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Diskussion: Aber bitte mit Fakten

Kürzlich schrieb ich darüber, dass Natur- und Geisteswissenschaftler unterschiedliche Vorstellungen von „unverhandelbar“ haben. Meine These war, dass ein guter Teil der Missverständnisse innerhalb von Diskussionen darauf beruhen, wie eben aktuell zur Corona-Situation. Zu besichtigen ist das derzeit in der missglückten Aktion #allesdichtmachen, die die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung grundsätzlich und eher pauschal kritisiert. Pauschal im Sinne von: wir stellen nicht einzelne Maßnahmen in Frage sondern stellen die Regeln einmal grundsätzlich in Frage. Um dann hinterher zu sagen, dass es schön ist, dass überhaupt wieder mehr diskutiert wird. Als wäre Diskussion per se ein Gewinn.
In eine ähnliche Richtung, wenn auch deutlich moderater im Ton, geht das Manifest „Für die offene Gesellschaft“. Auch hier wird verlangt, wir müssen wieder mehr diskutieren. Können wir gern, bei naturwissenschaftlichen Themen – und das ist eine Pandemie dem Grunde nach nun mal – auf der Basis von naturwissenschaftlichen Fakten. Ich kann mir auf dem Papier auch ein Wunschhaus zeichnen, wenn der Statiker aber sagt, das geht nicht, dann hilft auch alles diskutieren nicht. Bezeichnenderweise ist unter den Verfasser*innen des Manifests nur ein (früherer) Naturwissenschaftler vertreten.

Ja, ich finde auch die Erregung, das Hyperventilieren nicht nur in der Corona-Diskussion unerträglich. Dass es nur darum zu gehen scheint, laut zu sein, zu diffamieren, jemanden in eine Ecke zu stellen, statt sich inhaltlich mit dem Gesagten/Geschriebenen auseinanderzusetzen. Verwünschungen und (Mord-)Drohungen gehen gar nicht und das sollte demokratischer Konsens sein.

Aber warum schreibe ich das alles? Weil Mitverfasserin Ulrike Guérot dem Deutschlandfunk ein Interview (MP3) gegeben hat, im dem sie u.a. die Aktion #allesdichtmachen … nunja … eher verteidigt. Das an sich ist – siehe oben – völlig okay. Nicht okay ist allerdings ihre Argumentation.

Zunächst geht es darum, dass Frau Guérot eine „homogenisierte Medienlandschaft“ (Minute 5:51) beobachtet. Darüber wundert sie sich:

[…] Dann müssten wir uns fragen, warum ist diesmal die zementierte Meinung so stark. Das ist ja ungewöhnlich. Wir haben ja in allen Situationen der Bundesrepublik, ganz egal ob NATO-Doppelvertrag oder Ostverhandlungen. Wir hatten doch nie geschlossene Meinungsdecken von 70, 80%. Das ist doch eher unüblich. Und wenn das unüblich ist für eine Demokratie, dann ist doch die Frage, warum ist diese geschlossene Meinungsdecke bei Corona so hoch. Und wenn sie so hoch ist, ist die Frage, ist das vernünftig, dass sie so hoch ist oder ist sie panik-, angst- und hysteriegetrieben, wofür es ja Argumente gibt. […]

DLF-Interview, ab 7:00

Panik, Angst, Hysterie – ja, das muss der Grund sein. Einsicht auf der Grundlage von Fakten? Nein, das kann nicht sein. 2 + 3 = 5, darüber wird es sogar eine fast 100%ige Zustimmung geben. NATO-Doppelbeschluss und Ostverhandlungen waren originär politische Themen, da gab es kein faktenbasiertes Richtig oder Falsch. Je nach Sichtweise war der Russe böse oder die Amis nicht besser. Je nach Sichtweise war Abschreckung das richtige Mittel oder Abrüstung. Ansichtssache. Was mich wieder zur These zurückbringt, dass zwischen politik- und faktenbasierten Diskussionen nicht unterschieden wird.

Machen wir weiter im Interview.

