Familien(un)freundlichkeit 2014

Wie es um die Familienfreundlichkeit in Deutschland aussieht, konnte ich in den letzten Tagen anhand drei Nachrichten und der Reaktion darauf erkennen. Zuerst kündigte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel an, einen Nachmittag in der Woche für die Familie freizunehmen, dann machte die neue Familienministerin Manuela Schwesig den Vorschlag, Eltern zukünftig leichter und mit Steuergeldern subventioniert eine Teilzeitarbeit zu ermöglichen und die ewige Familienministerin und neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen möchte die Bundeswehr familienfreundlicher gestalten, u.a. auch mit mehr Teilzeitmöglichkeiten.

Jeder Vorschlag an sich ist nicht sonderlich spektakulär und man kann sicher so oder so dazu stehen. Was mich aber wirklich entsetzt hat, sind die Reaktionen darauf im Spiegel-Online-Forum (nachzulesen direkt unter den oben verlinkten Artikeln). Klar, sollte man Forenmeinungen nicht überbewerten, aber ich halte so ein großes Leserforum für irgendwie repräsentativ. Nehmen wir mal die Meinungen zum Schwesig-Vorschlag: Die überwiegende Mehrheit (zumindest auf den ersten Seiten, danach habe ich nicht mehr weitergelesen) ist der Überzeugung, dass für Familien eh schon zuviel Geld ausgegeben, sonstwie zu viel getan wird und ausgefallene Arbeitszeit durch Teilzeit oder Krankkeit der Kinder nur zulasten der Kollegen gehen, die dann diese Arbeit noch miterledigen müssen. Und überhaupt ist das ja alles total realitätsfremd. Wer Karriere machen will, der muss halt mindestens 40 Stunden arbeiten, sonst geht das überhaupt nicht, auf so Teilzeitkollegen ist ja auch kein Verlass, die sind ja gar nicht permanent erreichbar.

Spiegel Online bezeichnet Gabriel wegen einem (!) freien Nachmittag (!!) in der Woche (!!!) als „Vizekanzler in Teilzeit“. Ich hätte jetzt eher erwartet, dass Kommentare kommen, dass ein Nachmittag in der Woche das Kind von der Kita abzuholen ein bisschen dürftig ist als Vateraufgabe. Das ist jedenfalls meine Meinung. Ich würde einen Nachmittag in der Woche für mein Kind als viel zu wenig empfinden. Die Meinung im Forum ist aber genau anders: Gabriel sei priviligiert (als Politiker und Beschäftigter im öffentlichen Dienst) und nur deshalb sei sowas überhaupt möglich, in der Privatwirtschaft und erst recht bei Führungskräften dürfe es sowas gar nicht geben. Man wirft Gabriel eine laxe Einstellung zum Job vor, der nicht bereit ist, „alles“ für seinen Job zu geben.

Ja, natürlich ist diskriminierungsfreie Teilzeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch eher die Ausnahme als die Regel, sonst würde es ja nicht diese Aktionen und Initiativen geben. Und es würden sich nicht auch soviele Menschen genau das wünschen – sondern würden es längst machen. Für mich ist das Maulen nichts weiter als Denkfaulheit: ein 40-Stunden-Vollzeitjob ist die Norm, alles andere nur ein Kompromiss. Und diese Denkfaulheit kommt offenbar von Leuten, die eben keine Kinder haben. Wenn wir an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nichts ändern, könnte ein Phänomen zum Problem werden: die, die Karriere machen und dann die Entscheidungsträger sind, haben keine Kinder und treffen dann Entscheidungen – in der Politik und in Unternehmen – die eben an den Bedürfnissen der anderen vorbeigehen – denen mit Kinder.

Denkfaulheit ist es auch deshalb, weil Teilzeit eine Frage der Organisation ist. Der Tag hat 24 Stunden, der Vollarbeitstag „nur“ 8 Stunden und trotzdem gibt es bestimmte Bereiche, die rund um die Uhr funktionieren müssen: z.B. Polizei, Krankenhäuser, Tankstellen. Also muss das organisiert werden. Sowas lässt sich auch organisieren, egal ob die Mitarbeiter nun 40, 30 oder 20 Stunden in der Woche arbeiten. Teilzeit für Soldaten sei Quatsch, heißt es dann, schließlich kann keiner nach 4 Stunden die Waffe fallen lassen. Nein, natürlich nicht. Aber bisher lässt auch kein anderer Soldat mit einer 40-Stunden-Woche nach exakt 8 Stunden die Waffe fallen und kein Polizist tut sowas und kein Chirurg lässt das Skalpell fallen. Es sind ja nur Durchschnittszeiten. Wenn längere Zeiten an einem Tag nötig werden, dann sind halt die freien Tage danach auch länger. Wo ist das Problem?!
Ich weiß auch nicht, woher die Vorstellung kommt, man könne mit z.B. 30 Wochenstunden keine so gute Leistung erbringen, dass man Karriere machen kann. Diese 40 Stunden sind doch nicht als letzte Weisheit vom Himmel gefallen und stehen in Stein gemeißelt für die Ewigkeit, das ist eher eine willkürlich Norm (bzw. genaugenommen ist es geschichtlich gesehen eine gewerkschaftlich und politisch erkämpfte Abeitszeitreduktion). Aber diese 40 Stunden stehen nicht selten einem angenehmen Familienleben im Weg.

Es muss da einen gesellschaftlichen Wandel im Denken geben. Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss zum Normalfall werden, mit reduzierter Arbeitszeit und beruflicher Weiterentwicklung auch wenn man sich weiterhin um seine Kinder kümmern möchte – was nun mal Zeit beansprucht. Mit Homeoffice und Vernetzung wäre die Organisation der Arbeit auch so einfach wie nie.
Andere gehen noch weiter und fordern gleich eine grundsätzliche Reduktion der Normarbeitszeit hin zu einer 30-Stunden-Woche. Das würde sicherlich einiges entschleunigen. Aber das wäre ein eigenständiger Blogeintrag wert.

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