Kleine Wahlnachlese BTW 2013

Merkel und die CDU wurden gewählt um zu verwalten, nicht um zu gestalten: alles soll so bleiben wie es ist. Ihr unprätenziöses, unaufgeregtes Auftreten passt dazu. Sie wirkt ein Mensch von nebenan. Beides finde ich in gewisser Weise sympathisch, ist mir aber häufig auch zu bieder.
Die einzige Bedrohung kommt vermeintlich aus dem Ausland („alle südlich von Österreich liegen den ganzen Tag auf der faulen Haut und warten nur auf’s Geld aus Deutschland“) und da fühlen sich viele offenbar bei Merkel gut aufgehoben und von ihr beschützt. Dieses Image hat Merkel über die letzten Jahre aufgebaut und konserviert. Offenbar haben das viele Wähler geglaubt. Dass es vielen Menschen in Südeuropa mit dieser Austeritätspolitik schlechter geht als es nötig wäre, interessant solange nicht, solange es einem selbst gut geht.
Ich bleibe dabei: Merkel ist eine Politikerin, die mit der ihr geliehenen Macht nichts anzufangen weiß, sie hat keine Vision, keine Idee.
Klar ist aber auch: das Ergebnis für die CDU ist das Ergebnis von Merkel. Ohne die sehr beliebte Merkel wäre die CDU nicht so stark geworden.

Die SPD. Ja, was gibt es da zu sagen. Da liegt eine linke Mehrheit im Bundestag, man könnte den Kanzler stellen – und die SPD weigert sich. Sie weigert sich seit Jahren, auch nur ernsthaft darüber nachzudenken, ob und wie man mit der Linkspartei zusammenarbeiten könnte. So wird das auf Jahre hinaus nichts mit der Regierungsführung. Stattdessen wird sich die SPD als Juniorpartner in die Regierung flüchten.
Dass sie sich mit einem Kanzlerkandidaten Steinbrück keinen Gefallen getan hat, dürfte nun auch klar geworden sein. Zu offensichtlich passten der Kandidat aus dem Hamburger Bürgertum und das Programm der SPD nicht zusammen.

Die Linke freut sich, die drittstärkste Partei im Bundestag zu sein. Trotzdem hat auch die Linke verloren, in Ostdeutschland sogar ziemlich deutlich. Die Linke ist in meinen Augen die aktivste und aggressivste Oppositionspartei, ihre parlamentarischen Anfragen haben so manche Schweinereien der Bundesregierung an die Öffentlichkeit gebracht.
Mein Eindruck aber auch: Ohne Gysis rhetorisches Talent wäre es nicht zu diesem Ergebnis gekommen. Der Mann ist einfach ein Phänomen.

Die Grünen sind auf ihre Stammwähler reduziert. Die Energiewende wäre eigentlich das Thema für die Grünen gewesen. Stattdessen haben sie sich eine Preiserhöhungs- und Steuerdebatte aufdrücken lassen, die sie nicht gewinnen konnten. Sie hätten lieber ihre Vision in den Vordergrund stellen müssen, wofür und warum unsere Gesellschaft auf erneuerbare Energie umzustellen ist. Der Veggie-Day war ein klassisches Beispiel dafür, wie man ein gutes Thema – Nachdenken über unseren Fleischkonsum – grandios versemmeln kann. Dass die Presse es auf Bevormundung – die Grünen verbieten mir mein Kantinenschnitzel – reduzieren, war vorhersehbar, weil sich die Grünen so wunderbar als Spielverderber (Tempolimit!) hinstellen lassen.
Ich hoffe, die Grünen machen mit neuen Leuten an der Spitze weiter. Da sind jede Menge guter Leute in der zweiten und dritten Reihe. Und ich bin gespannt, ob man sich doch an die CDU ranwanzt. Ich würde ja die Grünen-Basis deutlicher linker einschätzen als die Führung.
Die schwarz-grünen Planspiele waren für mich auch ein Grund, diesmal nicht die Grünen zu wählen, obwohl ich sie immer noch als meine politische Heimat bezeichnen würde.