Das Präventions-Paradox

[…] Vor einem Jahr, die Bilder aus Bergamo, die man übrigens auch mal dekonstruieren müsste. Wir sind ja über ein Jahr nach den Bildern aus Bergamo immer noch bei den Bildern aus Bergamo. Wobei sich nach einem Jahr hier in Deutschland keine Bilder aus Bergamo ergeben haben. Also das ist ja auch Teil des Problems. […]

DLF-Interview, ab ungefähr 9:35

Bergamo. Die Chiffre für Leichenberge zu Beginn der Corona-Pandemie in Italien. Der erste deutliche Fingerzeit, dass das, was da kommt, mehr als eine Grippe-Welle ist. Damals, im Februar 2020. Bevor es einen Lockdown und alle anderen Maßnahmen (Abstand, Maske, Kontaktbeschränkungen) gab. Gerade wegen dieser Maßnahmen gab es keine Bilder wie in Bergamo. Der Begriff des Präventions-Paradoxons sollte denjenigen, die sich öffentlich zu Corona äußern inzwischen geläufig sein. Eigentlich und präziser: die selbstzerstörende Prophezeiung. Es wird eine (wissenschaftliche) Prognose erstellt, die lautet: unter Bedingung A tritt als Folge B ein. Beispiel: wenn wir weiter Schwefeldioxid in die Luft pusten, stirbt der Wald. Wenn wir weiter FCKW in die Atmosphäre entlassen, löst sich die Ozonschicht auf. Wenn so weiter machen wie bisher, hat das Virus freie Bahn und die Leichensäcke liegen bald vor den Kliniken auf der Straße.

Jetzt begannen die Maßnahmen: Rauchgasentschwefelungsanlagen wurden eingebaut, FCKW in Kühlschränken wurde verboten und, ja, die AHA-Regeln und der Lockdown kamen. Der Wald starb nun doch nicht, die Ozonschicht ist immer noch da und die Intensivstationen waren nicht überfüllt. War alles nur Panikmache? Natürlich nicht. Die Bedingung A hat sich geändert. Und Prognosen sind nur unter Bedingungen aussagekräftig. Wenn sich die Bedingungen ändern, ändern sich auch die Folgen und es sieht hinterher so aus, als sei die Vorhersage apokalyptisch aufgebauscht worden.

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RTdeutsch – Wovor habt ihr Angst?

Der russische Fernsehsender RT hat seit Anfang dieses Monats einen deutschen Ableger: RTdeutsch. Die Aufregung ist groß, der Tonfall ist schrill. Das Label „Propaganda-Sender“ darf dabei nicht fehlen. RTdeutsch ist, wie der Muttersender auch, vom russischen Staat finanziert. Immerhin findet auch eine inhaltliche Auseinandersetzung in den Artikeln statt, indem Übertreibungen, Unwahrheiten und Aus-dem-Zusammenhang-reißen dargestellt werden. Lesenswert und unaufgeregt: Stefan Niggemeier hat für Krautreporter ein Mitglied der RTdeutsch-Redaktion interviewt und Telepolis interviewt Iwan Rodionow, den Chefredakteur des Senders.

Überrascht war ich, dass Netzpolitik.org kategorisch ausschließt, RTdeutsch Interviews zu geben. Man wolle sich „nicht instrumentalisieren“ und neben „irgendwelchen Rechtsaußen“ einordnen lassen. Das ist für mich überängstlich. Der Journalist Olaf Sundermeyer hat seinen Besuch als Interviewgast bei RTdeutsch in der FAZ dokumentiert und vorher ein paar Kollegen gefragt, was sie davon halten:

Ich frage Kollegen, ob ich meine journalistische Integrität verliere, wenn ich die Einladung annehme. Die Resonanz ist recht eindeutig: „Yes“ (BBC); „ja, oder du nutzt die Gelegenheit, denen zu sagen, was du von ihnen hältst“ (Netzwerk Recherche); „ja“ (rbb); „schwierig“ (NDR); „sehr schwierig“ (Deutsche Welle); „die Frage ist nicht, wer dich eingeladen hat, sondern was du sagst!“ (WDR).

Im Ernst? Ein Journalist verliert seine Reputation nicht nur durch das, was er sagt, sondern allein schon dadurch, wo er etwas sagt?! Warum das so ist, erklärt der Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen:

„Weil jeder Interviewpartner automatisch zum Teil der manipulativen Kreml-PR wird. Dessen muss sich jeder Studiogast bewusst sein und entscheiden, ob er das will oder nicht. Ich möchte das nicht“, sagt Christian Mihr.

