Archiv der Kategorie: nachdenkliches

Waterboarding als Highlight der Grundausbildung

Vor ein paar Tagen wurde das Verfahren um Bundeswehrausbilder und ihre seltsamen Methoden während der Grundausbildung abschließend verhandelt. Gegenstand der Anklage waren die simulierten Geiselnahmen, bei denen es zu folterähnlichen Handlungen kam: Fesslungen, schwache Stromströße (wirklich, der Richter hat es im Eigenversuch getestet!), Scheinhinrichtung, Waterboarding. Die (Unter-)Offiziere glaubten, damit die Grundausbildung praxisnäher gestalten zu können.
10 Soldaten saßen auf der Anklagebank, 4 Freisprüche, der Rest Bewährungsstrafen, für die beiden hauptangeklagten Unteroffiziere 22 Monate.

Erstaunlich an den Vorgängen sind zweierlei Dinge: Der Vorgesetzte hat bei den Misshandlungen zu geguckt und es somit gebilligt und die 80 praxisnah Ausgebildeten finden es großenteils „geil“ und keiner von denen geht sich beschweren (einer hinterher doch und daher ja das Gerichtsverfahren).

Ich dachte bisher, in der Bundeswehr wird während der Ausbildung sehr viel Wert darauf gelegt, dass alles mit rechten Dingen zugeht (von gelegentlichen und seltsamen Ritualen mal abgesehen). Und das mit gutem Grund: Denn wenn in der Ausbildung Wert darauf gelegt wird, dass es sowas wie Menschenwürde gibt und wer nach diesen Grundsätzen ausgebildet worden ist, der wird die Menschenwürde als was selbstverständliches ansehen und sie auch gegenüber Menschen in Einsatzgebieten walten lassen. So ein Soldat geht einfach mit den Menschen vor Ort in den Einsatzgebieten anders um, als ein misshandelter Soldat, in dessen Ausbildung ethische und moralische Grenzen auch mal ebenso übergangen worden sind.

Wo bleibt der „Staatsbürger in Uniform“, wenn sich von den 80 Rekruten keiner über solche Methoden aufregt, beim Bundeswehrbeauftragten beschwert und wenn der Vorgesetzte sich das Ganze auch noch anguckt? Keiner von denen denkt mal einen Moment nach, was da eigentlich passiert?
Eine Verrohung der Ausbildung und der Soldaten kann nicht gut sein, denn das Kampfschwein an der Front steht doch im Widerspruch zu den realen Erfordernissen vor Ort, siehe Afghanistan oder Irak. Und was verrohte und zum Trennen von Recht und Unrecht unfähige Soldaten anstellen können, konnte man zuletzt an Abu Ghraib sehen.

Und noch eins hat mich gewundert: das schwache Echo auf die Schweinereien in der Presse und in Blogs. Anders als nach den Schädelfotos aus Afghanistan.
Ich will das Thema auch nicht zu sehr aufblasen, ich will auch gar nichts verallgemeinern. Ein bisschen verwundert bin ich aber doch, dass von den insgesamt fast hundert Beteiligten es alle offenbar in Ordnung fanden, wenn Menschen gewaltsam Wasser in den Mund gepumpt wird und diesen Teil der Ausbildung entweder „geil“ oder als „Highlight“ empfanden.

jetzt.de schreibt ziemlich ausführlich über die Vorgänge und die beteiligten Personen.

Onlinedurchsuchung und das neue Computergrundrecht

Ich möchte mir ja nicht vorwerfen lassen, ich würde über das für nichtig befundene Gesetz zur Onlinedurchsuchung nichts schreiben. Ja, das ist war ein wichtiges Urteil gegen staatliche Überwachungswut. Dieses Urteil hat uns außerdem noch eine neues Grundrecht gebracht: Das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“.