Die Piraten haben es wohl maximal verkackt. Mit der NSA-Affäre lag der Ball auf dem Elfmeterpunkt – aber alle diskutieren, wer nun schießen soll und am Ende macht’s dann keiner. Die Partei ist ganz offensichtlich nicht kampagnenfähig. Personalisierung ist nicht gewünscht, aber ohne Personen, die die Inhalte repräsentieren, wird’s nicht gehen. Zu wenig war auf den Mainstreamkanälen zu sehen oder zu hören von den Piraten. Die Presse war in meinen Augen auch nicht fair zu ihnen und hat über sie nur berichtet, wenn es kleinere und größere Seltsamkeiten gab.
Schade um die Piraten. Schade um das Thema Netzpolitik. Es scheint kaum jemanden zu interessieren. (Fast) jeder nutzt das Internet, aber keiner scheint sich Gedanken zu machen, dass es in dieser Form bedroht ist, dass Netzneutralität wichtig ist, dass Überwachung nicht ausgeweitet sondern eingeschränkt gehört, dass ein zeitgemäßes Urheberrecht wichtig wäre.
Ich glaube nach wie vor daran, dass wir eine netzpolitische und moderne bürgerrechtliche Kompetenz im Land und im Bundestag brauchen. Meine Stimme hatten sie.

Die FDP. Raus aus dem Bundestag. Schade um den bürgerrechtsliberalen Flügel um Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Ansonsten verzichtbar.

Alternative für Deutschland (AfD). Aus dem Stand 4,7%. Für mich eine Protestpartei und damit eine Eintagsfliege. Kann mich auch irren, habe mich mit der AfD bisher nicht beschäftigt, die Wahlplakate von denen fand ich aber hoch unsympathisch.

Ex-Post-Vorstand Ude schrieb den Erpresserbrief an Steinbrück

Als ich vom Erpresserbrief an SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück hörte, dachte ich, das ist doch bestimmt ein grimmiger, alter Ex-SPDler, der wegen der Agenda 2010 aus der SPD ausgetreten ist und seinem Ärger halt mal Luft machen wollte. Einer, der am Fenster hängt und die Falschparker aufschreibt, ein Blockwart eben.

Weiter weg hätte ich mit meiner Vermutung gar nicht liegen können. Der Briefeschreiber kommt aus den besseren Kreisen der Gesellschaft, genauer gesagt sogar aus den vermeintlich besten der Republik. Es ist der ehemalige Manager und Vorstandsmitglied bei der Deutschen Post Hermann Ude.
Die Story geht in etwa so: Ude hat eine Putzfrau Haushaltshilfe. Und genau diese Haushaltshilfe war auch mal für einige Zeit Haushalthilfe bei im Hause Steinbrück. Die beiden, also der Manager und die Haushaltshilfe, kommen ins Gespräch und sie erzählt ihm, wie das damals war bei den Steinbrücks und dass die dort zwar geholfen hat, aber eben nicht richtig angestellt war. Der Manager wittert Schwarzarbeit. Dann sagt der Steinbrück etwas über die Ausbeutung von Geringverdienern, worüber sich der Manager ganz furchtbar aufregt. Und daraufhin schreibt er einen Erpresserbrief an Steinbrück, dieser solle die Kandidatur aufgeben. Tut er das nicht, kommt er mit der Geschichte der schwarzangestellten Haushaltshilfe an die Öffentlichkeit.

Auch im Vorstand von deutschen Weltkonzernen können sehr einfache Gemüter sitzen. Es sind halt auch nur Menschen, wenngleich die Selbstwahrnehmung wahrscheinlich eine andere ist.

Verhandlungen mit Syrien quasi „aus Versehen“

Der Vorbereitungen zu einem Krieg gegen Syrien schienen in vollem Gange zu sein, Obama und sein Außenminister Kerry rührten ordentlich die Werbetrommel für den Krieg. Erst durch einen Zufall, eigentlich wohl eher durch ein Versehen scheint eine friedliche Lösung möglich zu sein. Eine CBS-Journalistin fragte US-Außenminister Kerry, was Assad denn tun müsse, um einem Krieg noch zu entgehen. Kerry antwortete, dass Assad seine chemischen Waffen unter internationale Kontrolle stellen müsse. Und schob dann sogleich nach, dass Assad das natürlich sowieso nicht tun würde – selbstverständlich, ohne Assad dieses Angebot unterbreitet zu haben. Was dann folgte, was eine Politposse: in den USA versuchte man den Diplomatieversuch herunterzuspielen und beeilte sich zu erklären, dass alles nicht so gemeint war. Schließlich war man ja in den USA gerade dabei, die Kriegsmaschinerie anzuwerfen. Die Russen müssen nur auf einen solchen Moment gewartet haben, nahmen den Vorschlag dankend auf und versprachen sogleich, ihren Einfluss auf Assad geltend zu machen und einer solchen Lösung zuzustimmen. Und sieht es erstmal nach Verhandlungen aus.

