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Kleiner Jahresrückblick 2009

Vertane Chance. Das Jahr beginnt hoffnungsvoll: Barack Obama wird US-Präsident und die (wirtschafts-)konservative FAZ bringt eine Serie zur Zukunft des Kapitalismus. Auch sonst wird viel über den Kapitalismus geredet und geschrieben. Tenor: So wie bisher geht es nicht weiter, kann es nicht weitergehen. Es schien, als hätte man begriffen, dass der Markt dem Menschen zu dienen habe und nicht umgekehrt.
Die Finanz- und später dann die Wirtschaftskrise schwappte aus dem Jahr 2008 ins vergangene Jahr rein. Die Geldwirtschaft stand am Abgrund, es erfolgte die Rettung durch Staat und Gesellschaft (vulgo: Steuerzahler). Genau der Staat, sich zuvor aus immer mehr Bereichen heraushalten sollte, musste nun einspringen und hunderte Milliarden ausgeben, weil Bankster sich mit „Wert“papieren verzockt hatten, die sie selbst nicht verstanden hatten und deren Risiko keiner mehr einschätzen konnte.

Doch dann: im Laufe des Jahres erholten sich die Banken aufgrund der Staatsgarantien und des zinslosen Geldes der Zentralbanken wieder. Die Regierungen versäumten es, den Banken im Gegenzug zur milliardenteuren Rettung klare Regeln aufzuzwingen. Mittlerweile machen die Banken ähnlich weiter wie wie bisher. Aber eins haben sie gelernt: sie können nicht pleite gehen, sie sind too big to fail. Was bisher nur ein Postulat war, wurde jetzt zur Gewissheit. Die politische Konsequenz daraus aber fehlt: Entweder dürfen Banken nicht mehr so groß werden, dass ihre Pleite weitere Kreise zieht oder sie müssen so streng reguliert werden, dass eine Pleite faktisch ausgeschlossen wird.
Eine Branche ist erstaunlich gut weggekommen: die Ratingagenturen. Sie haben mit ihren Bewertungen erst dafür gesorgt, dass diese Spekulation in diesem Ausmaß überhaupt möglich war. Änderungen am Ratingwesen? Fehlanzeige.

Zusammen mit der Diskussion um einen gezähmten Kapitalismus und dem bevorstehenden Klimawandel schien es für mich als würde es tatsächlich in Richtung Nachhaltigkeit gehen.
Doch bisher hat sich nicht viel bewegt: der Klimagipfel in Kopenhagen war ein Reinfall und aus den Löchern kommen jetzt wieder die Quacksalber, die uns marktliberale Reformen aufschwatzen wollen. Symptomatisch dafür: das sog. „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ der schwarz-gelben Bundesregierung – als wenn uns beschleunigtes Wachstum langfristig vor irgendetwas retten könnte. Chance vertan.

Hoffnung. Die heftige Debatte um die Internetsperren von Zensursula waren die Initialzündung: es entstand eine politische Bewegung im Netz. Mit Demonstrationen und einer erfolgreichen (aber vom Bundestag vorerst ignorierten) Petition und vielen Debatten im Netz. Außerdem wurde eine neue Partei an die Oberfläche gespült und erstmals sichtbar: die Piratenpartei. Der Anfang einer neuen Bewegung, geboren im Netz? Mal gucken, wohin es mit der Piratenpartei geht, ob man diese Bewegung verstetigen kann. Ich bin gespannt.

Prägendstes Buch. Das war in diesem Jahr das Buch „Grenzen des Wachstums – Das 30-Jahre-Update“ von Dennis Meadows. Es ist kein apokalyptisches Buch, aber ein sehr eindringliches. Wir unterschätzen die Wucht des exponentiellen Wachstums und der Markt ist blind für Vorgänge in der Natur.
Ebenfalls gut: „Wie wir arbeiten werden“: Der Weg in die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, bedingsloses Grundeinkommen, neue Formen der Arbeit, Erwerbsarbeit allein wird nicht die Zukunft sein.

Enttäuschendstes Buch. „Gescheitert: Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert“ von Heiner Flassbeck. Zuviel Rechthaberei, zuviel „hab ich ja schon immer gewusst/gesagt“, Flassbeck ist weiterhin in der Wachstumideologie gefangen. Außerdem wird die Titelfrage nicht beantwortet. Schade, ich hatte mehr erwartet.

