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Nicht verhandelbar

„Mit dem Virus verhandelt man nicht, aber man verhandelt auch nicht mit der Verfassung.“

Sagt Wolfgang Kubicki bei „Maybritt Illner“ (hier ab ungefähr 18:55).

Der erste Teil des Satzes stimmt, der zweite ist natürlich Quatsch. Aber die Aussage ist symptomatisch für Nicht-Naturwissenschaftler, besonders für Juristen, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler. Und Politiker, die ja wiederum häufig aus dieser Ecke kommen. Der erste Teil des Satzes ist dann auch ein Zitat von Bundeskanzlerin (und ausgebildeter Naturwissenschaftlerin) Merkel aus der Bundestagsdebatte zur sog. „Notbremse“; den zweiten Teil hat sich der Jurist Kubicki selbst ausgedacht.

Die sprachliche Gleichsetzung der Unverhandelbarkeit mit dem Virus einerseits und der Verfassung andererseits impliziert auch eine faktische Gleichheit. So als wären beide – das Virus und die Verfassung – naturgesetzliche Gegebenheiten. Aber nur eine ist es tatsächlich: das Virus.

Die Verfassung, unsere wirtschaftliche Ordnung, unser Staatswesen, unsere Mobilität, kurz: unsere ganze Art zu Leben und zu Wirtschaften ist das Ergebnis menschlichen Handelns. Und kann durch menschliches (Ver-)Handeln auch wieder verändert werden. Das unterscheidet naturwissenschaftliche Phänomene von kulturellen: erstere sind tatsächlich nicht verhandelbar. Egal ob Klimawandel, endliche Rohstoffe, Bodenerosion oder eben Viren – hierbei handelt es sich Ergebnisse von Naturgesetzen. Dagegen kannst du nicht anargumentieren. Ich vermute, das ist für die wer-das-beste-Argument-hat-gewinnt-Fraktion nur schwer zu verinnerlichen. Das ist es aber, was wir verinnerlichen müssen, wenn wir die die anstehenden Veränderungen angehen wollen.

Passend dazu das Interview von Tilo Jung mit Maja Göpel* genau zu diesem Thema:

*Maja Göpel ist Wirtschaftswissenschaftlerin und hat es trotzdem kapiert, was veränderbar ist und was nicht. Das stimmt mich hoffnungsvoll.

Wenn man das Fundament, die Basis erst einmal als gegeben und weithin unveränderbar erkannt hat, dann beginnt übrigens das politische Handeln. Und dort kann dann wieder über unterschiedliche und alternative Wege zum Erreichen des Ziels diskutiert werden. Die Zielerreichung ist ja in der Regel nicht determiniert – d.h. nicht alternativlos – , hier beginnt also das politische Feld. Das wiederum müssen dann auch Naturwissenschaftler begreifen.

Die Grünen und ihr Problem, keine Verzichtspartei mehr sein zu wollen

Im Zuge des Parteitages lese ich gerade öfter, dass der geplante Veggieday für das schlechte Abschneiden der Grünen bei der letzten Bundestagswahl verantwortlich war. Ich halte das für großen Quatsch. Der Veggieday – also ein fleischloser Tag in der Kantine pro Woche – war nur der Aufhänger, dass die Presse den vermeintlich „wahren“ Charakter der Grünen als Verbotspartei anprangern konnte: Seht her, die Grünen gönnen euch euer Schnitzel/eure Currywurst nicht mehr. Im Sommerloch 2013 fiel das dann auf fruchtbaren Boden, die Medien hatten ein Thema und die Grünen waren mit der Kampagne überfordert. Wohl kaum einer hatte damit gerechnet, dass diese Forderung so ein Aufregerthema werden könnte. Allerdings halte ich die Wahlniederlage durch den Veggieday als Thema für eine Legendenbildung, vielmehr war es die Art und Weise, wie der Veggieday als reine Verbotsdebatte geführt wurde, ohne die Idee dahinter zu thematisieren.
Mich als langjährigen Grünenwähler hatten bei der letzten Wahl grün-schwarze Planspiele abgeschreckt. Ich wollte Merkel abwählen, nicht ihr mit Hilfe der Grünen eine weitere Legislatur ermöglichen. Andere haben sich vielleicht von Steuerplänen (z.T. Erhöhungen) abschrecken lassen. Wodurch auch immer, am Ende haben die Grünen 8,4% bei der BTW 2013 geholt. Damit liegt man am unteren Ende der letzten Bundestagswahl und wohl so ziemlich auf Stammwählerniveau. Aber – und das ist aus Sicht der Grünen wohl das traumatische daran – weit unter den Umfrageergebnissen Monate und Jahre davor. Mitte 2011 waren die Grünen bei etwa 25% (Fukushima-Bonus), Mitte Juli – zwei Monate vor der Wahl – stand man noch bei knapp 15%.

