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Diskussion: Aber bitte mit Fakten

Kürzlich schrieb ich darüber, dass Natur- und Geisteswissenschaftler unterschiedliche Vorstellungen von „unverhandelbar“ haben. Meine These war, dass ein guter Teil der Missverständnisse innerhalb von Diskussionen darauf beruhen, wie eben aktuell zur Corona-Situation. Zu besichtigen ist das derzeit in der missglückten Aktion #allesdichtmachen, die die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung grundsätzlich und eher pauschal kritisiert. Pauschal im Sinne von: wir stellen nicht einzelne Maßnahmen in Frage sondern stellen die Regeln einmal grundsätzlich in Frage. Um dann hinterher zu sagen, dass es schön ist, dass überhaupt wieder mehr diskutiert wird. Als wäre Diskussion per se ein Gewinn.
In eine ähnliche Richtung, wenn auch deutlich moderater im Ton, geht das Manifest „Für die offene Gesellschaft“. Auch hier wird verlangt, wir müssen wieder mehr diskutieren. Können wir gern, bei naturwissenschaftlichen Themen – und das ist eine Pandemie dem Grunde nach nun mal – auf der Basis von naturwissenschaftlichen Fakten. Ich kann mir auf dem Papier auch ein Wunschhaus zeichnen, wenn der Statiker aber sagt, das geht nicht, dann hilft auch alles diskutieren nicht. Bezeichnenderweise ist unter den Verfasser*innen des Manifests nur ein (früherer) Naturwissenschaftler vertreten.

Ja, ich finde auch die Erregung, das Hyperventilieren nicht nur in der Corona-Diskussion unerträglich. Dass es nur darum zu gehen scheint, laut zu sein, zu diffamieren, jemanden in eine Ecke zu stellen, statt sich inhaltlich mit dem Gesagten/Geschriebenen auseinanderzusetzen. Verwünschungen und (Mord-)Drohungen gehen gar nicht und das sollte demokratischer Konsens sein.

Aber warum schreibe ich das alles? Weil Mitverfasserin Ulrike Guérot dem Deutschlandfunk ein Interview (MP3) gegeben hat, im dem sie u.a. die Aktion #allesdichtmachen … nunja … eher verteidigt. Das an sich ist – siehe oben – völlig okay. Nicht okay ist allerdings ihre Argumentation.

Zunächst geht es darum, dass Frau Guérot eine „homogenisierte Medienlandschaft“ (Minute 5:51) beobachtet. Darüber wundert sie sich:

[…] Dann müssten wir uns fragen, warum ist diesmal die zementierte Meinung so stark. Das ist ja ungewöhnlich. Wir haben ja in allen Situationen der Bundesrepublik, ganz egal ob NATO-Doppelvertrag oder Ostverhandlungen. Wir hatten doch nie geschlossene Meinungsdecken von 70, 80%. Das ist doch eher unüblich. Und wenn das unüblich ist für eine Demokratie, dann ist doch die Frage, warum ist diese geschlossene Meinungsdecke bei Corona so hoch. Und wenn sie so hoch ist, ist die Frage, ist das vernünftig, dass sie so hoch ist oder ist sie panik-, angst- und hysteriegetrieben, wofür es ja Argumente gibt. […]

DLF-Interview, ab 7:00

Panik, Angst, Hysterie – ja, das muss der Grund sein. Einsicht auf der Grundlage von Fakten? Nein, das kann nicht sein. 2 + 3 = 5, darüber wird es sogar eine fast 100%ige Zustimmung geben. NATO-Doppelbeschluss und Ostverhandlungen waren originär politische Themen, da gab es kein faktenbasiertes Richtig oder Falsch. Je nach Sichtweise war der Russe böse oder die Amis nicht besser. Je nach Sichtweise war Abschreckung das richtige Mittel oder Abrüstung. Ansichtssache. Was mich wieder zur These zurückbringt, dass zwischen politik- und faktenbasierten Diskussionen nicht unterschieden wird.

Machen wir weiter im Interview.