Erkenntnis. Kapitalismus ist ein Schneeball-, Kettenbriefsystem bzw. Pyramidenspiel.

Maximal 2 Grad mehr und alles ist prima beim Klima?

Die Regierungschefs der G8-Staaten haben beschlossen, dass die Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2050 maximal um 2°C steigen darf. Klingt wie ein Witz, ist es aber nicht.

Das ist unsäglicher Machbarkeitswahn. Die Erde ist keine Heizung, auf der man (politisch) entscheiden kann, wie hoch man den Thermostaten einstellt. Das Klima ist ein dynamisch-chaotisches System, dass sich von politischen Absichtserklärungen völlig unbeeindruckt zeigen wird.

Gut, ok, ein bisschen mehr steckt schon dahinter. Man möchte die CO2-Emissionen bis 2050 um 50% global und um 80% in den G8-Staaten senken. Ähnliche Ziele gab es schon beim G8-Gipfel in Heiligendamm im Juli 2007. Wie schon damals kritisiert, ist eine solche Absicht ohne konkrete Zwischenziele nicht viel wert. Es kann weitergemacht werden wie bisher, es kann sogar mehr CO2 emittiert werden, bis 2050 ist es ja noch lange hin. Die CO2-Emissionen sind die letzten Jahre über gestiegen, wir sind weder in einer Plateauphase und schon gar nicht ist bisher von einer Reduktion zu sprechen.

2°C globale Erwärmung gilt als Grenzen dessen, was noch einigermaßen verkraftbar und in den Folgen beherrschbar ist. Ob das wirklich so ist, weiß aber keiner.
Außerdem sieht es schon jetzt danach aus, dass die derzeitige Konzentration an klimawirksamen Gasen ausreicht, um die 2-Grad-Marke deutlich zu reißen. Auch eine Reduktion der Emission – wie hoch sie auch immer ausfallen mag – bedeutet aber, dass trotzdem noch Klimagase hinzu kommen.

Die 2°C-Einigung ist reine Augenwischerei. Schlimmer noch: man begibt sich in eine Machbarkeits- und Beherrschbarkeitsillusion. Die Botschaft soll lauten: Wir beschließen heute eine Begrenzung des Treibhauseffekts.
Es ist aber unmöglich, den Temperaturanstieg gradgenau zu begrenzen. Man kann nur versuchen, die Treibhausgasemissionen möglich stark zu reduzieren (oder gar aus der Atmosphäre zu entfernen) und abwarten, was passiert. Mehr geht nicht. Außerdem ist das System träge, ein schnelles Abbremsen ist nicht möglich. Von sich selbst verstärkenden Rückkopplungseffekten (Freisetzung von Treibhausgaslagern aus Permafrostböden z.B.) ganz zu schweigen.

Überkapazitäten

Wer glaubt, dass Opel und die Autobranche im Allgemeinen bald wieder schwarze Zahlen schreiben, der möge bitte mal diesen Artikel bei SpOn lesen:

Der Höhepunkt der Autokrise stehe erst noch bevor. Während staatliche Stützungsprogramme wie die Abwrackprämie derzeit noch die Probleme linderten, werde der Absturz danach umso brutaler.
[…]
Laut Studie schwebten im vergangenen Jahr bereits 22 Prozent der europäischen Zulieferer in Insolvenzgefahr, Ende dieses Jahres könnten es 30 bis 50 Prozent sein.
[…]
Zum einen ist die Nachfrage nach Neuwagen stark gesunken, weil Autokäufe dank der Finanzierungsmöglichkeiten vorgezogen wurden. Zum anderen versäumten es die Konzerne, massive Überkapazitäten rechtzeitig abzubauen. So habe die Auslastung der Produktionslinien schon vor der Krise bei nur 80 Prozent gelegen, heißt es in der Analyse. Nun seien es vielfach weniger als 65 Prozent.
[…]
„Es gab eine Art Urvertrauen in weiteres Wachstum und die Erwartung, man werde in erweiterte Kapazitäten ‚hineinwachsen‘,“ erläutert Schwegmann die Fehlentwicklungen. Doch die Prognosen für das Unternehmenswachstum seien illusorisch gewesen. „Wenn man die Wachstumsprognosen aller Hersteller nebeneinander gelegt hat, dann konnte man feststellen, dass sie völlig übertrieben waren. Sie lagen erheblich über dem, was realistisch war.“