An den Ereignissen kann man gut ablesen, dass es bei den Angriffsplänen gegen Syrien niemals um eine nachhaltige Lösung des Chemiewaffenproblems ging. Die USA wollten gar nicht mehr politisch-diplomatisch vorgehen, Friedensnobelpreisträger Obama hatte gar nicht erst versucht, alle politische Optionen auszuschöpfen. Weil man nämlich dazu Russland hätte ins Boot holen müssen. In den USA schäumten die politischen Kommentatoren, aber auch hierzulande schäumen die Atlantiker und werfen Putin vor, nur Russlands Interessen im Blick zu haben:

Der russische Präsident präsentiert sich im Syrien-Konflikt als Held und Friedensbringer. Doch tatsächlich ist Putin kein edler Ritter der Weltpolitik. Ihm geht es vor allem darum, den Großmachtstatus Russlands zu wahren, die Demütigung Obamas inklusive.

Um was ging es denn George W. Bush und seinen Neocons? Wer hat sich denn die letzten Jahre über die etwas abgehalfterte Weltmacht Russland lustig gemacht? Um was ging es den USA die letzten Jahrzehnte? Um was geht es denn Obama? Doch wohl darum, den Status und Einfluss der USA zu wahren und möglichst auszubauen. Bei Russland ist das nun illegitim? Und natürlich werden die Russen nicht länger zuschauen, wie vor ihrer Haustür immer mehr Amis Station beziehen und natürlich werden sie ihren Resteinfluss im Nahen Osten zu bewahren wissen. Genau deshalb kommen wir ja nicht weiter: weil die USA nicht einsehen wollen, dass auch andere Länder ihre Interessen haben und wahren wollen.
Wenn man am Ende um einen Krieg herumkommt, dann muss man halt mal persönliche Befindlichkeiten beseite tun. Und dann holt man halt Russland ins Boot und zur Not sogar den Iran, wenn man wirklich zu einer Lösung in Syrien kommen will. Natürlich ist Putin kein Friedensfürst. Aber wenn Russland der Schlüssel zu einer politischen und friedlichen Lösung des Bürgerkriegs in Syrien ist, dann setzt man eben mit ihm an einen Tisch und verhandelt.

Selten wurde es so offensichtlich, dass es Obama eben nicht um eine Lösung in Syrien ging, sondern lediglich um Gesichtswahrung seiner Person bzw. seines Landes. Er hatte die rote Linie namens Giftgaseinsatz ins Spiel gebracht und stand nun im Wort. Von einem Friedensnobelpreisträger muss man aber mehr erwarten. Wenn nicht eine Journalistin Kerry gefragt hätte und der nicht zufällig diese Option ins Spiel gebracht hätte, dann würden wir heute weiterhin auf einen neuen Krieg zusteuern. Nur durch Zufall – quasi aus Versehen – wurde er abgewendet.

NSA unterläuft digitale Verschlüsselungen

Der Summer of Snowden und kein Ende. Die nächsten Dokumenten wurden geleakt und diesmal wird offengelegt, dass die NSA mit dem Projekt „Bullrun“ die Verschlüsselung digitaler Kommunikation umgeht. Hauptsächlich geht es hier um SSL/TSL („https“ bzw. das Mail-Pendant dazu), VPN, Voice-over-IP und LTE. Das haben die New York Times und der Guardian veröffentlicht. Der britische Geheimdienst GCHQ hat ein ähnliches Programm, bei ihm heißt das dann „Edgehill“.

Von direktem „Knacken“ der Verschlüsselung kann allerdings weniger die Rede sein: was die Sache aber nicht besser macht:

Everyone needs to calm down: The National Security Agency HAS NOT „cracked“ common internet encryption.

„Cracking“ conveys that they have found a way to break down encryption codes […]

What the NSA has done, according to leaked documents, is (1) undermine encryption by coercing companies to put backdoors into their software and (2) hack into tech company servers to steal encryption keys.

Mittels „Bullrun“ nutzt die NSA Schwachstellen („exploits“) aus, sucht nach entsprechenden Schlüsseln oder beschafft sich die Schlüssel durch Einbrüche in fremde Computer. Außerdem nimmt die NSA Einfluss auf Verschlüsselungsstandards, um sie gezielt zu schwächen. Der Knaller aber: die NSA arbeitet mit Unternehmen zusammen, um Hintertüren in ihre kommerziellen Programm einzubauen. Das wurde zwar in der Vergangenheit immer mal wieder behauptet. Wer das aber sagte, wurde gleich als Verschwörungstheoretiker abgestempelt. Ein Grund mehr, auf Open-Source-Software (= jeder [Fachmann] kann in den Quellcode reingucken und evtl. Backdoors erkennen) zu setzen.
Wer die Unternehmen sind, steht in den Artikeln der NYT oder des Guardian nicht drin. Kann gut sein, dass diese Informationen aus den Veröffentlichungen wieder getilgt wurden. Die NSA hat ja versucht, die ganze Veröffentlichung zu unterbinden. NYT und Guardian haben sich teilweise darauf eingelassen, sind der NSA ein Stück entgegengekommen und haben einige Details aus den Artikeln entfernt. Ich gehe davon aus, dass alle großen Software- und Hardwarekonzerne mitmachen, einige sind ja bei PRISM schon mit von der Partie.

