Verteidigungsminister Guttenberg hat den Tanklasterangriff in Afghanistan als „militärisch nicht angemessen“ beurteilt. Den Mut, (s)eine Fehleinschätzung zu revidieren, muss man anerkennen. Außerdem hat Guttenberg diese Neubewertung auch dort verkündet, wo sie hingehört: im Bundestag (nicht vor der Presse oder in einem Interview oder in einen Hinterzimmergespräch).
Aaaber: die Neubewertung ist letztlich nur ein Ausprechen des Offensichtlichen. Guttenberg sagt zwar, er hat jetzt in Unterlagen gelesen, die ihm vorher vorenthalten worden sind und nach dem, was dort drin stand, stellt sich ihm der Vorgang anders dar als noch vor 4 Wochen. Das glaube ich nicht, das ist imho eine Schutzbehauptung, um die Kehrtwende begründen bzw. erklären zu können: die Tanklaster fuhren vom Bundeswehrstützpunkt Kunduz weg, saßen dann im Flussbett fest, keine unmittelbare Gefahr für die Bundeswehr, keine Soldaten verwickelt, zivile Opfer nicht auszuschließen. Dies alles spricht nach ISAF-Regeln gegen einen Luftschlag und trotzdem wurde er angeordnet. „Mit Kanonen auf Spatzen schießen“ fiele mir dabei als Bewertung ein – aber sicher nicht „militärisch angemessen“.
Guttenberg stellt sich mit dieser Neubewertung gegen seinen Amtsvorgänger und gegen die Bundeswehrführung: Jung und Generalinspekteur (GI) Schneiderhan hatten den Militärschlag als angemessen bezeichnet. Diese Diskrepanz zwischen GI Schneiderhan und Guttenberg ist meiner Meinung nach der eigentliche Grund für den Rausschmiss des GI.
Jetzt kriegen wir endlich einen Untersuchungsausschuss. Dazu wird sich der Verteidigungsausschuss in einen solchen umwandeln. Nachteil daran: der Aussschuss tagt in der Regel geheim. Die Opposition will diese Regel zu einer Ausnahme machen – wie bei einem gewöhnlichen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dieser Untersuchungsausschuss hat dann im wesentlichen 2 Fragen zu klären: was passierte in der Bombennacht und wer wusste hinterher wann von den Folgen.
Zwei Lügen und zwei Bomben
Bei Spiegel Online und beim ZDF gibt es zwei ziemlich detailierte, teils aber widersprüchliche Protokolle der Bombennacht. Daraus wird deutlich, dass es keinen Zeitdruck für den Bombeneinsatz gab, es war also keine Affekthandlung, in der schnell mal Fehler passieren. Zwischen der Nachricht, dass die Tanklaster auf der Sandbank festsitzen und dem Bombenabwurf liegen fast 4 Stunden, zwischen der visuellen Bestätigung der festgefahrenen LKWs und dem Bombenfall immerhin noch fast 2 Stunden (nach ZDF-Information gab es die visuelle Bestätigung sogar schon 2 Stunden früher als bei SpOn).
Dann wird von der Bundeswehr Luftunterstützung angefordert und es wird offenbar bestätigt, dass es Feindberührung (troops in contact) gäbe – was eine glatte Lüge ist, aber notwendige Voraussetzung für die Nutzung des close air support in Afghanistan.
Offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen der deutschen Seite und den F16-Piloten über Größe und Menge der Bomben. Außerdem empfahlen die US-amerikanischen Piloten fünfmal ein sogenanntes show of force als niedrige Eskalationsstufe, also ein Drüberdonnern mit den Kampfjets in niedriger Höhe, als Warnung an die Leute am Boden und um diese damit zu verscheuchen. Das wurde von deutscher Seite abgelehnt. Kurz vor dem Bombenabwurf kommt noch die Frage nach der unmittelbaren Bedrohung (imminent threat). Auch die wird – wahrheitswidrig – von deutscher Seite bejaht. Dann fallen die Bomben.
