Archiv für den Monat: November 2006

Börsenzug abgefahren?

Na, das geht ja erstaunlich widerstandslos:

Eine Absage des Börsengangs sei „möglicherweise das Wahrscheinlichste“, sagte Mehdorn am Donnerstag in Berlin.

Da kämpft Mehdorn jahrelang für eine Börsengang, spart und streicht und macht und tut, um aus der Bahn ein börsenfähiges Unternehmen zu machen. Und am Ende setzt er sich hin und sagt, ja, gut, wäre schön gewesen, aber wenn ihr nicht wollt, dann eben nicht? Kann ich nicht so recht glauben.

Vielleicht ist man zur Einsicht gelangt, dass ein Börsengang nicht das Gelbe vom Ei wäre, egal ob nun mit oder ohne Schienennetz? Oder man hat bei der Bahn eingesehen, dass eine Privatisierung nur ohne Schienennetz durchsetzbar ist und dass dann die Bahn für Investoren nicht attraktiv genug wäre. Dann also lieber gar nicht.

So richtig unglücklich ist man vielleicht auch gar nicht, wenn die Privatisierung nicht klappt. Mit dem Börsengang der Logistiksparte Schenker hätte man sogar einen Plan B in der Hinterhand, der für beide Seiten gut klingt: die Bahn bekommt zwei bis 3 Milliarden frisches Geld, die Politik kann trotzdem einen Erfolg feiern. Die Mitarbeiter und Fahrgäste Kunden der Bahn sind bestimmt nicht traurig, wenn aus der Bahn kein Börsenunternehmen wird.

Ich selbst bin als regelmäßiger Bahnfahrer kein Anhänger des Börsengangs. Ich glaube nicht daran, dass in einem gewinnorientierten Unternehmen der Service und die Leistung besser wären als sie es jetzt sind. Ich sehe eher ein Einstellen kleinerer, unprofitablerer Strecken. Selbst wenn diese Strecken das von kleineren Bahngesellschaften bewirtschaftet würden, wäre es prickelnd, wenn ich für eine Zugfahrt von A nach B 3 Tickets kaufen muss, nur weil ich mit 3 unterschiedlichen Unternehmen unterwegs bin.

Schädelfotos aus Afghanistan: Heimatfront und Wehrpflicht

Schlägt jetzt, nach der übertriebenen Empörung und Überraschung über die Leichenfotos aus Afghanistan, das Pendel in die andere Richtung aus? Nämlich in die Richtung, dass alles nicht so schlimm ist, dass es halt Soldaten sind, da sei ein gewisses Maß an Verrohung normal, diese Jungs wollen nur Stress abbauen und überhaupt sollten wir uns hier im kuscheligen Deutschland nicht so haben mit unseren moralischen Maßstäben, wenn halt mal so ein Schabernack publik wird.
Dieses Gefühl habe ich jedenfalls, wenn ich z.B. die Berichte der FAZ zum Thema lese und ganz besonders, wenn ich dann die Leserkommentare lese. Den Tenor der Leserkommentare habe ich oben zusammengefasst.

Ja, geht’s noch? Ich kann Stress in einem Krisengebiet, jugendliche Lockerheit und Gruppendynamik durchaus als Erklärungen anerkennen, aber nicht als Entschuldigung. Wo kommen wir denn hin, wenn wir für Soldaten andere Maßstäbe ansetzen. Da geraten wir auf eine schiefe Ebene und dann früher oder später bei Abu Ghuraib. Damals war die Empörung (zu Recht) riesig und wir haben uns über die Amisoldaten das Maul zerrissen, über Gleichgültigkeit an der Heimatfront und die geringen Strafen den Kopf geschüttelt. Und jetzt kommt auch aus Deutschland, von der Heimatfront, ein „support our troops“?

Natürlich sind Soldaten extremen Situationen ausgesetzt, die an den Nerven zerren. Aber das trifft auf Ärzte und Feuerwehrleute auch zu. Niemand käme auf die Idee, ihnen besondere Rechte einzuräumen. Man darf auch nicht vergessen, dass die Bundeswehr nicht in einem Kampfeinsatz ist, sondern Wiederaufbauhilfe leistet. Es ist also keine Mission, die das Töten von Menschen zur Absicht hat und somit per se die moralischen Maßstäbe auf den Kopf stellt.
Man sollte das auch nicht als bloßen Schabernack abtun, denn in einigen Bildern geht es um Dominanz- und Machogehabe bis hin zur Demütigung.