Das Präventions-Paradox

[…] Vor einem Jahr, die Bilder aus Bergamo, die man übrigens auch mal dekonstruieren müsste. Wir sind ja über ein Jahr nach den Bildern aus Bergamo immer noch bei den Bildern aus Bergamo. Wobei sich nach einem Jahr hier in Deutschland keine Bilder aus Bergamo ergeben haben. Also das ist ja auch Teil des Problems. […]

DLF-Interview, ab ungefähr 9:35

Bergamo. Die Chiffre für Leichenberge zu Beginn der Corona-Pandemie in Italien. Der erste deutliche Fingerzeit, dass das, was da kommt, mehr als eine Grippe-Welle ist. Damals, im Februar 2020. Bevor es einen Lockdown und alle anderen Maßnahmen (Abstand, Maske, Kontaktbeschränkungen) gab. Gerade wegen dieser Maßnahmen gab es keine Bilder wie in Bergamo. Der Begriff des Präventions-Paradoxons sollte denjenigen, die sich öffentlich zu Corona äußern inzwischen geläufig sein. Eigentlich und präziser: die selbstzerstörende Prophezeiung. Es wird eine (wissenschaftliche) Prognose erstellt, die lautet: unter Bedingung A tritt als Folge B ein. Beispiel: wenn wir weiter Schwefeldioxid in die Luft pusten, stirbt der Wald. Wenn wir weiter FCKW in die Atmosphäre entlassen, löst sich die Ozonschicht auf. Wenn so weiter machen wie bisher, hat das Virus freie Bahn und die Leichensäcke liegen bald vor den Kliniken auf der Straße.

Jetzt begannen die Maßnahmen: Rauchgasentschwefelungsanlagen wurden eingebaut, FCKW in Kühlschränken wurde verboten und, ja, die AHA-Regeln und der Lockdown kamen. Der Wald starb nun doch nicht, die Ozonschicht ist immer noch da und die Intensivstationen waren nicht überfüllt. War alles nur Panikmache? Natürlich nicht. Die Bedingung A hat sich geändert. Und Prognosen sind nur unter Bedingungen aussagekräftig. Wenn sich die Bedingungen ändern, ändern sich auch die Folgen und es sieht hinterher so aus, als sei die Vorhersage apokalyptisch aufgebauscht worden.

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Nicht verhandelbar

„Mit dem Virus verhandelt man nicht, aber man verhandelt auch nicht mit der Verfassung.“

Sagt Wolfgang Kubicki bei „Maybritt Illner“ (hier ab ungefähr 18:55).

Der erste Teil des Satzes stimmt, der zweite ist natürlich Quatsch. Aber die Aussage ist symptomatisch für Nicht-Naturwissenschaftler, besonders für Juristen, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler. Und Politiker, die ja wiederum häufig aus dieser Ecke kommen. Der erste Teil des Satzes ist dann auch ein Zitat von Bundeskanzlerin (und ausgebildeter Naturwissenschaftlerin) Merkel aus der Bundestagsdebatte zur sog. „Notbremse“; den zweiten Teil hat sich der Jurist Kubicki selbst ausgedacht.

Die sprachliche Gleichsetzung der Unverhandelbarkeit mit dem Virus einerseits und der Verfassung andererseits impliziert auch eine faktische Gleichheit. So als wären beide – das Virus und die Verfassung – naturgesetzliche Gegebenheiten. Aber nur eine ist es tatsächlich: das Virus.

Die Verfassung, unsere wirtschaftliche Ordnung, unser Staatswesen, unsere Mobilität, kurz: unsere ganze Art zu Leben und zu Wirtschaften ist das Ergebnis menschlichen Handelns. Und kann durch menschliches (Ver-)Handeln auch wieder verändert werden. Das unterscheidet naturwissenschaftliche Phänomene von kulturellen: erstere sind tatsächlich nicht verhandelbar. Egal ob Klimawandel, endliche Rohstoffe, Bodenerosion oder eben Viren – hierbei handelt es sich Ergebnisse von Naturgesetzen. Dagegen kannst du nicht anargumentieren. Ich vermute, das ist für die wer-das-beste-Argument-hat-gewinnt-Fraktion nur schwer zu verinnerlichen. Das ist es aber, was wir verinnerlichen müssen, wenn wir die die anstehenden Veränderungen angehen wollen.

Passend dazu das Interview von Tilo Jung mit Maja Göpel* genau zu diesem Thema:

*Maja Göpel ist Wirtschaftswissenschaftlerin und hat es trotzdem kapiert, was veränderbar ist und was nicht. Das stimmt mich hoffnungsvoll.