Nach ihrem Parteitag ist den Grünen das Essverhalten des Einzelnen „egal“:

Michael Kellner distanzierte sich deutlich vom Image der Verbotspartei: „Es soll niemandem befohlen werden, wie sie oder er zu leben hat. Wir Grüne diskutieren über gute Regeln, anstatt auf autoritäre Gebote zu setzen.“ Der Fokus liege dabei auf einer Veränderung der Strukturen und nicht des individuellen Verhaltens. […]

Eine knappe Abstimmung gab es zum Umgang mit dem Veggie-Day. Der Bundesvorstands formulierte in seinem Leitantrag, „ob jemand am Donnerstag Fleisch isst oder nicht, ist uns völlig egal.“ Rhea Niggemann aus dem KV Neukölln forderte diese Formulierung zu streichen, weil die hinter dem Veggie-Day stehende ökologische Überzeugung nach wie vor richtig sei. Toni Hofreiter betonte in seiner Gegenrede, dass der Veggie-Day die politische Auseinandersetzung auf die Verbraucher verlagern würde. Wichtiger sei es hingegen, ökologische Standards gegenüber der Industrie und den großen Konzernen durchzusetzen.

Strukturen ändern statt das Individuum zu verändern. Da wird für mich ein Widerspruch aufgebaut, wo keiner ist. Schlimmer: der Einzelne kann sich somit zurücklehnen und schiebt es auf „die Strukturen“. Aber ohne das Handeln des Einzelnen wird es nicht gehen, auch der kann Strukturen verändern: Macht des Verbrauchers und so. (Um nicht missverstanden zu werden: die Strukturen müssen selbstverständlich geändert, mich stört nur das entweder-oder bzw. das lieber-so-als-so.)
Am Beispiel Fleisch und Veggiday könnte man es folgendermaßen durchdeklinieren: Weil die Forderung auf Fleischverzicht so schlecht ankommt, ändern wir jetzt die Strukturen der Lebensmittelerzeugung. Dadurch wird Fleisch teurer und man kann sich seinen Konsum seltener leisten als vorher. Ergebnis ist das gleiche, nur konnte man für das Gemüse auf dem Teller vorher die Grünen direkt verantwortlich machen, jetzt ist es „das System“.

Das gute daran: am Ende ist das Ergebnis das gleiche – der Fleischkonsum ist geringer. Das schlechte daran: nicht mehr die Grünen werden dafür verantwortlich gemacht, sondern die dahinter liegenden Strukturen. Was das bedeutet, sieht man an der Energiewende. Weil die Preise um ein paar Cent steigen – was vorauszusehen war -, steht plötzlich das Image des Atomausstiegs auf der Kippe, die Energiewende wird madig gemacht und teilweise in Frage gestellt. Obwohl es der richtige Weg ist und angesichts der Endlichkeit fossiler Brennstoffe, dem Klimawandel und der unlösbaren Probleme bei der Kernkraft praktisch alternativlos ist.

Die Grünen waren immer eine Verzichtspartei. Die Grünen haben immer gesagt, wir können nicht so weiter machen wie bisher, wir müssen da umsteuern. Mehrheitsfähig war das noch nie. Die wenigstens hören gerne, dass ihr Lebensstil nicht nachhaltig ist*.
Verbote ziehen aber häufig eine Abwehrhaltung nach sich. Darum ist der Verzicht auf Verbote und Bevormundung sicher nicht ganz falsch und man kann unter Umständen sogar mehr erreichen – mehr Menschen und mehr Ziele. Besser wäre es, eine Idee zu entwickeln, im weiteren Sinne eine Vision zu entwerfen, wofür das ganze gut sein soll. Beispiel Energiewende: Deutschland könnte der Vorreiter für etwas sein, dass alle anderen noch vor sich haben. Wir könnten uns autark in Sachen Energie machen. Beispiel Verzicht aufs Auto: mit ÖPNV und Fahrrad ist man in der Stadt häufig schneller unterwegs. Gesünder ist es auch, weil man sich mehr bewegt. Beispiel Fleischverzicht: den Viecher tut eine weniger intensive Landwirtschaft gut, der Umwelt tut es gut und dem Menschen unter Umständen auch, besonders denjenigen, die ohnehin zuviel essen.

