Deutschland vor einer Neuausrichtung der Außenpolitik

Bundespräsident Gauck hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Eröffnungsrede gehalten und dabei eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik gefordert.

Ich teile Gaucks Einschätzung, dass sich deutsche (Außen-)Politiker in den letzten Jahren wenig um die Veränderungen in der Welt gekümmert haben. Dass Deutschland in der Vergangenheit zu oft die Hände in den Schoß gelegt hat bzw. einfach mitgemacht hat. Merkel hat auch hier – ähnlich wie in der Innenpolitik – keine Ideen gehabt, Merkel hat auch hier in den letzten Jahren nur verwaltet und nicht gestaltet.
Wo war denn Deutschland, als der Arabische Frühling aufblühte? Wo war denn eine Alternativstrategie für Afghanistan? Was tut denn Deutschland dafür, die europäische Idee wiederzubeleben? Ist es nicht gerade deutsche Regierung (besonders unter Merkel), die Europa nur als Wirtschaftsraum zum Nutzen von Deutschland sieht, Südeuropa durch einen radikalen Sparkurs in Armut stürzt und gleichzeitig das Vorurteil der faulen Griechen, Spanier oder Italiener schürt? Wo war denn Deutschland, als eine Klimakonferenz nach der anderen ergebnislos beendet wurde? Wo ist Deutschland, wenn es darum geht, konsequent für Bürgerrechte und gegen die flächendeckende Überwachung durch Geheimdienste einzutreten? Wo ist das Handelsland Deutschland, wenn es darum geht, menschenverachtende Arbeitsbedingungen anzuprangern und zu verändern?

Eine Neuausrichtung wohin?

Wenn Gauck hier eine Korrektur möchte: Ja, sehr gerne. Das Primat der Politik zurückbringen, eine Zivilisierung statt Militarisierung der Außenpolitik? Ja, gerne! Deutschland setzt sich an die Spitze, um die EU zu demokratisieren? Ja, gerne! Die EU als global player etablieren, die gemeinsam für demokratische und republikanische Werte eintritt? Ja, gerne! Die UNO zu refomieren und wieder handlungsfähig machen? Ja, gerne. Und jetzt – ganz idealistisch: die Welt menschlicher und gerechter machen? Ja, ja, ja, sehr gerne!
Allerdings habe ich da meine Zweifel, dass Gauck das so gemeint hat.

Gauck sagt:

Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein. Eines haben wir gerade in Afghanistan gelernt: Der Einsatz der Bundeswehr war notwendig, konnte aber nur ein Element der Gesamtstrategie sein. Deutschland wird nie rein militärische Lösungen unterstützen, wird politisch besonnen vorgehen und alle diplomatischen Möglichkeiten ausschöpfen.

„Manchmal“ und „auch“ kennt man aus den vergangen Jahren. Vordergründig wird auch immer gesagt, dass erst alle diplomatischen Wege ausgeschöpft sein müssen. Am Ende verliert man aber doch zu schnell die Geduld und entscheidet sich für die vermeintlich schnellere und effektivere Methode und es wird viel zu schnell militärisch handelt – wie es sich ja die letzten Jahre gezeigt hat. Was haben wir denn aus Afghanistan gelernt? Doch wohl, dass Militär dort nun gar nichts gebracht hat. Sobald die westlichen Soldaten abgezogen sind, kehren die alten Machthaber zurück. Wo war denn eine Gesamtstrategie in Afghanistan? Und was heißt hier, eine „rein militärische Lösung“ werde Deutschland nicht unterstützen? Eine „rein militärische Lösung“ ist ein Angriffskrieg und dass wir den nicht unterstützen, dürfte einerseits klar sein und ist andererseits grundgesetzlich verboten. Und nochmal: eine rein militärische Lösung ist keine Lösung, damit wird gar nichts gelöst, die Probleme werden nur verändert und vergrößert.
Ironie der Geschichte: im 100. Jahrestag des Beginns des 1. Weltkrieges verknüpft Gauck (wirtschaftliche) Interessen mit militarisierter Außenpolitik.
Wie das „Ausschöpfen der Diplomatie“ dann am Ende aussieht, haben wir in Syrien gesehen. Die Militärmaschinerie lief schon auf Hochtouren und dann kamen die Verhandlungen mit Assad mehr zufällig denn beabsichtigt zustande.