Ich bin allerdings skeptisch. Die (heimliche) Onlinedurchsuchung ist weiterhin in bestimmten Fällen erlaubt. Es sind aber immerhin hohe Hürden zu überspringen. In den Leitsätzen zum Urteil liest sich das dann so:

2. Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Die Maßnahme kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für das überragend wichtige Rechtsgut hinweisen.

Die Hürden „konkrete Gefahr“, „überragend wichtige Rechtsgüter“, „im Einzelfall“ und „bestimmte Personen“ klingen hoch. Aber dann steht dort eben auch was von „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ und „näherer Zukunft“.

Eine wolkig formulierte „allgemeine Terrorgefahr“ dürfte erstmal nicht ausreichen, um heimlich Rechner zu durchforsten. Andererseits wurden Terrordrohungen schon öfter als ziemlich konkret dargestellt – und hinterher war gar nix. Da Terrorwarnungen aus dem Geheimdienstumfeld kommen, wird schwer zu prüfen sein, wie konkret die Gefahr denn nun ist bzw. war.

Ich bin allgemein skeptisch, wie sich das Gesetz in der Praxis bewährt. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung beispielsweise ist zwar auch ziemlich toll, wird aber nicht nur durch staatliche Datensammelei (Vorratsdatenspeicherung, biometrische Daten, automatische Autokennzeichenerkennung etc. pp.), sondern auch durch eigenes Verhalten faktisch immer mehr zurückgedrängt und es fällt schwer, noch Herr über die eigenen Daten zu sein.

Nun muss man sich angucken, was aus dem Urteil gemacht wird, wie das neue BKA-Gesetz, dass auch einen Passus über Onlinedurchsuchung enthalten wird, aussehen wird.

Eine Linkliste mit Reaktionen auf das Urteil  findet man bei netzpolitik.org.

Waterboarding und der Euphemismus von der Verhörmethode

Warum wird im Zusammenhang von Waterboarding immer wieder von einer „umstrittenen Verhörmethode“ gesprochen. Was soll der Euphemismus? Warum spricht man es nicht einfach aus: Waterboarding ist Folter.

Auch wenn diejenigen, die es tun, taten und zuließen – die US-Regierung und ihre Geheimdienste – offiziell nicht von Folter sprechen möchten. Wollen wir warten, bis Waterboarding auch offiziell als Folter bezeichnet werden darf?

Warum sollte Waterboarding nicht Folter sein? Dem zu Folternde wird Wasser in den Hals oder auf ein über Mund und Nase gespanntes Tuch geschüttet. Der Gefolterte hat das Gefühl zu ertrinken, er glaubt zu ersticken, er hat Panik, Todesangst. Weil er festgebunden ist, kann er sich dem nicht entziehen.
Da braucht man nicht viel Fantasie, um sich die Panik eines Menschen in dieser Situation vorzustellen.

Waterboarding hat eine lange Geschichte als Foltermethode. Und Folter dient dem Verhör. Aber daraus abzuleiten, Waterboarding sei eine Verhörmethode, ist euphemistisch. Man würde auch eine Streckbank oder Daumenschrauben heute nicht als Verhörmethode bezeichnen, sondern als Folter. Man sollte allgemein Folter nicht als Verhörmethode verharmlosen.

Auch 2008 wird es keine Gen-Revolution in der Medizin geben

Wenn Journalisten was von Genen oder Genetik oder Molekularbiologie schreiben, sind Superlative meist nicht weit weg. Entweder kommt dann der blanke Horror auf uns zu oder die Lösung für nahezu alle unsere Probleme. Fast immer beruhen solche Artikel dann auf schlichter Unwissenheit.
So ließ Frank Schirrmacher im Jahre 2000 sechs Seiten des FAZ-Feuilletons völlig sinnbefreit mit wilden Kombinationen von A, T, C und G bedrucken : ATCG sind die Basen der DNA und das menschliche Genom stand kurz davor, durchsequenziert (fälschlich „entschlüsselt“ genannt) zu werden. Schirrmacher Begeisterung war so groß, dass er einen Teil der menschlichen Basensequenz auf totes Holz drucken ließ.

