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Google Street View und der Datenschutz – richtiges Thema, falsches Objekt

Zu Google Street View las ich neulich einen guten Kommentar:

Wenn ich als Bürger schon nicht verhindern kann…

…. dann will ich wenigstens einen riesen Aufriss machen, wenn jemand es wagt, meine Hausfassade zu fotografieren.

Und ich möchte ergänzen: wenn in jedem 2. Haushalt eine Paybackkarte genutzt wird vorhanden ist. Und man könnte die Liste ja noch weiter fortsetzen: elektronische Gesundheitskarte (eCard), elektronischer Steuernachweis (ELENA), RFID-Chips, intelligente Stromzähler …

Ja, das ist wie bei den Nacktscanner damals. Plötzlich gab es was zu sehen, das war was plakatives, was bildhaftes. Da kann man sich dann aufregen, kann ein bisschen mit den Ängsten der Menschen spielen. Wobei – diesmal ist es anders. Damals ging es wirklich um die Privatssphäre (nämlich der mit technischen Mitteln Mensch, der sich vor dem Flughafenpersonal nackig machen muss), diesmal geht es nur um Häuser(!)fassaden(!!).

Ich kann die Aufregung diesmal ehrlich nicht verstehen. Ich kann nicht verstehen, wie man wegen dem Abfotografieren von Häuserfassaden so ein Fass aufmachen kann. Ich kann die Angst vor der Datenkrake Google nachvollziehen und ich bin auch für einen vorsichtigen Umgang mit Google (ich nutze nicht deren Maildienst oder Feedreader, Google Docs ist sicher ne tolle Sache, aber ich habe Bedenken, Google meine Dokumente anzuvertrauen, Cookies mit den Sucheinträgen löscht der Firefox jedesmal wenn ich ihn schließe). Und auch sonst sehe ich zu, dass ich keine allzu große Datenspur im Internet hinterlasse. Aber Himmel, hier es geht um Häuserfassaden. Die kann sowieso jeder sehen.

Was mich aber ein bisschen brechen lässt, ist die Tatsache, dass sich Politiker jetzt plötzlich als große Datenschützer aufspielen. Sonst kacken die auf Datenschutz und legen Datensammlungen noch und nöcher an, wo kein Mensch nachher weiß, wohin die verschwinden und was damit gemacht wird und nun auf einmal wollen sie alle Datenschützer sein. Und morgen, wenn das Thema Street View gegessen ist, geht’s weiter mit der Datensammelei.
Bei den Medien kaum anders: über Street View regt man sich auf, weil Google der große Feind ist, der denen vermeintlich das Geschäft versaut. Also wird druffjehauen. Über die oben genannten wirklichen Datenskandale hat sich die Mainstreampresse nicht so echauffiert.

Nicht missverstehen: das Thema der Diskussion – nämlich Datenschutz – ist ungeheuer wichtig und noch immer hat es nicht die Bedeutung, die ihm eigentlich zukommt. Datensammlungen in Datenbanken, mit allen Möglichkeiten der Anhäufung, des Abgleichs, der unendlichen Speicherdauer und der den Möglichkeiten der Datenverknüpfung müssen diskutiert werden und es muss dafür strenge Regeln geben. Datenvermeidung bzw. Datensparsamkeit ist hier das Stichwort. Aber das Objekt, an dem diskutiert wird – Google Street View – ist dafür meines Erachtens denkbar ungeeignet.

Weltmarktführer Afghanistan

Aus einer kleinen Meldung von vor ein paar Tagen:

Aus Afghanistan stammen weiter 90 Prozent des Rohopiums für den Heroinmarkt.

Zur Erinnerung: Afghanistan steht militärisch im Rahmen ISAF-Einsatzes unter der Kontrolle internationaler Truppen, angeführt von den USA. Entweder wollen die den Opiumanbau nicht verhindern oder sie können es nicht.
Wenn sie es nicht wollen, wäre das eine politische Bankrotterklärung, denn man kann nicht einerseits den Drogenanbau, -vertrieb (mafiöse Strukturen!) und -konsum weltweit ächten, dann aber zugucken, wie das Zeug vor Ort produziert wird.
Wenn sie es nicht können, weil sie die Mohnfelder und Produktionsstätten nicht finden können, ist das eine militärische Bankrotterklärung. Wenn sie die Felder nicht ausspüren können, dann können sich auch die Terroristen/Taliban/Aufständischen/Bösen Jungs im Allgemeinen verstecken.