Wodurch kommt der Automatismus denn zustande? Ist das eine Gesetzmäßigkeit oder eher so ein Branchending?

Woher kommt der Erfolg?

Woher kommt denn der Wunsch, dass es solche Sender gibt? Es gab sogar eine Petition dafür. Meiner Meinung nach rührt er daher, dass viele Menschen ein diffuses Gefühl haben, dass ihnen in den großen Fernsehsendern und Zeitungen nicht alles erzählt wird, dass es dort zu unkritisch zugeht („Medienverdrossenheit“). Das diffuse Gefühl speist sich dabei aus ganz konkreten Anlässen, zuletzt z.B. die doch eher einseitige und wenig komplexe Berichterstattung zur Ukraine-Krise. Man muss also kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um sich hier und da schlecht informiert zu fühlen. Ich empfinde den Journalismus auch als zu stromlinienförmig. Es wird in meinen Augen zu wenig in mehrere Richtungen recherchiert. Für das ganze Bild gibt es das Internet mit unzähligen Nachrichtenseiten und Blogs. Zur Zeit der Finanzkrise fühlte ich mich am besten durch Blogs informiert, Datenschutz und Netzpolitik findet im Mainstream auch wenig statt und wirtschaftspolitische Breite und Tiefe finde ich in Zeitungen auch nicht immer zu meiner Zufriedenheit. Meine Begeisterung und die vieler anderer für „Die Anstalt“ kommt ja daher, dass dort Dinge angesprochen werden, die nur selten in großen Medien zu sehen sind.

Der Erfolg von Nachrichtenseiten oder YouTube-Kanälen, die sich als Anti-Mainstream bezeichnen, ist im Grunde ein Versagen eben jener Mainstreammedien. Je einseitiger es dort zugeht, desto mehr Zulauf wird es woanders geben.
Besonders in den letzten Jahren wurden Doppelstandards bei unseren sog. westlichen Werten geschaffen: Geheimgefängnisse, Drohenkrieg, Guantanamo, komplette Überwachung des Internets – die Kritik daran ist dürftig und teilweise sind wir selbst mit dabei. Wir spielen guter Diktator, böser Diktator. Das sind offene Flanken. Wir machen uns damit unglaubwürdig, Journalisten machen sich damit unglaubwürdig.

Das, was ich von RTdeutsch bisher gesehen und gelesen habe, überzeugt mich nicht sonderlich. Mir ist das oft zu platt und einseitig. Aber ich habe auch nichts dagegen, dass der Sender sendet und ich würde ihn auch erstmal nicht als Propaganda-Sender diffamieren. Wenn es sich am Ende wirklich als Propaganda-Sender oder Sender für Rechtsaußen oder „komische“ Leute herausstellt, dann wird man das noch früh genug feststellen.

Nachtrag (03.12.14): Frank-Walter Steinmeier hat sich bei der Verleihung des Lead-Awards auch über mögliche Gründe des steigenden Glaubwürdigkeitsdefizits geäußert:

Vielfalt ist einer der Schlüssel für die Akzeptanz von Medien. Die Leser müssen das Gefühl haben, dass sie nicht einer einzelnen Meinung ausgesetzt sind. Reicht die Vielfalt in Deutschland aus? Wenn ich morgens manchmal durch den Pressespiegel meines Hauses blättere, habe ich das Gefühl: Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch.

Das Meinungsspektrum draußen im Lande ist oft erheblich breiter. Wie viele Redakteure wollen Steuersenkungen, Auslandseinsätze, Sanktionen? Und wie viele Leser? Sie müssen nicht dem Leser nach dem Munde schreiben, genauso wenig wie wir Politiker nur auf Umfragen starren sollten. Aber Politiker und Journalisten gleichermaßen sollten die Bedürfnisse ihrer Leser und Wähler nicht dauerhaft außer acht lassen.

TV-Film: „Eine mörderische Entscheidung“

Die ARD hat die verheerende Tanklasterbombardierung durch die Bundeswehr in Afghanistan, bei dem über 140 Menschen ums Leben kamen, verfilmt. Am Freitag konnte man ihn schon bei Arte sehen (und hier für 7 Tage in der Mediathek von Arte). Am kommenden Mittwoch läuft er dann auch im Ersten. Ich hatte damals einiges über den Vorfall gebloggt.