* Nette Anekdote am Rande: Eine Umfrage will herausgefunden haben, dass gerade Anhänger der Grünen am häufigsten das Flugzeug zu nutzen – das aus Klimasicht ungünstigste Verkehrsmittel.

EU verzichtet kurzsichtig auf die ambitionierte Klimaziele

Die EU lockert ihre ambitionierten Klimaziele und den Aufbau erneuerbarer Energien – weil es der Wirtschaft in der EU zur Zeit nicht so gut geht. Die Ökologie gegen die Ökonomie auszuspielen ist falsch und unklug, es ist kurzsichtig.

Schon in den „Grenzen des Wachstum“ wird dargelegt, dass die Kosten für das Umsteuern umso höher sind je länger man zögert. Das leuchtet auch ein: der „Zug“ Klimawandel setzt sich erst langsam in Bewegung und erhöht dann peu á peu die Geschwindigkeit. Je länger der Zug fährt, umso schneller wird er und umso kürzer wird die Strecke bis er gegen die Wand fährt. Will man ihn zum stehen bringen, muss man deshalb immer stärker bremsen. Das heißt, der Umbau der Wirtschaft – um den man über kurz oder lang nicht herum kommt – ist dann in kürzerer Zeit zu bewerkstelligen. Kürzer heißt dann auch, dass der Umbau hektischer geschehen muss und Anpassungsprozesse nicht die Zeit bekommen, die sie benötigen, um auf Akzeptanz zu stoßen und kontrolliert ablaufen zu lassen.
Je länger man wartet, umso teurer wird es also: zum einen fallen Kosten als Folgen des Klimawandels an (z.B. Schäden durch Stürme, Überschwemmungen, Starkregen, Hitzeperioden etc.), zum anderen ist gleichzeitig der Umbau zu stemmen, der in kürzerer Zeit und dadurch mit mehr Geld umgesetzt werden muss.

Ökonomisch könnte außerdem Europa (und insbesondere Deutschland) eine Vorreiterrolle einnehmen. Der Umbau auf eine nachhaltige Wirtschaft steht allen bevor, egal ob der Klimawandel kommt oder nicht: schlicht deshalb, weil die Rohstoffe endlich sind und es ein „weiter so“ nicht geben kann. Stattdessen könnten wir in Europa die Produkte, die Ideen, die Maschinen und Technologien liefern, die in naher Zukunft überall in der Welt benötigt werden. Das klingt doch nach einem guten Geschäftsmodell.

Eine andere Lesart: die Abkehr von den Klimazielen ist eine fatalistisch-realistische Politik der EU. Wenn der Klimawandel eh nicht mehr aufzuhalten ist und jede Zurückhaltung der EU ohne die USA und die BRICS-Staaten für den Klimaschutz nichts bringt, dann feiert man die Party weiter, bis der Kahn halt sinkt. So kann wenigstens noch eine Generation so weiter machen wie bisher und wer weiß, wer weiß, vielleicht passiert noch ein Wunder und man hat dann umsonst Wasser gegen den Schampus eingetauscht.

Film-Tipp: „Die 4. Revolution – Energy Autonomy“

Der Film über die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien lief letztes Jahr im Kino und gestern abend auf Arte. Der Film ist toll bebildert und zeigt eine positive Vision einer nachhaltigen Energieversorgung. An verschiedenen Beispiele wird gezeigt, dass dei Energiewende schon heute möglich ist, auch gemacht werden muss und keine wie auch immer geartete Brückentechnologie (Atomkraft, CO2-Abscheidung) nötig ist.

