Klein, sondern vielmehr das Ergebnis einer Eskalationsstrategie, zu der eben auch die gezielte Tötung von Taliban gehören sollte. Kanzleramt, Verteidigungsministerium und BND haben diese Strategie ausgearbeitet und abgesegnet.

Wow.
Im Grunde ließ ja der Ablauf in der entsprechenden Nacht auch keinen anderen Schluss zu, als dass die Bundeswehr gezielt Afghanen töten wollte. Aber wenn ich das nun so schwarz auf weiß lese – nennt mich naiv, aber bisher dachte ich, die Bundeswehr hält sich aus sowas raus. Dieser Luftschlag passt auch nicht ins Bild einer „Aufbaumission“.

Damit bekommt diese Nacht vom 3. auf den 4. September eine ganz neue Dimension. Bisher hieß es ja, die Getöteten seien halt bedauerlicherweise Opfer des Angriffs geworden, weil man die Tanklaster zerstören wollte, die zu rollenden Bomben umfunktioniert werden sollten. Jetzt wird aber klar, dass der Angriff Teil einer neuen, härteren Gangart ist, dass die Exekution der Menschen Absicht war.
Vor diesem Hintergrund werden auch die Handlungen von Oberst Klein zumindest militärisch nachvollziehbar. Ihm blieb in der Nacht gar nichts anderes übrig, als den close air support anzulügen, es bestehe Feindkontakt und es gäbe eine unmittelbare Bedrohung. Die Bundeswehr hat nur Schützenpanzer und Tornadoaufklärer vor Ort, hat also für solche Art von Luftschlag gar nicht Ausrüstung in Afghanistan.

Immer interessanter wird jetzt die Frage „Wer wusste wann was?“. Durch den Bericht von Klein vom 6. September, spätestens aber seit dem ComISAF-Bericht vom 28. Oktober der Bundesregierung klar, was bzw. eben wer das Ziel des Angriff war: eine Gruppe Taliban, darunter offenbar 4 Anführer. Die Bundesregierung wusste das (oder zumindest: musste das wissen), hat aber weiterhin die Darstellung aufrecht erhalten, nach der die Tanklaster das Ziel waren. Überrascht dürfte in der Regierung eh niemand gewesen sein, wenn die Sache mit der Eskalationsstrategie stimmt.
Interessantes Detail am Rande: die Fraktionsvorsitzenden hatten seit November Einsicht in den ComISAF-Bericht. Überrascht über die jetzt bekannt gewordenen Details über die wahre Absicht des Bombardements dürfte man auch dort nicht sein.

Mal gucken, ob der Untersuchungsausschuss Licht ins Dunkel bringen kann und ob sich insbesondere die Eskalationsstrategie beweisen lässt. Spätestens dann wäre eine Debatte nötig, was die Bundeswehr in Afghanistan tun soll (kämpfen vs. aufbauen) und was die Bundesrepublik dort eigentlich will. Wollen wir dort mit allen Mitteln des Krieges Taliban jagen oder wollen wir wirklich Aufbauhilfe leisten? Sind präventive Luftschläge ok, auch wenn keine konkrete Gefahr besteht sondern nur irgendwann mal von diesen Menschen ausgehen könnte?
Was wusste eigentlich Kanzlerin Merkel? Ich kann mir nicht vorstellen, dass 140 Menschen in Afghanistan sterben und Frau Merkel geht zur Tagesordnung über. Und was wusste der damalige Außenminister Steinmeier? Das Auswärtige Amt ist formal federführend bei Auslandsmandaten.

Das andere mögliche Ergebnis des Untersuchungsausschusses: man tut seitens der Bundesregierung den Luftschlag als Überreaktion von Oberst Klein ab und bemüht sich weiter um die Aufrechterhaltung des Bildes der Bundeswehr als bewaffnetes THW.

Tanklasterbombardierung durch die Bundeswehr: Zwei Lügen für ein Halleluja

Verteidigungsminister Guttenberg hat den Tanklasterangriff in Afghanistan als „militärisch nicht angemessen“ beurteilt. Den Mut, (s)eine Fehleinschätzung zu revidieren, muss man anerkennen. Außerdem hat Guttenberg diese Neubewertung auch dort verkündet, wo sie hingehört: im Bundestag (nicht vor der Presse oder in einem Interview oder in einen Hinterzimmergespräch).