Im Prinzip ist das alles nicht neu. Aber irgendwie dann doch. Denn diese Studie zeichnet ein ganz anderes Bild, als alles, was sonst öffentlich so von sich gegeben wird: das Schlimmste ist überstanden, bald geht es wieder bergauf, der Aufschwung ist nah. Das Gegenteil ist der Fall: das dicke Ende kommt erst noch, der Katzenjammer wird groß sein, wenn die Abwrackprämie ausläuft. Dann kommen nämlich verschiedene Dinge zusammen: Rezession und Arbeitslosigkeit werden die Lust auf einen Neuwagen für den privaten oder dienstlichen Fuhrpark dämpfen und wer sich einen Neuwagen leisten konnte und wollte, hat diese Anschaffung dank Abwrackprämie auf dieses Jahr vorgezogen – und eben die latent vorhandene Überkapazität.

65% Auslastung heißt 35% Überkapazität. Das wird eine gewaltige „Strukturanpassung“ (=Entlassungswelle) werden. Vor diesem Hintergrund ist es naiv zu glauben, mit dem Staatseinstieg bei Opel würden Jobs erhalten. Jeder Arbeitsplatz, der bei Opel bleibt, geht dann bei Ford oder VW über die Wupper.

Abwrackprämie und vermeintliche Opelrettung – viel Steuergeld wird verpulvert, um eine Branche am Leben zu erhalten, die so in dieser Größe einfach nicht zu halten ist. Das Unvermeidliche lässt sich so nur verzögern, aber nicht verhindern. Und es verstellt den Blick auf und bindet Geld für die Gestaltung der Zukunft. Darüber wird mir zu wenig nachgedacht: Wo sind die Alternativen zu den klassischen Industriearbeitsplätzen?

Visionär Obama

Wenn ich mir die heutige Amtseinführung und die Rede von Obama ansehe und anhöre (Wortlaut in Englisch und Deutsch), dann denke ich: Der gibt den Menschen etwas, woran sie glauben können. Er breitet eine Vision aus bzw. belebt die alte Vision der Vereinigten Staaten, in denen alles möglich ist und in denen jeder alles werden kann. Er überträgt Hoffnung, Tatkraft, Zuversicht – und Gemeinschaftsgefühl.
Solch eine Visionskraft wünschte ich mir von deutschen oder europäischen Politikern auch.

Auf der anderen Seite ist das natürlich auch wieder reichlich naiv. In den USA gibt es Millionen arme Menschen; Menschen, die sich tagtäglich abrackern, aber nicht weiter kommen, die nie den amerikanischen Traum („Du kannst werden, was du willst“) werden leben können. Zynisch könnte man sagen: Wenn man denen schon nicht greifbares geben kann, dann gibt man ihnen wenigstens Hoffnung. Als Beruhigungsmittel. Damit sie sich an etwas klammern können.

Obwohl ich Atheist bin, so denke ich doch, dass jeder Mensch etwas braucht, an das er glauben kann. Eben eine Vision oder ein Leitbild oder Fernziel oder wie man das auch immer nennen mag. Das fehlt in meinen Augen unserer Politik und auch unserer Gesellschaft.

(Vielleicht bin ich auch gerade deshalb so anfällig für Obamas Stil, weil mir selbst gerade so ein Fernziel in meinem Leben fehlt.)

Rückschlag für das BKA-Gesetz als Ende des Ausnahmezustandes?

Nachdem eine Gruppe wackerer sächsischer SPDler das BKA-Gesetz vorerst gestoppt haben, frohlockt die „Zeit“ bereits, das könnte das Ende des Ausnahmezustandes sein, in dem sich die sog. Sicherheitspolitik nach 9/11 befindet. Seitdem sind von Schily und Schäuble einerseits Bürgerrechte ab- und staatliche Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen in einem Ausmaß aufgebaut worden sind, die vorher nicht denkbar und vor allem politisch nicht durchsetzbar gewesen wären. Dazu bedurfte es einem herbeigeredeten Ausnahmezustand wie dem „Kampf gegen den Terrorismus“. Doch nun sollen kommen die Parlamentarier wieder zu Sinnen gekommen sein und die „intellektuelle Lust am Ausnahmezustand“ (Verfassungsrichter Udo Di Fabio) wird nun verschwinden.

