Archiv für den Monat: Mai 2011

Guttenberg im „Zustand der Dauervergesslichkeit“

Die Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Uni Bayreuth macht das Offensichtliche offiziell und kommt zum Schluss, dass Karl-Theodor zu Guttenberg vorsätzlich getäuscht hat. Eben diesen Vorsatz hat Guttenberg bis heute immer bestritten.

Die Kommission vermag nicht nachzuvollziehen, dass jemand, der über Jahre Quellen für seine Dissertation bearbeitet, derart in einen Zustand der Dauervergesslichkeit gerät, dass ihm die allerorten in seiner Arbeit nachweisbaren Falschangaben vollständig aus dem Bewusstsein geraten.

Das steht im Abschlussbericht (S. 22) der Bayreuther Kommission. Auf gut deutsch: So blöd kann keiner sein, dass er massenhaft Textstellen in die eigene Doktorabeit kopiert und dann immer wieder die Fußnoten vergisst.

Der Abschlussbericht liest sich durchaus unterhaltsam. Besonders an den Stellen, an denen die Kommission versucht, Guttenbergs Erklärungsversuche, warum er das Setzen der Fußnoten versäumt hat und somit nur aus Versehen plagiiert hat, nachzuvollziehen. Guttenberg erklärt z.B. die Plagiate mit seiner „chaotischen“ Arbeitsweise, überall habe er Schnipsel gesammelt, auf über 80 Disketten und verschiedenen Laptops. Glaubhaft ist das nicht, denn zur leichten Variation von Textstellen, zum Austauschen von einzelnen Worten hat es ja gereicht.

Aber nehmen wir mal für einen Moment an, Guttenberg hat tatsächlich die Fußnoten nur vergessen. Dann bestünde seine Doktorarbeit ja fast nur aus Zitaten. Knapp zwei Drittel (63,8%) seiner Zeilen sind nicht gekennzeichnete Zitate – zusätzlich zu den korrekt benannten etwa 1200 Fußnoten (=Zitate). Was bliebe dann noch an Eigenleistung übrig?

Was mich aber auf die Palme bringt, ist die Arroganz und die Süffisanz mit der Guttenberg geleugnet hat, absichtlich betrogen zu haben. Eine Guttenberg-Show bis zum Schluss.

Apropos Show: Wer immer noch glaubt, Guttenberg wäre ein solider und kompetenter Politiker, der sei nochmal an Guttenbergs Arbeit als Verteidigungsminister erinnert: in der Kundusaffäre hat er eine mehr als schlechte Figur abgegeben, ebenso in der Gorch-Fock-Affäre und die von ihm eingeleitete Bundeswehrreform ist keinesfalls so gut vorbereitet, wie Guttenberg behauptet hat. Hier wie dort, mehr Schein als Sein; geht was schief, sind andere schuld.

P.S.: Gerade ist Doktortitel-Kegeln angesagt: Stoibers Tochter hat ihren Dr. schon verloren, Koch-Mehrin steht offenbar kurz davor und ein MdL der CDU aus BaWü hat wohl auch mehr gemogelt als erlaubt ist.

Schlichte Gemüter hüben wie drüben

Im aktuellen Spiegel sagt Volker Kauder:

Als Christ gibt es für mich das Böse in der Welt. Osama war böse. Und man darf sich als Christ freuen, wenn es weniger Böses auf der Welt gibt.

Das Böse. Aja. Ich dachte, wir wären schon weiter. Ich dachte, wir würden die Welt nicht mehr pauschal in Gut und Böse einteilen, in schwarz und weiß. Ich dachte, diese Einteilung in Gut und Böse wäre ein Sache von eher schlichten Gemütern oder religiösen Fanatikern – wobei hier die Grenze fließend sein dürfte. Unvergessen ist ja Bush mit seiner „Achse des Bösen“.
Volker Kauder ist ja nun auch nicht irgendwer, sondern Vorsitzender der Regierungsfraktion. Solche Leute bestimmen maßgeblich über die Gesetze in diesem Land. Menschen mit solchen schlichten Kategorien, mit einem solchen schlichten Weltbild machen Politik in unserem Land. Ein bisschen beunruhigend finde ich das schon. Wenn man sich die Wikipedia-Seite von dem anguckt, dann passt Kauders Aussage zu Gut und Böse allerdings ins Gesamtbild.

Film-Tipp: „Die 4. Revolution – Energy Autonomy“

Der Film über die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien lief letztes Jahr im Kino und gestern abend auf Arte. Der Film ist toll bebildert und zeigt eine positive Vision einer nachhaltigen Energieversorgung. An verschiedenen Beispiele wird gezeigt, dass dei Energiewende schon heute möglich ist, auch gemacht werden muss und keine wie auch immer geartete Brückentechnologie (Atomkraft, CO2-Abscheidung) nötig ist.

Zu sehen ist ein großartiger und engagierter Hermann Scheer, der sich schon seit langem mit der Energiewende beschäftigte und der leider letztes Jahr überraschend gestorben ist.
So langsam kommt das Thema erneuerbare Energien ja in der Gesellschaft an und wie so eine Zukunft aussehen kann, zeigt dieser Film in positiver Weise – jenseits der etwas kleinkarierten Diskussion, um wieviel Euro der Strompreis pro Jahr nun steigen wird durch den Atomausstieg. Es geht ums Ganze: wie kriegen wir einen vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien hin, welche Schritte sind dafür nötig, wie wird sich die Art der Stromerzeugung (dezentraler und kleinteiliger) und des -verbrauchs (weniger!) verändern.