Aaaber: die Neubewertung ist letztlich nur ein Ausprechen des Offensichtlichen. Guttenberg sagt zwar, er hat jetzt in Unterlagen gelesen, die ihm vorher vorenthalten worden sind und nach dem, was dort drin stand, stellt sich ihm der Vorgang anders dar als noch vor 4 Wochen. Das glaube ich nicht, das ist imho eine Schutzbehauptung, um die Kehrtwende begründen bzw. erklären zu können: die Tanklaster fuhren vom Bundeswehrstützpunkt Kunduz weg, saßen dann im Flussbett fest, keine unmittelbare Gefahr für die Bundeswehr, keine Soldaten verwickelt, zivile Opfer nicht auszuschließen. Dies alles spricht nach ISAF-Regeln gegen einen Luftschlag und trotzdem wurde er angeordnet. „Mit Kanonen auf Spatzen schießen“ fiele mir dabei als Bewertung ein – aber sicher nicht „militärisch angemessen“.

Guttenberg stellt sich mit dieser Neubewertung gegen seinen Amtsvorgänger und gegen die Bundeswehrführung: Jung und Generalinspekteur (GI) Schneiderhan hatten den Militärschlag als angemessen bezeichnet. Diese Diskrepanz zwischen GI Schneiderhan und Guttenberg ist meiner Meinung nach der eigentliche Grund für den Rausschmiss des GI.

Jetzt kriegen wir endlich einen Untersuchungsausschuss. Dazu wird sich der Verteidigungsausschuss in einen solchen umwandeln. Nachteil daran: der Aussschuss tagt in der Regel geheim. Die Opposition will diese Regel zu einer Ausnahme machen – wie bei einem gewöhnlichen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dieser Untersuchungsausschuss hat dann im wesentlichen 2 Fragen zu klären: was passierte in der Bombennacht und wer wusste hinterher wann von den Folgen.

Zwei Lügen und zwei Bomben

Bei Spiegel Online und beim ZDF gibt es zwei ziemlich detailierte, teils aber widersprüchliche Protokolle der Bombennacht. Daraus wird deutlich, dass es keinen Zeitdruck für den Bombeneinsatz gab, es war also keine Affekthandlung, in der schnell mal Fehler passieren. Zwischen der Nachricht, dass die Tanklaster auf der Sandbank festsitzen und dem Bombenabwurf liegen fast 4 Stunden, zwischen der visuellen Bestätigung der festgefahrenen LKWs und dem Bombenfall immerhin noch fast 2 Stunden (nach ZDF-Information gab es die visuelle Bestätigung sogar schon 2 Stunden früher als bei SpOn).
Dann wird von der Bundeswehr Luftunterstützung angefordert und es wird offenbar bestätigt, dass es Feindberührung (troops in contact) gäbe – was eine glatte Lüge ist, aber notwendige Voraussetzung für die Nutzung des close air support in Afghanistan.
Offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen der deutschen Seite und den F16-Piloten über Größe und Menge der Bomben. Außerdem empfahlen die US-amerikanischen Piloten fünfmal ein sogenanntes show of force als niedrige Eskalationsstufe, also ein Drüberdonnern mit den Kampfjets in niedriger Höhe, als Warnung an die Leute am Boden und um diese damit zu verscheuchen. Das wurde von deutscher Seite abgelehnt. Kurz vor dem Bombenabwurf kommt noch die Frage nach der unmittelbaren Bedrohung (imminent threat). Auch die wird – wahrheitswidrig – von deutscher Seite bejaht. Dann fallen die Bomben.

Die Entscheidungsstrukturen in der Nacht sind offenbar auch nicht ganz klar. Bisher stellt sich das alles so dar, dass nur Oberst Klein und ein Oberfeldwebel den Einsatz befehligt haben, Vorgesetzte oder andere Stellen waren nicht involviert. So richtig glauben kann ich das nicht. Im Artikel der Hannoverschen Allgemeinen werden ja mal wieder die KSK ins Gespräch gebracht. Sind die involviert, tauchen die in Berichten nicht auf. Aber auch ohne die KSK kann ich mir eine fehlende Rücksprache nicht vorstellen. Immerhin will man eine große Anzahl von Menschen töten, Zeit genug für Konsultationen war vorhanden, es bestand kein schneller Handlungsbedarf.