Die Entscheidungsstrukturen in der Nacht sind offenbar auch nicht ganz klar. Bisher stellt sich das alles so dar, dass nur Oberst Klein und ein Oberfeldwebel den Einsatz befehligt haben, Vorgesetzte oder andere Stellen waren nicht involviert. So richtig glauben kann ich das nicht. Im Artikel der Hannoverschen Allgemeinen werden ja mal wieder die KSK ins Gespräch gebracht. Sind die involviert, tauchen die in Berichten nicht auf. Aber auch ohne die KSK kann ich mir eine fehlende Rücksprache nicht vorstellen. Immerhin will man eine große Anzahl von Menschen töten, Zeit genug für Konsultationen war vorhanden, es bestand kein schneller Handlungsbedarf.
Gezielte Tötung?
Für mich stellt sich das Szenario mittlerweile so dar, dass eine große Anzahl von Menschen getötet werden sollte. Zumindest aber hat man eine große Opferzahl billigend in Kauf genommen und nichts unternommen, um die Opferzahl zu verringern. Selbst wenn man seitens der Bundeswehr davon ausgegangen war, dass sich vor Ort „nur“ Taliban befanden und man die gestrandeten Tanklaster als willkommenen honeypot gesehen hat, wäre das eine neue Qualität der Kriegsführung der Bundeswehr in Afghanistan. Dann möchte ich sehen, wie Guttenberg und Merkel vor dem Bundestag erklären, dass die gezielte Tötung von Taliban jetzt zum Auftrag der Bundeswehr dazugehören.
Wobei „gezielte Tötung“ eben bei solchen Luftschlägen Blödsinn ist. Eine Bombe unterscheidet nicht zwischen Taliban, freiwilligen Taliban-Anhängern, gezwungenen Taliban-Anhängern und einfachen Zivilisten. Es macht einfach nur Wumms und 140 Menschen sind tot.
Seltsam auch, dass nach der Bombardierung keiner nachguckte, was los ist und zum Ort des Geschehens fuhr. Erst gegen Mittag war die Bundeswehr vor Ort – als viele Spuren schon beseitigt waren.
Wer wusste wann was?
Und damit komme ich zur zweiten Frage, die der Untersuchungsausschuss zu klären hat: Wer wusste wann was. Es hieß ja hinterher, es seien keine Zivilisten zu Schaden gekommen, auch GI Schneiderhan hat das behauptet. Dabei gab es den Bericht der Feldjäger und andere Berichte, die ziemlich deutlich machen, dass es sehr wahrscheinlich zivile Opfer gab. Wurden diese Berichte wirklich dem damaligen Verteidigungminister Jung vorenthalten? Kam das entsprechende Refererat im Kanzleramt schon früh zum offensichtlichen Entschluss, dass der Bundeswehroberst nicht angemessen gehandelt hat? Das Dementi folgte zwar prompt, aber wie glaubhaft ist das? Oder wie es ein Journalist in der Pressekonferenz formulierte:
Da wird die Bundeswehr sozusagen in den schwerwiegendsten Konflikt verwickelt, den sie seit ihrer Gründung zu bestehen hatte, es liegt auf der Hand, dass vermutlich sogar Kinder von der Bundeswehr getötet worden sind, und dann interessiert sich im Bundeskanzleramt – ich sage es einmal grob – kein Schwein dafür, was eigentlich dahinter steckt.
Das „Wer wusste Wann Was“ ist zwar für die Presse interessanter, weil es dabei um Personen geht und vielleicht wird auch noch der ein oder andere Kopf rollen, aber das eigentlich wichtige des Untersuchungsausschusses ist meiner Meinung nach die Frage: Wie konnte es zu diesem Bombardement kommen? Wer hat das entschieden auf der Basis welcher Fakten und mit welcher Absicht?
Was mich auch wundert: Warum kommen die vielen Berichte und Recherchen in der Presse erst jetzt? Der Tanklasterangriff war am 3. September, also vor 3 Monaten. Der Spiegel stellt zwar die richtigen Fragen, aber warum erst jetzt? Warum nicht schon vor der Bundestagswahl? Gab es eine Beißhemmung, um das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten?
Wir werden sehen, was der Untersuchungsausschuss zu Tage fördert – und was davon an die Öffentlichkeit gelangt. Bisher kam ziemlich viel ans Licht und dafür, dass es am Anfang hieß, alles sei supi gelaufen, sind ziemlich viele Köpfe gerollt.
[Für das ganze Bild: eine Linkliste mit Originalquellen gibt es bei „Augen geradeaus!“]