Wenn man das Fundament, die Basis erst einmal als gegeben und weithin unveränderbar erkannt hat, dann beginnt übrigens das politische Handeln. Und dort kann dann wieder über unterschiedliche und alternative Wege zum Erreichen des Ziels diskutiert werden. Die Zielerreichung ist ja in der Regel nicht determiniert – d.h. nicht alternativlos – , hier beginnt also das politische Feld. Das wiederum müssen dann auch Naturwissenschaftler begreifen.

Staatswohlverständnis und andere Seltsamkeiten

Nur selten wird das Staatswohlverständnis von Politikern so deutlich wie in der vergangen Woche in der Edathy-Affäre.

Hans-Peter Friedrichs Verrat des Amtsgeheimnisses, dass gegen den MdB Edathy ermittelt wird, wird – nicht nur von Friedrich selbst – damit begründet, dass er zum Wohle der Allgemeinheit, des Volkes bzw. des Staates gehandelt hätte. Das wird dann aber immer nur so dahingesagt, näher erläutert wird es nie. Höchstens wird mal ganz allgemein erwähnt, dass man die Regierungsbildung nicht stören wollte (was durchaus im Wohle der Allgemeinheit liegen könnte) bzw. dass Edathy in ein Regierungsamt gekommen wäre. Plausibel ist beides nicht.

Spinnen wir beide Gedanken doch mal weiter:
(1) Während der Koalitionsverhandlungen wird plötzlich bekannt, dass gegen Edathy ermittelt wird (Friedrich konnte ja nicht wissen, wie lange die Polizei in Niedersachsen noch braucht für einen Durchsuchungsbeschluss). Was wäre passiert? Große Aufregung mit Sicherheit. Die Union macht möglicherweise ein Fass auf, versucht aus dem Fall politisch Kapital zu schlagen. Gibt sie die Koalitionsverhandlungen auf, gibt Merkel ihre nächste Kanzlerschaft auf? Wohl kaum! Ergo: eine Regierungsbildung wäre 1 Woche mit dem Fall Edathy lahm gelegt, danach geht alles so weiter.
(2) Edathy kommt in die Regierung (als Staatssekretät, als Nicht-Jurist ist er als Innenminister oder Justizminister nicht vorstellbar, das sind aber seine Spezialgebiete) oder bekommt ein Führungsamt in der Fraktion. Dann werden die Ermittlungen bekannt. Folge: 1 Woche Aufregung, Edathy tritt zurück, Nachfolger wird ernannt, Regierung macht weiter.
In keinem Fall wackelt der Staat, in keinem Fall ist in irgendeiner Weise das Wohl des Volkes gefährdet.
Stattdessen wollte Friedrich eine Fehlbesetzung der kommenden Großen Koalition verhindern. Er wollte einen öffentlichen Skandal der Großen Koalition verhindern (was er ironischerweise nun gerade erst forciert hat). Er wollte das Ansehen der Koalition schützen. Friedrich setzt damit Staatswohl mit Koalitions- und Parteienwohl gleich.

Der Zeitpunkt der Information des SPD-Chefs Sigmar Gabriel durch Innenminister Friedrich überrascht auch. Denn zu diesem Zeitpunkt gab es noch gar keine Koalitionsverhandlungen, es hatte nur Sondierungen gegeben. Der Geheimnisverrat durch Friedrich erfolgte am 17. Oktober, die Koalitionsverhandlungen begannen jedoch erst am 23. Oktober. Nach außen zierte sich die SPD noch ziemlich, ob sie überhaupt eine Regierung mit der CDU/CSU eingehen wolle. Hinter den Kulissen war aber offenbar alles schon sehr viel klarer absehbar. Warum sonst sollte Friedrich, sicherlich kein Freund der Sozies, einen Vorsitzenden des politischen Gegners informieren?

Was ich auch nicht verstehe: Warum steht auf SPD-Seite nur Oppermann in der Kritik? Klar, der hat mit seinem Anruf beim BKA-Chef Ziercke einen dicken Bock geschossen. Aber es war Sigmar Gabriel, der von Friedrich informiert wurde. Es war Gabriel, der die Information dann nicht für sich behalten konnte und sogleich an Steinmeier und Oppermann weitertratschte.  Also: warum steht Gabriel nicht in der Kritik? Doch wohl nur, weil eine Rücktrittswahrscheinlichkeit von SPD-Chef und Vizekanzler Gabriel unbedingt verhindert werden muss, weil sich sonst die SPD im Falle eines Falles gleich ganz aus der Regierung verabschieden würde.
Stattdessen darf Gabriel abgehobenen Unsinn verbreiten, dass doch jedermann beim BKA anrufen könne so wie Oppermann.

