Archiv für den Monat: September 2006

„Weise“ ohne Menschenverstand

Es gibt eine Art von Vorschlägen, bei denen ich mich frage, wieviel gesunder Menschenverstand bei den Vorschlagenden noch vorhanden ist. Hier ist wieder so einer: pauschale 30%-Kürzung des Regelsatzes für alle ALG-II-Empfänger:

Die Expertise, die offiziell am kommenden Freitag vorgestellt werden soll, empfiehlt, den Regelsatz für das Arbeitslosengeld II (derzeit 345 Euro im Monat, ohne Wohnkostenzuschuss) um 30 Prozent zu kürzen. Im Gegenzug sollten die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Empfänger von Hartz-IV-Mitteln erweitert werden.

30 Prozent, das sind 102 Euro. Bleiben also dem Hartz-IV-Empfänger noch 243 Euro zum Leben. Also für Lebensmittel, Strom, Telefon, Klamotten und übrig bleiben muss auch noch was, denn wenn die Waschmaschine oder der Kühlschrank kaputt geht, gibt es keine Sonderzahlungen mehr wie damals bei der Sozialhilfe. Das soll mir mal einer der Professoren, das soll mir überhaupt mal ein Mensch vormachen.

Okay, das Hinzuverdienen durch Arbeiten soll erleichtert werden. Dann muss es aber auch genug Möglichkeiten des Arbeitens geben.

Die Sachverständigen […] versprechen sich von ihrem Vorstoß bis zu 350000 neue Jobs für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose.

350.000 neue Stellen, soso. Wir haben aber 2.800.000 ALG-II-Empfänger (siehe Monatsberichte Agentur für Arbeit). Wie passt das zusammen? 350.000 können versuchen, durch Arbeit auf die alten 345 Euro/Monat zu kommen, die anderen 2,25 Mio. haben Pech und vegetieren mit 240 Euro/Monat dahin? Also, liebe Wirtschaftswissenschaftler, denkt doch einen Moment mal nach, bevor ihr ein Gutachten verfasst. Und denkt daran, dass ihr von Menschen redet und nicht von Wirtschaftsgütern oder Kostenfaktoren, die ihr in irgendeinem Modell unterbringt.

Nachtrag (12.09.06): Ganz so verstandslos sind die Wirtschaftsweisen dann wohl doch nicht. Auf den vollen Hartz-IV-Satz kommt demnach nur noch der, der auch arbeiten geht. Eine Arbeit wird ihm mehr oder weniger besorgt. Für alle anderen gilt dann der 30%-Abschlag.
Aber solche Abschläge bei Nichtannahme eines Arbeitsangebotes sind schon heute möglich. Allein, die Angebote reichen nicht für alle Arbeitslosen.

Erstmal jammern, nachrechnen können ja die anderen

Mitte August noch jammerte der Bauernverband über Getreideausfälle von rund 12% aufgrund der Dürre im Juli. Da war aber offenbar die Ernte noch gar nicht zu Ende eingefahren. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV) kommt auf wesentlich geringere Einbußen, die nicht nur auf Dürre zurückzuführen sind:

Nach bisheriger Auswertung der Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung durch die Sachverständigen in den Statistischen Landesämtern und den Landesagrarministerien beträgt die Getreideernte insgesamt 43,5 Millionen Tonnen. Dies entspricht einem Rückgang von 5,4 % gegenüber dem Vorjahr. Der Hauptgrund für den Ernterückgang ist in den geringeren Hektarerträgen (minus 3,9 %) zu finden, aber auch in einer leichten Flächeneinschränkung (minus 1,6 %).
(BMELV, 05.09.06)

Der Nettoertragsrückgang, also der Rückgang, der nicht auf die geringere Anbaufläche zurückzuführen ist, beträgt gar nur 3,9%, also nur knapp ein Drittel so hoch, wie man beim Bauernverband bejammert. Dort rechnet man offenbar bewusst die Erträge klein. Zum einen könnte man ja damit die Marktpreise anheben, zum anderen springen vielleicht noch ein paar Milliönchen Subventionsbonus heraus.

Terrordatei: Nichts Genaues weiß man nicht

So, nun haben die Innenminister endlich für ihre Polizei und Geheimdienste das neue Spielzeug bekommen: die Anti-Terror-Datei. Offenbar scheint aber kein so recht zu wissen, wer denn was tun muss, um in diese Datei zu gelangen. Beckstein beispielsweise redet kruden Mist, wenn es um die Religionszugehörigkeit geht:

Man werde lieber zusehen, „dass bei einem liberalen, toleranten Moslem die Religionszugehörigkeit nicht in die Datei aufgenommen wird, bei anderen dagegen schon“. Warum liberale, tolerante Moslems überhaupt in eine Anti-Terror-Datei gehören, ließ Beckstein offen.
(heise online, 04.09.06)

Wie wollen sie eigentlich die Religionszugehörigkeit herausfinden? Das ist ja keinem Menschen auf die Stirn tätowiert. Oder genügt ein irgendwie arabisches Aussehen? Würde es Schläfern helfen, wenn sie nicht mehr in die Moschee gehen?