Handelswege schaffen auch mit Waffen

Na, da hat Bundeshorst Köhler wohl vom Wahrheitsserum genascht:

Ricke: In der politischen Debatte wird auch darüber nachgedacht, ob das Mandat, das die Bundeswehr in Afghanistan hat, ausreicht. Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung und vielleicht auch einen neuen politischen Diskurs?

Köhler: Nein, wir brauchen einen politischen Diskurs in der Gesellschaft, wie es kommt, dass Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen. Wir brauchen den Diskurs weiter, wie wir sozusagen in Afghanistan das hinkriegen, dass auf der einen Seite riesige Aufgaben da sind des zivilen Aufbaus, gleichzeitig das Militär aber nicht alles selber machen kann, wie wir das vereinbaren mit der Erwartung der Bevölkerung auf einen raschen Abzug der Truppen. Und aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen. Alles das heißt, wir haben Verantwortung. Ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.

Das hat er dem Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur (komplett) gesagt. Das ist schon starker Tobak, dass die Bundeswehr nach der Meinung des Bundespräsidenten aktuell und zukünftig für freie Handelswege kämpfen soll. Das wäre eine neue Aufgabe für Deutschlands Armee und Deutschlands Außenpolitik. Man muss seine Worte nicht mal auf die Goldwaage legen, um das herauszulesen. So offen hat den wirtschaftlich verwertbaren Zweck der militärischen Außenpolitik Deutschlands noch kein Politiker beschrieben, glaube ich. Solche geo- und wirtschaftlichen Ziele verbindet man ja sonst eher mit Russland oder den USA.

Hat sich das der Köhler selbst ausgedacht und steht er allein mit dieser Meinung da? Oder ist das common sense in der Bundesregierung/im Parlament und nur dem Wählervolk wird immer wieder die Mär vom Aufbauhelfer und Demokratiebringer aufgetischt?

Am Rande: außer in der Süddeutschen stand diese bemerkenswerte Einschätzung Köhlers über den Einsatzzweck der Bundeswehr im Ausland nirgends in der Presse. Erst durch Blogs bin ich darauf gestoßen.

[via: Fefe]

Nachtrag (27.05.10): Oh, das Thema ist in den Mainstreammedien angekommen. Niedlich ist ja SpOn, wie sie versuchen zu erklären, dass sie das Thema 5 Tage verschlafen haben:

Der Bundespräsident hatte das Interview schon am Rand seines Truppenbesuchs in Afghanistan gegeben, letzten Samstag ist es über den Äther gegangen – doch die politische Debatte darüber nimmt jetzt Fahrt auf. […]
Köhlers brisante Worte – sie sind im Internet abrufbar – wären beinahe untergegangen. Im Interview mit dem Deutschlandradio fallen sie erst am Ende.

Fahrt aufnehmen konnte die Debatte ja bisher nicht, die Presse hat ja nicht drüber berichtet. Und so wirklich am Ende fällt der Satz auch nicht, sondern als Antwort auf die 3. Frage (von insgesamt 4). Besonders lang ist das Interview nicht.

Interessanterweise ist Köhler mit seiner Meinung nicht allein. Schon im aktuellen Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahre 2006 wird im Kapitel „Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik“ unter der Überschrift „Transportwege – Ressourcen – Kommunikation“ auf Seite 22 geschrieben:

Deutschland hat aufgrund seiner immer engeren Verflechtung der Weltwirtschaft besonderes Interesse an internationaler Stabilität und ungehindertem Warenaustausch. Wie viele Länder ist es in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr und sicheren Transportwegen in globalem Maßstab abhängig und auf funktionierende Informations- und Kommunikationswege angewiesen. Verwerfungen im internationalen Beziehungsgefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme, beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und Störungen der weltweiten Kommunikation bleiben in einer interdependenten nicht ohne Auswirkungen auf nationale Volkswirtschaft, Wohlstand und sozialen Frieden.

Köhler hat im Prinzip nichts anderes gesagt: Für unseren eigenen Wohlstand brauchen wir Rohstoffe aus anderen Ländern und wenn mit denen grad kein Handel möglich ist, muss man den eben herbeiführen. Vielleicht hat der sich im Flieger von Shanghai nach Afghanistan ausführlich mit Bundeswehrleuten über die deutsche Sicherheitspolitik unterhalten und unter diesem Eindruck hat er dann das mit den freien Handelswegen auch gegenüber dem Deutschlandfunk gesagt.