Der Anruf Oppermanns beim BKA-Chef Ziercke ist für sich schon eine interessante Sache. Oppermann ist Volljurist und war Richter, ist schon lange im Bundestag und war Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Er weiß also ganz genau, wer wann was sagen darf und wann nicht. Und natürlich wusste er, dass er nicht beim BKA anrufen darf, um sich irgendeinen Vorgang im Zusammenhang einer Ermittlung bestätigen lassen darf. Dass es um genau diese Bestätigung ging, hat Oppermann ja selbst in seiner ersten Pressemitteilung verlauten lassen, alle anderen Versionen erscheinen dagegen nicht sehr glaubwürdig.

Und es gibt noch ein interessantes Detail am Rande. Es heißt ja immer, es gehe nur um Inhalte, um das Personal gehe es erst gaaanz am Ende. Blödsinn. Oppermann sprach mit vielen SPD-Abgeordneten über deren politische Zukunft (in einer zukünftigen Regierung) und auch Friedrich dachte offenbar schon sehr früh – schon während der Sondierungsgespräche – über das zukünftige Personal nach. Keinen wird das überraschen, aber es steht eben in krassem Gegensatz zu dem, was nach außen hin gesagt wird.

Ex-Post-Vorstand Ude schrieb den Erpresserbrief an Steinbrück

Als ich vom Erpresserbrief an SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück hörte, dachte ich, das ist doch bestimmt ein grimmiger, alter Ex-SPDler, der wegen der Agenda 2010 aus der SPD ausgetreten ist und seinem Ärger halt mal Luft machen wollte. Einer, der am Fenster hängt und die Falschparker aufschreibt, ein Blockwart eben.

Weiter weg hätte ich mit meiner Vermutung gar nicht liegen können. Der Briefeschreiber kommt aus den besseren Kreisen der Gesellschaft, genauer gesagt sogar aus den vermeintlich besten der Republik. Es ist der ehemalige Manager und Vorstandsmitglied bei der Deutschen Post Hermann Ude.
Die Story geht in etwa so: Ude hat eine Putzfrau Haushaltshilfe. Und genau diese Haushaltshilfe war auch mal für einige Zeit Haushalthilfe bei im Hause Steinbrück. Die beiden, also der Manager und die Haushaltshilfe, kommen ins Gespräch und sie erzählt ihm, wie das damals war bei den Steinbrücks und dass die dort zwar geholfen hat, aber eben nicht richtig angestellt war. Der Manager wittert Schwarzarbeit. Dann sagt der Steinbrück etwas über die Ausbeutung von Geringverdienern, worüber sich der Manager ganz furchtbar aufregt. Und daraufhin schreibt er einen Erpresserbrief an Steinbrück, dieser solle die Kandidatur aufgeben. Tut er das nicht, kommt er mit der Geschichte der schwarzangestellten Haushaltshilfe an die Öffentlichkeit.

Auch im Vorstand von deutschen Weltkonzernen können sehr einfache Gemüter sitzen. Es sind halt auch nur Menschen, wenngleich die Selbstwahrnehmung wahrscheinlich eine andere ist.

