Archiv der Kategorie: politisches

Vorsorgende Politik gesucht

Die Grünen sind bei der Bundestagswahl angetreten, einen neuen Stil, eine neue Idee des Politikmachens zu beginnen: vorsorgende Politik. Nicht erst handeln, wenn das Kind schon auf dem Brunnenrand liegt und droht herunterzufallen (oder schlimmstenfalls bereits drin liegt), sondern präventiv, proaktiv zu sein. Dinge kommen sehen; agieren statt reagieren.

Auch wenn sich der Begriff im verlinkten Artikel auf Klimaschutzmaßnahmen bezieht, so war im Wahlkampf und auch schon früher der Begriff umfassender gemeint, beispielsweise hier:

Und fünftens sollten wir vielleicht nicht nur staatliche Vorsorge und Sicherheit fordern, sondern insgesamt eine vorsorgende Politik betreiben, die sich für kommenden Krisen und Bedrohungen wappnet.

Erster Praxis-Test: die aktuelle Corona-Welle. Und, nunja, es sieht nicht gut aus mit dem neuen Prinzip. Dass man noch nicht in der Regierung ist, lasse ich als Ausrede Erklärung nicht gelten. Das Parlament ist der Gesetzgeber und dort könnte man Mehrheiten finden. Oder beim geschäftsführenden Gesundheitsminister anrufen und ihn daran erinnern, dass es Zeit für Booster-Impfungen ist. Weil die sechs Monate, die die Immunität bei alten Leuten hält, seit ungefähr August rum sind (im Februar ging es mit den Impfungen so richtig los). So von wegen Vorsorge und so. Wissen, was kommt. 6 Monate nach Februar ist halt August, dafür braucht es keine höhere Mathematik.

Vielleicht kann der Gesundheitsminister ja auch die Zulassung des Impfstoffs für Kinder beschleunigen. Die FDA und CDC haben entschieden, der Impfstoff für Kinder ab fünf Jahren kann verimpft werden. Vielleicht lässt man sich die Unterlagen der Kollegen aus Übersee mal faxen rüberschicken, guckt sich das an, vergleicht mit europäischen/deutschen Kriterien und kommt innerhalb einer Woche zum Ergebnis (oder auch nicht, was sehr unwahrscheinlich ist, bei FDA und CDC arbeiten keine Stümper).

Und dann halt die 4. Welle insgesamt. War auch klar, dass die kommt. Impfquote zu niedrig, Auffrischungen zu wenig. Ist auch seit langem klar. 2G könnte helfen (natürlich auch am Arbeitsplatz, ich weiß gar nicht, warum immer so getan wird, also ob das Virus dort Pause macht) und eine Impfpflicht natürlich auch. Blöd nur, dass das auch die Grünen das so ziemlich ausgeschlossen haben. Der potentielle Koalitionspartner FDP schließt eine Impfpflicht gleich kategorisch aus.

Dann sickert heute durch, was von der neuen Regierungskoalition geplant ist. 3G, Tests am Arbeitsplatz und überhaupt kostenlose Tests (die natürlich nicht kostenlos sind, die Kosten trägt die Allgemeinheit). Klingt für mich eher wie „laufen lassen“ statt nach „Welle brechen“. Und „laufen lassen“ sieht übel aus. Richtig übel.
Ich kann mir nicht helfen, aber unter vorsorgender Staat habe ich mir ein bisschen was anderes vorgestellt. Ist ja schön, wenn man im abgeschiedenen Kämmerlein fleißig den Koalitionsvertrag aushandelt. Aber die Welt da draußen dreht sich halt weiter.

Kleine Wahlnachlese BTW 2021

Bis auf die Ultra-Langweiler-Bundestagswahl 2017, als die CDU nur Merkel mit Raute und „Sie kennen mich“ zu plakatieren brauchte, hat die Wahlnachlese hier auf dem Blog Tradition. Lasst uns also anfangen.

Verbaerbockt

Billiges Wortspiel, ich weiß. Muss aber sein. Die Grünen haben es leider verbockt. Über meine Enttäuschung, dass Habeck nicht Spitzen- und Kanzlerkandidat der Grünen geworden ist, hatte ich hier schon geschrieben. Es kam noch viel schlimmer, als ich damals befürchtet hatte. Völlig unnötig – Nebeneinkünfte vergessen, aufgeplusterter Lebenslauf, zusammengeschustertes Buch – hat Annalena Baerbock Glaubwürdigkeit und Vertrauen und damit das Momentum für die Grünen verspielt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz und die Starkregenereignisse in NRW und Rheinland-Pfalz hätten Rückwind sein müssen. Stattdessen wurde lange nur über Baerbocks Fehler diskutiert. Die Grünen, in Umfragen seit Jahren stabil bei über 20 % und zeitweise bei über 25 % kommen am Ende nur bei knapp 15 % an. Das fühlt sich für mich – als Grünen-Wähler – wie eine Niederlage an. Augenhöhe mit den ehemaligen Volksparteien SPD und CDU wäre möglich gewesen und völlig unnötig vergeigt. Im Sport spricht man dann von unforced errors, wenn der Gegner nicht involviert war. Positiv: Annalena Baerbock hat gestern auch wieder eigene Fehler eingestanden. Das zeigt Größe. Die Koalitionsverhandlungen überlässt sie dann hoffentlich Robert Habeck.