Für die nächsten 7 Tage ist der noch in der Mediathek von Arte abrufbar und ansonsten gibt es den Film auch auf DVD.

Vergeltung, aber keine Gerechtigkeit

Justice has been done

Der Gerechtigkeit wurde genüge getan. So hat Obama die Tötung von Osama bin Laden heute kommentiert. In meinen Augen ist das keine Gerechtigkeit, das ist Vergeltung. Offenbar hatte man auch gar nicht vor, bin Laden gefangen zu nehmen. Das war eine Tötungsmission im Auftrag von Obama.
Dazu gibt es dann noch Freudenfeiern in New York und Washington.

Unsere deutschen Politiker sind natürlich kein bisschen besser. Bundeskanzlerin Merkel z.B. sagt dazu:

Ich habe dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama meinen und unseren Respekt für diesen Erfolg und für diese gelungene Kommandoaktion mitgeteilt.

[…]

Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten.

Ich bin einigermaßen fassungslos, dass von Politikern Freude über die gezielte Tötung an einem Menschen geäußert wird. Stattdessen hätte es eher Bedauern geben müssen, dass er nicht gefangen genommen werden konnte und es so kein ordentliches Gerichtsverfahren gegen bin Laden geben wird.

Wir bilden uns im Westen soviel ein auf unsere Werte, auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Und dann wird nach einer gezielten Erschießung Freude geäußert und von Gerechtigkeit gefaselt. Gerecht wäre einzig und allein ein Gerichtsverfahren gewesen. Die Auslegung, man sei mit bin Laden im direkten Krieg gewesen und darum sei ein Tötung von ihm nach Kriegsvölkerrecht legitim gewesen, halte ich auch für sehr weit hergeholt.

Wahrscheinlich hat man ein Gerichtsverfahren vermeiden wollen. Möglicherweise hätte man bin Laden nicht mal die Urheberschaft für die Terrorattentate nachweisen können. Das FBI beispielsweise sucht ihn nicht mal wegen der Attentate vom 11. September, sondern „nur“ wegen Anschläge auf US-Botschaften. Außerdem wären dann die guten Kontakte von bin Laden und seinen Mudschaheddin zur CIA und US-Politikern während des sowjetisch-afghanischen Krieges zur Sprache gekommen. Kurz: ein Gerichtsverhandlung wäre möglichweise für USA peinlich geworden. Aber das darf ja keine Kriterium sein, ob es zu einem Gerichtsprozess oder Kopfschuss kommt.

Mit der Erschießung von bin Laden hat man eine große Chance vertan zu zeigen, dass dem Westen Rechtsstaatlichkeit, Moral und Werte was wert sind. Stattdessen hat man auf Rache und Vergeltung gesetzt. Ich bin von Obama enttäuscht, von ihm hätte ich was anderes erwartet.
Wie ich an anderer Stelle schon mal schrieb: Wir verraten die Werte, die wir zu verteidigen glauben.

Nachtrag (09.05.11): Wer immer noch glaubt, man habe versucht, bin Laden gefangen zu nehmen und dabei habe man ihn leider erschießen müssen, weil er Widerstand geleistet hätte, der lese sich mal den Artikel von der NY Times bzw. von tagesschau.de durch.  Kurzfassung: es gab so gut wie keinen bewaffneten Widerstand, einmal wurde auf die Elitetruppe geschossen. Bin Laden selbst war mit seiner Frau im Schlafzimmer.  Eine Pistole und ein Maschinengewehr waren „in Reichweite“, er hatte es also nicht in der Hand.  Mit anderen Worten: er war unbewaffnet. Und trotzdem hat man ihn nicht nur kampfunfähig gemacht, sondern eben mittels Kopfschuss getötet. Mir braucht dann keiner erzählen,  die USA hätten bin Laden lieber gefangen genommen.

Der verlogene Krieg gegen Libyen

Der Krieg der NATO gegen Libyen war für mich von Anfang an seltsam. Eigentlich geht es in der entsprechenden UNO-Resolution nur darum, die Zivilbevölkerung vor den Übergriffen der Gaddafi-Truppen zu schützen.

Das war nie sonderlich glaubwürdig. Im Grunde ging es von Anfang an darum, Gaddafi zu stürzen. Man unterstützt mit Gaddafis Gegner mit Militär-Beratern, diskutierte deren Bewaffnung und die Geheimdienste waren natürlich auch schon gegen Gaddafi im Einsatz. In Libyens Hauptstadt Tripolis kam es zu Angriffen aus Gaddafis Residenz. Und heute wurden ein Sohn von Gaddafi und drei seiner Kinder bei einem Luftschlag getötet. Nur wenn man die UNO-Resolution seeehr großzügig auslegt – erst wenn Gaddafi weggebombt ist, sind die Zivilisten sicher – lässt sich das noch rechtfertigen. Bei normaler Auslegung der Resolution geht hier die NATO weit über ihre Befugnisse hinaus.

In noch einem anderen anderen Punkt machen sich die Libyen-Krieger und Vertreter eine bellizistischen Außenpolitik unglaubwürdig: Man war angetreten, Menschenrechte zu verteidigen und die Souveränität von Staaten hinter die Rechte und den Schutz der Bevölkerung zu stellen. Endlich werde interveniert, wenn irgendwo auf der Welt die Bevölkerung von ihrem Diktator umgebracht wird: Menschenrechte vor Völkerrecht.
Und nun ist das Syrien. Auch dort gehen die Menschen auf die Straße und auch dort werden die Regimegegner umgebracht.