Unglaubwürdige Wendemanöver in der Atomfrage

Ich versuche es mal in Worte zu fassen, was mich in den letzten Tagen seit dem Tsunami in Japan und dem GAU in Fukishima gedanklich beschäftigt hat.

Um es mal in einem Satz zu sagen: Ich fühle mich verarscht.

Ich fühle mich verarscht, weil heute das Gegenteil von gestern gemacht wird. Und weil so getan wird, es wäre dieser Schwenk aus Einsicht entstanden. Und weil man versucht, die Bürger – mich! – zu verarschen, indem man nicht zugibt, dass die Entscheidungen, die gestern gefallen sind und heute gefällt werden, aus politischem Kalkül so getroffen werden.

Vor einem halben Jahr hat man die Laufzeit der AKWs, die bis 1980 gebaut wurden, um 8 Jahre verlängert. Heute wurden eben Reaktoren kurzerhand vom Netz genommen, weil ihre Sicherheit erstmal überprüft werden muss. Was hat sich denn an der Sicherheit im letzten halben Jahr so gravierend geändert? Warum konnte man überhaupt eine Laufzeitverlängerung für so überprüfungsbedürftige verantworten? Und vor allem: Warum hat man nicht vor der Laufzeitverlängerung geprüft?
Die Antwort: seit Japan ist alles anders. Das ist Quatsch. Ein 9,0-Beben wird es in Deutschland nicht geben, einen Tsunami auch nicht. Die anderen Risiken und der nur unzureichende Schutz davor waren schon vor der Laufzeitverlängerung bekannt und wurden eben – politische Entscheidung! – in Kauf genommen: mangelnder Schutz gegen Flugzeugabstürze, kleinere Erdbeben, unzureichende Notstromversorgung im Falle eines Stromausfalls. Das ist nichts neues, das wusste man alles auch schon vor der Laufzeitverlängerung.

Vor einem halben Jahr waren die alten AKWs für die Stromversorgung so wichtig, dass man sie länger laufen musste. Jetzt plötzlich kann man sie über Nacht abschalten, ohne dass es zu Problemen im Netz kommt. Die gleiche Regierung, die vor einem halben Jahr die alten Meiler für unverzichtbar hält als „solides Fundament in der mittelfristigen Energieversorgung“, erzählt mir heute, dass sieben abgeschaltete Reaktoren „die Energieversorgung nicht beeinträchtigen“ und dass die Menge an überproduziertem Strom „mehr als doppelt so hoch [ist] wie die Gesamtleistung der jetzt vom Netz gehenden Kernkraftwerke“. Wie passt denn das zusammen?! Da muss man sich doch an den Kopf greifen.

Jetzt soll es eine Ethikkommission richten. Sie soll über die Zukunft der Kernenergie beraten. Was soll dabei herauskommen? Der Umweltrat hat der Bundesregierung von der Laufzeitverlängerung abgeraten – gehört hat sie nicht drauf. Die Risiken der AKWs sind bekannt, ebenso die ungeklärte Endlagerfrage. Das Problem von länger laufenden AKWs als Hemmnis für den Ausbau für erneuerbare Energien – der „träge“ Atomstrom passt nicht zum schnell wechselnden Strom aus Wind und Sonne, beide Fraktionen brauchen unterschiedliche Leitungssysteme, beides in einem System verträgt sich nicht recht – ist auch bekannt. Das grundsätzliche Problem von AKWs in dichtbesiedelten Gebieten sollte auch bekannt sein: kommt es zu einem zugegebenermaßen sehr unwahrscheinlichen GAU, hat das unabsehbare Folgen. Diese Technik ist nicht fehlertolerant und die Folgen eines außer Kontrolle geratenen Reaktors sind nicht absehbar oder räumlich eindämmbar.

So sinnvoll ein Nachdenken über die richtige Energiepolitik auch ist, warum passt das erst jetzt ergebnissoffen? Eben weil diese Bundesregierung die Atomkraftwerke länger laufen lassen wollte. Dann soll sie sich aber auch hinstellen und genau das auch sagen: wir finden Atomenergie gut. Außerdem haben wir ein offenes Ohr für die Stromkonzerne und halten eine Laufzeitverlängerung für ein win-win-Situation: die Mehrgewinne sind für die Konzerne und das Staatssäckel gut.
Darum ist jetzt das Umschwenken so unglaubwürdig: Man kann nicht innerhalb eines halben Jahres die Überzeugung zur Laufzeitverlängerung wechseln, obwohl sich objektiv die Fakten und Rahmenbedingungen nicht verändert haben. Andererseits kann man natürlich das Mantra von den sicheren Reaktoren nicht mehr länger wiederholen, ohne sich vollständig lächerlich zu machen. Ein echtes Dilemma für CDU/CSU und FDP, jetzt gibt es plötzlich auch dort überall Kernkraftgegner. Offenbar hat man wirklich davon einlullen lassen, dass es es sich beim damals explodierten Reaktor in Tschernobyl um einen total maroden Sowjetreaktor handelte und das sowas natürlich niemals in supertollen westlichen AKWs passieren könnte.

Es wird offensichtlich, dass die Entscheidung zur Laufzeitverlängerung nicht das Ergebnis einer sachverständigen Abwägung von Risiken, Nutzen und Notwendigkeit war – das wird so jetzt mehr als offensichtlich. Wie kann es sonst sein, dass die Bundesregierung innerhalb von nur sechs Monaten ihre Laufzeitverlängerung offenbar für falsch hält. Nennt mich idealistisch, aber ich denke, eine Regierung sollte Entscheidungen auf der Basis der Abwägung von Fakten treffen.
Weil das offenbar nicht getan wurde, fühle ich mich verarscht.

Ein schwacher Trost bleibt immerhin: Mit dem forcierten Atomausstieg geht es immerhin in die richtige Richtung. Wenn auch aus falscher Motivation.

2 Gedanken zu „Unglaubwürdige Wendemanöver in der Atomfrage

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