Wir waren bisher zu Recht stolz auf unsere bei der Bevölkerung im Einsatzgebiet hoch angesehenen Bundeswehrsoldaten. Das kommt aber nicht von ungefähr. Wir legen, mit dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ und der „Inneren Führung“, einen hohen moralischen Anspruch an unsere Soldaten an. In echten Kampfeinsätzen lässt sich das wohl kaum einhalten. Aber in Wiederaufbaumissionen ist sie zwingend notwendig, denn anders als mit diesem zurückhaltenden und respektvollen Umgang mit der Bevölkerung geht es nicht. Sonst wird man von der Bevölkerung als Besatzer wahrgenommen, abgelehnt und abgeschossen. Um es bildlich zu formulieren: die Amis benehmen sich wie die Axt im Walde und kriegen dafür richtig was auf die Fresse.
Kampfeinsätze werden heute von Raketen und Flugzeugen und nicht von bewaffneten Soldaten durchgeführt. Eine moderne Armee braucht also keine menschlichen Kampfmaschinen, die funktionieren und alles umnieten, was sich ihnen in den Weg stellt, sondern landeskundige Wiederaufbauhelfer, die zwar bewaffnet sind, aber ansonsten diplomatisch und helfend zu Werke gehen. Der Krieg wird mit Waffen, der Frieden aber mit einer zivilisierten Armee gewonnen.

Wehrpflicht gerade jetzt nicht mehr nötig?

Angeblich um die Bundeswehr zu einer solchen modernen Armee zu machen, will man die Wehrpflicht abschaffen. Dass heißt, FDP, Grüne und Jusos wollen sie abschaffen. Ich war eigentlich immer gegen die Wehrpflicht. Ich habe diesen Zwangsdienst (ich selbst war Zivi) für anachronistisch gehalten in einer Zeit, in der wir von Freunden umstellt sind und keine Menschenheere unter Waffen brauchen. Aber ich sehe mehr und mehr die Gefahr einer reinen Berufsarmee. An den USA kann man gut erkennen, was für eine Armee man dann bekommt: eine Unterschichtenarmee.

Ich sehe auch mehr und mehr die Vorteile der Wehrpflicht. Zum einen wäre da die Kontrolle. Ständig werden tausende junge Männer durch die Armee geschleust, die aus dem zivilen Leben kommen und dort auch wieder hingehen. Sie werfen ein Licht der Öffentlichkeit in die Armee. An den jungen Männern hängen ja Freunde, Familie und Verwandte dran, die sich auch für die Vorgänge in der Bundeswehr interessieren, wenn der Junge zum Bund muss. Man bekommt also eine öffentliche Kontrolle ins System Bundeswehr. In einem abgeschotteten militärischen System kommt es m.M. nach viel häufiger zu Schweinereien.

Durch die Wehrpflicht kriegt man eben nicht nur die Unterschicht in die Armee, sondern es kommt ein Querschnitt der Gesellschaft herein. Also auch die gebildeteren, die gemäßigteren und sozialkompetenteren Leute. Gut, die gehen vielleicht zum großen Teil als Zivis verloren, aber nicht jeder mit einer eigenen Meinung verweigert den Kriegsdienst. Potentiell steht der Bundeswehr ein Querschnitt der Gesellschaft zur Verfügung und das kann nicht zum Schaden sein.

Eine moderne Armee ist weniger eine Armee aus tumben Killermaschinen als eine Armee aus Staatsbürgern in Uniform. Klingt altmodisch, ist aber moderner denn je. Das lässt sich vielleicht am besten realisieren mit einer Wehrpflicht, auch wenn die Wehrpflichtigen selbst nicht an Auslandseinsätzen teilnehmen. Es sorgt aber für eine Verankerung in der Gesellschaft, so dass deren Normen und Werte auch in der Armee gelten.

Harald Schmidt sinkt tief

Wie schlecht geht es eigentlich Harald Schmidt, dass er sich für die saublöde neue Kampagne des Media Markt hergegeben hat? Schmidt spricht dabei das Schwein in diesen nervtötenden Spots.

Am Rande: der Regisseur der Spots, Arne Feldhusen, ist kein Grimmepreisträger. Er hat zwar bei der Serie „Stromberg“, die 2006 mit einem Grimmepreis ausgezeichnet wurde, Regie geführt, Feldhusen selbst ist aber keiner der Preisträger.

Biometrie in den Pass, Schily in den Aufsichtsrat

Weil solche Meldungen schnell untergehen und ich bei den Google-News auch nichts finden konnte:

Die Bundesregierung hat eingestanden, dass der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) direkt an der Auftragsvergabe an Biometrie-Firmen beteiligt war, in deren Aufsichtsrat er heute sitzt.

Ist das nicht schön, wenn sich im Ministeramt geknüpfte Netzwerke anschließend gewinnbringend nutzen lassen? Schily befindet damit sich in „guter“ Gesellschaft.
[via: Girl]

Wer sich das ganze Bild machen will, der kann auch die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (PDF) und Antwort der Bundesregierung (PDF) nachlesen.