Lasch et lieber

Noch so ein billiges Wortspiel… Armin Laschet, der ungeliebte Kandidat der CDU. Der nach 16 Jahren CDU-Regierung von notwendiger Erneuerung und Modernisierung sprach. Ohne rot zu werden. Die CDU wurde in der letzten Zeit wegen Merkel gewählt. Opposition tut ihr jetzt gut. Solange noch ernsthaft eine Hoffnung auf eine CDU-geführte Regierung besteht, wird man stillhalten und die Abrechnung verschieben. Danach wird’s krachen. Viele Direktmandate sind verloren gegangen – an die SPD oder an die AfD.

Totgesagte leben länger

Wow, was für eine Aufholjagd für die SPD. Hätte ich ich vor einem Vierteljahr nichts drauf gewettet. Ist offenbar vor allem Scholz zu verdanken. Nach Merkel der nächste Langweiler im Kanzleramt? Sieht danach aus. Ein Hoffnungsschimmer: die SPD ist mit einem ziemlich linken Programm angetreten, hat 12-Euro-Mindestlohn plakatiert. Scholz hat das schon 2017 gefordert. Könnte also schnell kommen.

Die Linke

An der 5%-Hürde gescheitert, im Bundestag vertreten dank der drei Direktmandate – damit greift die Grundmandatsklausel. Rot-rot-grün ist mit diesem Ergebnis leider nicht möglich. Woran liegt es? Ich weiß es nicht. Viele Linksorientierte wählen vermutlich doch lieber grün und die eigentliche Zielgruppe – die wirtschaftlich Abgehängten – wählen gleich gar nicht mehr, weil sie das Vertrauen in die Politik verloren haben. Bitter. Kümmerer-Partei um diese Menschen (das ist absolut positiv gemeint) könnte ein Ausweg sein. Oder Wiedervereinigung mit der SPD.

AfD

Ebenfalls bitter: die AfD bleibt im Bundestag. Eine destruktive Kraft, die nur zerstören und nicht verbessern will. Innerparteilich zerstritten bis zum geht nicht mehr, Flitzpiepen ohne Ende. Trotzdem: Im Osten sehr stark, zwei Direktmandate in Sachsen-Anhalt, stärkste Kraft in Thüringen mit vier von 10 und in Sachsen sogar 10 von 16 Wahlkreisen. Tipp an die CDU: Euer nächster Wahlslogan könnte doch lauten „Patrioten wählen keine Idioten!“ AfD-Wähler, das ist eure Klientel, kümmert euch auch drum.

Und nun?

Ampel? Schwampel? Ampel! Auf die FDP kommt es an. Rot-Grün sind sich einig. Die FDP ziert sich noch. Mit der Union hätte man die größten Übereinstimmungen, hat Lindner gestern noch einmal gesagt. Mag sein. Die FDP wäre allerdings bescheuert, wenn sie sich an den untergehenden Laschet mit seiner gerupften CDU-Fraktion hängen würde. Auch strategisch eröffnet eine Ampel auf Bundesebene neue Koalitionsoptionen in der Zukunft. Außerdem kann die FDP das Liedchen singen, die „wirtschaftspolitische Vernunft“ zu sein. Besser können die es gar nicht treffen. Die SPD könnte zeigen, dass sie doch modern kann. Oder eben auch nicht. Und für die Grünen könnte es der Anfang von etwas Großem sein. Habeck und Scholz könnten einen neuen Stil in die Politik bringen: erklärend, überzeugend, argumentierend, transparente Entscheidungsfindung. Den Lindner bekommen sie auch irgendwie eingehegt. Nur so richtig links wird’s leider nicht.

Nicht verhandelbar

„Mit dem Virus verhandelt man nicht, aber man verhandelt auch nicht mit der Verfassung.“

Sagt Wolfgang Kubicki bei „Maybritt Illner“ (hier ab ungefähr 18:55).

Der erste Teil des Satzes stimmt, der zweite ist natürlich Quatsch. Aber die Aussage ist symptomatisch für Nicht-Naturwissenschaftler, besonders für Juristen, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler. Und Politiker, die ja wiederum häufig aus dieser Ecke kommen. Der erste Teil des Satzes ist dann auch ein Zitat von Bundeskanzlerin (und ausgebildeter Naturwissenschaftlerin) Merkel aus der Bundestagsdebatte zur sog. „Notbremse“; den zweiten Teil hat sich der Jurist Kubicki selbst ausgedacht.

Die sprachliche Gleichsetzung der Unverhandelbarkeit mit dem Virus einerseits und der Verfassung andererseits impliziert auch eine faktische Gleichheit. So als wären beide – das Virus und die Verfassung – naturgesetzliche Gegebenheiten. Aber nur eine ist es tatsächlich: das Virus.