Der Krieg gegen Syrien wird vorbereitet

… und damit scheinen Fakten wieder mal in den Hintergrund zu treten. Als sicher gilt ja bisher nur, dass es einen Giftgasanschlag gegeben hat. Unklar ist aber, von wem er ausging. Assad wird als Urheber der Angriffe genannt, ohne Beweise vorlegen zu können oder bisher auch zu wollen. Trotzdem will man jetzt sofort losschlagen. Warum jetzt diese Eile, die Inspekteure sind ja noch mit der Untersuchung beschäftigt. Und selbst wenn es Beweise gäbe, die Glaubhaftigkeit wäre doch ziemlich gering nach dem Ding mit den gefakten „Beweisen“ vor der UNO damals vor dem Irak-Krieg.
Und überhaupt: warum sollte Assad jetzt Giftgas gegen sein eigenes Volk einsetzen? Militärisch läuft es ganz gut in letzter Zeit für ihn und er hat gerade UNO-Inspektoren im Land, die die mutmaßlichen Giftgasanschläge vor Monaten untersuchen sollen. Das ist nicht plausibel, das macht einfach keinen Sinn, Assad hat nichts davon.
Plausibler ist für mich, dass die Assad-Gegner jetzt ein massives Eingreifen von außen erzwingen wollen. Und da für Obama ein Giftgaseinsatz immer die rote Linie war, deren Übertreten ein Angriff auf Syrien nach sich ziehen würde, wäre das der perfekte Trigger für die Assad-Gegner.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: ich hege keinerlei Sympathien für den Diktator Assad. Er hat im Zuge des Arabischen Frühlings die Demos gegen seine Regentschaft brutal niederschlagen lassen, hat sich Verhandlungen widersetzt und seinem Volk einen Bürgerkrieg aufgezwungen. Aber ihn jetzt als das absolute Böse hinzustellen, halte ich ebenso für Propaganda. Und was da als „Opposition“ gegen Assad kämpft und auch bereits zumindest von der CIA unterstützt wird, ist auch alles andere als vertrauenerweckend. Das sind zumeist religiöse Fundamentalisten, finanziert von Saudi-Arabien und Katar und mit Verbindungen zu al-Kaida. Also nicht unbedingt das, was nach Demokratie und Freiheit riecht. Dass die syrische Opposition im Besitz von Giftgas ist, darf als gesichert gelten. Assads Lager sind ja vorhanden, Überläufer der Armee gab es und Landgewinne, auf denen auch das ein oder andere Lager zu finden gewesen sein dürfte, auch.
Wieder zeigt sich aber das hinlänglich erprobte Mittel der CIA: den Gegner des aktuellen Gegners aufrüsten. Das hat ja schon so „wunderbar“ funktioniert mit den Mullahs im Kampf den Kommunismus, später dann Saddam Hussein im Kampf gegen den Iran und der Aufrüstung der Mudschahidin/Taliban um Osama bin Laden in Afghanistan gegen die Sowjetunion.

Bis jetzt deutet alles darauf hin, dass man ein zweites Afghanistan, einen zweiten Irak schaffen will: wieder mal geht es nur um militärische Aktionen, wie es danach politisch weitergehen soll, weiß kein Mensch. Es wird einseitig Partei in einem Bürgerkrieg ergriffen, ohne genau zu wissen, wen man da eigentlich unterstützt und wie es anschließend weiter gehen soll.

Kleiner Lacher am Rande von US-Außenminister John Kerry. Der sagt:

Außerdem habe man die Uno-Inspektoren fünf Tage lang daran gehindert, die Orte zu besuchen. „Dies ist nicht das Verhalten einer Regierung, die nichts zu verbergen hat„, sagte Kerry.

Das sagt ausgerechnet ein Vertreter der Regierung, die auf alles confidential draufpappt, die den einen Whistleblower Bradley Manning gerade wegen der Weitergabe von vertraulichen Regierungsakten zu 35 Jahren Haft verurteilt und den anderen Whistleblower Edward Snowden ins Exil nach Russland gejagt hat.

Nachtrag (30.08.13): Das britische Parlament hat Cameron vorerst gestoppt und verlangt erst mal Beweise. Man wolle nicht nochmal so hinters Licht gefüht werden wie damals beim Irak-Krieg:

Meanwhile, Sir Richard Shepherd, a Conservative MP for 34 years, said he was a „victim of past dossiers“ and wanted more proof. […]

A string of other sceptics repeatedly used the word „unconvinced“. […]

Cheryl Gillan, a former Welsh secretary under Cameron, said she was in this position, and did not „have enough accurate or verifiable information to support direct UK military action in Syria.“ Recalling the vote on Iraq, she said she „cannot sit in this House and be duped again“. […]

 

EU-Parlament verschärft Stabilitätspakt

Um die Euro-Staaten zur Einhaltung bestimmter Verschuldungskriterien zu animieren, gab es bisher auch schon den Stabilitätspakt. Da gab es auch schon Sanktionsmaßnahmen, wenn bestimmte Verschuldungshöchstgrenzen überschritten wurden. Weil das aber bisher keinen gekratzt hat (bisher wurden auch noch keine entsprechenden Sanktionen verhängt), hat das EU-Parlament heute eine Verschärfung beschlossen. Das war eine ganze Weile in der Diskussion und ich hatte mich bisher gefragt, worin diese Sanktionen denn bestehen sollten. Die werden doch nicht – so dachte ich – Geldstrafen verhängen?! Das wäre ja ein bisschen schwachsinnig, einem Staat, der zu wenig Geld hat, auch noch Geld abzunehmen. Das wäre ja so, als würde man einem Hungernden mit Nahrungsentzug drohen. Aber genau das machen die:

