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Das fiese Framing der AfD bei der Konstituierung des Thüringer Landtags

Ich habe mir das Drama der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags am vergangenen Donnerstag im Live-Stream zeitversetzt angesehen. Und nach dem Angucken dachte ich: oh, was für eine Shit-Show hat die AfD da nur abgezogen. Ein Beispiel für deren Verachtung von demokratischen Institutionen und ihr destruktives Verhalten. Dass der Alterspräsident seine Stellung missbraucht, war für mich selbst als juristischer Laie unübersehbar. Kann man das auch anders sehen?

Ja, man kann. Und wie man das kann. Und das hat mir vor Augen geführt, wie sehr die AfD das (Re-)Framing für sich benutzt.

Was ist eigentlich passiert? In der bisherigen Geschäftsordnung des Thüringer Landtags hatte die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht auf den Parlamentspräsidenten. Nun war unklar, ob auch andere Fraktionen Kandidaten zur Wahl stellen können, sollte der Vorschlag der stärksten Fraktion (=AfD) keine Mehrheit finden. Es wurde befürchtet, die AfD lässt nun solange wählen, bis die anderen Fraktionen ihren Widerstand aufgeben und der eigene AfD-Kandidat gewinnt. Um das Problem zu umgehen, wollten die anderen Fraktionen gleich zu Beginn, also noch vor der Wahl, einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung setzen lassen. Ja, riecht ein bisschen fischig, andererseits spricht eben die Thüringer Verfassung davon, dass der Präsident „aus der Mitte“ des Parlaments „gewählt“ wird (Art. 57 Abs. 1). Man wollte im Grunde nur den Inhalt der Verfassung in die Geschäftsordnung schreiben lassen, um – ja – der AfD dieses Vorschlagsrecht zu nehmen. Eine Mehrheit für ihren Kandidaten hätte die AfD auch schon vor der Änderung zusammenbekommen müssen und damit faktisch keinen Präsidenten stellen können.

Die sog. alternativen Medien waren voll mit alternativen Erklärungsmuster. Als Beispiel nehme ich hier das Interview mit Björn Höcke durch den YouTube-Kanal „Deutschland Kurier“1 Und dabei wird massiv geframt: der Alterspräsident hat alles richtig gemacht, seine Art der Sitzungsleitung war die einzig richtige, Abgeordnete haben sich einfach so zu Wort gemeldet und haben dadurch den ordnungsgemäßen Ablauf gesprengt. Das Ziel: die Kartellparteien wollen die AfD von ihrem rechtmäßigen Anspruch auf den Parlamentspräsidenten abzuhalten, mit ganz miesen, rechtswidrigen Tricks:

Wir haben 150 Jahre Parlaments- und Demokratiekultur dahingehend seit der Paulskirchenversammlung, dass nach Wahlen die stärkste Kraft den Zugriff auf den Parlamentspräsidenten hat.

Das ist Quatsch. Im Thüringer Landtag wurde 2014 die Linken-Politikerin Birgit Keller zur Landtagspräsidentin gewählt, obwohl die CDU die stärkste Fraktion war.
Richtig ist: es war und ist guter Brauch, dass die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht hat und dieser Vorschlag dann auch von einer Mehrheit der Abgeordneten gewählt wird. Das ist aber was ganz anderes als einen Zugriff = Anspruch auf einen Posten zu haben. Und warum weicht man in Thüringen jetzt (wieder) davon ab: weil die AfD sich als „wir gegen die“ („Altparteien“, „Kartellparteien“) positioniert und die Kandidatin dann eben keine Mehrheit im Parlament erhält.

Kein Wort in Höckes Interview, dass seine Rechtsauffassung vom Ablauf, den Rechten des Alterspräsidenten, des Rede- und Antragsrecht der Abgeordneten eben nur das ist: seine Rechtsauffassung. Die noch dazu auf wackligen Füßen stand. Wie weit ab von der Realität sie war, hat dann der Thüringer Verfassungsgerichtshof zwei Tage später in seinem Beschluss dargestellt. Entscheidende Stichpunkte sind hier: Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments, freies Mandat, Diskontinuitätsprinzip, Alterspräsident als bloßer „Zeremonienmeister“ (fast) ohne Macht. Wenn man sich die zahlreichen Referenzen im Beschluss anguckt, hätte man als Jurist (der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion Torben Braga hat Öffentliches Recht studiert) das auch schon wissen können. Hier wurde kein neues Recht geschaffen.

Wo ist nun das Problem? Framing ist daher überall im Alltag anzutreffen. Ohne geht es auch gar nicht. Zu komplex, zu kompliziert ist unsere Welt. Außerhalb unserer eigenen Fachexpertise – also fast überall – brauchen wir die schnelle Einordnung und verlassen uns dabei auf die Meinung von Menschen, denen wir vertrauen oder eine Kompetenz zuschreiben. Besonders framinganfällig sind komplexe Themen, die plötzlich in unseren Alltag einbrechen, beispielsweise die menschengemachte Klimakatastrophe2, die Energiewende bzw. die De-Carbonisierung unseres Alltags, die Corona-Pandemie, Migration, Nahost… Also alles Dinge, die in der Sache hochkomplex sind und jedes für sich locker für ein ganzes Wissenschaftlerleben reichen würden.

Besonders wirkmächtig und auch gefährlich ist (Re-)Framing dann, wenn ich nur noch einer Seite ver- und der anderen Seite misstraue. Dann übernehme ich nämlich unhinterfragt das Framing der einen und ignoriere auch gute Argumente der anderen Seite. Und genau damit arbeitet die AfD. Sie untergräbt seit Jahren das Vertrauen in demokratische Institutionen und Medien. Folgerichtig wird bereits präventiv das Thüringer Verfassungsgericht als parteiisch bzw. parteilich denunziert. So lässt sich eine absehbare Niederlage wieder mit den bösen Absichten der Altparteien erklären. Nicht die eigene Rechtsposition ist Quark, nein, die anderen sind halt böse. Kein Funken Einsicht mehr, keine kritische Reflexion der eigenen Arbeit – nichts. Nur noch Freund-/Feinddenken.

  1. Sobald man dieses Video anklickt, schlägt einem der Algorithmus von Youtube ohnehin noch mehr Videos der gleichen Art vor. Auf X, Instagram und Tiktok wird man ebenfalls fündig. ↩︎
  2. „Klimakatastrophe“ ist selbstverständlich bereits ein Framing. „Klimawandel“ könnte man auch sagen, klingt für mich aber zu sehr nach einem natürlichen Phänomen: denn einen Wandel im Klima hat es immer gegeben, ist aber im Ausmaß und vor allem Geschwindigkeit nicht mit der jetzigen Situation vergleichbar. ↩︎