Die Verfassung, unsere wirtschaftliche Ordnung, unser Staatswesen, unsere Mobilität, kurz: unsere ganze Art zu Leben und zu Wirtschaften ist das Ergebnis menschlichen Handelns. Und kann durch menschliches (Ver-)Handeln auch wieder verändert werden. Das unterscheidet naturwissenschaftliche Phänomene von kulturellen: erstere sind tatsächlich nicht verhandelbar. Egal ob Klimawandel, endliche Rohstoffe, Bodenerosion oder eben Viren – hierbei handelt es sich Ergebnisse von Naturgesetzen. Dagegen kannst du nicht anargumentieren. Ich vermute, das ist für die wer-das-beste-Argument-hat-gewinnt-Fraktion nur schwer zu verinnerlichen. Das ist es aber, was wir verinnerlichen müssen, wenn wir die die anstehenden Veränderungen angehen wollen.

Passend dazu das Interview von Tilo Jung mit Maja Göpel* genau zu diesem Thema:

*Maja Göpel ist Wirtschaftswissenschaftlerin und hat es trotzdem kapiert, was veränderbar ist und was nicht. Das stimmt mich hoffnungsvoll.

Wenn man das Fundament, die Basis erst einmal als gegeben und weithin unveränderbar erkannt hat, dann beginnt übrigens das politische Handeln. Und dort kann dann wieder über unterschiedliche und alternative Wege zum Erreichen des Ziels diskutiert werden. Die Zielerreichung ist ja in der Regel nicht determiniert – d.h. nicht alternativlos – , hier beginnt also das politische Feld. Das wiederum müssen dann auch Naturwissenschaftler begreifen.

Kanzlerkandidatin Analena Baerbock

Heute wurde die Kanzlerkandidat*innenfrage bei den Grünen entschieden: Annalena Baerbock macht es. Robert Habeck lässt ihr den Vortritt, es scheint eine einvernehmliche Entscheidung zu sein. Diese 100%ige Harmonie kaufen ich den beiden nicht ab, beide sind Machtmenschen. Das gehört zu Spitzenpolitikern auch dazu und Macht ist per se nichts schlechtes, sondern notwendig für Veränderungen.

Ich schreibe es ganz offen: ich hätte mir Habeck gewünscht. Ich mag seine Nachdenklichkeit, seine Reflexion von Sprache, seine Sachlichkeit und seinen unbedingten Willen, Dinge zu einem kontruktiven Ergebnis zu führen. Mit ihm hätte ich mir eine stärkere Veränderung im Stil von Politik erhofft: Entscheidungen erklären, Sachzwänge erläutern, Erwägungsgründe darlegen und vor allem: um Kompromisse ringen, Menschen überzeugen. Außerdem: weniger inhaltsleere Phrasen.

Habecks blinder Fleck

Wer Habecks Texte liest, wer seine Interviews hört, merkt, was seine politischen Leidenschaften sind, wofür er brennt: Landwirtschaft, Natur- und Klimaschutz, Veränderungen der Arbeitswelt, Sozialpolitik. Es fehlt: das gesamte Spektrum der sogenannten Außen- und Sicherheitspolitik – Europa, G7, NATO, Migration, China, USA, Russland. Alles Themen, die häufig auf höchster politischer Ebene – den Staats- und Regierungschef*innen – verhandelt werden. In Deutschland also vom Kanzler oder der Kanzlerin. Das ist quasi Habecks blinder Fleck. Und deshalb glaube ich, dass Habeck am Ende auf die Chance zum Kanzleramt verzichtet hat: weil er sich zu wenig mit „seinen“ Themen hätte beschäftigen können. Wann hat sich in den letzten 20, 25 Jahren ein Kanzler oder eine Kanzlerin ernsthaft in die Innenpolitik gestürzt? Das war zuletzt Gerhard Schröder mit der Agenda 2010.
Annalena Baerbock hat hier mehr vorzuweisen: Auslandstudium mit Master-Abschluss an der London School of Economics in Völkerrecht und Büroleiterin einer Europaabgeordneten. Im Falle einer Regierungsbeteiligung könnte Habeck als Fachminister oder Fraktionschef innenpolitisch mehr bewegen.

Baerbocks offene Flanke

Ich finde die Entscheidung für Baerbock auch deshalb schade, weil ich glaube, dass mit Habeck ein oder zwei Stimmen-Prozentpunkte mehr drin sein könnten, dass er unter den Sonst-Nicht-Grünenwählern mehrheitsfähiger ist. Ja, auch deshalb, weil er ein älterer Mann ist. Und Baerbock eben mit 40 Jahren eine ziemlich junge Frau, die da ins Kanzlerinnenamt strebt. Ohne je in einer Regierung gewesen zu sein. Das könnte sich im Wahlkampf noch als Problem herausstellen. Nämlich dann, wenn folgendes Narrativ gesponnen wird: hier will eine Azubine ins Kanzleramt einziehen und mitten in einer Pandemie und vor großen Herausforderungen ihre Lehrjahre verbringen. Das ist so natürlich Quatsch. Ich traue aber insbesondere Söder, sollte er denn Kanzlerkandidat der CDU/CSU werden, die Skrupellosigkeit zu, genau dieses Narrativ zu bedienen: „die“ ist zu jung, zu unerfahren, es wäre verantwortungslos, ihr „das Land“ anzuvertrauen. Laschet traue ich das, netter verpackt, auch zu, wenn seine Not groß genug ist; der AfD sowieso. Ich hoffe wirklich, dass die grünen Wahlkampfmanager*innen darauf vorbereitet sind.