Wer die Regeln bricht, muss zum Auftakt eines Verfahrens ein Pfand von 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung hinterlegen. Das wären für Deutschland rund fünf Milliarden Euro. Das Pfand wird in eine Geldbuße umgewandelt, wenn die betroffene Regierung nicht entschieden genug spart. Für chronische Defizitsünder wird es noch teurer. Dann werden Bußen von bis zu 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung fällig.

Und überhaupt, wie sollen Geldstrafen etwas bewirken? Das bringt ja nur etwas, wenn man dann weniger Geld zur Verfügung hat, wenn also ein realer Verlust droht. So wie bei Privatpersonen oder Unternehmen. Bei Staaten allerdings ist das ja nicht so, dann werden halt noch ein paar Kredite mehr aufgenommen. Das ist reiner Aktionismus, reine Symbolpolitik.

Guttenberg im „Zustand der Dauervergesslichkeit“

Die Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Uni Bayreuth macht das Offensichtliche offiziell und kommt zum Schluss, dass Karl-Theodor zu Guttenberg vorsätzlich getäuscht hat. Eben diesen Vorsatz hat Guttenberg bis heute immer bestritten.

Die Kommission vermag nicht nachzuvollziehen, dass jemand, der über Jahre Quellen für seine Dissertation bearbeitet, derart in einen Zustand der Dauervergesslichkeit gerät, dass ihm die allerorten in seiner Arbeit nachweisbaren Falschangaben vollständig aus dem Bewusstsein geraten.

Das steht im Abschlussbericht (S. 22) der Bayreuther Kommission. Auf gut deutsch: So blöd kann keiner sein, dass er massenhaft Textstellen in die eigene Doktorabeit kopiert und dann immer wieder die Fußnoten vergisst.

Der Abschlussbericht liest sich durchaus unterhaltsam. Besonders an den Stellen, an denen die Kommission versucht, Guttenbergs Erklärungsversuche, warum er das Setzen der Fußnoten versäumt hat und somit nur aus Versehen plagiiert hat, nachzuvollziehen. Guttenberg erklärt z.B. die Plagiate mit seiner „chaotischen“ Arbeitsweise, überall habe er Schnipsel gesammelt, auf über 80 Disketten und verschiedenen Laptops. Glaubhaft ist das nicht, denn zur leichten Variation von Textstellen, zum Austauschen von einzelnen Worten hat es ja gereicht.

Aber nehmen wir mal für einen Moment an, Guttenberg hat tatsächlich die Fußnoten nur vergessen. Dann bestünde seine Doktorarbeit ja fast nur aus Zitaten. Knapp zwei Drittel (63,8%) seiner Zeilen sind nicht gekennzeichnete Zitate – zusätzlich zu den korrekt benannten etwa 1200 Fußnoten (=Zitate). Was bliebe dann noch an Eigenleistung übrig?

Was mich aber auf die Palme bringt, ist die Arroganz und die Süffisanz mit der Guttenberg geleugnet hat, absichtlich betrogen zu haben. Eine Guttenberg-Show bis zum Schluss.

Apropos Show: Wer immer noch glaubt, Guttenberg wäre ein solider und kompetenter Politiker, der sei nochmal an Guttenbergs Arbeit als Verteidigungsminister erinnert: in der Kundusaffäre hat er eine mehr als schlechte Figur abgegeben, ebenso in der Gorch-Fock-Affäre und die von ihm eingeleitete Bundeswehrreform ist keinesfalls so gut vorbereitet, wie Guttenberg behauptet hat. Hier wie dort, mehr Schein als Sein; geht was schief, sind andere schuld.

P.S.: Gerade ist Doktortitel-Kegeln angesagt: Stoibers Tochter hat ihren Dr. schon verloren, Koch-Mehrin steht offenbar kurz davor und ein MdL der CDU aus BaWü hat wohl auch mehr gemogelt als erlaubt ist.