Ich halte die Einschätzung der „Zeit“ für verfrüht. Das BKA-Gesetz ist ziemlich glatt durch den Bundestag gegangen, kein CDU/CSUler hat widersprochen und nur 10% der SPD-Abgeordneten haben mit Nein gestimmt. Und hätte die Sachsen-SPD nicht auf einem Parteitag gegen das Gesetz gestimmt, wäre das BKA-Gesetz wohl auch durch den Bundesrat gegangen. Jetzt liegt es im Vermittlungsausschuss und es werden hier und da ein paar – wohl eher kosmetische – Veränderungen reingeschrieben. Ansonsten werden wir auch weiterhin im nächsten Jahr ein neues BKA in Deutschland haben.
Vielleicht werden Teile des Gesetzes (Onlinedurchsuchung bspw.) noch vom Verfassungsgericht gekippt. Ebenfalls gestrichen oder mindestens eingeschränkt wird vermutlich die Vorratsdatenspeicherung. Von der Politik ist allerdings in dieser Hinsicht kein Zurückrudern erkennbar.

Außerdem: alle beschlossenen Maßnahmen der letzten 7 Jahren haben bereits genügt, um den Ausnahmezustand zu manifestieren. Das neue BKA ist jetzt das Tüpfelchen auf dem i. Mehr braucht man nicht, die sog. Sicherheitspolitiker haben eine Menge erreicht, die können es verkraften, wenn sie jetzt eine kleine Pause einlegen müssen. Selbst wenn man jetzt politisch in den nächsten Monaten und Jahren nichts mehr weiter durchgesetzt bekommt, mit dem Ergebnis der letzten Jahren können Schily, Wiefelspütz, Schäuble und Co. prima leben.

Die Finanz- und die dräuende Wirtschaftskrise mögen das Thema Terror als potenten Angstmacher verdrängt haben, verschwunden ist er (der Angstmacher) nicht. Die nächsten Möchtegernbombenbauer in der Provinz werden – orchestriert von der Presse – wieder als Beweis der Notwendigkeit von noch mehr Überwachung und weniger Freiheitsrechten herangezogen werden.

Erst wenn die verschärften Gesetze der letzten Jahre zurückgenommen werden würden, wenn nicht jeder Bürger von vornherein als potentieller Terrorist angesehen würde, dann könnte man davon sprechen, dass das Ende des Ausnahmezustandes gekommen ist. Danach sieht es aber nun ganz und gar nicht aus.

Ein paar lose Gedanken zur Finanzkrise: „Kabarettreifes Konvertitentum“

Hab schon lange nichts mehr geschrieben hier in meinem Blog. Dabei gäbe es soviel zu Schreiben. Ich versuche mal, meine Gedanken zur Finanzkrise ein wenig in Worte zu fassen. Ich staune noch immer, wie gerade einerseits an der Börse Unsummen vernichtet werden, andererseits aber der vermeintlich klamme Staat plötzlich mit Milliarden um sich wirft, um die zu retten, die gerade noch selbst Jahr für Jahr Milliarden Gewinne erwirtschaftet erbeutet haben.
Nicht weniger staune ich, wie das Credo vom freien Spiel der Marktkräfte quasi über Nacht über Bord geworfen wird. Und wie insbesondere diejenigen, die gestern noch besonders eifrig dem Gott namens „Markt“ gehuldigt haben und für den Rückzug des Staates eingetreten sind, heute umso lauter nach der rettenden Hand des Staat schreien. Ulrich Beck spricht angesichts dessen von „kabarettreifem Konvertitentum“ . Recht hat er.