Der Film ist eine Kombination aus Spielszenen – mit Matthias Brandt in der Rolle des Oberst Georg Klein – und Interviewbeiträgen. In den Interviews kommen leider keine direkt am Geschehen Beteiligte zu Wort, Georg Klein – mittlerweile Brigadegeneral – wollte oder durfte nicht mit dem Filmteam sprechen, ebensowenig andere Beteiligte. Der Film nutzt aber die verfügbaren Protokolle der Untersuchungen zum Fall.

Trotzdem ist es ein guter Film geworden. Er zeigt eine gute Zusammenfassung und Darstellung der Ereignisse damals im September. Die Stärke des Films ist es auch, dass er mehr als nur die Nacht zum 4. September 2009 zeigt. Er beginnt mit der Stationierung von Oberst Klein in Afghanistan und zeigt die Situation zu dieser Zeit für die Bundeswehr, die geprägt ist von zunehmender Gewalt und Ablehnung der Afghanen gegenüber den Bundeswehrsoldaten. Es kommt immer häufiger zu Angriffen auf die Bundeswehr, die Soldaten werden beschossen oder geraten in Sprengfallen, zum Teil gibt es Tote. Von einer Aufbaumission kann keine Rede mehr sein, offiziell darf es aber immer noch kein Krieg sein. Die Taliban werden stärker und die Bundeswehr wird selbst von den Afghanen gedrängt, mehr Härte zu zeigen.
Hier zeigt sich, dass da einiges schiefgelaufen ist bzw. immer noch schief läuft in Afghanistan: der Einsatz wurde von Anfang an falsch angegangen und dann schaukelt sich die Spirale der Gewalt immer höher, man kann ein Land eben nicht mit der Armee befrieden oder umwälzen. Man kann nicht an der einen Ecke des Landes mit Soldaten auf Talibanjagd gehen und dabei immer wieder Zivilisten treffen, auf der anderen Seite sollen Soldaten dann als Wiederaufbauhelfer fungieren. Das funktioniert so nicht. Die Normalbevölkerung macht keinen Unterschied zwischen den Soldaten, für sie sind das alles „die Ausländer“.

Am Vortrag der Tanklasterbombardierung kommt es wiederum zu einem Angriff auf die Bundeswehr. Mit den Monaten zuvor und diesem Ereignis ist der Rahmen für das eigentliche Hauptthema des Films gesetzt. Damit liefert der Film mögliche Erklärungen, wie es überhaupt zu einem solchen Bombardement kommen konnte, ohne es entschuldigen zu wollen: die Bundeswehrführung in Kunduz stand unter Druck, endlich militärische Erfolge vorzeigen zu können.
Die Tanklaster, so eine afghanische Quelle, sollten angeblich für Anschläge auf das Bundeswehrcamp in Kunduz benutzt werden. Ebenfalls hielten sich laut der Quelle 4 gesuchte Taliban-Kader an den feststeckenden Trucks auf, die man somit auf einen Schlag umbringen könnte. Damit liefert hier der Film ein Motiv dafür, wie es sein konnte, dass man sich über Einsatzregeln hinwegsetzte und sogar log, um am Ende die Tanklaster bombardieren zu können.
Der Film legt sich auf die – in meinen Augen – plausible These fest, dass bestimmte gesuchte Terroristen auf diese Weise umgebracht werden sollten – auch als militärischer Erfolg nach vielen Misserfolgen bzw. Angriffen auf die Bundeswehr zuvor. Für diesen militärischen Erfolg wischte man sogar die Möglichkeit, Zivilisten treffen zu können beseite. Dass Kinder am Ort des Geschehens sein könnten, kam den Verantwortlichen offenbar nicht in den Sinn – angesichts der Uhrzeit von 2 Uhr nachts keine abwegige Sache. Zumal eben jene afghanische Quelle, die vorher schon gute Informationen lieferte, beides verneinte Der Film stellt Georg Klein in der fraglichen Nacht als einen Einsatzleiter dar, der von Einflüsterern (TF 47 und BND) umgeben ist, die ihn zwar nicht drängen, aber auch nicht zurückhalten, diesen Einsatz so über die Vorschriften hinweg durchzuführen. So richtig wohl ist allen bei der Sache nicht. Warum sich Klein allerdings nicht mit seinem üblichen Stab beratschlagte, sondern ohne sie im Kommandostand der TF 47 war, erklärt der Film nicht.