Schlichte Gemüter hüben wie drüben

Im aktuellen Spiegel sagt Volker Kauder:

Als Christ gibt es für mich das Böse in der Welt. Osama war böse. Und man darf sich als Christ freuen, wenn es weniger Böses auf der Welt gibt.

Das Böse. Aja. Ich dachte, wir wären schon weiter. Ich dachte, wir würden die Welt nicht mehr pauschal in Gut und Böse einteilen, in schwarz und weiß. Ich dachte, diese Einteilung in Gut und Böse wäre ein Sache von eher schlichten Gemütern oder religiösen Fanatikern – wobei hier die Grenze fließend sein dürfte. Unvergessen ist ja Bush mit seiner „Achse des Bösen“.
Volker Kauder ist ja nun auch nicht irgendwer, sondern Vorsitzender der Regierungsfraktion. Solche Leute bestimmen maßgeblich über die Gesetze in diesem Land. Menschen mit solchen schlichten Kategorien, mit einem solchen schlichten Weltbild machen Politik in unserem Land. Ein bisschen beunruhigend finde ich das schon. Wenn man sich die Wikipedia-Seite von dem anguckt, dann passt Kauders Aussage zu Gut und Böse allerdings ins Gesamtbild.

Unglaubwürdige Wendemanöver in der Atomfrage

Ich versuche es mal in Worte zu fassen, was mich in den letzten Tagen seit dem Tsunami in Japan und dem GAU in Fukishima gedanklich beschäftigt hat.

Um es mal in einem Satz zu sagen: Ich fühle mich verarscht.

Ich fühle mich verarscht, weil heute das Gegenteil von gestern gemacht wird. Und weil so getan wird, es wäre dieser Schwenk aus Einsicht entstanden. Und weil man versucht, die Bürger – mich! – zu verarschen, indem man nicht zugibt, dass die Entscheidungen, die gestern gefallen sind und heute gefällt werden, aus politischem Kalkül so getroffen werden.

Vor einem halben Jahr hat man die Laufzeit der AKWs, die bis 1980 gebaut wurden, um 8 Jahre verlängert. Heute wurden eben Reaktoren kurzerhand vom Netz genommen, weil ihre Sicherheit erstmal überprüft werden muss. Was hat sich denn an der Sicherheit im letzten halben Jahr so gravierend geändert? Warum konnte man überhaupt eine Laufzeitverlängerung für so überprüfungsbedürftige verantworten? Und vor allem: Warum hat man nicht vor der Laufzeitverlängerung geprüft?
Die Antwort: seit Japan ist alles anders. Das ist Quatsch. Ein 9,0-Beben wird es in Deutschland nicht geben, einen Tsunami auch nicht. Die anderen Risiken und der nur unzureichende Schutz davor waren schon vor der Laufzeitverlängerung bekannt und wurden eben – politische Entscheidung! – in Kauf genommen: mangelnder Schutz gegen Flugzeugabstürze, kleinere Erdbeben, unzureichende Notstromversorgung im Falle eines Stromausfalls. Das ist nichts neues, das wusste man alles auch schon vor der Laufzeitverlängerung.

Vor einem halben Jahr waren die alten AKWs für die Stromversorgung so wichtig, dass man sie länger laufen musste. Jetzt plötzlich kann man sie über Nacht abschalten, ohne dass es zu Problemen im Netz kommt. Die gleiche Regierung, die vor einem halben Jahr die alten Meiler für unverzichtbar hält als „solides Fundament in der mittelfristigen Energieversorgung“, erzählt mir heute, dass sieben abgeschaltete Reaktoren „die Energieversorgung nicht beeinträchtigen“ und dass die Menge an überproduziertem Strom „mehr als doppelt so hoch [ist] wie die Gesamtleistung der jetzt vom Netz gehenden Kernkraftwerke“. Wie passt denn das zusammen?! Da muss man sich doch an den Kopf greifen.