Die Taz und ihre Polizisten-Müll-Kolumne: zweierlei Maß

Eigentlich ist zum Text von Hengameh Yaghoobifarah in der Taz „All cops are berufsunfähig“ alles gesagt. Inhalt kurz und nur leicht überspitzt zusammenfasst: Polizisten sind Faschos und gehören deshalb auf den Müll. Die Kritik daran – die ich teile -: der Text ist menschenverachtend.
Den vielleicht besten Kommentar dazu schreibt Thomas Fischer in seine Kolumne bei Spiegel Online.

Überrascht war ich allerdings, wer den Text und besonders mit welchen Argumenten verteidigt. Nehmen wir nur mal exemplarisch Margarete Stokowski mit ihrem Kolumnen-Text, ebenfalls bei Spiegel Online (nebenbei bemerkt: ein schönes Beispiel für Meinungsvielfalt auf einem Nachrichtenportal!)

Argument 1: In der Polizei gibt es wirklich üble Leute, die Minderheiten gleich welcher Art schlecht behandeln. Und das alles sind keine Einzelfälle!
Argument 2: Das war doch bloß Satire. Wer das nicht erkennen kann ist blöd oder böswillig!
Argument 3: Innenminister Seehofer gefährdet mit seinem Nachdenken über eine Anzeige die Pressefreiheit. Und das geht nun gar nicht!

Fangen wir mit Argument 3 an. Die Anzeige war tatsächlich ein Fehler von Seehofer. Mittlerweile hat er das auch eingesehen und sie nicht erstattet. Warum das von Anfang eine Schnapsidee war – siehe Fischers Kolumne.

Weiter mit Argument 2 – war ja bloß Satire. Das ist doch die Paradeentschuldigung vom rechten Rand seit Jaaahren: war alles nicht so gemeint, hihi, war Satire, hat man doch gesehen … wer das nicht erkennt, ist blöd.
Die Argumentation ist bei den Rechten falsch – und sie ist es auch bei den Linken. Nein, der Text ist keine Satire und kann auch nicht hinterher, wenn man merkt, was für einen Mist man da geschrieben hat, zu einer umgedeutet werden.

Argument 1 ärgert mich am meisten: Ja, natürlich gibt es problematische Polizisten, die sich nicht an die Regeln halten oder diese sehr weit dehnen und ein Problem mit Minderheiten haben. Und ja, das sind auch in der Gesamtschau der letzten Jahre und nach Schilderung von Betroffenen keine Einzelfälle mehr. Aber das alles ist doch Argument für einen derartigen menschenverachtenden Text. Leute, wenn ihr anklagen wollt, dann diejenigen, die etwas falsch gemacht haben. Oder wenn das System falsch läuft, kritisiert Strukturen. Aber doch keine Menschen, die in der überwiegenden Zahl gute und vor allem notwendige Arbeit leisten. Wir brauchen doch nicht noch mehr pauschalen Vertrauensverlust in die Polizei (zu der sie fraglos ihren Teil beigetragen hat) und nicht noch mehr Öl ins Feuer einer Debatte über Fehlverhalten von Polizisten. Es hat für niemanden einen Mehrwert, wenn die Institution des Gewaltmonopols weiter an Vertrauen verliert. Das Konzept von Gewaltmonopol beinhaltet nämlich essenziell das Vertrauen in dieses.

Wer – zu Recht – Gewalt, Ausgrenzung, zunehmende Aggression in der Gesellschaft beklagt, darf diese nicht herbeischreiben oder gut finden, nur weil es die vermeintlich richtigen trifft. Macht einfach die Gegenprobe: setzt für „Polizisten“ „Feminstinnen“ ein. Ist der Text dann immer noch okay? Nein? Dann ist er in der Originalversion nicht okay.
Wer – zu Recht – bei anderen hasserfüllten und brutalen Texten davor warnt, dass „aus Worten Taten folgen“ werden, der kann nicht an anderer Stelle Menschenverachtung dulden oder verteidigen. Gegen wen auch immer! Diesen Minimalkonsens – die Würde des Menschen – dürfen wir nicht aufgeben.

Das darf man nicht tun. Tut man es doch, verliert man seine eigene Glaubwürdigkeit.

Funfact am Rande: Hengameh Yaghoobifarah hat nun selbst um Polizeischutz gebeten. Nicht funny: dass es soweit kommen muss. Auch nicht funny: das Polizisten sich für diesen Einsatz offenbar in Müllmännerkluft werfen wollten.

Keine Zeit fürs Ehrenamt

Heribert Prantl schrieb am vergangenen Freitag in der Süddeutschen Zeitung einen klugen Kommentar. Darin schreibt er über die abnehmende Bereitschaft der Bürger, sich ehrenamtlich zu engagieren. Er geht den Gründen dafür nach und stellt fest, die üblichen Verdächtigen „Egoismus“ und „passive Konsumentenhaltung“ als Erklärungsmuster „zu schmal“ sind:

[…] die Scheu vor Aufgaben, die Kontinuität erfordern, ist sehr gewachsen. Das hat nicht einfach mit der Degeneration von Empathie und Verantwortungsbewusstsein zu tun, sondern mit einer grundlegenden Veränderung der Art zu arbeiten, zu leben und zu wirtschaften. Vor etwa einer Generation hat die Verdichtung der Lebens- und Arbeitswelt begonnen; der Druck, flexibel zu sein, hat zugenommen; der Doppelverdienerhaushalt ist der Normalfall geworden. Die Menschen sind schon froh, wenn sie Beruf und Familie einigermaßen unter einen Hut bekommen. Es ist daher viel schwieriger geworden, verlässlich Zeit für Ehrenämter aufzubringen [….]