Was lernen wir aus dieser Krise? Dass die vermeintlich besten Köpfe nicht in der Lage waren, diese Krise zu verhindern, dass bei allem vorhandenen Sachverstand der Herdentrieb überwog und keiner der diplomierten und promovierten Betriebs- und Volkwirtschaftler die Krise kommen sah. Andererseits kann ich mir auch gut vorstellen, dass man durchaus das Unheil kommen sah, aber nichts dagegen tat. Weil alle mitmachten und man dachte, man wüsste schon, wann man auszusteigen habe? Und vielleicht auch, weil man wusste, dass schon nichts passieren wird. Weil man genau wusste, dass das Bankensystem zu wichtig ist, als dass man deren Pleite riskieren könnte. Jedes Unternehmen muss letztlich dem Tod ins Auge blicken, wenn es schlecht wirtschaftet. Banken sind aber integraler Bestandteil des Wirtschaftssystems und dürfen nicht pleite gehen. Diese Gewissheit wurde ausgenutzt.

Die Wichtigkeit des Bankenwesens für das Wirtschaftssystem als solches wird jetzt immer wieder betont und als Begründung für das Rettungspaket und mithin die Milliardenbürgschaften angeführt. Dann stellt sich aber die Frage: Warum lässt die Politik einen so wichtigen Bestandteil der Marktwirtschaft so unreguliert schalten und walten? Warum durften denn Banken das System mit Finanzspekulationen an den Rand der Selbstzerstörung bringen? Warum lässt man denn die Kinder jahrelang mit dem Feuer spielen und wundert sich dann, wenn die Hütte brennt.

Diejenigen, die gestern noch Renditemaximierung fernab jeglicher staatlicher Regulation als ihr Motto ausgegeben haben, rufen heute umso lauter, wie wichtig der Staat ist. Und was heißt hier Staat? Das Geld kommt ja von uns, z.B. auch von denen, die gestern noch im Renditewettlauf auf die Straße gesetzt wurden. Und diese Wendehälse gibt es in der Politik und in der Wirtschaft. Gestern konnte die Deregulierung gar nicht weit genug gehen, heute werden Milliarden nur so rausgeschmissen.

Blick in den Abgrund

Ich kann mir nicht helfen, aber ich fühle mich irgendwie über den Tisch gezogen. Diejenigen, die das Geld bekommen, schreiben selbst am Gesetz. Der verantwortliche Staatssekretär Asmussen ist selbst einer dieser seltsamen Konvertiten, die gestern noch die undurchsichtigen Finanzderivate tat- und wortkräftig befürworteten und heute Pillen gegen die Folgen verabreichen.
Abgesandte des Bankenwesens haben, so ist mein Eindruck, Politiker beiseite genommen und ihnen offenbart, wie schlimm es ums Finanzwesen steht und ihnen einen Blick in die Zukunft offenbart, die uns allen bevorsteht, wenn nichts passiert. Was die Politiker gesehen haben, muss sie zu Tode erschreckt haben. Anders ist nicht zu erklären, warum plötzlich in einer Hauruck-Aktion Milliarden locker gemacht werden.

Von den Landesbanken lernen wir, dass der Staat nicht die bessere Bank ist, wenn er sich auf die gleichen windigen Geschäfte einlässt wie die Privatbanken. Außerdem sollten in die Aufsichtsgremien nicht verdiente aber kompetenzarme Parteimitglieder sondern Fachleute entsandt werden. Ähnliches gilt für vielleicht auch für Privatbanken, in deren Aufsichtsräten auch viele prominente aber nicht immer kompetente Leute sitzen. Oder sie interessieren sich nicht genug für ihre Aufgabe oder sie haben zu wenig Kontrollkompetenzen. Jedenfalls war die Kontrolle offensichtlich alles andere als effektiv.
Wenn man vom Versagen der Kontrolle spricht, gehören auch die Ratingagenturen genannt. Viele Banken bekamen bis kurz vor ihrer Pleite noch beste Ratings, ebenso die hochriskanten Junk-Immobilien-Derivate. Wenn sie nicht wissen, was in den Bilanzen drinsteht, kann man sie sich auch sparen.