Auf der DLD-Konferenz 2008 (DLD = digital, life, design) in München vor ein paar Tagen ging es auch um die Firma 23andMe. Christian Stöcker von Spiegel Online war auch vor Ort und hat sich begeistern lassen. Stöcker, der sonst vor allem über IT-Themen schreibt, hat Psychologie studiert und dann in Kulturkritik oder sowas promoviert .

So als schreibt Stöcker einen ziemlich begeisterten Artikel über 23andMe. Erst am Ende wird ein Konkurrenzprodukt erwähnt und schließlich auch noch ein wenig Kritik nachgeschoben. Dass aber beim heutigen Stand der Wissenschaft eine Genanalyse mit vermeintlichen Risikofaktoren vor allem nutzlose, möglicherweise aber angstverursachende Informationen darstellen und dass das Angebot in erster Linie Geldschneiderei sein könnte, davon erfährt man nichts.

Das Angebot von 23andMe suggeriert, als gäbe es von bestimmten Krankheitsbildern einen ganz bestimmten genetischen Fingerabdruck, den man nur zu suchen brauchte. Dem ist aber nicht so. Unser heutiges Wissen über die molekularen und genetischen Ursachen von Krankheiten sind sehr begrenzt. Publizierte Risikofaktoren für bestimmte Krankheiten sind aus verschiedenen Gründen mit großer Vorsicht zu genießen:

  • Auch wenn in einer Studie ein Teil der Kranken einen bestimmten Gendefekt hat, ist der Umkehrschluss, dass das defekte Gen zu dieser Krankheit führt, nicht erlaubt. Dieses defekte Gen wird dann meist als Risikofaktor angesehen. Wie stark dieser Faktor ist, lässt sich schwer sagen.
  • Wechselwirkungen von mehreren Faktoren lassen sich bisher nicht vorhersagen. Ebensowenig der Einfluss von externen Faktoren wie Ernährung, Bewegung, Stress etc.

Mit diesem Pool von unsicheren Daten möchte 23andMe arbeiten.

Guckt man sich die Webseite an, nimmt ein Teil einen großen Raum ein: Vererbungsanalyse. Wieviele Gene habe ich von meiner Mutter, welche von meinem Opa, wer sind meine früheren Vorfahren etc. Und eben auch die persönliche Risikoanalyse für bestimmte Krankheiten. Aufgrund der oben beschriebenen Probleme, läuft die Auswertung darauf hinaus, dass sie nutzlos sein wird, noch dazu für knappe 1000 US-Dollar.
Zu einem ganz ähnlichen Fazit kommen auch die Kollegen bei Plazeboalarm .

Nichtsdestotrotz hat sich aber Christian Stöcker zu einem weiteren Jubelartikel („Jetzt beginnt die Gen-Revolution“) inspirieren lassen. In diesem ruft er 2008 zu dem Jahr aus, „in dem vier Buchstaben [A, T, C und G – die Basen der DNA] endgültig die Herrschaft über die Medizin“ übernehmen. „Das Genomzeitalter hat begonnen.“ Ahja, gut zu wissen.

Das ist natürlich Quatsch. Das Genomzeitalter hat in der Forschung bereits vor einigen Jahren begonnen. In der praktischen Medizin allerdings – also in der Diagnostik und der Behandlung – spielt das Genom eine vernachlässigbare Rolle (bis auf die Diagnose von bestimmten Erbkrankheiten). Daran wird sich auch so bald nichts ändern. Bisher wurden noch keine DNA-Fingerabdrücke für Krankheiten gefunden, das wird sich so schnell nicht ändern, dafür ist das Wissen zu fragmentiert, zu lückenhaft. Die Gentherapie zur Behandlung von Krankheiten ist noch in einem frühen Experimentierstadium – wie schon seit Jahren.
Ob nun der Hausarzt oder der Arzt an der Uniklinik, beide werden sich auch in 2008 nur sehr wenig für das Genom eines Patienten interessieren.

