Na, da hat Bundeshorst Köhler wohl vom Wahrheitsserum genascht:
Ricke: In der politischen Debatte wird auch darüber nachgedacht, ob das Mandat, das die Bundeswehr in Afghanistan hat, ausreicht. Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung und vielleicht auch einen neuen politischen Diskurs?
Köhler: Nein, wir brauchen einen politischen Diskurs in der Gesellschaft, wie es kommt, dass Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen. Wir brauchen den Diskurs weiter, wie wir sozusagen in Afghanistan das hinkriegen, dass auf der einen Seite riesige Aufgaben da sind des zivilen Aufbaus, gleichzeitig das Militär aber nicht alles selber machen kann, wie wir das vereinbaren mit der Erwartung der Bevölkerung auf einen raschen Abzug der Truppen. Und aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen. Alles das heißt, wir haben Verantwortung. Ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.
Das hat er dem Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur (komplett) gesagt. Das ist schon starker Tobak, dass die Bundeswehr nach der Meinung des Bundespräsidenten aktuell und zukünftig für freie Handelswege kämpfen soll. Das wäre eine neue Aufgabe für Deutschlands Armee und Deutschlands Außenpolitik. Man muss seine Worte nicht mal auf die Goldwaage legen, um das herauszulesen. So offen hat den wirtschaftlich verwertbaren Zweck der militärischen Außenpolitik Deutschlands noch kein Politiker beschrieben, glaube ich. Solche geo- und wirtschaftlichen Ziele verbindet man ja sonst eher mit Russland oder den USA.
Hat sich das der Köhler selbst ausgedacht und steht er allein mit dieser Meinung da? Oder ist das common sense in der Bundesregierung/im Parlament und nur dem Wählervolk wird immer wieder die Mär vom Aufbauhelfer und Demokratiebringer aufgetischt?
Am Rande: außer in der Süddeutschen stand diese bemerkenswerte Einschätzung Köhlers über den Einsatzzweck der Bundeswehr im Ausland nirgends in der Presse. Erst durch Blogs bin ich darauf gestoßen.
[via: Fefe]
Nachtrag (27.05.10): Oh, das Thema ist in den Mainstreammedien angekommen. Niedlich ist ja SpOn, wie sie versuchen zu erklären, dass sie das Thema 5 Tage verschlafen haben:
Der Bundespräsident hatte das Interview schon am Rand seines Truppenbesuchs in Afghanistan gegeben, letzten Samstag ist es über den Äther gegangen – doch die politische Debatte darüber nimmt jetzt Fahrt auf. […]
Köhlers brisante Worte – sie sind im Internet abrufbar – wären beinahe untergegangen. Im Interview mit dem Deutschlandradio fallen sie erst am Ende.
Fahrt aufnehmen konnte die Debatte ja bisher nicht, die Presse hat ja nicht drüber berichtet. Und so wirklich am Ende fällt der Satz auch nicht, sondern als Antwort auf die 3. Frage (von insgesamt 4). Besonders lang ist das Interview nicht.
Interessanterweise ist Köhler mit seiner Meinung nicht allein. Schon im aktuellen Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahre 2006 wird im Kapitel „Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik“ unter der Überschrift „Transportwege – Ressourcen – Kommunikation“ auf Seite 22 geschrieben:
Deutschland hat aufgrund seiner immer engeren Verflechtung der Weltwirtschaft besonderes Interesse an internationaler Stabilität und ungehindertem Warenaustausch. Wie viele Länder ist es in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr und sicheren Transportwegen in globalem Maßstab abhängig und auf funktionierende Informations- und Kommunikationswege angewiesen. Verwerfungen im internationalen Beziehungsgefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme, beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und Störungen der weltweiten Kommunikation bleiben in einer interdependenten nicht ohne Auswirkungen auf nationale Volkswirtschaft, Wohlstand und sozialen Frieden.
Köhler hat im Prinzip nichts anderes gesagt: Für unseren eigenen Wohlstand brauchen wir Rohstoffe aus anderen Ländern und wenn mit denen grad kein Handel möglich ist, muss man den eben herbeiführen. Vielleicht hat der sich im Flieger von Shanghai nach Afghanistan ausführlich mit Bundeswehrleuten über die deutsche Sicherheitspolitik unterhalten und unter diesem Eindruck hat er dann das mit den freien Handelswegen auch gegenüber dem Deutschlandfunk gesagt.
Nachtrag (31.05.10): Nun hat Köhler sogar wegen der – seiner Meinung nach amtsunwürdigen – Kritik an seinem Interview sogar das Handtuch geworfen. Damit wird das Versagen der Presse, die dieses Interview übersehen hatten, noch offenkundiger: Carta zeichnet den Weg einer Meldung nach.
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