Weiter schreibt er:

Die Erwerbstätigkeit der Frauen war und ist ein emanzipatorischer Segen. Aber es ist nicht unbedingt ein gesellschaftlicher Segen, dass die bisherige maskuline Art, in Vollzeit und unter Ausschluss von Familienarbeit zu arbeiten, einfach dupliziert und auf Frauen abgepaust worden ist.

Prantl führt einen unheimlich wichtigen Punkt an: ein Ehrenamt braucht Zeit. Die ist nicht vorhanden, wenn Menschen Vollzeit arbeiten, flexibel und mit der Bereitschaft zu Überstunden, dazu Pendelzeiten und berufsbegleitender Fort- und Weiterbildung. Hinzu kommen befristete Verträge, die eben jenen Qualifizierungsdruck erzeugen und Umzüge wahrscheinlich machen. Das alles lässt die Lust aufs Ehrenamt schwinden.

Ich selbst habe einige Jahre ehrenamtlich u.a. im Vorstand eines Vereins mitgearbeitet. Seit ich zwei Kinder habe, musste ich mein ehrenamtliches Engagement stark zurückfahren. Die meiste Arbeit im Verein wird von Rentner gestemmt. Unter den jüngeren Menschen sind es Studenten oder diejenigen ohne Kinder. Familienväter und -mütter mit Erwerbsarbeit sind die Ausnahme. Auch wenn sie vorher aktiv waren, ziehen sie sich dann zurück. Einfach weil der Alltag schon so ungeheuer zeitraubend ist, dass kein Platz fürs Ehrenamt ist.
Das muss anders werden. Prantl schreibt zum Ende:

Unserer Art des Arbeitens und des Wirtschaftens fehlt die soziale und fürsorgliche Dimension. Die Krise des Ehrenamts ist ein Indiz.

Dem möchte ich mich gern anschließen.

Die Grünen und ihr Problem, keine Verzichtspartei mehr sein zu wollen

Im Zuge des Parteitages lese ich gerade öfter, dass der geplante Veggieday für das schlechte Abschneiden der Grünen bei der letzten Bundestagswahl verantwortlich war. Ich halte das für großen Quatsch. Der Veggieday – also ein fleischloser Tag in der Kantine pro Woche – war nur der Aufhänger, dass die Presse den vermeintlich „wahren“ Charakter der Grünen als Verbotspartei anprangern konnte: Seht her, die Grünen gönnen euch euer Schnitzel/eure Currywurst nicht mehr. Im Sommerloch 2013 fiel das dann auf fruchtbaren Boden, die Medien hatten ein Thema und die Grünen waren mit der Kampagne überfordert. Wohl kaum einer hatte damit gerechnet, dass diese Forderung so ein Aufregerthema werden könnte. Allerdings halte ich die Wahlniederlage durch den Veggieday als Thema für eine Legendenbildung, vielmehr war es die Art und Weise, wie der Veggieday als reine Verbotsdebatte geführt wurde, ohne die Idee dahinter zu thematisieren.
Mich als langjährigen Grünenwähler hatten bei der letzten Wahl grün-schwarze Planspiele abgeschreckt. Ich wollte Merkel abwählen, nicht ihr mit Hilfe der Grünen eine weitere Legislatur ermöglichen. Andere haben sich vielleicht von Steuerplänen (z.T. Erhöhungen) abschrecken lassen. Wodurch auch immer, am Ende haben die Grünen 8,4% bei der BTW 2013 geholt. Damit liegt man am unteren Ende der letzten Bundestagswahl und wohl so ziemlich auf Stammwählerniveau. Aber – und das ist aus Sicht der Grünen wohl das traumatische daran – weit unter den Umfrageergebnissen Monate und Jahre davor. Mitte 2011 waren die Grünen bei etwa 25% (Fukushima-Bonus), Mitte Juli – zwei Monate vor der Wahl – stand man noch bei knapp 15%.

Nach ihrem Parteitag ist den Grünen das Essverhalten des Einzelnen „egal“:

Michael Kellner distanzierte sich deutlich vom Image der Verbotspartei: „Es soll niemandem befohlen werden, wie sie oder er zu leben hat. Wir Grüne diskutieren über gute Regeln, anstatt auf autoritäre Gebote zu setzen.“ Der Fokus liege dabei auf einer Veränderung der Strukturen und nicht des individuellen Verhaltens. […]

Eine knappe Abstimmung gab es zum Umgang mit dem Veggie-Day. Der Bundesvorstands formulierte in seinem Leitantrag, „ob jemand am Donnerstag Fleisch isst oder nicht, ist uns völlig egal.“ Rhea Niggemann aus dem KV Neukölln forderte diese Formulierung zu streichen, weil die hinter dem Veggie-Day stehende ökologische Überzeugung nach wie vor richtig sei. Toni Hofreiter betonte in seiner Gegenrede, dass der Veggie-Day die politische Auseinandersetzung auf die Verbraucher verlagern würde. Wichtiger sei es hingegen, ökologische Standards gegenüber der Industrie und den großen Konzernen durchzusetzen.