Videoüberwachung ist eben keine Prävention

Eines zeigt der brutale Überfall auf einen Rentner in einem Münchner U-Bahnhof: Videoüberwachung bringt nichts. Es bringt nichts für die Prävention und es bringt nicht mal was für die Aufklärung. Dieser Punkt geht mir in der derzeitigen Diskussion unter.

Eine Überwachungskamera kommt nicht zu Hilfe (anders als der Streifenpolizist), hinter der Kamera sitzt oft nicht mal einer, der Hilfe rufen könnte – aus Kostengründen. Untersuchungen zeigen längst, dass die Präventivthese widerlegt ist, im Münchner U-Bahnhof konnte man es in aller brutaler Deutlichkeit nochmal sehen.

Die Täter selbst wurden nicht über die qualitativ eher schwachen Bilder gefasst. Sondern über ein kurz vorher geklautes Handy, mit dem sie telefonierten.

Viel wichtiger

Sollen Heizungsmonteure zu Hause bleiben, wenn der Boiler streikt, sollen die Dachdecker nach dem nächsten Sturm sagen, nein, ich komme lieber nicht, sollen die Kassiererinnen bei Aldi und die Kassierer in den Tankstellen das Tippen verweigern. Was da alles lahmgelegt werden kann! Und was wird dann passieren? Es wird sich herausstellen, dass viel mehr Leute viel wichtiger sind, als sie gedacht haben.

Jawollja. Schön, dass ich sowas zum Thema (Bahn-)Streik in einer Zeitung lesen kann. Und nicht immer nur: „Die sollen sich mal zurück nehmen.“ Sowas schreibt ja auch keiner, wenn es um Gewinnmaximierung geht. Oder hat schon mal einer in der Zeitung gelesen, dass eine Gewinnsteigerung in der Höhe der Inflationsrate doch eigentlich auch ausreichend wäre?!Oder anders ausgedrückt: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ Stand damals im Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 1863.

[via: Sven Scholz]

Markus Söder und der gute und der schlechte Angriffskrieg

„Es kann nicht sein, dass ein Land, das in die EU will, einen Angriffskrieg führt“

Sagt Markus Söder, ehemaliger Generalsekretär der CSU und jetzt Minister ohne Ministerium. Das ist eine lustige Sache, die er da sagt. Denn wie wir alle wissen, schließen sich EU-Mitgliedschaft und Beteiligung an einem Angriffskrieg offensichtlich nicht aus.

Der Irakkrieg 2003, ohne UN-Mandat angezettelt und nicht zum Zwecke der Selbstverteidigung geführt, war ein Angriffskrieg. In der Koalition der Willigen, die damals militärisch und politisch beteiligt waren, finden sich viele EU-Mitglieder.

Söder (und bei weitem nicht nur er!) verheddert sich in der unterschiedlichen Billigung bzw. Missbilligung von Kriegen. USA vs. Irak geht in Ordnung, Türkei vs. (Nord-)Irak soll nun nicht mehr ok sein. In sich schlüssig ist diese Argumentation nicht. Die Türkei beruft sich auf das Selbstverteidigungsrecht und auf den Kampf gegen Terrorismus. Genau wie die USA damals im Irak und Israel im Krieg gegen den Libanon.

Mit dieser Argumentation kann nun recht einfach ein Staat gegen einen anderen einen Staat anzetteln. Das Küchenkabinett sprach neulich mal von den Ambivalenzen im Krieg gegen den Terror. Genau das ist das Problem: die Grenzen zwischen richtig und falsch verschwimmen. Kriege lassen sich heute einfacher denn je begründen und rechtfertigen.