Kurz: geknackt sind mit SSL/TLS verschlüsselte Internetverbindungen oder mit PGP verschlüsselte E-Mails nicht, aber dran kommen würde die NSA schon, wenn sie wollte, weil bei Otto-Normalanwender immer Software bzw. Hardware läuft, die durch Hintertüren kompromittiert ist. Oder die Kommunikation läuft über Server, z.B. beim Mailprovider, die unsicher sind. Mit anderen Worten: in den meisten Fällen ist es gar nicht nötig die Verschlüsselung an sich nicht zu knacken, weil sie sie umgehen können.

Demonstratives Desinteresse der Bundesregierung

Und was sagt dazu unsere Regierung? Das, was sie seit den Snowden-Leaks immer sagt: dass es sich unbewiesene Behauptungen handelt und alles sei sowieso nicht weiter schlimm. Innenminister Friedrich (jaja, ich weiß, der kapiert nix, aber noch ist er Minister) ließ verlautbaren, dass

die wirkliche Bedrohung unserer Freiheit nicht vom amerikanischen, britischen oder französischen Geheimdienst [ausgeht], es sind vielmehr die großen weltweit operierenden Internetkonzerne, die unsere Daten massenhaft auswerten, analysieren und verkaufen.

Angesicht von „Bullrun“ ist das eine absurde Aussage. Und überhaupt stört mich die zur Schau getragende Unwissenheit und das demonstrative Desinteresse der Bundesregierung.

„Wenn man hier und da mal eine Computerzeitschrift liest, wird man feststellen, dass dieser Verdacht nicht neu ist“, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am Freitag in Berlin. „Sie können davon ausgehen, dass die Bundesregierung auch diesen Dingen nachgeht.“ Danach gefragt, was Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Schutz der Privatsphäre der Bürger unternehme, sagte Streiter, sie sei hier zunächst einmal nicht gefragt.

Das Bundesinnenministerium will seine Haltung zu Verschlüsselungen nicht überdenken. „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass die Behauptungen von Herrn Snowden zutreffend sind; insofern raten wir weiter zur Verschlüsselung“, sagte Sprecher Jens Teschke. Es gebe sicher Geheimdienste, die E-Mails ausspähen, allerdings nicht Dienste befreundeter Länder.

Jaha, hin und wieder eine Computerzeitschrift lesen. Wer eine solche Backdoorgeschichte verbreitet hätte, der wäre doch als Aluhutträger und Verschwörungstheoretiker verlacht worden. Und plötzlich heißt es, „Hey, was wollt ihr denn? War doch alles bekannt!“. Und der Innenministeriumssprecher konterkariert das dann gleich, indem er den Wahrheitsgehalt von Snowdens Leaks infrage stellt und eben doch wieder den Aluhut rauskramt.
Die wollen nicht verstehen, wo das Problem liegt. Und das schlimme daran ist: die werden damit durchkommen. Die meisten Leute stören sich tatsächlich nicht sonderlich daran, dass die Geheimdienste alles überwachen können.

Nun kann man sagen, dass jeder einzelne verschlüsseln soll. Das ist sicher richtig, aber in erster Linie ist es eine politische Aufgabe, die Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit ins Kommunkationssystem wiederherzustellen. Es die die Aufgabe der Politik, den Geheimdiensten das Herumwüten abzugewöhnen. Und es ist unsere Aufgabe als Bürger, der Politik das zur Aufgabe zu machen. Der amerikanische Kryptologe und Informatiker Bruce Schreier hat im Guardian dazu geschrieben (die Zeit hat es dankenswerter Weise auch übersetzen lassen):

The US government has betrayed the internet. We need to take it back. The NSA has undermined a fundamental social contract. We engineers built the internet – and now we have to fix it.