Matthias Brandt spielt sehr gut und dadurch kommt Oberst Klein auch gut weg. Er spielt ihn als sanften und klassische Musik hörenden Soldaten, der offenbar mit der Situation in Afghanistan möglicherweise überfordert, aber zumindest von ihr überrascht war.

Nachtrag (05.09.13): Der Film ist nun auch in der ARD-Mediathek verfügbar. Sehenswert ist auch die Sendung von Anne Will, die gestern anschließend an den Film lief.

Nachtrag (07.09.13): Ergänzung und Vervollständigung des Bildes von den realen Ereignissen noch zwei Links. Zum einen zu Winfried Nachtwei, bis 2009 MdB in der Grünen Bundestagsfraktion, deren sicherheitspolitischer Sprecher und Afghanistankenner und zum anderen zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses (PDF, 580 Seiten) zum Kunduz-Vorfall. [via Bender-Blog]

„Das hat sich doch wieder gelohnt“

Dass Politiker und Journalisten auch miteinander sprechen, wenn die Kameras und Mikrofone aus sind, dürfte jedem klar sein. Was und wie allerdings dann besprochen wird, ist unbekannt. Das Video da oben ist deshalb eine Seltenheit, weil es das Geplaudere von Claus Kleber und Horst Seehofer nach dem offiziellen Teil des Interviews zeigt. Das Video gibt einen seltenen Einblick in Off-the-Record-Gespräche dieser Art zwischen Journalisten und Politikern.

Nach einem locker-vertrauten „Na, das hat sich doch wieder gelohnt“ beginnt das Nachgespräch zum Interview (etwa ab 5:20). Dabei geht es im Grunde um den gleichen Themenkreis wie vorher, nur eben anders. Beide scheinen weniger Theater zu spielen. Seehofer lässt weniger Sprechblasen ab, er scheint ja geradezu sein Herz ausschütten zu wollen. Und auch Kleber ist anders: er steht entspannter da, zeigt Mimik, hakt nach, ist erkennbar an den Antworten seines Gegenübers interessiert und reagiert auf seine Aussagen mit entsprechenden Fragen. Kurz: Kleber führt ein echtes Interview bzw. das ist ein echtes Gespräch.

Das offizielle Interview ist typisches Politainment, wie Falk Lüke schreibt, bei dem beide Seiten mitmachen: Politiker und Journalist. Der Politiker sondert Sprechblasen ab, will seine Sicht der Dinge verkaufen und tut das in Form von rundgelutschten Textbausteinen. Der Journalist auf der anderen Seite macht da mit, indem die vorher zurechtgelegten Fragen abgearbeitet werden, oft ohne auf die vorherige Antwort einzugehen. Zu selten wird seitens des Journalisten nachgehakt und der Politiker ist meist nicht bereit, von seinen Textbausteinen abzuweichen.

Das Schlimme daran: beide Seiten haben sich mit diesem Stil arrangiert. Beide Seiten inszenieren eine Show für die Kinder Zuschauer bzw. -hörer. Wenn die im Bett nicht mehr dabei sind, kann man sich miteinander wie erwachsene Menschen unterhalten. Warum geht das nicht auch, wenn die Kameras und Mikrofone laufen? Für mich ist auch das ein Zeichen für die Abgehobenheit von Medien und Politik.

[via: Spiegel Online]

Private Daten vs. öffentliche Daten

Spiegel Online versteht das Prinzip Wikileaks nicht:

Julian Assanges Verhältnis zum Dogma der totalen Informationsfreiheit ist augenscheinlich gespalten. Einerseits pflegt der WikiLeaks-Gründer zu betonen, dass die Veröffentlichung geheimgehaltener Dokumente die Welt besser machen könne, spricht gern von einem „Kampf“ den WikiLeaks führe, um „ein neues Verhältnis zwischen den Menschen und ihren Regierungen“ herbeizuführen. Informationsbefreiung ist seine Mission.