Godwins Gesetz und der anonyme Systemfehler

Schön zu sehen, dass es trotz aller Umbrüche auch Konstanten gibt. Godwins Gesetz gilt auch jetzt noch: Irgendwann kommt in jeder Diskussion der Nazivergleich. Diesmal hat ihn der Ifo-Chef Sinn eingebracht. So wie 1929 die Juden für die Weltwirtschaftskrise schuldig gemacht wurden, sind es heute die Manager. Doch diese bedauerlichen Geschöpfe können gar nichts für die aktuelle Krise. Es sind „anonyme Systemfehler“, die diese Krise verursacht haben. Es ist zwar schön, wenn ein nicht gerade marktkritischer Ökonom Systemfehler entdeckt, aber er macht sich zu einfach. Der Herdentrieb ist sicher auch systematisch bedingt, aber es sind immer noch Menschen, die aktiv mitlaufen. Und die verbrieften Kreditrisiken haben sich auch nicht selbst zu einem undurchsichtigen Paket geschnürt, sondern waren die Erfindung von Menschen. Sinn tut ja gerade so, als wenn das imaginäre Wesen „Markt“ plötzlich ein Eigenleben entwickelt, durchdreht und die Menschen können nur hilflos zuschauen…

Atomenergie ist alles andere als öko

Das sind doch mal 2 Meldungen, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Die CDU hält Atomkraft für eine Öko-Energie und im Forschungs- und Atomlagerbergwerk Asse II schwappt radioaktive Brühe durchs Gestein.

In alten Bergwerken dieser Art soll Atommüll für die Ewigkeit eingelagert werden, also viele Hundert Millionen Jahre. (Die Halbwertzeit von Uran-235 beträgt 703 Millionen Jahren. Zum Vergleich: den Menschen als homo sapiens gibt es erst seit gut 150.000 Jahren.) Und dieses bis-in-alle-Ewigkeit-Endlager macht nun bereits nach 40 Jährchen Probleme, weil Wasser eindringt, die dann als radioaktive Lauge durchs Gestein wabert.
Man kriegt es noch nicht mal hin, Atommüll innerhalb einen überschaubaren Zeitraum – einen Wimpernschlag geradezu angesichts dieser Halbwertzeiten – technisch störungsfrei zu lagern. Wie will man das erst bei einem unvorstellbar langem Zeitraum hinkriegen?

Atomendlagerung ist ein Euphemismus für ein Problem, für das man keine Lösung hat. Man verbuddelt den Müll in der Erde, hofft darauf, dass schon irgendwie alles gut geht, dass die Lagerungsmaterialien die Radioaktivität in sich behalten und die Gesteinsschichten sich nicht verändern werden und das irgendwann in ferner Zukunft eine Lösung für das Müll-Problem gefunden wird. Aus den Augen, aus dem Sinn; sollen sich doch spätere Generationen mit dem Problem rumschlagen.
Es ist blauäaugig zu glauben, man könne radioaktiven Müll einfach durchs Vergraben dauerhaft von der Biosphäre fernhalten.

Die Probleme werden kommen, sie sind ja jetzt schon da. Und auch in Zukunft wird man mit ihnen umgehen wie bisher auch: verschweigen und vertuschen. Die eintretende Lauge in Asse II wurde einfach in tiefere Gesteinsschichten gepumpt . Was dort damit passiert, schien wurscht zu sein: Hauptsache, man war das Wasser erstmal los.

Und nein, der hohe Ölpreis ist kein Grund, wieder über eine Renaissance der Atomkraft nachzudenken. In meinen Augen ist es nicht sinnvoll, der von fossilen Brennstoffen ausgelösten Klimakatastrophe eine nukleare Katastrophe folgen zu lassen.
Als wir Menschen mit dem massiven Verbrennen von Kohle, Erdöl und Erdgas angefangen hat, hat keiner geahnt, welche Folgen das mal für die Biosphäre haben kann. Beim Atommüll hingegen wissen wir, dass es ungelöste Probleme gibt.

Und noch so eine Sache, die mich ja wundert: Überall wird Terrorangst geschürt. Gern von den gleichen Leuten, die auch Atomkraft toll finden. Auf die Idee, dass Atomanlagen (auch (End-)Lagerstätten können explodieren) super Terrorziele sein könnten, scheint von denen keiner zu kommen. Oder darauf, dass Atommülllagerstätten gute Möglichkeiten darstellen könnten, sich mit nuklearem Material zu versorgen.