Schreier sieht hier in erster Linie die technische Seite. Aber der Bürger muss sicher sein, dass er von seiner Regierung/seinem Geheimdienst nicht ausgeforscht wird. Er muss sich sicher sein, dass die Geheimdienste nicht Hard- und Softwarehersteller nötigen, Backdoors in ihre Produkte einzubauen. Sonst brauchen wir das Gebilde, in dem wir leben, nicht mehr Demokratie zu nennen.

TV-Film: „Eine mörderische Entscheidung“

Die ARD hat die verheerende Tanklasterbombardierung durch die Bundeswehr in Afghanistan, bei dem über 140 Menschen ums Leben kamen, verfilmt. Am Freitag konnte man ihn schon bei Arte sehen (und hier für 7 Tage in der Mediathek von Arte). Am kommenden Mittwoch läuft er dann auch im Ersten. Ich hatte damals einiges über den Vorfall gebloggt.

Der Film ist eine Kombination aus Spielszenen – mit Matthias Brandt in der Rolle des Oberst Georg Klein – und Interviewbeiträgen. In den Interviews kommen leider keine direkt am Geschehen Beteiligte zu Wort, Georg Klein – mittlerweile Brigadegeneral – wollte oder durfte nicht mit dem Filmteam sprechen, ebensowenig andere Beteiligte. Der Film nutzt aber die verfügbaren Protokolle der Untersuchungen zum Fall.

Trotzdem ist es ein guter Film geworden. Er zeigt eine gute Zusammenfassung und Darstellung der Ereignisse damals im September. Die Stärke des Films ist es auch, dass er mehr als nur die Nacht zum 4. September 2009 zeigt. Er beginnt mit der Stationierung von Oberst Klein in Afghanistan und zeigt die Situation zu dieser Zeit für die Bundeswehr, die geprägt ist von zunehmender Gewalt und Ablehnung der Afghanen gegenüber den Bundeswehrsoldaten. Es kommt immer häufiger zu Angriffen auf die Bundeswehr, die Soldaten werden beschossen oder geraten in Sprengfallen, zum Teil gibt es Tote. Von einer Aufbaumission kann keine Rede mehr sein, offiziell darf es aber immer noch kein Krieg sein. Die Taliban werden stärker und die Bundeswehr wird selbst von den Afghanen gedrängt, mehr Härte zu zeigen.
Hier zeigt sich, dass da einiges schiefgelaufen ist bzw. immer noch schief läuft in Afghanistan: der Einsatz wurde von Anfang an falsch angegangen und dann schaukelt sich die Spirale der Gewalt immer höher, man kann ein Land eben nicht mit der Armee befrieden oder umwälzen. Man kann nicht an der einen Ecke des Landes mit Soldaten auf Talibanjagd gehen und dabei immer wieder Zivilisten treffen, auf der anderen Seite sollen Soldaten dann als Wiederaufbauhelfer fungieren. Das funktioniert so nicht. Die Normalbevölkerung macht keinen Unterschied zwischen den Soldaten, für sie sind das alles „die Ausländer“.

Am Vortrag der Tanklasterbombardierung kommt es wiederum zu einem Angriff auf die Bundeswehr. Mit den Monaten zuvor und diesem Ereignis ist der Rahmen für das eigentliche Hauptthema des Films gesetzt. Damit liefert der Film mögliche Erklärungen, wie es überhaupt zu einem solchen Bombardement kommen konnte, ohne es entschuldigen zu wollen: die Bundeswehrführung in Kunduz stand unter Druck, endlich militärische Erfolge vorzeigen zu können.
Die Tanklaster, so eine afghanische Quelle, sollten angeblich für Anschläge auf das Bundeswehrcamp in Kunduz benutzt werden. Ebenfalls hielten sich laut der Quelle 4 gesuchte Taliban-Kader an den feststeckenden Trucks auf, die man somit auf einen Schlag umbringen könnte. Damit liefert hier der Film ein Motiv dafür, wie es sein konnte, dass man sich über Einsatzregeln hinwegsetzte und sogar log, um am Ende die Tanklaster bombardieren zu können.
Der Film legt sich auf die – in meinen Augen – plausible These fest, dass bestimmte gesuchte Terroristen auf diese Weise umgebracht werden sollten – auch als militärischer Erfolg nach vielen Misserfolgen bzw. Angriffen auf die Bundeswehr zuvor. Für diesen militärischen Erfolg wischte man sogar die Möglichkeit, Zivilisten treffen zu können beseite. Dass Kinder am Ort des Geschehens sein könnten, kam den Verantwortlichen offenbar nicht in den Sinn – angesichts der Uhrzeit von 2 Uhr nachts keine abwegige Sache. Zumal eben jene afghanische Quelle, die vorher schon gute Informationen lieferte, beides verneinte Der Film stellt Georg Klein in der fraglichen Nacht als einen Einsatzleiter dar, der von Einflüsterern (TF 47 und BND) umgeben ist, die ihn zwar nicht drängen, aber auch nicht zurückhalten, diesen Einsatz so über die Vorschriften hinweg durchzuführen. So richtig wohl ist allen bei der Sache nicht. Warum sich Klein allerdings nicht mit seinem üblichen Stab beratschlagte, sondern ohne sie im Kommandostand der TF 47 war, erklärt der Film nicht.