Exzellente Pläne II

Vor ziemlich genau einem Jahr wurden schon mal „Elite-Unis“ im Rahmen der Exzellenzinitiative ausgezeichnet. Jetzt steht das Ergebnis der zweiten Runde fest: RWTH Aachen, FU Berlin, Uni Konstanz, Uni Freiburg, Uni Göttingen und Uni Heidelberg. (Gesamtergebnis als PDF)

Schon damals aber war der Begriff Elite-Uni Blödsinn. Deutlich wird das, wenn man sich den offiziellen Begriff anguckt: „Zukunftskonzept zum Ausbau universitärer Spitzenforschung“. Elite-Uni ist natürlich griffiger, aber auch irreführend. Denn es ging, wie schon in der ersten Runde, um Konzepte für die Zukunft. Elite-Uni klingt nach Ist-Zustand, es geht aber um einen Soll-Zustand. Das wäre in etwa so, als würde man einem Wissenschaftler den Nobelpreis schon zu Beginn seiner Forschung verleihen, nur aufgrund von eingereichten Anträgen.

Denn es ging im ganzen Wettbewerb erstmal nur um Anträge. Das, was heute und vor einem Jahr ausgezeichnet wurde, ist erst im Entstehen: Graduiertenschulen, Exzellenzcluster und eben die Zukunfts-Elite-Gesamtkonzepte.

Eva Herman: Lob für die Nazis oder nicht?

Anfang September stellte Eva Herman auf einer Pressekonferenz ihr neues Buch vor. Eine Journalistin des Hamburger Abendblattes hörte dabei eine Nazihuldigung:

In diesem Zusammenhang machte die Autorin einen Schlenker zum Dritten Reich. Da sei vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler, aber einiges eben auch sehr gut. Zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter. Die hätten die 68er abgeschafft, und deshalb habe man nun den gesellschaftlichen Salat.

Die Aufregung danach war groß, der NDR entließ Herman daraufhin.

Auf ihrer Website wehrt sich Herman nun gegen den Vorwurf, sie die Nazis für ihre Familienwerte gelobt. Allein der Sender RTL habe die Pressekonferenz mitgeschnitten, habe sich aber geweigert, den Mitschnitt rauszurücken. Dann tauchte im Internet noch ein Tondokument auf, das ein Originalmitschnitt sein soll.

Ein solches Tondokument veröffentlicht Herman als Originalzitat (als MP3 und als PDF-Abschrift). Aus dieser Passage soll dann durch die Abendblatt-Journalistin die obige Nazihuldigung geworden sein:

Wir müssen den Familien Entlastung und nicht Belastung zumuten und müssen auch ‘ne Gerechtigkeit schaffen zwischen kinderlosen und kinderreichen Familien. Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er Bewegung abgeschafft wurde. Mit den 68er wurde damals praktisch alles das alles, was wir an Werten hatten, es war ‘ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle, aber es ist damals eben auch das, was gut war, und das sind Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt – das wurde abgeschafft. Es durfte nichts mehr stehen bleiben….

Auch wenn man sich das Zitat ein paar durchliest – es bleibt wirr und unklar, was Frau Herman uns damit sagen will.

Keine Huldigung?

Dröseln wir das ein bisschen auf:

Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er Bewegung abgeschafft wurde.

Das Bild der Mutter wurde im Nazireich eher überhöht als abgeschafft. Sie sollte sortenreine Krieger fürs Deutsche Reich gebären, sich aber ansonsten aus allem raushalten. Die 68er hingegen wollten die Frau aus der reinen Mutterrolle, in die die Frauen in den 50ern und 60ern zunehmend gedrängt wurden, heraus bekommen.
Wie man NS-Ideologie und 68er hier zusammen nennen kann, ist mir schleierhaft. Und natürlich folgte dem Nationalsozialismus nicht gleich die 68er-Zeit.
Ok, hier hätten wir keine Huldigung der Nazizeit, eher eine – wenn man so will – Ablehnung. Wenn auch faktisch seltsam begründet.