[via: Verwickeltes u. anmut und demut ]

Das Dilemma der SPD

In aktuellen Umfragen steht die SPD bei nur noch bei 2024% (je nach Umfrage auch nur noch kurz über 20%). Ich habe keine Sorge, dass sie bald wieder bei 30% steht, wenn das schlechte Moment und die Große Koalition, die auch schon 1966-69 die beiden Volksparteien geschwächt hat, vorbei sind.
Aber selbst wenn 30% bald wieder erreichbar sind: was kann die SPD damit machen? Nichts. Damit ist kein Rot-Grün machbar und eine Ampelkoalition ist mit der derzeitigen FDP nicht realistisch (ich habe keinen Grund anzunehmen, dass sich das auf absehbare Zeit ändern wird). Also geht es nur als kleinerer Partner in einer Großen Koalition. Dabei geht die SPD unter, wie wir jetzt sehen.

Damit steckt die SPD in einem Dilemma. Die Linke wird immer noch als Schmuddelkind behandelt und damit bringt sich die SPD um politische Handlungsoptionen. „Die Linke“ nimmt der SPD im linken Lager Stimmen weg, ohne die sie nicht mehr an die Regierung kommt (außer in eben jener unseligen Großen Koalition). Die politische Linke hat sich aufgespalten, die SPD darf nicht so tun, als hätte sich nichts verändert und sie könne den neuen linken Mitspieler ignorieren. In der Mitte ist auch kein Platz mehr, da sitzen schon FDP, Grüne und die CDU.

Nehmen wir mal an, es gibt 40% Stimmenpotential für die politische Linke. Wenn sich diese 40% nun auf 2 Parteien verteilen, dann ist die SPD doch äußerst schlecht beraten, die Linke zu ignorieren und Koalitionen auszuschließen. Das ist ein freiwilliger Verzicht auf Gestaltungsmöglichkeiten. Damit wäre zu SPD zu dauerhafter Opposition oder zum Juniorpartner einer Großen Koalition verdammt. Deshalb muss die SPD sich überlegen, wie sie weitermachen will: (1) Entweder sie übernimmt Positionen der Linken und macht sie somit überflüssig und drängt sie an den Rand bis zur Bedeutungslosigkeit oder (2) sie arbeitet mit ihr zusammen.

Die SPD hat sich selbst in dieses Dilemma gebracht. Unter SPD-Chef und Kanzler Schröder wollte man unbedingt in die „Neue Mitte“ drängen, wollte modern und wirtschaftsfreundlich wirken. Links sein war out, galt als wirtschafts- und standortfeindlich und konnte sich der heftigen Kritik der veröffentlichten Meinungsmacher sicher sein. Mit der „Agenda 2010“ erreichte diese Phase ihren Höhepunkt. Doch das Pendel schlug langsam wieder nach links aus, Kritik an neoliberalen Reformen fand wieder Zustimmung. Das hätte eigentlich der SPD zugute kommen sollen. Die aber war seit Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen nicht mehr wählbar.
So entstand am Ende aus dem Protest gegen die Agenda 2010 die WASG, durch deren Zusammenschluss mit der PDS dann „Die Linke“ entstand. Fertig war die Spaltung der linken Mitglieder- und Wählerschaft.

Ich hatte das schonmal erwähnt: Ich finde es prinzipiell nicht schlecht, dass es eine Partei links der SPD gibt. Als Denkalternative. Aber historisch ging eine Spaltung der Linken immer zu Lasten ihres Einflusses. Deshalb muss die SPD diese Spaltung überwinden und muss mit der Linken kooperieren, wenn sie wieder linke Politik für Deutschland umsetzen will.

Prinzipiell sollte das Momentum auf der Seite der politischen Linken liegen, das Pendel schlägt zur Zeit spürbar nach links aus. Es wird über Mindestlöhne, über Verarmung, über fehlende Aufstiegschancen, ein Schwinden der Mittelschicht und nicht zuletzt über einen sich krakenartig ausbreitenden Schnüffelstaat gesprochen: alles linke Themen. Umsoweniger verstehe ich, warum sich die SPD nicht an die Spitze dieser Debatten setzt und der Linkspartei das Feld überlässt. Es gibt auch genug Menschen, die die Linkspartei wegen ihrer Wurzeln in der PDS und deren SED-Vergangenheit nicht wählen. Da gibt es also noch brachliegendes Potential bei den Nichtwählern.