Nachtrag (31.05.10): Nun hat Köhler sogar wegen der – seiner Meinung nach amtsunwürdigen – Kritik an seinem Interview sogar das Handtuch geworfen. Damit wird das Versagen der Presse, die dieses Interview übersehen hatten, noch offenkundiger: Carta zeichnet den Weg einer Meldung nach.

Tanklasterbombardierung durch die Bundeswehr: Zwei Lügen für ein Halleluja

Verteidigungsminister Guttenberg hat den Tanklasterangriff in Afghanistan als „militärisch nicht angemessen“ beurteilt. Den Mut, (s)eine Fehleinschätzung zu revidieren, muss man anerkennen. Außerdem hat Guttenberg diese Neubewertung auch dort verkündet, wo sie hingehört: im Bundestag (nicht vor der Presse oder in einem Interview oder in einen Hinterzimmergespräch).

Aaaber: die Neubewertung ist letztlich nur ein Ausprechen des Offensichtlichen. Guttenberg sagt zwar, er hat jetzt in Unterlagen gelesen, die ihm vorher vorenthalten worden sind und nach dem, was dort drin stand, stellt sich ihm der Vorgang anders dar als noch vor 4 Wochen. Das glaube ich nicht, das ist imho eine Schutzbehauptung, um die Kehrtwende begründen bzw. erklären zu können: die Tanklaster fuhren vom Bundeswehrstützpunkt Kunduz weg, saßen dann im Flussbett fest, keine unmittelbare Gefahr für die Bundeswehr, keine Soldaten verwickelt, zivile Opfer nicht auszuschließen. Dies alles spricht nach ISAF-Regeln gegen einen Luftschlag und trotzdem wurde er angeordnet. „Mit Kanonen auf Spatzen schießen“ fiele mir dabei als Bewertung ein – aber sicher nicht „militärisch angemessen“.

Guttenberg stellt sich mit dieser Neubewertung gegen seinen Amtsvorgänger und gegen die Bundeswehrführung: Jung und Generalinspekteur (GI) Schneiderhan hatten den Militärschlag als angemessen bezeichnet. Diese Diskrepanz zwischen GI Schneiderhan und Guttenberg ist meiner Meinung nach der eigentliche Grund für den Rausschmiss des GI.

Jetzt kriegen wir endlich einen Untersuchungsausschuss. Dazu wird sich der Verteidigungsausschuss in einen solchen umwandeln. Nachteil daran: der Aussschuss tagt in der Regel geheim. Die Opposition will diese Regel zu einer Ausnahme machen – wie bei einem gewöhnlichen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dieser Untersuchungsausschuss hat dann im wesentlichen 2 Fragen zu klären: was passierte in der Bombennacht und wer wusste hinterher wann von den Folgen.

Zwei Lügen und zwei Bomben

Bei Spiegel Online und beim ZDF gibt es zwei ziemlich detailierte, teils aber widersprüchliche Protokolle der Bombennacht. Daraus wird deutlich, dass es keinen Zeitdruck für den Bombeneinsatz gab, es war also keine Affekthandlung, in der schnell mal Fehler passieren. Zwischen der Nachricht, dass die Tanklaster auf der Sandbank festsitzen und dem Bombenabwurf liegen fast 4 Stunden, zwischen der visuellen Bestätigung der festgefahrenen LKWs und dem Bombenfall immerhin noch fast 2 Stunden (nach ZDF-Information gab es die visuelle Bestätigung sogar schon 2 Stunden früher als bei SpOn).
Dann wird von der Bundeswehr Luftunterstützung angefordert und es wird offenbar bestätigt, dass es Feindberührung (troops in contact) gäbe – was eine glatte Lüge ist, aber notwendige Voraussetzung für die Nutzung des close air support in Afghanistan.
Offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen der deutschen Seite und den F16-Piloten über Größe und Menge der Bomben. Außerdem empfahlen die US-amerikanischen Piloten fünfmal ein sogenanntes show of force als niedrige Eskalationsstufe, also ein Drüberdonnern mit den Kampfjets in niedriger Höhe, als Warnung an die Leute am Boden und um diese damit zu verscheuchen. Das wurde von deutscher Seite abgelehnt. Kurz vor dem Bombenabwurf kommt noch die Frage nach der unmittelbaren Bedrohung (imminent threat). Auch die wird – wahrheitswidrig – von deutscher Seite bejaht. Dann fallen die Bomben.