Wenn es jedoch um ihn selbst geht, ist sein Bedürfnis nach totaler Informationsfreiheit weniger ausgeprägt – selbst, wenn es um Informationen geht, die er selbst ursprünglich freiwillig zur Verfügung gestellt hat.

Das „Dogma der totalen Informationsfreiheit“ galt schon immer nur für Informationen von Staaten, Regierungen, Behörden und Konzernen. Also solche Informationen, die für die Gesellschaft an sich relevant sind. Das Prinzip ist, dass Institutionen, die das öffentliche Leben bestimmen, keine Geheimnisse vor ihren Bürgern haben sollten. Im Gegensatz dazu muss der Bürger in der Lage sein, seine eigenen privaten Daten zu schützen. Das ist z.B. auch Bestandteil der Hackerethik: „öffentliche Daten nützen, private Daten schützen“. Eigentlich gar nicht so schwer zu begreifen – außer man will es absichtlich falsch verstehen.

Film-Tipp: „Die 4. Revolution – Energy Autonomy“

Der Film über die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien lief letztes Jahr im Kino und gestern abend auf Arte. Der Film ist toll bebildert und zeigt eine positive Vision einer nachhaltigen Energieversorgung. An verschiedenen Beispiele wird gezeigt, dass dei Energiewende schon heute möglich ist, auch gemacht werden muss und keine wie auch immer geartete Brückentechnologie (Atomkraft, CO2-Abscheidung) nötig ist.

Zu sehen ist ein großartiger und engagierter Hermann Scheer, der sich schon seit langem mit der Energiewende beschäftigte und der leider letztes Jahr überraschend gestorben ist.
So langsam kommt das Thema erneuerbare Energien ja in der Gesellschaft an und wie so eine Zukunft aussehen kann, zeigt dieser Film in positiver Weise – jenseits der etwas kleinkarierten Diskussion, um wieviel Euro der Strompreis pro Jahr nun steigen wird durch den Atomausstieg. Es geht ums Ganze: wie kriegen wir einen vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien hin, welche Schritte sind dafür nötig, wie wird sich die Art der Stromerzeugung (dezentraler und kleinteiliger) und des -verbrauchs (weniger!) verändern.

Für die nächsten 7 Tage ist der noch in der Mediathek von Arte abrufbar und ansonsten gibt es den Film auch auf DVD.

Meine tagesschau.de-Links funktionieren nicht mehr

Nicht nur „meine“ Links funktionieren nicht mehr, sondern viele Links zu tagesschau.de funktionieren nicht mehr. Weil die ARD gemäß dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag einen Haufen ihrer Inhalte aus dem Netz nehmen musste.

Eigentlich eine absurde Situation: die Informationssuche findet größtenteils im Internet statt, die öffentlich-rechtlichen Sender aber müssen ihre bereits vom Gebührenzahler bezahlten Inhalte nach einer kurzen Frist wieder offline nehmen. Ich oute mich mal indem ich sage, ich zahle aus Überzeugung meine Rundfunkgebühren, weil ich denke, dass das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem eine gute Sache ist (bei aller berechtigten Kritik daran). Und trotzdem darf ich mir diese Dinge nach ein paar Wochen nicht mehr ansehen oder anhören. Da stimmt doch was nicht. Stattdessen sollte es ein offenes Archiv geben, in dem alle Inhalte der Öffentlich-Rechtlichen gespeichert sind – für alle Zeit.

Die Lobbyisten der Printmedien hatten zwar die Hand an der Feder, die den Gesetzestext zum Rundfunkstaatsvertrag schrieb, einen entscheidenden Beitrag zu ihrer Rettung wird diese Löschaktion trotzdem nicht liefern. Stattdessen werden schon bezahlte Inhalte aus dem Netz getilgt und die Leute gucken auf leere 404-Fehlerseiten. Und denen geht das Gelösche noch nicht mal weit genug.
Wenn ich irgendwohin einen Link setze, dann denke ich mir ja was dabei. Dann steht da auf der Seite etwas, das zum Inhalt des Blogpostings passt, das ihn ergänzt, vertieft und verdeutlicht, vielleicht ergibt der Eintrag ohne die verlinkte Seite nicht mal Sinn.