Matthias Brandt spielt sehr gut und dadurch kommt Oberst Klein auch gut weg. Er spielt ihn als sanften und klassische Musik hörenden Soldaten, der offenbar mit der Situation in Afghanistan möglicherweise überfordert, aber zumindest von ihr überrascht war.

Nachtrag (05.09.13): Der Film ist nun auch in der ARD-Mediathek verfügbar. Sehenswert ist auch die Sendung von Anne Will, die gestern anschließend an den Film lief.

Nachtrag (07.09.13): Ergänzung und Vervollständigung des Bildes von den realen Ereignissen noch zwei Links. Zum einen zu Winfried Nachtwei, bis 2009 MdB in der Grünen Bundestagsfraktion, deren sicherheitspolitischer Sprecher und Afghanistankenner und zum anderen zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses (PDF, 580 Seiten) zum Kunduz-Vorfall. [via Bender-Blog]

Der Krieg gegen Syrien wird vorbereitet

… und damit scheinen Fakten wieder mal in den Hintergrund zu treten. Als sicher gilt ja bisher nur, dass es einen Giftgasanschlag gegeben hat. Unklar ist aber, von wem er ausging. Assad wird als Urheber der Angriffe genannt, ohne Beweise vorlegen zu können oder bisher auch zu wollen. Trotzdem will man jetzt sofort losschlagen. Warum jetzt diese Eile, die Inspekteure sind ja noch mit der Untersuchung beschäftigt. Und selbst wenn es Beweise gäbe, die Glaubhaftigkeit wäre doch ziemlich gering nach dem Ding mit den gefakten „Beweisen“ vor der UNO damals vor dem Irak-Krieg.
Und überhaupt: warum sollte Assad jetzt Giftgas gegen sein eigenes Volk einsetzen? Militärisch läuft es ganz gut in letzter Zeit für ihn und er hat gerade UNO-Inspektoren im Land, die die mutmaßlichen Giftgasanschläge vor Monaten untersuchen sollen. Das ist nicht plausibel, das macht einfach keinen Sinn, Assad hat nichts davon.
Plausibler ist für mich, dass die Assad-Gegner jetzt ein massives Eingreifen von außen erzwingen wollen. Und da für Obama ein Giftgaseinsatz immer die rote Linie war, deren Übertreten ein Angriff auf Syrien nach sich ziehen würde, wäre das der perfekte Trigger für die Assad-Gegner.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: ich hege keinerlei Sympathien für den Diktator Assad. Er hat im Zuge des Arabischen Frühlings die Demos gegen seine Regentschaft brutal niederschlagen lassen, hat sich Verhandlungen widersetzt und seinem Volk einen Bürgerkrieg aufgezwungen. Aber ihn jetzt als das absolute Böse hinzustellen, halte ich ebenso für Propaganda. Und was da als „Opposition“ gegen Assad kämpft und auch bereits zumindest von der CIA unterstützt wird, ist auch alles andere als vertrauenerweckend. Das sind zumeist religiöse Fundamentalisten, finanziert von Saudi-Arabien und Katar und mit Verbindungen zu al-Kaida. Also nicht unbedingt das, was nach Demokratie und Freiheit riecht. Dass die syrische Opposition im Besitz von Giftgas ist, darf als gesichert gelten. Assads Lager sind ja vorhanden, Überläufer der Armee gab es und Landgewinne, auf denen auch das ein oder andere Lager zu finden gewesen sein dürfte, auch.
Wieder zeigt sich aber das hinlänglich erprobte Mittel der CIA: den Gegner des aktuellen Gegners aufrüsten. Das hat ja schon so „wunderbar“ funktioniert mit den Mullahs im Kampf den Kommunismus, später dann Saddam Hussein im Kampf gegen den Iran und der Aufrüstung der Mudschahidin/Taliban um Osama bin Laden in Afghanistan gegen die Sowjetunion.