Die Entscheidungsstrukturen in der Nacht sind offenbar auch nicht ganz klar. Bisher stellt sich das alles so dar, dass nur Oberst Klein und ein Oberfeldwebel den Einsatz befehligt haben, Vorgesetzte oder andere Stellen waren nicht involviert. So richtig glauben kann ich das nicht. Im Artikel der Hannoverschen Allgemeinen werden ja mal wieder die KSK ins Gespräch gebracht. Sind die involviert, tauchen die in Berichten nicht auf. Aber auch ohne die KSK kann ich mir eine fehlende Rücksprache nicht vorstellen. Immerhin will man eine große Anzahl von Menschen töten, Zeit genug für Konsultationen war vorhanden, es bestand kein schneller Handlungsbedarf.

Gezielte Tötung?

Für mich stellt sich das Szenario mittlerweile so dar, dass eine große Anzahl von Menschen getötet werden sollte. Zumindest aber hat man eine große Opferzahl billigend in Kauf genommen und nichts unternommen, um die Opferzahl zu verringern. Selbst wenn man seitens der Bundeswehr davon ausgegangen war, dass sich vor Ort „nur“ Taliban befanden und man die gestrandeten Tanklaster als willkommenen honeypot gesehen hat, wäre das eine neue Qualität der Kriegsführung der Bundeswehr in Afghanistan. Dann möchte ich sehen, wie Guttenberg und Merkel vor dem Bundestag erklären, dass die gezielte Tötung von Taliban jetzt zum Auftrag der Bundeswehr dazugehören.
Wobei „gezielte Tötung“ eben bei solchen Luftschlägen Blödsinn ist. Eine Bombe unterscheidet nicht zwischen Taliban, freiwilligen Taliban-Anhängern, gezwungenen Taliban-Anhängern und einfachen Zivilisten. Es macht einfach nur Wumms und 140 Menschen sind tot.
Seltsam auch, dass nach der Bombardierung keiner nachguckte, was los ist und zum Ort des Geschehens fuhr. Erst gegen Mittag war die Bundeswehr vor Ort – als viele Spuren schon beseitigt waren.

Wer wusste wann was?

Und damit komme ich zur zweiten Frage, die der Untersuchungsausschuss zu klären hat: Wer wusste wann was. Es hieß ja hinterher, es seien keine Zivilisten zu Schaden gekommen, auch GI Schneiderhan hat das behauptet. Dabei gab es den Bericht der Feldjäger und andere Berichte, die ziemlich deutlich machen, dass es sehr wahrscheinlich zivile Opfer gab. Wurden diese Berichte wirklich dem damaligen Verteidigungminister Jung vorenthalten? Kam das entsprechende Refererat im Kanzleramt schon früh zum offensichtlichen Entschluss, dass der Bundeswehroberst nicht angemessen gehandelt hat? Das Dementi folgte zwar prompt, aber wie glaubhaft ist das? Oder wie es ein Journalist in der Pressekonferenz formulierte:

Da wird die Bundeswehr sozusagen in den schwerwiegendsten Konflikt verwickelt, den sie seit ihrer Gründung zu bestehen hatte, es liegt auf der Hand, dass vermutlich sogar Kinder von der Bundeswehr getötet worden sind, und dann interessiert sich im Bundeskanzleramt – ich sage es einmal grob – kein Schwein dafür, was eigentlich dahinter steckt.

Das „Wer wusste Wann Was“ ist zwar für die Presse interessanter, weil es dabei um Personen geht und vielleicht wird auch noch der ein oder andere Kopf rollen, aber das eigentlich wichtige des Untersuchungsausschusses ist meiner Meinung nach die Frage: Wie konnte es zu diesem Bombardement kommen? Wer hat das entschieden auf der Basis welcher Fakten und mit welcher Absicht?

Was mich auch wundert: Warum kommen die vielen Berichte und Recherchen in der Presse erst jetzt? Der Tanklasterangriff war am 3. September, also vor 3 Monaten. Der Spiegel stellt zwar die richtigen Fragen, aber warum erst jetzt? Warum nicht schon vor der Bundestagswahl? Gab es eine Beißhemmung, um das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten?