(Ich weiß, dass die Löschung schon im Juni stattfand. Aufgeregt habe ich mich schon damals darüber, fand aber jetzt erst Zeit, darüber zu schreiben.)

Atomgetriebene Brisanz

Ich bin nun sicherlich kein Freund der Atomenergie, aber man muss auch nicht gleich aus dem Häuschen geraten, wenn irgendwo das Stichwort Atomkraft fällt. Und erst recht muss man keinen Skandal aus etwas machen, das kein Skandal ist. So wie die Financial Times Deutschland (FTD) am gestrigen Mittwoch.

Angeblich hält Frau Schavan vom Bundesbildungsministerium eine „Atomstudie“ bis nach der Bundestagswahl zurück, weil ihr die Ergebnisse dieses „brisanten Gutachtens“ (mehr AKWs, Endlager in BaWü) nicht passen. Daran ist so ziemlich alles falsch.

– Die Studie ist keine Atomstudie sondern ein „Konzept für ein integriertes Energieforschungsprogramm für Deutschland“. Darin kommt naturgemäß die Atomenergie als Möglichkeit der Energieversorgung vor. Die Autoren der Studie beschreiben auch, dass die neuen AKWs der 4. Generation sicherer und effizienter sind, sodass weniger Uran verbraucht wird und am Ende weniger Atommüll anfällt. Das klingt alles recht begeistert und die Probleme mit der Endlagerung werden zwar angesprochen, aber imho nicht ausreichend stark gewichtet. Trotzdem: ein „unverhohlenes Plädoyer“ bzw. eine „Preisung“ neuer AKWs, wie von der FTD behauptet, erkenne ich darin nicht. Als mögliche Endlagerstätten werden – neben den Salzstöcken wie z.B. in Gorleben – auch „Tonsteinformationen“ erwähnt. Damit deutlich, dass die Beschränkung der Endlagersuche auf Salzstöcke eine politische und keine wissenschaftliche Gründe hat. Tonsteinsedimente gibt es auch in BaWü und vielleicht auch in anderen unionsregierten Ländern, die zwar Atomenergie toll finden, aber von einem Endlager in ihrem Bundesland nichts wissen wollen.
Neben der Atomkraft (5 von 61 Seiten) nehmen erneuerbare und fossile Energien und die Energieeffizienzsteigerung breiten Raum ein.

– Frau Schavan hält die Studie nicht unter Verschluss bis nach der Bundestagswahl, sondern die Institutionen, von denen die Studie erarbeitet worden ist, haben sich darauf verständigt, die Ergebnisse erst nach der Wahl (am 15. Oktober) vorzustellen, um eine möglichst ruhige Diskussion zu ermöglichen. Das klingt für mich plausibel, denn dass das Gutachten im Wahlkampf offenbar wirklich nicht sachlich diskutiert werden kann, zeigen ja jetzt die Reaktionen. Frau Schavan dürfte die Verschiebung der Gutachtenpräsentation allerdings ganz gelegen gekommen sein: eine Atom- und Endlagerdebatte kann die CDU nicht gebrauchen.
Von einer Verschlusssache kann auch deshalb keine Rede sein, weil eine Zusammenfassung („Executive Summary“) der Studie auf der Seite der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften einsehbar ist. (Nachtrag: Offenbar wurde die Studie erst nach der Diskussion gestern nachmittag online gestellt [siehe Kommentar Nr. 25 bei netzpolitik.org, leider nicht direkt verlinkbar])

Alles in allem ist das Gutachten, soweit man das aus der Zusammenfassung ablesen kann, nicht „brisant“ (aber interessant und diskussionswürdig, weil der Schwerpunkt imho zu wenig auf erneuerbaren Energie liegt) und mit Sicherheit keine Aufregung über eine vermeintliche „Atomstudie“ wert.

24h Berlin

Das Wochenende mit seinem schlechten, regnerischen Wetter bot sich ja geradezu an zum fernsehen. Das haben wir dann, neben Keller ausmisten, auch getan.
Auf Arte und dem RBB lief gestern 24 Stunden lang die Doku „24 h Berlin – Ein Tag im Leben „. Eine Dokumentation, 1440 Minuten lang, über einen Tag im Leben von Menschen in Berlin.