Auch der Bundesinnenminister Schäuble kann auf die Frage von Tagesthemen-Moderator Tom Burhow nicht erklären, was man tun muss, um eine relevante Person zu sein, die dann in der Terrordatei gespeichert wird. Auch auf die Frage, ob die Terrordatei die Kofferbomber vor der Tat hätte entlarven können, antwortet er ausweichend (soll wohl heißen: nein, man hätte sie vorher nicht erkennen können, weil sie eben vollkommen unauffällig waren), dass man den Bürgen für einen der Kofferbomber besser mal überprüfen hätte sollen. Kein Wort davon ob man das nicht schon mit den bestehenden Gesetzen tun könnte oder nicht.

Der Datenschützer Spiros Simitis sagt im Interview mit tagesschau.de dann auch, dass er Genaues zu den Auswirkungen erst dann sagen kann, wenn Genaues im Gesetzesentwurf steht. Bisher seien „entscheidende Detailfragen ausklammert“ worden. Nichts Genaues weiß man nicht.

Statt nach der Sinnhaftigkeit solch einer Datei zu fragen, kommt bei den sogenannten Sicherheitspolitikern Jubel auf, nun habe man ein weiteres Wundermittel gegen den Terrorismus. Von den Oppositionsparteien kommt schwacher Widerstand, dass das Speichern der Religionszugehörigkeit als ein Verdachtsmoment womöglich verfassungswidrig sein könnte. An der Sinnhaftigkeit wird dagegen nicht gezweifelt.

Es ist eben so, wie Heribert Prantl in einem Kommentar feststellt, dass nach dem 11. September (fast) alles, das mehr Sicherheit verspricht, Zustimmung findet:

[…] der Terrorist besetzt das Denken in den staatlichen Apparaten und den Braintrusts, in denen Gesetze gemacht werden. Er besetzt das Denken der Menschen, die diesen Gesetzen unterworfen sind – mit der Folge, dass jede staatliche Maßnahme, so sie nur mehr Sicherheit verspricht, allgemeine Billigung findet.

[…] Stets ist es just das Gesetz, an dem man gerade arbeitet, von dem angeblich die Zukunft der inneren Sicherheit abhängt.

So war das bei der Kronzeugenregelung; beim Vermummungsverbot; beim Lauschangriff; bei der Ausweitung der Telefonüberwachung; bei der Vorratsspeicherung der Internet-Daten; beim Luftsicherheitsgesetz; beim erleichterten Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Daten von Banken, Sozial- und Gesundheitsbehörden; beim biometrischen Personalausweis; bei der Schleierfahndung; bei den diversen Terrorismusbekämpfungs-und ihren Ergänzungsgesetzen.

Also gibt es weiterhin Aktionismus.

Lass dich inspirieren

Wenn ein Romanautor gesellschaftliche oder menschliche Abgründe beschreiben will, braucht er entweder Phantasie oder Inspiration. Dazu kann er Menschen zuhören, die ihm in der Kneipe oder sonstwo was erzählen. Es geht aber auch einfacher: er schaut sich in den Online-Beichten von Lifechurchum.

Gedacht ist die die Seite als Internetbeichstuhl, aber warum sollte sie sich außer aus voyeuristischen Motiven nicht auch zu eher guten Dingen zweckentfremden lassen.

[via: Spiegel Online]

„Crocodile Hunter“ Irwin von Rochen getötet

Der „Crocodile Hunter“ Steve Irwin wurde bei Dreharbeiten von einem Rochen gestochen ist ist daran gestorben.

Die ziemlich unernste Tiersendung konnte man – wie kann es anders sein? – auf RTL2 sehen. Man könnte auch sagen, dass es eine schwachsinnige Tiersendung war, bei der es weniger um die Tiere als um einfache Effekthascherei unter dem Vorwand, man wolle dem Publikum Tiere vorstellen, ging. Irwin mag dabei durchaus um die Tiere gegangen sein, aber er präsentierte wild lebende Tiere so, als seien sie Spielzeuge, die man auch so behandeln darf.

Ich mochte die Sendung nicht, ich mochte Irwin nicht, ich mochte seine Art nicht, wie er mit Wildtieren umgegangen ist. Alles musste er anfassen, begrabbeln, hochheben, damit rumspielen. Dazu gab es dann passende Kommentare, wie gefährlich die Schlange, die er am Schwanz hochhielt und die dabei aggressiv zischelte und sich windete. Irwin erklärte dann nebenbei hektisch und überschwänglich, was für eine Schlange er gerade ärgerte, woran man sie erkennen kann, wie furchtbar gefährlich sie ist und was für ein Prachtexemplar er da gefangen hatte. Ohne anzufassen hätte er es auch erklären können, der Informationsgehalt wäre gleich geblieben, nur halt wesentlich unspektakulärer.

Es ist kein Wunder, dass Irwin früher oder später an einem Biss oder Stich sterben würde.