Wir werden sehen, was der Untersuchungsausschuss zu Tage fördert – und was davon an die Öffentlichkeit gelangt. Bisher kam ziemlich viel ans Licht und dafür, dass es am Anfang hieß, alles sei supi gelaufen, sind ziemlich viele Köpfe gerollt.

[Für das ganze Bild: eine Linkliste mit Originalquellen gibt es bei „Augen geradeaus!“]

Politische Landschaftspflege

Ich weiß nicht so recht, was ich von der Geburtstagsfeier für Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann im Bundeskanzleramt halten soll. Die Finanzierungsfrage finde ich dabei am uninteressantesten. Die Verköstigung von 30 Leuten – das fällt in keinem Staatshaushalt auf.

Ist das alles wirklich so normal? Ein Regierungschef (oder eine -chefin) braucht nun eben mal Informationen aus erster Hand der Mächtigen und Wichtigen der Republik. Mag sein, aber diese Mächtigen und Wichtigen werden in erster Linie das Wohl ihres Unternehmens, ihrer Branche, ihres Verbandes oder ihrer Klientel im Blick haben. Solche Treffen sind eben auch Lobbyismus und es bleiben Hinterzimmergespräche, die Öffentlichkeit erfährt davon nix, eine Kontrolle ist nicht möglich. Natürlich liegt es immer noch am Politiker selbst, was er daraus macht, ob er Einzelinteressen unterstützt oder dem Gemeinwohl dient. Man hört aber seltener davon, dass Vertreter von Sozialverbänden, Arbeitslosenorganisationen oder Umweltaktivisten eingeladen werden. Und dadurch kriegen diese Kaminzimmergesprächen einen mehr oder minder schweren Drall. Meistens ist eben doch nur sehr einseitige politische Landschaftspflege.

Und in diesem konkreten Fall war es eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus Politikern, Managern und Journalisten. Welchem Zweck soll so ein Treffen dienen? Wem ist mit so einem Abendessen im Kanzleramt geholfen? Und was machen Journalisten (Döpfner vom Springer-Verlag, Dieckmann von Bild, Friede Springer und Schirrmacher von der FAZ) dort? Heute mit den Mächtigen speisen, ein bisschen plauschen und einen „netten Abend“ miteinander verbringen – und ihnen morgen investigativ-journalistisch an den Karren fahren? Das glaube ich nicht; da nimmt die Beißhemmung ab.

Alles beim alten

Es ändert sich gar nichts. Es geht mit den gleichen Leuten weiter wie bisher. Die gleichen Lobbyisten, die alles und jeden beraten, in zig Gremien sitzen, dürfen weitermachen wie bisher. Berger berät GM. Und wo steht GM heute? Kurz vor der Pleite. Macht aber niemanden stutzig. Macht immer noch niemanden stutzig …

Nachtrag (24.03.09): Und auch an anderer Stelle dürfen diejenigen, die mitgeholfen haben, den Karren in den Dreck zu fahren, Tipps geben, wie man ihn wieder raus bekommt.

Schäfer-Gümbel, Lötzsch und das 750.000-Euro-Häuschen

Schäfer-Gümbel möchte, dass sich der Staat 2% von allen mit mehr als 750.000 Euro Vermögen leiht. Für 15 Jahre bei 2,5% Zinsen. – Hä?

Warum fordert er nicht einfach die Rückkehr zur Vermögenssteuer? Nehmen wir mal die alte Vermögenssteuer als Richtwert, dann bekäme der Staat 1% von jedem Vermögen oberhalb von 60.000 Euro (!) – ohne es zurückzuzahlen oder es zu verzinsen.

Gesine Lötzsch, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, dachte sich wohl gar nicht erst nach und fand den Vorschlag (in der Tagesschau) einfach mal doof, lustige Begründung inklusive:

[Schäfer-Gümbel] hat sich z.B. nicht überlegt, welchen Eindruck dieser Vorschlag auf Besitzer von ganz normalen kleinen Eigenheimen machen könnte. Und Vorschläge, die normale Eigenheimbesitzer in Angst und Schrecken versetzen, sind glaub‘ ich keine guten Vorschläge.

Guter Witz, Frau Lötzsch … der normale Eigenheimbesitzer mit seinem kleinen Dreiviertelmillionen-Häuschen … guter Witz … alles darunter ist ja auch nur ein besserer Bretterverschlag oder eine Gartenlaube.
Selbst bei der Linkspartei scheinen die Dimensionen zu verschwimmen.