Zu sehen ist ein großartiger und engagierter Hermann Scheer, der sich schon seit langem mit der Energiewende beschäftigte und der leider letztes Jahr überraschend gestorben ist.
So langsam kommt das Thema erneuerbare Energien ja in der Gesellschaft an und wie so eine Zukunft aussehen kann, zeigt dieser Film in positiver Weise – jenseits der etwas kleinkarierten Diskussion, um wieviel Euro der Strompreis pro Jahr nun steigen wird durch den Atomausstieg. Es geht ums Ganze: wie kriegen wir einen vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien hin, welche Schritte sind dafür nötig, wie wird sich die Art der Stromerzeugung (dezentraler und kleinteiliger) und des -verbrauchs (weniger!) verändern.

Für die nächsten 7 Tage ist der noch in der Mediathek von Arte abrufbar und ansonsten gibt es den Film auch auf DVD.

Es wird teurer werden

Nachdem nun alle ganz schnell aus der Atomenergie aussteigen wollen, kommt nun so langsam die Diskussion in Fahrt, was das alles kosten könnte. Da werden dann wild ein paar Zahlen in den Raum geworfen, die kaum einer überprüfen kann und die vor allem viel Wind machen und so ganz nebenbei den Umbau des Energieversorgungssystem als Preistreiber diskreditieren soll. Das Stromnetz muss umgebaut werden, wenn es für die erneuerbaren Energien, die eine ganz andere Struktur der Stromeinspeisung haben als träge Atomkraftwerke, taugen soll. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern schon länger bekannt, es muss halt jetzt nur ein bisschen schneller gehen, wenn die AKWs schneller vom Netz sollen.

Wobei eines natürlich klar ist: teurer wird’s schon. Das ist aber eine ganz generelle Feststellung, wenn wir über Nachhaltigkeit reden. Denn eins ist klar: unser ressourcenverschleudernder Konsumstil ist nicht durchzuhalten, wenn wir in ein paar Jahrzehnten noch einen bewohnbaren Planeten haben wollen. Das alles kann nur so preiswert oder so billig sein, weil die Umweltkosten überwiegend nicht eingepreist sind in die Produkte, die wir kaufen.

Beispiel 1: Wenn wir keine Massentierhaltung mehr wollen, dann geht’s eben mit extensiver Landwirtschaft. Das bedeutet weniger Ertrag pro Hektar Ackerland bzw. pro m² Stallfläche. Dann wird das Steak oder die Wurst oder das Müsli halt teurer.

Beispiel 2: Wenn wir Metalle nicht mehr von im Raubbauverfahren aus der Erde pflügen, wenn wir die Arbeiter in den Minen und später in der Produktion menschenwürdig bezahlen, dann kostet der Fernseher keine Dreieurofuffzig mehr beim Saturn. Und die Rohstoffknappheit kommt dann noch preistreibend oben drauf.

Aus dem Grunde denke ich auch, dass die große Bewährungsprobe für die derzeit akute Nachhaltigkeits- und Umwelteuphorie erst noch kommt. Nämlich dann, wenn es ans Eingemachte, ans Portmonaie geht. Wenn wirklich Lebensstile in Frage gestellt werden, wenn z.B. das Autofahren viel teurer oder der Urlaub per Flugreise nicht mehr bezahlbar wird, weil das dabei in die Luft geschleuderte CO2 auf den Kraftstoffpreis drauf gepackt wird.

Oder wenn wir sagen müssen, wir können Wirtschaftswachstum nicht mehr durch Produktionswachstum an Gütern und Waren erzeugen, weil die Ressourcen auf dem Planeten endlich sind.

Wie es sich auch entwickeln wird, wenn wir es ernst mit der Nachhaltigkeit meinen, dann gehört auch die Wahrheit dazu, dass Konsum teurer und der materielle Wohlstand stagnieren, vielleicht sogar leicht fallen wird. Zu glauben, wir pinseln unseren Lebensstil einfach nur grün an und damit ist es getan, irrt sich. Ich bin gespannt, wer sich von den Parteien als erstes mit dieser Wahrheit an die Öffentlichkeit traut. Und diese Partei wird mit Sicherheit Prügel beziehen dafür. Erinnert sich noch einer an den 5-Mark-Benzinbeschluss der Grünen auf dem Parteitag 1998 in Magdeburg? Und an den Absturz der Grünen danach? Auch wenn die Grünen im Augenblick auf einer Sympathiewelle reiten (24% bundesweit in den Umfragen und damit knapp vor der SPD), das kann alles sehr schnell vorbei sein.