Die hungrige Fratze des Kapitalismus

Ich kann ja die Aufregung verstehen. Es ist eklig und zynisch, sich unter Renditegesichtspunkten über die steigenden Nahrungsmittelpreise zu freuen, wenn andererseits dadurch Menschen hungern – wenn nicht gar verhungern – müssen.
Auf der anderen Seite: funktioniert der Kapitalmarkt (der Kapitalismus?) nicht immer so? Ist nicht immer die Rendite des einen der Verlust des anderen? Führt nicht auch sonst die Suche nach mehr Rendite, über die sich jeder Lebensversicherungs- oder Riesterrentensparer freut, zu einer Gewinnmaximierungsstrategie der Unternehmen? Und wie maximiert man Gewinne am schnellsten? Indem man Leute rauswirft. Oder sie ausbeutet, sie unter schlechten und gefährlichen Bedingungen arbeiten lässt, zu Hungerlöhnen. Forciert wird das durch Investmentfirmen, denen wir unser Geld geben, damit unser Lebensabend finanziell sonniger aussieht. Geld arbeit nicht, Menschen müssen dafür arbeiten, dass wir Rendite erzielen.

Ich schließ‘ mich da selbst mit ein, ich habe eine Riesterrente, das Geld ist am Kapitalmarkt angelegt. Irgendwann wird vielleicht mal mein Erspartes dazu beitragen, dass meine Firma dazu gezwungen wird, Leute zu entlassen. Und vielleicht ist es auch mein Arbeitsplatz, der dann überflüssig ist.

Das es Alltag ist, macht die Sache an sich nicht besser. Und ich kann solche Aktionen wie die von attac verstehen. Nur verstehe ich die Aufregung in Renés Post und auch die aufgeregten Kommentare ihm nicht ganz. In einer Zeit, in der die stark gestiegenen Lebensmittelpreise zu Hungeraufständen führen, ist eine solche Werbekampagne und der ganze Fonds dahinter ganz sicher unglaublich geschmacklos und zynisch. Aber bei Lichte besehen ist – leider – business as usual.

Ablenkungsmanöver in Sachen Ölpreis

Angesichts der aktuellen Heulerei seitens der Parteien und Autofahrerverbände über den hohen Ölpreis könnte ich kotzen. Dass das Öl weniger wird, irgendwann sogar mal alle ist, ist bekannt. Dass in unserem Wirtschaftssystem, in dem die Preisfindung über Angebot und Nachfrage geschieht, der Preis fürs Öl damit tendenziell nur die Richtung nach oben kennt, sollte auch jedem klar sein. Insofern halte ich das aktuelle Gerufe nach Entlastungen für ein Ablenkungsmanöver.

Ablenken möchte man gerne von der Tatsache, dass trotz Kenntnis der obigen Punkte in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten kaum etwas unternommen wurde, um ernsthaft das Problem der Ölabhängigkeit in den Griff zu bekommen. Der Flottenverbrauch der Autos geht zwar leicht zurück, aber noch immer tuckern wir mit dem alten Konzept des Verbrennungsmotors rum. Wo bleibt der 3-Liter-Golf für den Übergang, warum ist der Hybridantrieb nicht längst gängig, wo bleibt die langfristige Alternative?
Befürworter von Windkraft- und Solaranlagen wurden noch bis vor wenigen Jahren als Ökospinner abgetan. Bei einem Barrelpreis von gut 20 Dollar ging das leichter über die Lippen als bei 120 Dollar.

Nach dem Ölpreisschock der 70er wusste man, wohin die Reise geht. Hätte man schon damals ein EEG gehabt, wäre der heutige Anteil an regenerativen Energien viel höher. Warum gibt es keine (steuerlichen) Anreize für spritsparende Autos? Warum wurde und wird der ÖPNV eher ausgedünnt als flächendeckend ausgebaut?

Hier wie dort versagte die Politik. Und von diesem Versagen möchte sie nun ablenken, indem sie kurzfristige Entlastung fordert.