Aber vielleicht doch ein bisschen Lob für Werte unter den Nazis?

Weiter gehts:

Mit den 68er wurde damals praktisch alles das alles, was wir an Werten hatten, es war ‘ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle, aber es ist damals* eben auch das, was gut war, und das sind Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt – das wurde abgeschafft. Es durfte nichts mehr stehen bleiben….

Hier wird es nun vollkommen wirr. Wenn man das einfach so hintereinander weg liest, klingt es so, als sei die 68er-Zeit eine „grausame Zeit“ mit einem „durchgeknallten Politiker“. Wen und was meint Frau Herman damit? Kiesinger? Brandt?
Sie meinte mit der „grausamen Zeit“ wohl kaum die 68er sondern das Dritte Reich und der „durchgeknallte Politiker“ soll wohl eine Umschreibung für Hitler sein.
Wann ist jetzt aber „damals“ (mit dem Sternchen)? Für mich ist mit diesem „damals“ die 68er Zeit gemeint. Die Abschaffung von Werten wie Familie, Zusammenhalt und Mütter fand in dieser Zeit statt. Das sagt ja Frau Herman auch nicht zum ersten Mal, die Emanzipation der Frau ist für sie ja Grund allen übels und zu einer Massenbewegung wurde es eben nach in der 68er-Zeit.

Dieses „damals“ steht nicht für das Nazireich, obwohl sie noch einen Satz zuvor sagt, dass auch dort schon die Werte abgeschafft worden sind. Und so kommt es dann, dass die Worte „das, was gut war“ und „Wert“ mit dem Nazireich in einen engen sprachlichen Zusammenhang gebracht werden. Warum sollte Frau Herman sonst auf Schrecklichkeit des Naziregimes hinweisen, wenn sie sich nicht anschließend auf deren gute Werte berufen wollte.
Erst die Schrecklichkeit der Nazis beschwören und dann ein „Aber“ hinterherschicken, dass doch nicht alles schlecht war. Vom Muster her ist es das Gleiche, wenn immer wieder davon gesprochen wurde, dass Hitler zwar den 2. Weltkrieg und den Holocaust auf dem Gewissen hat, aber immerhin herrschte seinerzeit Vollbeschäftigung und tolle Autobahnen wurden gebaut und die Jugend hatte noch Respekt vor dem Alter.

Vorwurf der Nazihuldigung als zulässige Zuspitzung?

Wenn man will, könnte man also durchaus den Satz zu einem „Nicht alles bei Hitler war schlecht, Werte wie Kinder, Mütter und Familie waren gut“ zuspitzen. Man muss es nicht tun. Eva Herman hat sich aber mindestens sehr missverständlich und wirr ausgedrückt. Warum spricht sie nicht klar vom Missbrauch der von der ihr propagierten Werte durch die Nazis? Warum eiert sie da so rum? Dazu kann man doch einen glasklare, unmissverständlichen Standpunkt formulieren.

Ich mag es nicht, wenn man jemanden in eine Ecke stellt oder in eine Schublade steckt, in die derjenige nicht hingehört. Ich mag es nicht, wenn man jemandem ungerechterweise das Nazi-Etikett anpappt mit der Gewissheit, das von nun an jegliche inhaltliche Auseinandersetzung beendet ist. Der oder die Etikettierte hat nur noch damit zu tun, sich von diesem Vorwurf zu befreien; es geht von nun an um nichts anderes mehr.
Nazivergleiche kommen in der Regel dann, wenn einem sonst nichts mehr einfällt. Dabei fällt einem bei Hermans Thesen so viel mehr ein, dass man einen Nazivergleich getrost stecken lassen kann.

Ich habe eher das Gefühl, dass Frau Herman einen Kreuzzug für ihre Sicht der Familie führt und auf diesem Kreuzzug ist ihr manchmal nicht klar, wen sie da als historischen Zeugen benennt.