Aber irgendwann wird die Wahrheit auf den Tisch kommen müssen. Ich bin sogar optimistisch, dass eine nicht unerhebliche Anzahl Menschen bereit zum materiellen Verzicht sind.

Atomausstieg selber machen

Aus aktuellem Anlass: atomausstieg-selber-machen.de Jetzt zum Ökostrom wechseln. Mehr Nachfrage nach Ökostrom führt zu mehr Angebot an Ökostrom, weil es sich für die Betreiber der Anlagen lohnt. Hinter atomausstieg-selber-machen.de stehen 22 Umweltverbände und Verbraucherschutzorganisationen. 4 Ökostromanbieter sollen in den Mittelpunkt gerückt werden: Lichtblick, Naturstrom, Greenpeace Energy und EWS Schönau. Diese sind unabhängig, stehen in keinem Zusammenhang mit den Energiekonzernen und bieten ausschließlich Ökostrom an.

Also wenn Ökostrom, dann auch gleich von denen. Stromanbieter wechseln ist auch kein Problem, man steht nicht plötzlich ohne Strom da. Formular auf der Anbieterseite ausfüllen, den Rest macht der neue Stromanbieter.

Unglaubwürdige Wendemanöver in der Atomfrage

Ich versuche es mal in Worte zu fassen, was mich in den letzten Tagen seit dem Tsunami in Japan und dem GAU in Fukishima gedanklich beschäftigt hat.

Um es mal in einem Satz zu sagen: Ich fühle mich verarscht.

Ich fühle mich verarscht, weil heute das Gegenteil von gestern gemacht wird. Und weil so getan wird, es wäre dieser Schwenk aus Einsicht entstanden. Und weil man versucht, die Bürger – mich! – zu verarschen, indem man nicht zugibt, dass die Entscheidungen, die gestern gefallen sind und heute gefällt werden, aus politischem Kalkül so getroffen werden.

Vor einem halben Jahr hat man die Laufzeit der AKWs, die bis 1980 gebaut wurden, um 8 Jahre verlängert. Heute wurden eben Reaktoren kurzerhand vom Netz genommen, weil ihre Sicherheit erstmal überprüft werden muss. Was hat sich denn an der Sicherheit im letzten halben Jahr so gravierend geändert? Warum konnte man überhaupt eine Laufzeitverlängerung für so überprüfungsbedürftige verantworten? Und vor allem: Warum hat man nicht vor der Laufzeitverlängerung geprüft?
Die Antwort: seit Japan ist alles anders. Das ist Quatsch. Ein 9,0-Beben wird es in Deutschland nicht geben, einen Tsunami auch nicht. Die anderen Risiken und der nur unzureichende Schutz davor waren schon vor der Laufzeitverlängerung bekannt und wurden eben – politische Entscheidung! – in Kauf genommen: mangelnder Schutz gegen Flugzeugabstürze, kleinere Erdbeben, unzureichende Notstromversorgung im Falle eines Stromausfalls. Das ist nichts neues, das wusste man alles auch schon vor der Laufzeitverlängerung.

Vor einem halben Jahr waren die alten AKWs für die Stromversorgung so wichtig, dass man sie länger laufen musste. Jetzt plötzlich kann man sie über Nacht abschalten, ohne dass es zu Problemen im Netz kommt. Die gleiche Regierung, die vor einem halben Jahr die alten Meiler für unverzichtbar hält als „solides Fundament in der mittelfristigen Energieversorgung“, erzählt mir heute, dass sieben abgeschaltete Reaktoren „die Energieversorgung nicht beeinträchtigen“ und dass die Menge an überproduziertem Strom „mehr als doppelt so hoch [ist] wie die Gesamtleistung der jetzt vom Netz gehenden Kernkraftwerke“. Wie passt denn das zusammen?! Da muss man sich doch an den Kopf greifen.