Rat der Ahnungslosen

DIW-Chef Zimmermann möchte, dass seine Zunft keine Konjunkturprognosen mehr ausgibt. Frei nach Dieter Nuhr fordert er: Wenn man keine Ahnung, einfach mal die Fresse halten.

Die Prognosen erwiesen sich in der letzten Zeit schon nach Wochen als dramatisch falsch (also noch schneller und noch falscher als in ruhigen Zeiten) und bevor man sich um Kopf und Kragen prognostiziert und das auch noch jeder mitkriegt, sollen sie lieber gar nicht mehr voraussagen. Beispiel gefällig? Im vor einem Monat veröffentlichten Jahresgutachten der „Fünf Wirtschaftsweisen“ erwarten sie für 2009 eine Stagnation, also ein Wachstum von 0%. Aktuell, also nur 5 Wochen später, reden wir eher von minus 2 bis 3 Prozent. Über 600 Seiten Papier produziert, die zentrale Vorhersage ist nach gut einem Monat fürn Arsch.

Die Modelle seien nicht für Zeiten wie diese gemacht, deshalb seien die Prognosen falsch. Als wenn sie das nicht schon immer waren. Das letzte kräftige Wirtschaftswachstum hatte auch keiner richtig vorhergesagt, alle haben sich gefreut, nur wenige gewundert. In ruhigeren Zeiten sind aber die Sprünge geringer, die Abweichungen der Prognosen von der Realität damit naturgemäß geringer. Wenn man dann einfach die Realität in die Zukunft fortschreibt, dazu ein bisschen wirtschaftliche Lage in anderen Ländern im Blick hatte, kam man zu leidlich brauchbaren Prognosen.
Die Finanzkrise als solche haben sie auch nicht gesehen. Wozu brauchen wir überhaupt noch Prognosen und den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“)?

Wer jetzt noch von den Wirtschaftsweisen spricht, der macht sich eigentlich lächerlich. Genauso lächerlich ist es, von dem Krisentreffen bei der Bundeskanzlerin irgendeine Besserung zu erwarten. Da sitzen Banker, Politiker, Wirtschaftslobbyisten und Wirtschaftswissenschaftler zusammen. Das sind genau die gleichen Leute, die uns die Krise eingebrockt bzw. befördert bzw. nicht gesehen haben. Das hält aber die Presse nicht davon, die Diskussionsrunde als das Orakel von Delphi zu betrachten. ARD und ZDF waren am Sonntag live vor Ort, um ja keinen Pups zu verpassen. Von Kritik an der Sinnhaftigkeit solcher Elefantenrunden keine Spur (positive Ausnahmen gibt es auch).

Wenn wir im Moment schon mal dabei sind, die Art des Kapitalismus der letzten Jahren in Frage zu stellen, sollten wir gleich auch den ein oder anderen Ökonomen in Frage stellen. Vornehmlich die, die in den letzten Jahren als Fachleute so häufig in der Presse zu lesen, sehen und hören waren. Die haben nämlich das theoretisch-intellektuelle Grundgerüst geschaffen, an denen sich Handelnde aus Politik und Finanzwirtschaft entlanghangelt haben und das die aktuelle Situation (mindestens) befördert hat.

Dazu passt auch:  WDR2-Kabarett – Volker Pispers [via: egghat]

Ein paar lose Gedanken zur Finanzkrise: „Kabarettreifes Konvertitentum“

Hab schon lange nichts mehr geschrieben hier in meinem Blog. Dabei gäbe es soviel zu Schreiben. Ich versuche mal, meine Gedanken zur Finanzkrise ein wenig in Worte zu fassen. Ich staune noch immer, wie gerade einerseits an der Börse Unsummen vernichtet werden, andererseits aber der vermeintlich klamme Staat plötzlich mit Milliarden um sich wirft, um die zu retten, die gerade noch selbst Jahr für Jahr Milliarden Gewinne erwirtschaftet erbeutet haben.
Nicht weniger staune ich, wie das Credo vom freien Spiel der Marktkräfte quasi über Nacht über Bord geworfen wird. Und wie insbesondere diejenigen, die gestern noch besonders eifrig dem Gott namens „Markt“ gehuldigt haben und für den Rückzug des Staates eingetreten sind, heute umso lauter nach der rettenden Hand des Staat schreien. Ulrich Beck spricht angesichts dessen von „kabarettreifem Konvertitentum“ . Recht hat er.