Nachtrag (10.10.07): Gestern abend war Frau Herman bei Kerner – mal wieder. Es ging in erster Linie um jenen missverständlichen Satz der Nazihuldigung. Sie redete sich einmal mehr um Kopf und Kragen. Sie sah bei sich keinen Fehler, gab noch nicht einmal die Missverständlichkeit ihres Satzes zu, faselte dann davon, dass man nicht gefahrlos über Geschichte sprechen könne, z.B. über jene Autobahnen von Adolf Hitler. Das alles führte dann dazu, dass Kerner Frau Herman deutlich machte, die Sendung zu verlassen. Kurz zuvor hatten Senta Berger und Margarethe Schreinemakers gedroht zu gehen.
Die Sendung kann man sich in der ZDF Mediathek nochmal ansehen.

Die Angstmacher

Neulich hatte ich ja darüber geschrieben, dass Blogs an Relevanz gewinnen, weil dort Themen behandelt werden, die wonanders kaum oder in dieser Art gar nicht vorkommen.

Beim jetzt aktuellen Fall von Terroristen in Deutschland ist das wieder so. Ich wünschte mir mehr Fragen, mehr Kritik, mehr nüchterne Information statt der Wiedergabe der Mutmaßungen der Ermittlungsbehörden. Dazu kommt dann, dass die dünnen Fakten dann zusätzlich dramatisiert und aufgebauscht werden.

Kein Wunder, dass dann in einer Umfrage 72% der Befragten sagen, dass die RAF seinerzeit weniger gefährlich war als der islamistische Terrorismus heute. Und dass, obwohl die RAF nicht nur Anschläge plante, sondern zahlreiche Entführungen, Geiselnahmen und Sprengstoffanschlage tatsächlich durchführte. In der Häufigkeit und der Effektivität ist die RAF von damals mit den Islamisten von heute nicht vergleichbar.
Die RAF erscheint mir damals um Längen professioneller zu sein als es die islamistischen Terroristen heute sind.

Wirklich professionell?

Das, was wir von Fritzens Terrorgrüppchen wissen, geht über grobe Planung nicht hinaus. Die mutmaßlichen Terroristen waren in Pakistan in einem sog. Terroristencamp. Ein paar Ziele wurden mit dem Auto umfahren, 700 kg 35%-iges Wasserstoffperoxid wurde beschafft, ein paar Zünder wurden aus Syrien geliefert. Das Wasserstoffperoxid, wahrscheinlich der Grundstoff für den Sprengstoff Acetonperoxid (Triacetontriperoxid, TATP) gedacht wurde ihnen unterm Hintern geklaut und durch wertlose 3%ige Lösung ersetzt. Vom anderen Grundstoff, Aceton, ist nicht zu sehen. Davon hätte man ebenfalls so einige hundert kg benötigt.
Ob die Herstellung überhaupt geklappt hätte, ist fraglich. TATP ist höchst gefährlich in der Handhabung, möglicherweise hätten Fritz und seine Kumpels nur Oma Erna ihr klein Häuschen das angemietete Ferienhaus und sich selbst bei der Herstellung in die Luft gejagt. Mit Zünder und Sprengstoff hat man immer noch keine Bombe, die auch dann hochgeht, wenn sie es soll.
Kleinlaster wurden auch gekauft. Aber ohne Bombe sind die nicht gefährlicher als jeder andere Kleinlaster auf der Straße.

Dass Fritz und seine Kumpel für die Kommunikation in offene private W-LAN-Netze eingedrungen sind, mag für die Ermittler und Journalisten überraschend clever erscheinen, ist es aber nicht. An die Programme dafür kommt man leicht ran und die Handhabung nicht schwer. Dass allerdings die Mails unverschlüsselt verschickt wurden bzw. einfach nur in Order auf auf dem Server belassen wurden, spricht gegen eine professionelle Kommunikation.