Strukturen ändern statt das Individuum zu verändern. Da wird für mich ein Widerspruch aufgebaut, wo keiner ist. Schlimmer: der Einzelne kann sich somit zurücklehnen und schiebt es auf „die Strukturen“. Aber ohne das Handeln des Einzelnen wird es nicht gehen, auch der kann Strukturen verändern: Macht des Verbrauchers und so. (Um nicht missverstanden zu werden: die Strukturen müssen selbstverständlich geändert, mich stört nur das entweder-oder bzw. das lieber-so-als-so.)
Am Beispiel Fleisch und Veggiday könnte man es folgendermaßen durchdeklinieren: Weil die Forderung auf Fleischverzicht so schlecht ankommt, ändern wir jetzt die Strukturen der Lebensmittelerzeugung. Dadurch wird Fleisch teurer und man kann sich seinen Konsum seltener leisten als vorher. Ergebnis ist das gleiche, nur konnte man für das Gemüse auf dem Teller vorher die Grünen direkt verantwortlich machen, jetzt ist es „das System“.

Das gute daran: am Ende ist das Ergebnis das gleiche – der Fleischkonsum ist geringer. Das schlechte daran: nicht mehr die Grünen werden dafür verantwortlich gemacht, sondern die dahinter liegenden Strukturen. Was das bedeutet, sieht man an der Energiewende. Weil die Preise um ein paar Cent steigen – was vorauszusehen war -, steht plötzlich das Image des Atomausstiegs auf der Kippe, die Energiewende wird madig gemacht und teilweise in Frage gestellt. Obwohl es der richtige Weg ist und angesichts der Endlichkeit fossiler Brennstoffe, dem Klimawandel und der unlösbaren Probleme bei der Kernkraft praktisch alternativlos ist.

Die Grünen waren immer eine Verzichtspartei. Die Grünen haben immer gesagt, wir können nicht so weiter machen wie bisher, wir müssen da umsteuern. Mehrheitsfähig war das noch nie. Die wenigstens hören gerne, dass ihr Lebensstil nicht nachhaltig ist*.
Verbote ziehen aber häufig eine Abwehrhaltung nach sich. Darum ist der Verzicht auf Verbote und Bevormundung sicher nicht ganz falsch und man kann unter Umständen sogar mehr erreichen – mehr Menschen und mehr Ziele. Besser wäre es, eine Idee zu entwickeln, im weiteren Sinne eine Vision zu entwerfen, wofür das ganze gut sein soll. Beispiel Energiewende: Deutschland könnte der Vorreiter für etwas sein, dass alle anderen noch vor sich haben. Wir könnten uns autark in Sachen Energie machen. Beispiel Verzicht aufs Auto: mit ÖPNV und Fahrrad ist man in der Stadt häufig schneller unterwegs. Gesünder ist es auch, weil man sich mehr bewegt. Beispiel Fleischverzicht: den Viecher tut eine weniger intensive Landwirtschaft gut, der Umwelt tut es gut und dem Menschen unter Umständen auch, besonders denjenigen, die ohnehin zuviel essen.

* Nette Anekdote am Rande: Eine Umfrage will herausgefunden haben, dass gerade Anhänger der Grünen am häufigsten das Flugzeug zu nutzen – das aus Klimasicht ungünstigste Verkehrsmittel.

Merkel: Kein too big to fail mehr

Für’s Protokoll: Ab sofort gibt es keine Banken mehr, die too big to fail sind. Hat die Merkel gesagt beim G20-Gipfel in Brisbane:

Nie wieder wird es notwendig sein, dass Steuerzahler dafür eintreten müssen, dass große Banken zusammenbrechen und dann praktisch ein erpresserisches Potential entwickeln und Steuerzahler diese Banken retten müssen.

Auch wenn es schön wäre, wenn es so ist: Ich glaube ihr kein Wort. Auch wenn die Banken jetzt mehr Eigenkapital vorhalten müssen, so sind bei weitem nicht alle Verbindlichkeiten mit Eigenkapital gedeckt.
Die nächste Bankenkrise wird kommen und wir werden sehen, was die Versprechungen und Neuregelungen wert sind.

Nachtrag: Der Münchhausen-Check von Spiegel Online kommt zum gleichen Ergebnis wie ich.