Jetzt soll es eine Ethikkommission richten. Sie soll über die Zukunft der Kernenergie beraten. Was soll dabei herauskommen? Der Umweltrat hat der Bundesregierung von der Laufzeitverlängerung abgeraten – gehört hat sie nicht drauf. Die Risiken der AKWs sind bekannt, ebenso die ungeklärte Endlagerfrage. Das Problem von länger laufenden AKWs als Hemmnis für den Ausbau für erneuerbare Energien – der „träge“ Atomstrom passt nicht zum schnell wechselnden Strom aus Wind und Sonne, beide Fraktionen brauchen unterschiedliche Leitungssysteme, beides in einem System verträgt sich nicht recht – ist auch bekannt. Das grundsätzliche Problem von AKWs in dichtbesiedelten Gebieten sollte auch bekannt sein: kommt es zu einem zugegebenermaßen sehr unwahrscheinlichen GAU, hat das unabsehbare Folgen. Diese Technik ist nicht fehlertolerant und die Folgen eines außer Kontrolle geratenen Reaktors sind nicht absehbar oder räumlich eindämmbar.

So sinnvoll ein Nachdenken über die richtige Energiepolitik auch ist, warum passt das erst jetzt ergebnissoffen? Eben weil diese Bundesregierung die Atomkraftwerke länger laufen lassen wollte. Dann soll sie sich aber auch hinstellen und genau das auch sagen: wir finden Atomenergie gut. Außerdem haben wir ein offenes Ohr für die Stromkonzerne und halten eine Laufzeitverlängerung für ein win-win-Situation: die Mehrgewinne sind für die Konzerne und das Staatssäckel gut.
Darum ist jetzt das Umschwenken so unglaubwürdig: Man kann nicht innerhalb eines halben Jahres die Überzeugung zur Laufzeitverlängerung wechseln, obwohl sich objektiv die Fakten und Rahmenbedingungen nicht verändert haben. Andererseits kann man natürlich das Mantra von den sicheren Reaktoren nicht mehr länger wiederholen, ohne sich vollständig lächerlich zu machen. Ein echtes Dilemma für CDU/CSU und FDP, jetzt gibt es plötzlich auch dort überall Kernkraftgegner. Offenbar hat man wirklich davon einlullen lassen, dass es es sich beim damals explodierten Reaktor in Tschernobyl um einen total maroden Sowjetreaktor handelte und das sowas natürlich niemals in supertollen westlichen AKWs passieren könnte.

Es wird offensichtlich, dass die Entscheidung zur Laufzeitverlängerung nicht das Ergebnis einer sachverständigen Abwägung von Risiken, Nutzen und Notwendigkeit war – das wird so jetzt mehr als offensichtlich. Wie kann es sonst sein, dass die Bundesregierung innerhalb von nur sechs Monaten ihre Laufzeitverlängerung offenbar für falsch hält. Nennt mich idealistisch, aber ich denke, eine Regierung sollte Entscheidungen auf der Basis der Abwägung von Fakten treffen.
Weil das offenbar nicht getan wurde, fühle ich mich verarscht.

Ein schwacher Trost bleibt immerhin: Mit dem forcierten Atomausstieg geht es immerhin in die richtige Richtung. Wenn auch aus falscher Motivation.

Klimagipfel in Kopenhagen ist kläglich gescheitert

Die UN-Klimakonferenz von Kopenhagen, die ein Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls (läuft 2012 aus) aushandeln sollte, war ein Reinfall. Die Abschlusserklärung (PDF) hat keinen bindenden, rechtswirksamen Charakter, über schöne Worte in Absichtserklärungen kam man wieder einmal nicht hinaus. Wieder einmal wird betont, welche schlimme Sache der Klimawandel ist und dass man alles daran setzen will, dass die Erde nur um 2°C wärmer wird. Nur: konkrete Handlungen zur Abwendung der Gefahr wurden nicht beschlossen.

Wer daran jetzt nun schuld ist, interessiert mich im einzelnen gar nicht. Ich bin über das grandiose Scheitern der Politiker entsetzt: Man sieht die Gefahr, aber tut nichts, um sie einzudämmen.

Was mich daran besonders pessimistisch stimmt: Der Klimawandel ist nur ein Problemfeld auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Und er ist imho nicht mal das schwierigste Problem: der Übergang zu einer CO2-freien Energieerzeugung ist aufgrund schwindender fossiler Energieträger alternativlos und außerdem wird die Erde durch die Sonne mit genug Energie versorgt.
Wenn es also schon beim Thema CO2-Reduktion zu keiner Einigung kommt, obwohl das Thema sehr prominent ist, wie sieht es dann erst bei anderen Problemfeldern aus: Überfischung der Meere, abnehmender fruchtbarer Boden, Nahrungsmittelknappheit, Abholzung, schwindende Rohstoffreserven, Wassermangel etc. pp.

