Ich bin nun sicherlich kein Freund der Atomenergie, aber man muss auch nicht gleich aus dem Häuschen geraten, wenn irgendwo das Stichwort Atomkraft fällt. Und erst recht muss man keinen Skandal aus etwas machen, das kein Skandal ist. So wie die Financial Times Deutschland (FTD) am gestrigen Mittwoch.
Angeblich hält Frau Schavan vom Bundesbildungsministerium eine „Atomstudie“ bis nach der Bundestagswahl zurück, weil ihr die Ergebnisse dieses „brisanten Gutachtens“ (mehr AKWs, Endlager in BaWü) nicht passen. Daran ist so ziemlich alles falsch.
– Die Studie ist keine Atomstudie sondern ein „Konzept für ein integriertes Energieforschungsprogramm für Deutschland“. Darin kommt naturgemäß die Atomenergie als Möglichkeit der Energieversorgung vor. Die Autoren der Studie beschreiben auch, dass die neuen AKWs der 4. Generation sicherer und effizienter sind, sodass weniger Uran verbraucht wird und am Ende weniger Atommüll anfällt. Das klingt alles recht begeistert und die Probleme mit der Endlagerung werden zwar angesprochen, aber imho nicht ausreichend stark gewichtet. Trotzdem: ein „unverhohlenes Plädoyer“ bzw. eine „Preisung“ neuer AKWs, wie von der FTD behauptet, erkenne ich darin nicht. Als mögliche Endlagerstätten werden – neben den Salzstöcken wie z.B. in Gorleben – auch „Tonsteinformationen“ erwähnt. Damit deutlich, dass die Beschränkung der Endlagersuche auf Salzstöcke eine politische und keine wissenschaftliche Gründe hat. Tonsteinsedimente gibt es auch in BaWü und vielleicht auch in anderen unionsregierten Ländern, die zwar Atomenergie toll finden, aber von einem Endlager in ihrem Bundesland nichts wissen wollen.
Neben der Atomkraft (5 von 61 Seiten) nehmen erneuerbare und fossile Energien und die Energieeffizienzsteigerung breiten Raum ein.
– Frau Schavan hält die Studie nicht unter Verschluss bis nach der Bundestagswahl, sondern die Institutionen, von denen die Studie erarbeitet worden ist, haben sich darauf verständigt, die Ergebnisse erst nach der Wahl (am 15. Oktober) vorzustellen, um eine möglichst ruhige Diskussion zu ermöglichen. Das klingt für mich plausibel, denn dass das Gutachten im Wahlkampf offenbar wirklich nicht sachlich diskutiert werden kann, zeigen ja jetzt die Reaktionen. Frau Schavan dürfte die Verschiebung der Gutachtenpräsentation allerdings ganz gelegen gekommen sein: eine Atom- und Endlagerdebatte kann die CDU nicht gebrauchen.
Von einer Verschlusssache kann auch deshalb keine Rede sein, weil eine Zusammenfassung („Executive Summary“) der Studie auf der Seite der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften einsehbar ist. (Nachtrag: Offenbar wurde die Studie erst nach der Diskussion gestern nachmittag online gestellt [siehe Kommentar Nr. 25 bei netzpolitik.org, leider nicht direkt verlinkbar])
Alles in allem ist das Gutachten, soweit man das aus der Zusammenfassung ablesen kann, nicht „brisant“ (aber interessant und diskussionswürdig, weil der Schwerpunkt imho zu wenig auf erneuerbaren Energie liegt) und mit Sicherheit keine Aufregung über eine vermeintliche „Atomstudie“ wert.
Jetzt ist ja angedacht die älteren Reaktoren schneller abzuschalten und dafür die neueren länger laufen zu lassen. Das klingt für mich ganz vernünftig, man sollte aber auch die Zusatzgewinne teilweise für Forschung etc. verwenden.
Das Grundproblem aber bleibt: Wohin mit dem Müll? Und dieses Problem wird noch verstärkt, wenn man die Meiler länger im Betrieb lässt. Wenn man schon die Gewinne irgendwohin umleiten möchte, dann bitte in den Bau eines Endlagers. Mit entsprechender technischer Betreuung und sicherheitstechnischer Betreuung für runde 100 Jahre (das ist nichts im Vergleich zu den Halbwertzeiten der dort eingelagerten Isotopen, wäre aber immerhin halbwegs realistisch umzusetzen) dürfte von den Gewinnen nichts mehr übrigbleiben. Eher im Gegenteil. Vielleicht verschwindet dann auch mal das Märchen vom billigen Atomstrom.