Der Parlamentsvorbehalt bei Einsätzen der Bundeswehr soll geschwächt werden

Der nächste Baustein auf dem Weg zur Militarisierung der Außenpolitik:  Jetzt soll am Parlamentsvorbehalt für Kampfeinsätze der Bundeswehr gesägt werden. Dafür wurde eine Kommission eingerichtet. Vorsitzender wird der ehemalige Verteidungsminister Volker Rühe sein. Kommissionen werden in der Regel dann eingerichtet, wenn die Politik zu feige ist, selbst unbequeme Entscheidungen zu treffen. Also schafft man sich selbst einen Sachzwang. Schon der Titel der Kommission ist der reine Hohn: „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ nennt sie sich. Sicherung der Parlamentsrechte? Wozu Sicherung? Sie sind ja da und wenn man alles so belassen würde, wären sie auf ewig da. Das Gegenteil soll ja erreicht werden: die Parlamentsrechte sollen beschnitten werden. So heißt es dann im Beschlussantrag aus dem Deutschen Bundestag von den Regierungsfraktionen aus CDU/CSU und SPD zur Bildung der Kommission: „Die Arbeit der Kommission sollte sich auf folgende Aspekte konzentrieren“:

[…] – Untersuchung von Möglichkeiten der Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung nach der Art des Einsatzes unter voller Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; […]

Auf gut Deutsch: Bei welchen Einsätzen lässt sich der Parlamentsvorbehalt so umgehen, dass es gerade noch grundgesetzkonform ist. In der Kommission sitzen 16 Mitglieder, 4 davon werden von der Opposition entsandt. Die Gelegenheit zur Neuausrichtung der Parlamentshoheit über die Bundeswehr ist auch günstig: Wollte man den Parlamentsvorbehalt beseitigen, müsste das Grundgesetz geändert werden. Da trifft es sich ja gut, dass die Kommission zu einer Zeit eingesetzt wird, in der die Regierungskoalition 80% der Sitze im Bundestag innehat und damit problemlos eine Verfassungsänderung umsetzen kann. Ich gehe davon aus, dass am Ende die Kommission eine Schwächung (verkauft als Flexibilisierung oder Neustrukturierung, Anpassung oder andere Euphemismen) des Parlamentsvorbehalts empfehlen wird, auch wenn jetzt alle das Gegenteil behaupten. Wahrscheinlich wird ein Kompromiss herauskommen: die Regierung darf die Entsendung bestimmen, das Parlament behält das Recht zur Rückholung. Es ist naiv zu glauben, dass so etwas politisch umsetzbar wäre. Die Kanzlerin verspricht den Einsatz der Bundeswehr und das Parlament stellt die deutsche Regierungschefin vor der Weltöffentlichkeit bloß?! Ist das vorstellbar? In internationalen Angelegenheiten zeigt ja selbst die Opposition Beißhemmung. Bei den Eurorettungsschirmen lief es doch schon genau nach diesem Muster ab. Die Regierungschefs kungeln die Entscheidungen aus, das Parlament soll es dann absegnen. Und tut es eben auch. Auch die Opposition hat im Bundestag für die Rettungsschirme gestimmt. Glaubt doch wohl keiner, dass das im Falle eines Kriegseinsatzes (aus „humanitären Gründen“) anders ablaufen würde.

Parlamentsvorbehalt als Klotz am Bein?

Die Unionsfraktion, die in der Sache das Tempo vorgibt, macht auch schon mal klar, dass der Weg in Richtung Schwächung geht:

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Andreas Schockenhoff wies in der Debatte darauf hin, dass dieses Konzept umfassender Aufgabenteilung nur funktionieren wird, wenn die Partner sich darauf verlassen können, dass Deutschland mit seinem breiten militärischen Fähigkeitsspektrum grundsätzlich zu einem Einsatz seiner Streitkräfte bereit ist, wenn EU oder NATO einen solchen beschließen. Sonst wären „Pooling und Sharing“ nur leere Worthülsen. […] Daher muss die Kommission Wege aufzeigen, wie einerseits das Parlamentsrecht bei fortschreitender Bündnisintegration gewahrt werden kann,  wie andererseits das Vertrauen in die Zuverlässigkeit im Bündnis sichergestellt werden kann. Dafür soll sie ein Spektrum von Instrumenten entwickeln, mit denen das Spannungsverhältnis aufgelöst werden kann. Als denkbare Möglichkeiten werden unter Fachleuten bereits Vorabzustimmungen in Verbindung mit dem bereits existierenden Rückholrecht, befristete Einspruchsmöglichkeiten, Berichtspflichten oder die Einrichtung von spezifischen Gremien diskutiert. Auch über eine Weiterentwicklung der abgestuften Parlamentsbeteiligung– je nach Tragweite des Einsatzes – wird nachgedacht.

Aus Sicht der Regierung ist es halt wahnsinnig unpraktisch, dass man immer das Parlament fragen muss, ob die Armee eingesetzt werden darf. International kann man dann eben keine verbindlichen Zusagen machen und das geht dann eben nicht zusammen mit dem Wunsch, jetzt in jeglicher Hinsicht ein global player sein zu wollen. In meinen zieht die die Argumentation, warum man den Parlamentsvorbehalt beschneiden will, höchstens auf den ersten Blick. Eine gemeinsame europäische Armee („Pooling“) mit verteilten Aufgaben („Sharing“) ist natürlich nur dann handlungsfähig, wenn im Falle eines Falles alle mitmachen. Ist natürlich doof (für den Rest der Armee), wenn z.B. 2/3 der AWACS-Besatzung aus Bundeswehrsoldaten besteht und die im Kriegseinsatz dann nicht fliegen dürfen. Auf den zweiten Blick zeigt sich allerdings, dass dieses Dilemma erst entsteht, weil es sich um eine Interventionsarmee und kein reines Verteidigungsbündnis handelt. Darum geht es eigentlich: um Kriegseinsätze außerhalb des NATO-Raums. Es geht um rechtlich und politisch höchst umstrittene Einsätze. So umstritten, dass es nicht selbstverständlich ist, dass nicht jeder mitmacht. Wie im Fall Irak, Afghanistan oder zuletzt Libyen und Syrien.