Jetzt soll es eine Ethikkommission richten. Sie soll über die Zukunft der Kernenergie beraten. Was soll dabei herauskommen? Der Umweltrat hat der Bundesregierung von der Laufzeitverlängerung abgeraten – gehört hat sie nicht drauf. Die Risiken der AKWs sind bekannt, ebenso die ungeklärte Endlagerfrage. Das Problem von länger laufenden AKWs als Hemmnis für den Ausbau für erneuerbare Energien – der „träge“ Atomstrom passt nicht zum schnell wechselnden Strom aus Wind und Sonne, beide Fraktionen brauchen unterschiedliche Leitungssysteme, beides in einem System verträgt sich nicht recht – ist auch bekannt. Das grundsätzliche Problem von AKWs in dichtbesiedelten Gebieten sollte auch bekannt sein: kommt es zu einem zugegebenermaßen sehr unwahrscheinlichen GAU, hat das unabsehbare Folgen. Diese Technik ist nicht fehlertolerant und die Folgen eines außer Kontrolle geratenen Reaktors sind nicht absehbar oder räumlich eindämmbar.

So sinnvoll ein Nachdenken über die richtige Energiepolitik auch ist, warum passt das erst jetzt ergebnissoffen? Eben weil diese Bundesregierung die Atomkraftwerke länger laufen lassen wollte. Dann soll sie sich aber auch hinstellen und genau das auch sagen: wir finden Atomenergie gut. Außerdem haben wir ein offenes Ohr für die Stromkonzerne und halten eine Laufzeitverlängerung für ein win-win-Situation: die Mehrgewinne sind für die Konzerne und das Staatssäckel gut.
Darum ist jetzt das Umschwenken so unglaubwürdig: Man kann nicht innerhalb eines halben Jahres die Überzeugung zur Laufzeitverlängerung wechseln, obwohl sich objektiv die Fakten und Rahmenbedingungen nicht verändert haben. Andererseits kann man natürlich das Mantra von den sicheren Reaktoren nicht mehr länger wiederholen, ohne sich vollständig lächerlich zu machen. Ein echtes Dilemma für CDU/CSU und FDP, jetzt gibt es plötzlich auch dort überall Kernkraftgegner. Offenbar hat man wirklich davon einlullen lassen, dass es es sich beim damals explodierten Reaktor in Tschernobyl um einen total maroden Sowjetreaktor handelte und das sowas natürlich niemals in supertollen westlichen AKWs passieren könnte.

Es wird offensichtlich, dass die Entscheidung zur Laufzeitverlängerung nicht das Ergebnis einer sachverständigen Abwägung von Risiken, Nutzen und Notwendigkeit war – das wird so jetzt mehr als offensichtlich. Wie kann es sonst sein, dass die Bundesregierung innerhalb von nur sechs Monaten ihre Laufzeitverlängerung offenbar für falsch hält. Nennt mich idealistisch, aber ich denke, eine Regierung sollte Entscheidungen auf der Basis der Abwägung von Fakten treffen.
Weil das offenbar nicht getan wurde, fühle ich mich verarscht.

Ein schwacher Trost bleibt immerhin: Mit dem forcierten Atomausstieg geht es immerhin in die richtige Richtung. Wenn auch aus falscher Motivation.

Wikileaks und die dünne Decke der Demokratie

Nur kurz zu Wikileaks: Stellen wir uns doch mal für einen kurzen Moment vor, Wikileaks wäre eine Plattform der iranischen oder chinesischen Opposition und sie hätten Interna aus deren Regierungen verbreitet und jetzt würde eine Jagd auf diese Organisation/Personen stattfinden. Holla, da wäre was los. Presse und westliche Staaten würden sich ohne Ausnahme auf die Seite der Leaker schlagen und die undemokratischen Machenschaften der Staaten geißeln.

Jetzt kurzer Realiätscheck: die Regierung USA halten die Veröffentlichung für illegal und daraufhin wird die Domain wikileaks.org abgeschaltet, Amazon schmeißt die Wikileaks von ihren Servern, Paypal kündigt das Konto, ebenso Mastercard, Visa und die schweizerische Postfinance. Und dann gibt es da noch einen internationalen Haftbefehl gegen Julian Assange wegen Sex ohne Kondom, was in Schweden als Vergewaltigung ausgelegt werden kann. Das passiert alles ohne politischen Druck aus den USA – natüüürlich. Die Unternehmen berufen sich schließlich nur auf ihre AGBs: Wikileaks hat was illegales getan und sowas dürfen wir nicht unterstützen. Punkt. Früher wurde Illegalität mal von Gerichten festgestellt, heute regiert der vorauseilende Gehorsam.

Die Decke der Kultur aus Meinungsfreiheit, Rechtsstaat und demokratischer Republik ist offenbar doch ziemlich dünn.