Archiv für den Monat: Januar 2014

Snowden für Friedensnobelpreis nominiert

Edward Snowden wurde für den Friedensnobelpreis nominiert. Sollte er den Preis verliehen bekommen, wäre er damit nach Obama und der EU endlich mal wieder ein würdiger Träger den Preises gefunden und Snowden könnte dem Nobelpreis somit wieder seine Reputation zurückgeben.
Wichtiger noch: der Preis könnte Snowden schützen – vor Verfolgung, vor einem Schauprozess, vor dem Tod. Denn einen Friedensnobelpreisträger vergisst die Welt nicht so schnell und man geht mit ihm auch anders um. Snowden hatte ja im Interview mit dem NDR gesagt, dass er Rache der US-Geheimdienste befürchtet. Selbst die USA würden sich schwertun, einen Friedensnobelpreisträger „bei einem tragischen Unfall“ umkommen zu lassen oder ihn einem Schauprozess zu unterziehen.
Wie die USA mit Whistleblowern umgehen, wissen wir ja spätestens seit Chelsea (vormals Bradley) Manning.

EU verzichtet kurzsichtig auf die ambitionierte Klimaziele

Die EU lockert ihre ambitionierten Klimaziele und den Aufbau erneuerbarer Energien – weil es der Wirtschaft in der EU zur Zeit nicht so gut geht. Die Ökologie gegen die Ökonomie auszuspielen ist falsch und unklug, es ist kurzsichtig.

Schon in den „Grenzen des Wachstum“ wird dargelegt, dass die Kosten für das Umsteuern umso höher sind je länger man zögert. Das leuchtet auch ein: der „Zug“ Klimawandel setzt sich erst langsam in Bewegung und erhöht dann peu á peu die Geschwindigkeit. Je länger der Zug fährt, umso schneller wird er und umso kürzer wird die Strecke bis er gegen die Wand fährt. Will man ihn zum stehen bringen, muss man deshalb immer stärker bremsen. Das heißt, der Umbau der Wirtschaft – um den man über kurz oder lang nicht herum kommt – ist dann in kürzerer Zeit zu bewerkstelligen. Kürzer heißt dann auch, dass der Umbau hektischer geschehen muss und Anpassungsprozesse nicht die Zeit bekommen, die sie benötigen, um auf Akzeptanz zu stoßen und kontrolliert ablaufen zu lassen.
Je länger man wartet, umso teurer wird es also: zum einen fallen Kosten als Folgen des Klimawandels an (z.B. Schäden durch Stürme, Überschwemmungen, Starkregen, Hitzeperioden etc.), zum anderen ist gleichzeitig der Umbau zu stemmen, der in kürzerer Zeit und dadurch mit mehr Geld umgesetzt werden muss.

Ökonomisch könnte außerdem Europa (und insbesondere Deutschland) eine Vorreiterrolle einnehmen. Der Umbau auf eine nachhaltige Wirtschaft steht allen bevor, egal ob der Klimawandel kommt oder nicht: schlicht deshalb, weil die Rohstoffe endlich sind und es ein „weiter so“ nicht geben kann. Stattdessen könnten wir in Europa die Produkte, die Ideen, die Maschinen und Technologien liefern, die in naher Zukunft überall in der Welt benötigt werden. Das klingt doch nach einem guten Geschäftsmodell.

Eine andere Lesart: die Abkehr von den Klimazielen ist eine fatalistisch-realistische Politik der EU. Wenn der Klimawandel eh nicht mehr aufzuhalten ist und jede Zurückhaltung der EU ohne die USA und die BRICS-Staaten für den Klimaschutz nichts bringt, dann feiert man die Party weiter, bis der Kahn halt sinkt. So kann wenigstens noch eine Generation so weiter machen wie bisher und wer weiß, wer weiß, vielleicht passiert noch ein Wunder und man hat dann umsonst Wasser gegen den Schampus eingetauscht.

Regierungen werden die Geheimdienste nicht einschränken

Obama will also seinen Geheimdienst nicht an die Kette legen und die Reformen haben eher kosmetischen Charakter. Hat jemand etwas anderes erwartet? Und was ist eigentlich mit den Briten und deren Lauschereien? Fragt eigentlich mal jemand – sozusagen über den kurzen EU-Dienstweg – bei David Cameron nach, ob er seinem Geheimdienst das Spionieren verbieten wird? Die Antwort wäre die gleiche wie die von Obama.

Regierungen – egal welche – sind auf keinen Fall bereit, auf einen Geheimdienst, auf einen Nachrichtendienst, der ihnen direkt unterstellt ist und der sich weitgehend parlamentarischer und erst recht öffentlicher Kontrolle entzieht, zu verzichten. Sie werden sich dieses Instrument exekutiver Macht nicht wegnehmen lassen. Mehr zu wissen als der (politische) Gegner – darauf verzichtet keiner freiwillig.