Diskussion ist nicht neu

Sollte der Parlamentsvorbehalt geschwächt werden, würde das das die Konstitution der Bundesrepublik verändern. Die Diskussion darum ist übrigens nicht neu. Schon 2003 gab’s darüber eine Diskussion mit den jetzt wiederkehrenden Ideen „Vorratsbeschluss“ und „Rückholrecht“. Das war zu Zeiten von Rot-Grün. 2007 dann machte eben jener Andreas Schockenhoff – der auch jetzt die treibende Kraft hinter dem Ganzen ist -, den Vorschlag für ein „Vorratsbeschluss“mit Rückholrecht (oder eben ein Ermächtigungsgesetz) für die Bundesregierung in Sachen Bundeswehrkontingenten. Daraus wurde damals nichts. Nun also ein erneuter Anlauf, mit erdrückend breiter parlamentarischer Mehrheit, begleitet von einer Kommission. Interessant ist auch, dass die Diskussion bereits von einer Fachkommission geführt worden ist: von der Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Die kam vor ein paar Monaten, im Dezember 2013, zu einem Fazit:

Das ParlBG [Parlamentsbeteiligungsgesetz] stellt keinen Ballast für eine effektive Sicherheitspolitik dar. Es verhindert auch nicht per se eine stärkere militärische Integration im Bündnis oder in der EU. Es stellt vielmehr eine höchstrichterlich bekräftigte Forderung an unser demokratisches Gemeinwesen dar, wenn es um die schwerwiegende Frage des Gewaltmitteleinsatzes geht. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um solche Situationen handelt, die nicht durch das Recht auf Selbstverteidigung gedeckt sind. Im Idealfall verhindert die Parlamentsbeteiligung übereilte Entscheidungen, ermöglicht öffentliche Kontrolle, erhöht die Legitimität des Einsatzes und stärkt die Sicherheit Deutschlands.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Komission von CDU/CSU und SPD zu einem anderen Ergebnis kommen wird.

Der sichtbare Verlust außenpolitischer Glaubwürdigkeit des Westens

Auweia, in der momentanen Krise um die Ukraine kann man ja nur froh sein, solche Politiker nicht im Kalten Krieg gehabt zu haben. Mit denen hätte der 3. und dann wohl auch endgültig letzte Weltkrieg der Menschheit schon längst stattgefunden. Alle Seiten – Russland, der Westen mit EU, NATO und USA, die Ukraine selbst – benehmen sich wie die Kinder. Keiner von beiden will nachgeben, jeder sieht nur sich und glaubt daran, allein im Recht zu sein.

Putins faktische Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim dürfte völkerrechtswidrig sein. Die Kritik ist also angebracht. Aber: der Westen kann nicht mehr glaubwürdig dagegen argumentieren. In den letzten Jahren, im Namen des Kriegs gegen den Terrorismus und um Rohstoffe, haben sich EU, NATO und besonders die USA um jede Glaubwürdigkeit gebracht. Der auf Lügen aufgebaute Krieg im Irak, Geheimgefängnisse überall auf der Welt, Guantanamo, Drohnenangriffe auf Gebieten von souveränen Staaten, die Duldung illegaler Siedlungen in Pälestina – damit verliert der Westen das Recht, mit dem erhobenen Zeigefinger nach Russland zu blicken.

Das ist das Ergebnis des Handelns der letzten Jahre: der Westen hat unmoralisch und oft genug völkerrechtswidrig gehandelt (oder mindestens das Völkerrecht seeehr weit gedehnt) und kann dadurch nicht mehr bewahrende Instanz eben dieser internationalen Rechte auftreten. Wer selber dieses Recht nicht achtet, kann nicht mehr sein Verteidiger auftreten. Das Schlimme daran: es ist keine andere Instanz als Ersatz erkennbar. Die UNO hat weder die politischen noch die militärischen Mittel dazu.

Ich bin über erkennbaren Unwillen zu diplomatischen Lösungen entsetzt. Das alte Freund-Feind-Denken, das alte Block-Denken ist wieder da. Einerseits wird Russland noch immer als der Feind gesehen und andererseits versucht man gar nicht, sich in Russland strategische Überlegungen hineinzuversetzen. Die Krim ist seit Jahrhunderten ein wichtiger Militärstandort für Russland, den geben die Russen nicht auf. Die Gefahr des Verlustes war aber real, weil sehr westlich orientierte Politiker in der Ukraine nicht nur mit der EU sondern eben auch mit der NATO geliebäugelt hatten. NATO-Truppen, NATO-Waffen auf der Krim – das würde Russland nie akzeptieren in Zeiten wie diesen. Insofern war Putins jetzt gezeigte Härte abzusehen.