Gezielte Tötung?

Für mich stellt sich das Szenario mittlerweile so dar, dass eine große Anzahl von Menschen getötet werden sollte. Zumindest aber hat man eine große Opferzahl billigend in Kauf genommen und nichts unternommen, um die Opferzahl zu verringern. Selbst wenn man seitens der Bundeswehr davon ausgegangen war, dass sich vor Ort „nur“ Taliban befanden und man die gestrandeten Tanklaster als willkommenen honeypot gesehen hat, wäre das eine neue Qualität der Kriegsführung der Bundeswehr in Afghanistan. Dann möchte ich sehen, wie Guttenberg und Merkel vor dem Bundestag erklären, dass die gezielte Tötung von Taliban jetzt zum Auftrag der Bundeswehr dazugehören.
Wobei „gezielte Tötung“ eben bei solchen Luftschlägen Blödsinn ist. Eine Bombe unterscheidet nicht zwischen Taliban, freiwilligen Taliban-Anhängern, gezwungenen Taliban-Anhängern und einfachen Zivilisten. Es macht einfach nur Wumms und 140 Menschen sind tot.
Seltsam auch, dass nach der Bombardierung keiner nachguckte, was los ist und zum Ort des Geschehens fuhr. Erst gegen Mittag war die Bundeswehr vor Ort – als viele Spuren schon beseitigt waren.

Wer wusste wann was?

Und damit komme ich zur zweiten Frage, die der Untersuchungsausschuss zu klären hat: Wer wusste wann was. Es hieß ja hinterher, es seien keine Zivilisten zu Schaden gekommen, auch GI Schneiderhan hat das behauptet. Dabei gab es den Bericht der Feldjäger und andere Berichte, die ziemlich deutlich machen, dass es sehr wahrscheinlich zivile Opfer gab. Wurden diese Berichte wirklich dem damaligen Verteidigungminister Jung vorenthalten? Kam das entsprechende Refererat im Kanzleramt schon früh zum offensichtlichen Entschluss, dass der Bundeswehroberst nicht angemessen gehandelt hat? Das Dementi folgte zwar prompt, aber wie glaubhaft ist das? Oder wie es ein Journalist in der Pressekonferenz formulierte:

Da wird die Bundeswehr sozusagen in den schwerwiegendsten Konflikt verwickelt, den sie seit ihrer Gründung zu bestehen hatte, es liegt auf der Hand, dass vermutlich sogar Kinder von der Bundeswehr getötet worden sind, und dann interessiert sich im Bundeskanzleramt – ich sage es einmal grob – kein Schwein dafür, was eigentlich dahinter steckt.

Das „Wer wusste Wann Was“ ist zwar für die Presse interessanter, weil es dabei um Personen geht und vielleicht wird auch noch der ein oder andere Kopf rollen, aber das eigentlich wichtige des Untersuchungsausschusses ist meiner Meinung nach die Frage: Wie konnte es zu diesem Bombardement kommen? Wer hat das entschieden auf der Basis welcher Fakten und mit welcher Absicht?

Was mich auch wundert: Warum kommen die vielen Berichte und Recherchen in der Presse erst jetzt? Der Tanklasterangriff war am 3. September, also vor 3 Monaten. Der Spiegel stellt zwar die richtigen Fragen, aber warum erst jetzt? Warum nicht schon vor der Bundestagswahl? Gab es eine Beißhemmung, um das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten?

Wir werden sehen, was der Untersuchungsausschuss zu Tage fördert – und was davon an die Öffentlichkeit gelangt. Bisher kam ziemlich viel ans Licht und dafür, dass es am Anfang hieß, alles sei supi gelaufen, sind ziemlich viele Köpfe gerollt.

[Für das ganze Bild: eine Linkliste mit Originalquellen gibt es bei „Augen geradeaus!“]