Was lernen wir aus dieser Krise? Dass die vermeintlich besten Köpfe nicht in der Lage waren, diese Krise zu verhindern, dass bei allem vorhandenen Sachverstand der Herdentrieb überwog und keiner der diplomierten und promovierten Betriebs- und Volkwirtschaftler die Krise kommen sah. Andererseits kann ich mir auch gut vorstellen, dass man durchaus das Unheil kommen sah, aber nichts dagegen tat. Weil alle mitmachten und man dachte, man wüsste schon, wann man auszusteigen habe? Und vielleicht auch, weil man wusste, dass schon nichts passieren wird. Weil man genau wusste, dass das Bankensystem zu wichtig ist, als dass man deren Pleite riskieren könnte. Jedes Unternehmen muss letztlich dem Tod ins Auge blicken, wenn es schlecht wirtschaftet. Banken sind aber integraler Bestandteil des Wirtschaftssystems und dürfen nicht pleite gehen. Diese Gewissheit wurde ausgenutzt.

Die Wichtigkeit des Bankenwesens für das Wirtschaftssystem als solches wird jetzt immer wieder betont und als Begründung für das Rettungspaket und mithin die Milliardenbürgschaften angeführt. Dann stellt sich aber die Frage: Warum lässt die Politik einen so wichtigen Bestandteil der Marktwirtschaft so unreguliert schalten und walten? Warum durften denn Banken das System mit Finanzspekulationen an den Rand der Selbstzerstörung bringen? Warum lässt man denn die Kinder jahrelang mit dem Feuer spielen und wundert sich dann, wenn die Hütte brennt.

Diejenigen, die gestern noch Renditemaximierung fernab jeglicher staatlicher Regulation als ihr Motto ausgegeben haben, rufen heute umso lauter, wie wichtig der Staat ist. Und was heißt hier Staat? Das Geld kommt ja von uns, z.B. auch von denen, die gestern noch im Renditewettlauf auf die Straße gesetzt wurden. Und diese Wendehälse gibt es in der Politik und in der Wirtschaft. Gestern konnte die Deregulierung gar nicht weit genug gehen, heute werden Milliarden nur so rausgeschmissen.

Blick in den Abgrund

Ich kann mir nicht helfen, aber ich fühle mich irgendwie über den Tisch gezogen. Diejenigen, die das Geld bekommen, schreiben selbst am Gesetz. Der verantwortliche Staatssekretär Asmussen ist selbst einer dieser seltsamen Konvertiten, die gestern noch die undurchsichtigen Finanzderivate tat- und wortkräftig befürworteten und heute Pillen gegen die Folgen verabreichen.
Abgesandte des Bankenwesens haben, so ist mein Eindruck, Politiker beiseite genommen und ihnen offenbart, wie schlimm es ums Finanzwesen steht und ihnen einen Blick in die Zukunft offenbart, die uns allen bevorsteht, wenn nichts passiert. Was die Politiker gesehen haben, muss sie zu Tode erschreckt haben. Anders ist nicht zu erklären, warum plötzlich in einer Hauruck-Aktion Milliarden locker gemacht werden.

Von den Landesbanken lernen wir, dass der Staat nicht die bessere Bank ist, wenn er sich auf die gleichen windigen Geschäfte einlässt wie die Privatbanken. Außerdem sollten in die Aufsichtsgremien nicht verdiente aber kompetenzarme Parteimitglieder sondern Fachleute entsandt werden. Ähnliches gilt für vielleicht auch für Privatbanken, in deren Aufsichtsräten auch viele prominente aber nicht immer kompetente Leute sitzen. Oder sie interessieren sich nicht genug für ihre Aufgabe oder sie haben zu wenig Kontrollkompetenzen. Jedenfalls war die Kontrolle offensichtlich alles andere als effektiv.
Wenn man vom Versagen der Kontrolle spricht, gehören auch die Ratingagenturen genannt. Viele Banken bekamen bis kurz vor ihrer Pleite noch beste Ratings, ebenso die hochriskanten Junk-Immobilien-Derivate. Wenn sie nicht wissen, was in den Bilanzen drinsteht, kann man sie sich auch sparen.