Der Anruf Ende August aus Pakistan, doch Anschläge innerhalb der nächsten zwei Wochen durchzuführen, klingt für mich wie ein Arschtritt vom unzufriedenen Planungschef für die Nachwuchsgruppe aus dem Sauerland, in die Puschen zu kommen. Zu der Zeit war aber das Wasserstoffperoxid bereits wertlos und das Aceton noch nicht beschafft. Die Vorbereitungen waren also noch nicht soweit, dass es innerhalb der nächsten 14 Tage zu einem Anschlag hätte kommen können.

Mutmaßungen und Spekulation unkritisch übernommen

Stattdessen wird aber darüber geschrieben, dass die Anschlagspläne „sehr weit gediehen“ sind sind. Abgeleitet wird das aus jenem aufforderndem Telefonanruf aus Pakistan und einem Gespräch im Auto (!), wo man sich locker darüber unterhält, was man ins Visier nehmen könnte.

sz riesengroß

Gleich am Tag nach der Festnahme wurden Horrorszenarien über die möglichen Ausmaße beschrieben. „Größter islamistischer Anschlag in Europa vereitelt“ war der Titel eines Artikels der Süddeutschen Zeitung (mittlerweile wurde die Überschrift in „Mit 500 Kilo Sprengstoff in den ‚Heiligen Krieg'“ abgeändert, bei Verlinkungen wurde der Titel noch nicht geändert, siehe Screenshot).

Dann wird munter mitspekuliert, was man mit einer Sprengkraft von 550 kg TNT erreichen könnte. Soviel Sprengkraft hätte das fertige TATP gehabt, wenn man denn, ja wenn man denn Aceton und 35%ige Wasserstoffperoxidlösung gehabt hätte. Dann wird weiter munter über Anschlagsziele mitgemutmaßt, obwohl darüber nichts bekannt war. Dem Spiegel gegenüber sagt ein Beamter, „von einer fertigen Bombe“ sei man „noch recht weit entfernt“ gewesen.
Dass aber wahrscheinlich noch 7 weitere Mitglieder der Sauerlandtruppe frei herumlaufen und deren Aufenthaltsort trotz monatelanger Observation offenbar nicht bekannt ist (sonst hätte man sie schon verhaftet, denke ich), liest man an kritische Anmerkung nur selten.

Über die Verbindungen von Fritzens Gruppe nach außen, besonders zur „Islamic Jihad Union“ (IJU) und damit zu Al-Kaida wird zwar berichtet, aber offenbar wenig recherchiert. Allerdings gibt es Zweifel an der Existenz der IJU. Und so gibt es mehr Spekulation, mehr Panikmache, wenig genaue Trennung zwischen Mutmaßungen und Fakten und überhaupt zu wenig kritisches Hinterfragen seitens der Presse.

Jetzt habt gefälligst Angst!

Und damit komme ich zurück zu meinem Eingangsgedanken des Beitrages: Das, was fehlt – eine kritische Grundhaltung – finde ich in Blogs. Es gibt genug Ungereimtheiten, in die es sich einzuhaken lohnt. Stattdessen kann man eher das lesen, das die Gefährlichkeit und die Bedrohlichkeit der Festgenommenen steigert. Und fordert uns Claus Kleber auf, mal richtig Angst zu haben, indem er gestern im heute-journal sagt:

Guten Abend! Deutschland ist noch einmal davon gekommen. Es war knapp, aber große Aufregung herrscht darüber nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass unsere Phantasie nicht reicht um auszumalen, was hätte geschehen können, wäre es nach den Plänen der Terrorzelle gegangen.

Gerade dieses Nähren der Phantasie, das Angstmachen, dieses Heraufbeschwören von Gefahren, das Übertreiben der Gefährlichkeit des Gegners sind es, die uns in den letzten Jahren viel Freiheit gekostet haben und wohl auch weiterhin kosten werden.