Staatswohlverständnis und andere Seltsamkeiten

Nur selten wird das Staatswohlverständnis von Politikern so deutlich wie in der vergangen Woche in der Edathy-Affäre.

Hans-Peter Friedrichs Verrat des Amtsgeheimnisses, dass gegen den MdB Edathy ermittelt wird, wird – nicht nur von Friedrich selbst – damit begründet, dass er zum Wohle der Allgemeinheit, des Volkes bzw. des Staates gehandelt hätte. Das wird dann aber immer nur so dahingesagt, näher erläutert wird es nie. Höchstens wird mal ganz allgemein erwähnt, dass man die Regierungsbildung nicht stören wollte (was durchaus im Wohle der Allgemeinheit liegen könnte) bzw. dass Edathy in ein Regierungsamt gekommen wäre. Plausibel ist beides nicht.

Spinnen wir beide Gedanken doch mal weiter:
(1) Während der Koalitionsverhandlungen wird plötzlich bekannt, dass gegen Edathy ermittelt wird (Friedrich konnte ja nicht wissen, wie lange die Polizei in Niedersachsen noch braucht für einen Durchsuchungsbeschluss). Was wäre passiert? Große Aufregung mit Sicherheit. Die Union macht möglicherweise ein Fass auf, versucht aus dem Fall politisch Kapital zu schlagen. Gibt sie die Koalitionsverhandlungen auf, gibt Merkel ihre nächste Kanzlerschaft auf? Wohl kaum! Ergo: eine Regierungsbildung wäre 1 Woche mit dem Fall Edathy lahm gelegt, danach geht alles so weiter.
(2) Edathy kommt in die Regierung (als Staatssekretät, als Nicht-Jurist ist er als Innenminister oder Justizminister nicht vorstellbar, das sind aber seine Spezialgebiete) oder bekommt ein Führungsamt in der Fraktion. Dann werden die Ermittlungen bekannt. Folge: 1 Woche Aufregung, Edathy tritt zurück, Nachfolger wird ernannt, Regierung macht weiter.
In keinem Fall wackelt der Staat, in keinem Fall ist in irgendeiner Weise das Wohl des Volkes gefährdet.
Stattdessen wollte Friedrich eine Fehlbesetzung der kommenden Großen Koalition verhindern. Er wollte einen öffentlichen Skandal der Großen Koalition verhindern (was er ironischerweise nun gerade erst forciert hat). Er wollte das Ansehen der Koalition schützen. Friedrich setzt damit Staatswohl mit Koalitions- und Parteienwohl gleich.

Der Zeitpunkt der Information des SPD-Chefs Sigmar Gabriel durch Innenminister Friedrich überrascht auch. Denn zu diesem Zeitpunkt gab es noch gar keine Koalitionsverhandlungen, es hatte nur Sondierungen gegeben. Der Geheimnisverrat durch Friedrich erfolgte am 17. Oktober, die Koalitionsverhandlungen begannen jedoch erst am 23. Oktober. Nach außen zierte sich die SPD noch ziemlich, ob sie überhaupt eine Regierung mit der CDU/CSU eingehen wolle. Hinter den Kulissen war aber offenbar alles schon sehr viel klarer absehbar. Warum sonst sollte Friedrich, sicherlich kein Freund der Sozies, einen Vorsitzenden des politischen Gegners informieren?

Was ich auch nicht verstehe: Warum steht auf SPD-Seite nur Oppermann in der Kritik? Klar, der hat mit seinem Anruf beim BKA-Chef Ziercke einen dicken Bock geschossen. Aber es war Sigmar Gabriel, der von Friedrich informiert wurde. Es war Gabriel, der die Information dann nicht für sich behalten konnte und sogleich an Steinmeier und Oppermann weitertratschte.  Also: warum steht Gabriel nicht in der Kritik? Doch wohl nur, weil eine Rücktrittswahrscheinlichkeit von SPD-Chef und Vizekanzler Gabriel unbedingt verhindert werden muss, weil sich sonst die SPD im Falle eines Falles gleich ganz aus der Regierung verabschieden würde.
Stattdessen darf Gabriel abgehobenen Unsinn verbreiten, dass doch jedermann beim BKA anrufen könne so wie Oppermann.

Der Anruf Oppermanns beim BKA-Chef Ziercke ist für sich schon eine interessante Sache. Oppermann ist Volljurist und war Richter, ist schon lange im Bundestag und war Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Er weiß also ganz genau, wer wann was sagen darf und wann nicht. Und natürlich wusste er, dass er nicht beim BKA anrufen darf, um sich irgendeinen Vorgang im Zusammenhang einer Ermittlung bestätigen lassen darf. Dass es um genau diese Bestätigung ging, hat Oppermann ja selbst in seiner ersten Pressemitteilung verlauten lassen, alle anderen Versionen erscheinen dagegen nicht sehr glaubwürdig.

Und es gibt noch ein interessantes Detail am Rande. Es heißt ja immer, es gehe nur um Inhalte, um das Personal gehe es erst gaaanz am Ende. Blödsinn. Oppermann sprach mit vielen SPD-Abgeordneten über deren politische Zukunft (in einer zukünftigen Regierung) und auch Friedrich dachte offenbar schon sehr früh – schon während der Sondierungsgespräche – über das zukünftige Personal nach. Keinen wird das überraschen, aber es steht eben in krassem Gegensatz zu dem, was nach außen hin gesagt wird.

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