Godwins Gesetz und der anonyme Systemfehler

Schön zu sehen, dass es trotz aller Umbrüche auch Konstanten gibt. Godwins Gesetz gilt auch jetzt noch: Irgendwann kommt in jeder Diskussion der Nazivergleich. Diesmal hat ihn der Ifo-Chef Sinn eingebracht. So wie 1929 die Juden für die Weltwirtschaftskrise schuldig gemacht wurden, sind es heute die Manager. Doch diese bedauerlichen Geschöpfe können gar nichts für die aktuelle Krise. Es sind „anonyme Systemfehler“, die diese Krise verursacht haben. Es ist zwar schön, wenn ein nicht gerade marktkritischer Ökonom Systemfehler entdeckt, aber er macht sich zu einfach. Der Herdentrieb ist sicher auch systematisch bedingt, aber es sind immer noch Menschen, die aktiv mitlaufen. Und die verbrieften Kreditrisiken haben sich auch nicht selbst zu einem undurchsichtigen Paket geschnürt, sondern waren die Erfindung von Menschen. Sinn tut ja gerade so, als wenn das imaginäre Wesen „Markt“ plötzlich ein Eigenleben entwickelt, durchdreht und die Menschen können nur hilflos zuschauen…

Sarah Palin – McCains Gotteskriegerin

Fast schon dachte ich mit McCain könnte, sollten die Republikaner die Präsidentschaftswahl in diesem Jahr gewinnen, wenigstens ein Gemäßigter ins Weiße Haus kommen. McCain mag ein Light-Version sein, der Rest, der in seinem Fahrwasser schippert, wird nicht anders sein, als die Spinner der letzten 8 Jahre. Aktuellster und stärkster Beleg für meine Vermutung: McCains running mate, die Vizepräsidentschaftskandidation Sarah Palin. Bei ihr wird mir schnell klar: das ist das gleiche Kaliber, die gleiche Denke wie George W. Bush.

Den Irakkrieg bezeichnete sie vor einigen Monaten als „Gottes Auftrag“:

Pray for our military men and women who are striving to do what is right also for this country, that our leaders, our national leaders, are sending them out on a task that is from God. That’s what we have to make sure that we are praying for, that there is a plan and that that plan is God’s plan.

Betet für unsere Soldaten und Soldatinnen, die bestrebt sind, alles zu tun, was richtig ist auch für dieses Land, dass unsere Führer, unsere nationalen Führer, sie sie in einen von Gott gewollten Auftrag schickten. Wir müssen uns vergewissern, dass wir dafür beten, dass es einen Plan gibt und dass es Gottes Plan ist.
(Übersetzung von mir)

Ich mag auch den Kommentar dazu:

What exactly is the difference between a Christian who thinks God tells them to go to war against Iraq and, say, Osama Bin Laden, who believes that God tells him to go to war against America? People who think God tells them to kill people are insane; they certainly shouldn’t be electable.

Worin genau besteht der Unterschied zwischen einem Christen, der denkt, Gott sagt ihm, Krieg gegen den Irak zu führen und, sagen wir mal, Osama Bin Laden, der glaubt, Gott sagt ihm, Krieg gegen Amerika zu führen? Menschen, die glauben, Gott sage ihnen, sie sollen Menschen töten, sind verrückt; auf keinen Fall sollten sie wählbar sein.

Dem Kommentar kann ich mich anschließen. Einen ähnlichen Vergleich zwischen zwischen Bush und Bin Laden hatte 2001 auch mal Ulrich Wickert gebracht – und dafür böse auf die Mütze bekommen. Ich fand den Vergleich damals angebracht und sachlich richtig. Im Oktober 2001, kurz nach den Anschlägen vom 11. September, war das aber nicht politisch korrekt.

Palin ist obendrein Kreationistin, glaubt also nicht an die Evolution, sondern daran, dass Gott das Universum, die Erde und den Menschen geschaffen hat.
Unter ihren Positionen findet sich noch allerlei Gruseliges mehr.

Dass Palin obendrein eine strenge Sexualmoral hat und Sexualkundeunterricht in der Schule ablehnt, ist da schon weniger wichtig. Zumal ihre Ansicht von der Enthaltsamkeit von Minderjährigen von der eigenen Tochter ad absurdum geführt wird: die 17-Jährige ist nämlich schwanger. Dogmatismus trifft Realität, wunderbar.