Unvermutet schnell geraten wir hinein in eine Welt, in der sich einzelne so viel Vernichtungskraft kaufen können wie früher nur Staaten. Eine Welt, in der ökonomische und politische Macht wandert und ganze Regionen aufrüstet. Im Nahen Osten drohen sich einzelne Feuer zu einem Flächenbrand zu verbinden.

Gerade der Nahe Osten ist doch ein schönes Beispiel. Seit Jahrzehnten stützt der Westen dort undemokratische Regime, weil es uns genutzt hat, weil wir das aus der Region dort brauchen. Wir haben damit eine Demokratierung, eine Modernisierung dieser Region verhindert. Und jetzt wundern wir uns, dass sich das Pulverfass dort unten entzündet? Wir konnten und können gut mit undemokratischen Strukturen und Diktaturen dort unten leben, solange sie uns im Westen wohlgesonnen sind. Wo war denn die politische Unterstützung aus dem Westen für den Arabischen Frühling?
Und welche „Einzelnen“ meint Gauck, die sich Waffen in staatlichem Ausmaß kaufen können?

Handelswege schaffen auch mit Waffen

Gauck sagt auch:

Deutschland ist überdurchschnittlich globalisiert und profitiert deshalb überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung – einer Weltordnung, die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden. Aus all dem leitet sich Deutschlands wichtigstes außenpolitisches Interesse im 21. Jahrhundert ab: dieses Ordnungsgefüge, dieses System zu erhalten und zukunftsfähig zu machen.

Das liest sich für mich im Kontext des Rest der Rede danach, dass wir dafür sorgen müssen, auch weiterhin uneingeschränkt Zugang zu Rohstoff- und Absatzmärkten zu haben. „Manchmal“, siehe oben, dann eben auch mit der Bundeswehr. Ex-Bundespräsident Köhler hatte das auch schon mal gesagt, hatte sich damals ordentlich Kritik dafür eingefangen und ist dann beleidigt zurückgetreten.

Gauck spricht auch gleich die Kostenfrage an:

Es ist ja richtig: Probleme zu lösen, kann Geld kosten. Aber nicht nur in der europäischen Krise haben wir bewiesen, dass wir bereit sind, weit zu gehen, Bündnisverpflichtungen einzuhalten und Unterstützung zu leisten, weil dies letztlich in unserem eigenen Interesse liegt.

Was die Kosten angeht, hätte ich da übrigens eine Idee: Die, die davon am meisten vom freien Welthandel profitieren, sollten auch zur Finanzierung herangezogen werden: die Unternehmen. Wenn VW und Siemens stabile Absatzmärkte brauchen und der deutsche Staat dafür sorgen soll, dann sollte diese Unternehmen an den Kosten beteiligt werden. „Unser eigenes Interesse“ ist nämlich das Interesse der Industrie und nicht unbedingt des deutschen Bürgers.

Fazit

Der Tenor der Rede liegt mir zu sehr auf den wirtschaftlichen Interessen Deutschland und des Westens in Verbindung mit der Militär. Das ist in meinen Augen der falsche Ansatz. Mir geht es in Gaucks Rede zu wenig um die Gestaltung der Welt zugunsten der Menschen in der ganzen Welt und nicht nur in der westlichen Welt.

Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen haben sich offenbar mit Gauck abgesprochen und stoßen ins gleiche Horn. Und wenn es noch Zweifel gab, dass sich hinter der Neuausrichtung mehr als nur Diplomatie verbirgt, der dürfte von Außenminister Kerry eines Besseren belehrt worden sein:

„Bislang sind wenige Länder bereit, wirklich Führung zu übernehmen“, sagt Kerry. „Führung bedeutet nicht nur, gute Diskussionen in München zu haben. Es heißt auch, die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung zu stellen.“

Mit „Ressourcen“ sind sicher keine Heerscharen von Diplomaten und Entwicklungshelfern gemeint, sondern eben Soldaten und Kriegsgerät.

3 Gedanken zu „Deutschland vor einer Neuausrichtung der Außenpolitik

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