Mir scheint, man hat den Ernst der Lage in Kopenhagen nicht erkannt. Auch die deutsche Industrie und vorneweg Umweltminister Röttgen und Kanzlerin Merkel sehen offenbar im Klimawandel in erster Linie eine Geschäft für die deutsche Umwelttechnologie. Doch Technologie allein wird uns nicht retten. Es wird nicht genügen, aus dem Benziner oder Diesel aus- und in ein Elektro- oder Wasserstoffauto einzusteigen.

Meadows hat recht, wenn er sagt, Kopenhagen ist ein Täuschungsmanöver. Solange wir nicht bereit sind, unseren Lebensstil zu ändern, solange fahren wir weiter auf den Abgrund zu.

Atomenergie ist alles andere als öko

Das sind doch mal 2 Meldungen, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Die CDU hält Atomkraft für eine Öko-Energie und im Forschungs- und Atomlagerbergwerk Asse II schwappt radioaktive Brühe durchs Gestein.

In alten Bergwerken dieser Art soll Atommüll für die Ewigkeit eingelagert werden, also viele Hundert Millionen Jahre. (Die Halbwertzeit von Uran-235 beträgt 703 Millionen Jahren. Zum Vergleich: den Menschen als homo sapiens gibt es erst seit gut 150.000 Jahren.) Und dieses bis-in-alle-Ewigkeit-Endlager macht nun bereits nach 40 Jährchen Probleme, weil Wasser eindringt, die dann als radioaktive Lauge durchs Gestein wabert.
Man kriegt es noch nicht mal hin, Atommüll innerhalb einen überschaubaren Zeitraum – einen Wimpernschlag geradezu angesichts dieser Halbwertzeiten – technisch störungsfrei zu lagern. Wie will man das erst bei einem unvorstellbar langem Zeitraum hinkriegen?

Atomendlagerung ist ein Euphemismus für ein Problem, für das man keine Lösung hat. Man verbuddelt den Müll in der Erde, hofft darauf, dass schon irgendwie alles gut geht, dass die Lagerungsmaterialien die Radioaktivität in sich behalten und die Gesteinsschichten sich nicht verändern werden und das irgendwann in ferner Zukunft eine Lösung für das Müll-Problem gefunden wird. Aus den Augen, aus dem Sinn; sollen sich doch spätere Generationen mit dem Problem rumschlagen.
Es ist blauäaugig zu glauben, man könne radioaktiven Müll einfach durchs Vergraben dauerhaft von der Biosphäre fernhalten.

Die Probleme werden kommen, sie sind ja jetzt schon da. Und auch in Zukunft wird man mit ihnen umgehen wie bisher auch: verschweigen und vertuschen. Die eintretende Lauge in Asse II wurde einfach in tiefere Gesteinsschichten gepumpt . Was dort damit passiert, schien wurscht zu sein: Hauptsache, man war das Wasser erstmal los.

Und nein, der hohe Ölpreis ist kein Grund, wieder über eine Renaissance der Atomkraft nachzudenken. In meinen Augen ist es nicht sinnvoll, der von fossilen Brennstoffen ausgelösten Klimakatastrophe eine nukleare Katastrophe folgen zu lassen.
Als wir Menschen mit dem massiven Verbrennen von Kohle, Erdöl und Erdgas angefangen hat, hat keiner geahnt, welche Folgen das mal für die Biosphäre haben kann. Beim Atommüll hingegen wissen wir, dass es ungelöste Probleme gibt.

Und noch so eine Sache, die mich ja wundert: Überall wird Terrorangst geschürt. Gern von den gleichen Leuten, die auch Atomkraft toll finden. Auf die Idee, dass Atomanlagen (auch (End-)Lagerstätten können explodieren) super Terrorziele sein könnten, scheint von denen keiner zu kommen. Oder darauf, dass Atommülllagerstätten gute Möglichkeiten darstellen könnten, sich mit nuklearem Material zu versorgen.

[via: Verwickeltes u. anmut und demut ]