„Mit dem Virus verhandelt man nicht, aber man verhandelt auch nicht mit der Verfassung.“
Sagt Wolfgang Kubicki bei „Maybritt Illner“ (hier ab ungefähr 18:55).
Der erste Teil des Satzes stimmt, der zweite ist natürlich Quatsch. Aber die Aussage ist symptomatisch für Nicht-Naturwissenschaftler, besonders für Juristen, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler. Und Politiker, die ja wiederum häufig aus dieser Ecke kommen. Der erste Teil des Satzes ist dann auch ein Zitat von Bundeskanzlerin (und ausgebildeter Naturwissenschaftlerin) Merkel aus der Bundestagsdebatte zur sog. „Notbremse“; den zweiten Teil hat sich der Jurist Kubicki selbst ausgedacht.
Die sprachliche Gleichsetzung der Unverhandelbarkeit mit dem Virus einerseits und der Verfassung andererseits impliziert auch eine faktische Gleichheit. So als wären beide – das Virus und die Verfassung – naturgesetzliche Gegebenheiten. Aber nur eine ist es tatsächlich: das Virus.
Die Verfassung, unsere wirtschaftliche Ordnung, unser Staatswesen, unsere Mobilität, kurz: unsere ganze Art zu Leben und zu Wirtschaften ist das Ergebnis menschlichen Handelns. Und kann durch menschliches (Ver-)Handeln auch wieder verändert werden. Das unterscheidet naturwissenschaftliche Phänomene von kulturellen: erstere sind tatsächlich nicht verhandelbar. Egal ob Klimawandel, endliche Rohstoffe, Bodenerosion oder eben Viren – hierbei handelt es sich Ergebnisse von Naturgesetzen. Dagegen kannst du nicht anargumentieren. Ich vermute, das ist für die wer-das-beste-Argument-hat-gewinnt-Fraktion nur schwer zu verinnerlichen. Das ist es aber, was wir verinnerlichen müssen, wenn wir die die anstehenden Veränderungen angehen wollen.
Passend dazu das Interview von Tilo Jung mit Maja Göpel* genau zu diesem Thema:
*Maja Göpel ist Wirtschaftswissenschaftlerin und hat es trotzdem kapiert, was veränderbar ist und was nicht. Das stimmt mich hoffnungsvoll.
Wenn man das Fundament, die Basis erst einmal als gegeben und weithin unveränderbar erkannt hat, dann beginnt übrigens das politische Handeln. Und dort kann dann wieder über unterschiedliche und alternative Wege zum Erreichen des Ziels diskutiert werden. Die Zielerreichung ist ja in der Regel nicht determiniert – d.h. nicht alternativlos – , hier beginnt also das politische Feld. Das wiederum müssen dann auch Naturwissenschaftler begreifen.
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