Bis jetzt deutet alles darauf hin, dass man ein zweites Afghanistan, einen zweiten Irak schaffen will: wieder mal geht es nur um militärische Aktionen, wie es danach politisch weitergehen soll, weiß kein Mensch. Es wird einseitig Partei in einem Bürgerkrieg ergriffen, ohne genau zu wissen, wen man da eigentlich unterstützt und wie es anschließend weiter gehen soll.

Kleiner Lacher am Rande von US-Außenminister John Kerry. Der sagt:

Außerdem habe man die Uno-Inspektoren fünf Tage lang daran gehindert, die Orte zu besuchen. „Dies ist nicht das Verhalten einer Regierung, die nichts zu verbergen hat„, sagte Kerry.

Das sagt ausgerechnet ein Vertreter der Regierung, die auf alles confidential draufpappt, die den einen Whistleblower Bradley Manning gerade wegen der Weitergabe von vertraulichen Regierungsakten zu 35 Jahren Haft verurteilt und den anderen Whistleblower Edward Snowden ins Exil nach Russland gejagt hat.

Nachtrag (30.08.13): Das britische Parlament hat Cameron vorerst gestoppt und verlangt erst mal Beweise. Man wolle nicht nochmal so hinters Licht gefüht werden wie damals beim Irak-Krieg:

Meanwhile, Sir Richard Shepherd, a Conservative MP for 34 years, said he was a „victim of past dossiers“ and wanted more proof. […]

A string of other sceptics repeatedly used the word „unconvinced“. […]

Cheryl Gillan, a former Welsh secretary under Cameron, said she was in this position, and did not „have enough accurate or verifiable information to support direct UK military action in Syria.“ Recalling the vote on Iraq, she said she „cannot sit in this House and be duped again“. […]

 

Postdemokratische Zustände

In jeder Verfassung der Welt steht ja ein Recht auf Privatsphäre, Unverletzlichkeit der Wohnung und so weiter… das sind ja lange Passagen. Das ist abgeschafft! Das heißt, wir befinden uns in postdemokratischen Zuständen.

Sagt Hans Magnus Enzensberger – und ich denke, so falsch liegt er damit gar nicht.

Der US-amerikanische Geheimdienst NSA und der englische Geheimdienst GCHQ durchleuchten den gesamten Internetverkehrs und damit einen Großteil unserer Kommunikation, ein Geheimgerichte und Geheimgefängnisse, der Lebenspartner eines unliebsamen Journalisten wird in Sippenhaft genommen und aufgrund von Terrorgesetzen (!) 9 Stunden am Flughafen festgehalten, verhört und seiner technischen Geräte beraubt, Whistleblower werden in zweifelhaften Prozessen verurteilt (Bradley Manning) oder müssen ins Exil flüchten (Edward Snowden), der Geheimdienst GCHQ lässt Festplatten der Zeitung zerstören, die den Abhörwahn des GCHQ öffentlich gemacht hat und unser deutscher Innenminister Friedrich erfindet das Supergrundrecht auf Sicherheit. Mit Demokratie hat das immer weniger zu tun. Staaten mit solchem Vorgehen würde man doch nie und nimmer als Rechtsstaaten bzw. Demokratien bezeichnen.

Ich bin mittelschwer entsetzt darüber, was da abgeht. Und dieses Entsetzen hat mich sogar dazu getrieben, hier mal wieder was ins Blog zu schreiben.

[via]

Waffengesetze in den USA: richtige Debatte, falscher Anlass

Die Reaktionen auf einen Amoklauf scheinen immer nach einem ähnlichen Schema abzulaufen. Eine vermeintliche monokausale Ursache wird in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt: Irgendetwas hätte verboten sein müssen, dann wäre das furchtbare Drama nicht passiert.

In den USA nach dem Amoklauf von Newtown läuft nun die Diskussion auf schärfere Waffengesetze hinaus. Bei uns waren dann – angesichts schon sehr strikter Waffengesetze – Computerspiele Thema der Debatte. Bei uns sind Waffen sehr reglementiert und trotzdem kam es zu den Amokläufen. Natürlich wären strengere Waffengesetze in den USA sicher sehr sinnvoll, damit nicht jeder eine Waffe haben darf und damit würden vielleicht auch grundsätzlich weniger Menschen in den USA durch Schusswaffen sterben. Aber an der grundsätzlichen Gefahr von Amokläufen ändert. Wer so eine Tat plant, der findet einen Weg, an Waffen heranzukommen. So eine Tat lässt sich letztlich nicht verhindern, so schlimm es auch ist, sich das einzugestehen.

