Der russische Fernsehsender RT hat seit Anfang dieses Monats einen deutschen Ableger: RTdeutsch. Die Aufregung ist groß, der Tonfall ist schrill. Das Label „Propaganda-Sender“ darf dabei nicht fehlen. RTdeutsch ist, wie der Muttersender auch, vom russischen Staat finanziert. Immerhin findet auch eine inhaltliche Auseinandersetzung in den Artikeln statt, indem Übertreibungen, Unwahrheiten und Aus-dem-Zusammenhang-reißen dargestellt werden. Lesenswert und unaufgeregt: Stefan Niggemeier hat für Krautreporter ein Mitglied der RTdeutsch-Redaktion interviewt und Telepolis interviewt Iwan Rodionow, den Chefredakteur des Senders.
Überrascht war ich, dass Netzpolitik.org kategorisch ausschließt, RTdeutsch Interviews zu geben. Man wolle sich „nicht instrumentalisieren“ und neben „irgendwelchen Rechtsaußen“ einordnen lassen. Das ist für mich überängstlich. Der Journalist Olaf Sundermeyer hat seinen Besuch als Interviewgast bei RTdeutsch in der FAZ dokumentiert und vorher ein paar Kollegen gefragt, was sie davon halten:
Ich frage Kollegen, ob ich meine journalistische Integrität verliere, wenn ich die Einladung annehme. Die Resonanz ist recht eindeutig: „Yes“ (BBC); „ja, oder du nutzt die Gelegenheit, denen zu sagen, was du von ihnen hältst“ (Netzwerk Recherche); „ja“ (rbb); „schwierig“ (NDR); „sehr schwierig“ (Deutsche Welle); „die Frage ist nicht, wer dich eingeladen hat, sondern was du sagst!“ (WDR).
Im Ernst? Ein Journalist verliert seine Reputation nicht nur durch das, was er sagt, sondern allein schon dadurch, wo er etwas sagt?! Warum das so ist, erklärt der Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen:
„Weil jeder Interviewpartner automatisch zum Teil der manipulativen Kreml-PR wird. Dessen muss sich jeder Studiogast bewusst sein und entscheiden, ob er das will oder nicht. Ich möchte das nicht“, sagt Christian Mihr.
Wodurch kommt der Automatismus denn zustande? Ist das eine Gesetzmäßigkeit oder eher so ein Branchending?
Woher kommt der Erfolg?
Woher kommt denn der Wunsch, dass es solche Sender gibt? Es gab sogar eine Petition dafür. Meiner Meinung nach rührt er daher, dass viele Menschen ein diffuses Gefühl haben, dass ihnen in den großen Fernsehsendern und Zeitungen nicht alles erzählt wird, dass es dort zu unkritisch zugeht („Medienverdrossenheit“). Das diffuse Gefühl speist sich dabei aus ganz konkreten Anlässen, zuletzt z.B. die doch eher einseitige und wenig komplexe Berichterstattung zur Ukraine-Krise. Man muss also kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um sich hier und da schlecht informiert zu fühlen. Ich empfinde den Journalismus auch als zu stromlinienförmig. Es wird in meinen Augen zu wenig in mehrere Richtungen recherchiert. Für das ganze Bild gibt es das Internet mit unzähligen Nachrichtenseiten und Blogs. Zur Zeit der Finanzkrise fühlte ich mich am besten durch Blogs informiert, Datenschutz und Netzpolitik findet im Mainstream auch wenig statt und wirtschaftspolitische Breite und Tiefe finde ich in Zeitungen auch nicht immer zu meiner Zufriedenheit. Meine Begeisterung und die vieler anderer für „Die Anstalt“ kommt ja daher, dass dort Dinge angesprochen werden, die nur selten in großen Medien zu sehen sind.
Der Erfolg von Nachrichtenseiten oder YouTube-Kanälen, die sich als Anti-Mainstream bezeichnen, ist im Grunde ein Versagen eben jener Mainstreammedien. Je einseitiger es dort zugeht, desto mehr Zulauf wird es woanders geben.
Besonders in den letzten Jahren wurden Doppelstandards bei unseren sog. westlichen Werten geschaffen: Geheimgefängnisse, Drohenkrieg, Guantanamo, komplette Überwachung des Internets – die Kritik daran ist dürftig und teilweise sind wir selbst mit dabei. Wir spielen guter Diktator, böser Diktator. Das sind offene Flanken. Wir machen uns damit unglaubwürdig, Journalisten machen sich damit unglaubwürdig.
Das, was ich von RTdeutsch bisher gesehen und gelesen habe, überzeugt mich nicht sonderlich. Mir ist das oft zu platt und einseitig. Aber ich habe auch nichts dagegen, dass der Sender sendet und ich würde ihn auch erstmal nicht als Propaganda-Sender diffamieren. Wenn es sich am Ende wirklich als Propaganda-Sender oder Sender für Rechtsaußen oder „komische“ Leute herausstellt, dann wird man das noch früh genug feststellen.
Nachtrag (03.12.14): Frank-Walter Steinmeier hat sich bei der Verleihung des Lead-Awards auch über mögliche Gründe des steigenden Glaubwürdigkeitsdefizits geäußert:
Vielfalt ist einer der Schlüssel für die Akzeptanz von Medien. Die Leser müssen das Gefühl haben, dass sie nicht einer einzelnen Meinung ausgesetzt sind. Reicht die Vielfalt in Deutschland aus? Wenn ich morgens manchmal durch den Pressespiegel meines Hauses blättere, habe ich das Gefühl: Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch.
Das Meinungsspektrum draußen im Lande ist oft erheblich breiter. Wie viele Redakteure wollen Steuersenkungen, Auslandseinsätze, Sanktionen? Und wie viele Leser? Sie müssen nicht dem Leser nach dem Munde schreiben, genauso wenig wie wir Politiker nur auf Umfragen starren sollten. Aber Politiker und Journalisten gleichermaßen sollten die Bedürfnisse ihrer Leser und Wähler nicht dauerhaft außer acht lassen.