Die Doku zieht einen in den Bann. Der besondere Reiz an die 24-Stunden-Echtzeit-Doku ist die Gleichzeitigkeit des Guckens und die Handlung in der Doku selbst. Wenn es 10.30 Uhr in der Realität ist, ist es bei den Menschen in der Reportage auch gerade 10.30 Uhr. Faszinierend.

Auch ohne die Gleichzeitigkeit ist die Doku an sich ein Highlight. Der Film räumt den Protogonisten breiten Raum ein, beobachtet sie, lässt sie zu Wort kommen, hört ihnen zu, aber stellt sie nie bloß; die Kamera hat den Blick für Details. Die Off-Kommentare sind zurückhaltend, erklären die Szenerie oder die Location, fassen zusammen, leiten über. Es ist nie Gelaber. Und es sind gute Sprecher, besonders gefallen hat mir Axel Milberg mit seinem lapidar-ironischen Unterton.
Dazu kommt eine gute Musikuntermalung (auch wenn die chillige Synthie-Musik nicht jedermanns Geschmack treffen dürfte), die Szenen werden gut miteinander verwoben, statt schneller Schnitte gibt es eher lange Szenen. Zur Überleitung sehen wir Szenen aus der Stadt, Menschen die Auto oder Rad fahren, laufen, essen, trinken oder wir sehen Berlin aus der Vogelperspektive. Auch die halbstündlichen „Nachrichten“ mit den teilweisen kuriosen Statistiken lockern auf. Einzig die selbstgedrehten Videoclips hätte ich jetzt nicht haben müssen.

Alles in allem ist es eine sehr stimmige, sehr schöne Dokumentation eines Tages in Berlin und der Menschen in dieser Stadt geworden. Schön, dass Arte und der RBB für 24 Stunden ihr übliches Programmschema über den Haufen geworfen haben, um diese Doku zu zeigen.

Wer’s verpasst hat, kann ab heute abend auf RBB sechs mal je vier Stunden sehen. Oder es kann sich die Videostreams angucken, leider nur in mäßiger Bild- und Tonqualität. Hinweise auf eine DVD konnte ich bisher noch nicht finden.

Scheingefechte

Können wir uns bitte in diesem Wahlkampf noch einmal ernsthaften Themen zuwenden statt künstlich gemästete Säue durchs Dorf zu jagen?!
Also statt der zum Skandal aufgeblasenen Sache um Ulla Schmidts Dienstwagen und die 18-Illusionsprozentpunkte-Umfrage.

Es ist ja nicht so, dass uns die Themen fehlen. Explodierende Staatsverschuldung, Rezession, aller Voraussicht nach stark steigende Arbeitslosigkeit im kommenden Herbst bzw. nächsten Jahr, Afghanistan fliegt uns um die Ohren und das Banken- und Finanzsystems hat immer noch keine neuen Regeln verpasst bekommen, in unseren Ministerien sitzen Lobbyisten und schreiben ihre Gesetze selbst und am Horizont dräut noch der Klimawandel.

Steinmeiers „Deutschlandplan“ hätte ja als Diskussionsbeginn dienen können. Wir könnten mal darüber reden, wie wir in Zukunft leben wollen, wie wir dieses Ziel erreichen können. Aber nicht mal im Angesicht dieser Wirtschaftskrise schaffen es unsere Politiker, eine Vision von der Zukunft zu entwerfen und dafür zu werben. Hier böten sich Chancen, sich voneinander abzugrenzen und Menschen zu begeistern. Wenn von Obamas erfolgreichem Wahlkampf geredet wird, dann wird das gerne mal auf Social Networks und seine Onlinekampagne reduziert. Nein, Obama hatte erst eine Vision, konnte damit Menschen begeistern und dann haben sie ihn unterstützt. Das ganze Internetgedöns war dann nur Mittel zum Zweck.
Darum klappt auch der Onlinewahlkampf der deutschen Parteien nicht: keine Begeisterungsfähigkeit.

Und die Medien ziehen sich auch lieber auf Nebenkriegsschauplätze zurück, statt wichtige, relevante Themen zu recherchieren und verständlich aufzubereiten.