Diese Stellvertreterdiskussion nervt mich ein bisschen. Da tickt ein Mensch aus und läuft Amok und wir reden von Waffengesetzen oder Ballerspielen. Interessanter und möglicherweise zielführender wäre es, wenn man sich fragen würde, welche sozialen und gesellschaftlichen Umstände solche Taten begünstigen. Aber am Ende bliebe wahrscheinlich die Erkenntnis, dass man solche Taten nie ganz verhindern kann.

„Das hat sich doch wieder gelohnt“

Dass Politiker und Journalisten auch miteinander sprechen, wenn die Kameras und Mikrofone aus sind, dürfte jedem klar sein. Was und wie allerdings dann besprochen wird, ist unbekannt. Das Video da oben ist deshalb eine Seltenheit, weil es das Geplaudere von Claus Kleber und Horst Seehofer nach dem offiziellen Teil des Interviews zeigt. Das Video gibt einen seltenen Einblick in Off-the-Record-Gespräche dieser Art zwischen Journalisten und Politikern.

Nach einem locker-vertrauten „Na, das hat sich doch wieder gelohnt“ beginnt das Nachgespräch zum Interview (etwa ab 5:20). Dabei geht es im Grunde um den gleichen Themenkreis wie vorher, nur eben anders. Beide scheinen weniger Theater zu spielen. Seehofer lässt weniger Sprechblasen ab, er scheint ja geradezu sein Herz ausschütten zu wollen. Und auch Kleber ist anders: er steht entspannter da, zeigt Mimik, hakt nach, ist erkennbar an den Antworten seines Gegenübers interessiert und reagiert auf seine Aussagen mit entsprechenden Fragen. Kurz: Kleber führt ein echtes Interview bzw. das ist ein echtes Gespräch.

Das offizielle Interview ist typisches Politainment, wie Falk Lüke schreibt, bei dem beide Seiten mitmachen: Politiker und Journalist. Der Politiker sondert Sprechblasen ab, will seine Sicht der Dinge verkaufen und tut das in Form von rundgelutschten Textbausteinen. Der Journalist auf der anderen Seite macht da mit, indem die vorher zurechtgelegten Fragen abgearbeitet werden, oft ohne auf die vorherige Antwort einzugehen. Zu selten wird seitens des Journalisten nachgehakt und der Politiker ist meist nicht bereit, von seinen Textbausteinen abzuweichen.

Das Schlimme daran: beide Seiten haben sich mit diesem Stil arrangiert. Beide Seiten inszenieren eine Show für die Kinder Zuschauer bzw. -hörer. Wenn die im Bett nicht mehr dabei sind, kann man sich miteinander wie erwachsene Menschen unterhalten. Warum geht das nicht auch, wenn die Kameras und Mikrofone laufen? Für mich ist auch das ein Zeichen für die Abgehobenheit von Medien und Politik.

[via: Spiegel Online]

Hollande als Weckruf für die SPD?

Der Sieg von Francois Hollande bei den französischen Präsidentschaftswahlen wird teilweise als Weckruf für die europäische Linke und auch für die deutsche SPD gesehen. Für die europäische Linke mag das vielleicht stimmen, also der Entsprechung der Linkspartei in Europa. Aber für die SPD? Wohl kaum. Die Bloggerkollegen von Wiesaussieht haben dankenswerterweise das 60-Punkte-Programm vom neuen französischen Präsidenten Hollande übersetzt. Und wenn man da mal reinguckt, dann könnte man glauben, man guckt ins Wahlprogramm der Linkspartei.

Und hier zeigt sich auch, wie weit sich die SPD in den letzten Jahren von der sozialdemokratischen Idee entfernt hat: angefangen bei Schröders Nacheifern von Tony Blair, der großen Koalition mit Merkel und der Kuschelopposition der letzten zweieinhalb Jahre. Und damit wird deutlich, was für ein Problem die SPD in Wahrheit mit Hollande bekommen wird. Denn will sie ihm nacheifern, seine Ideen gutfinden und sich am Ende sogar zu eigen machen, dann muss sie einiges von dem, was sie in den letzten Jahren gemacht oder gesagt hat, zurücknehmen. Und das wiederum ist nicht glaubwürdig mit dem Personal, dass lange Zeit für das gegensätzliche Programm zu Hollande stand. Mit ein bisschen Strategiedebatte wird es nicht getan sein. Die SPD muss sich vielmehr re-sozialdemokratisieren, wenn sie mit Hollande mithalten will. Dass sie es tut, daran glaube ich allerdings nicht. Für die Menschen in Europa und Deutschland wäre es aber besser.