Die deutsche Bundes- und die Landesregierungen machen es übrigens nicht anders. Wir haben ja unseren eigenen Geheimdienstskandal, der sich in nur einem Vokal vom amerikanischen unterscheidet: die NSU-Affäre. Eine unglaubliche Aneinanderreihung von Unfähigkeiten und Ekligkeiten tritt dort zutage. Da gärt und fault es gewaltig in der geheimen Dunkelheit. Die Aufklärung ist unendlich schwierig, Verfassungsschutz und Regierung mauern, wo sie nur können. War man auf dem rechten Auge blind? Mag sein, aber die Unfähigkeit setzt sich ja nahtlos in der NSA-Affäre fort: internationale Geheimdienste spionieren offenbar an unseren Geheimdiensten, deren Aufgaben eben auch die Spionageabwehr ist, vorbei. Entweder war das Unfähigkeit oder man wusste davon und wollte nichts verhindern – was spätestens mit dem Abhören des Kanzlerhandys als unwahrscheinlich gelten darf.

Was für Konsequenzen folgen daraus? So gut wie keine. Oder anders gesagt: Genausoviel, wie Obama jetzt verspricht: kosmetische Veränderungen an den Geheimdiensten und am Führen von V-Leuten, hier und da werden Leute ausgewechselt, ein Geheimdienstinsider soll im Kanzleramt die Geheimdienste besser koordinieren (was auch immer das heißen mag) und das Parlamentarische Kontrollgremium soll (!) mehr Kompetenzen bekommen. Das System als solches wird hingegen kaum – abseits von Teilen der Grünen und Linken – in Frage gestellt. Die Auflösung der unnützen und sogar schädlichen Dienste wird nicht mal ernsthaft diskutiert. Eine Demokratrisierung, die durchgängige Transparenz – was faktisch einer Abschaffung von Geheimdiensten gleich käme – steht seitens der Regierung und der sie stützenden Parteien im Bundestag auch nicht zur Debatte. Auch das Nichtreagieren der Regierung in dieser Sache erklärt sich dadurch, dass man die Schnüffelei in der Tat nicht sooo schlimm findet und die ganze Aufregung in (Teilen) der Bevölkerung nicht nachvollziehen kann. Als Exekutive macht man das nämlich jeden Tag selbst und kriegt regelmäßig die Berichte zu lesen.

Die ganze Diskussion um die NSA ist unehrlich. Einerseits will man von Regierungsseite überhaupt keine Affäre sehen und hält alles für mehr oder weniger unbewiesene Behauptungen und nutzt dieses Argument ja auch, um zu erklären, warum man sich so handzahm gegenüber den USA gibt. Andererseits stellt man die eigenen Geheimdienste nicht in Frage, mault aber rum, wenn Obama seine Geheimdienste nicht einschränken will. Freiwillig wird keine Regierung ihr letztes unreguliertes und nahezu unkontrolliertes Spielzeug hergeben. Das werden wir als Bürger uns erstreiten und erkämpfen müssen.

Familien(un)freundlichkeit 2014

Wie es um die Familienfreundlichkeit in Deutschland aussieht, konnte ich in den letzten Tagen anhand drei Nachrichten und der Reaktion darauf erkennen. Zuerst kündigte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel an, einen Nachmittag in der Woche für die Familie freizunehmen, dann machte die neue Familienministerin Manuela Schwesig den Vorschlag, Eltern zukünftig leichter und mit Steuergeldern subventioniert eine Teilzeitarbeit zu ermöglichen und die ewige Familienministerin und neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen möchte die Bundeswehr familienfreundlicher gestalten, u.a. auch mit mehr Teilzeitmöglichkeiten.

Jeder Vorschlag an sich ist nicht sonderlich spektakulär und man kann sicher so oder so dazu stehen. Was mich aber wirklich entsetzt hat, sind die Reaktionen darauf im Spiegel-Online-Forum (nachzulesen direkt unter den oben verlinkten Artikeln). Klar, sollte man Forenmeinungen nicht überbewerten, aber ich halte so ein großes Leserforum für irgendwie repräsentativ. Nehmen wir mal die Meinungen zum Schwesig-Vorschlag: Die überwiegende Mehrheit (zumindest auf den ersten Seiten, danach habe ich nicht mehr weitergelesen) ist der Überzeugung, dass für Familien eh schon zuviel Geld ausgegeben, sonstwie zu viel getan wird und ausgefallene Arbeitszeit durch Teilzeit oder Krankkeit der Kinder nur zulasten der Kollegen gehen, die dann diese Arbeit noch miterledigen müssen. Und überhaupt ist das ja alles total realitätsfremd. Wer Karriere machen will, der muss halt mindestens 40 Stunden arbeiten, sonst geht das überhaupt nicht, auf so Teilzeitkollegen ist ja auch kein Verlass, die sind ja gar nicht permanent erreichbar.

Spiegel Online bezeichnet Gabriel wegen einem (!) freien Nachmittag (!!) in der Woche (!!!) als „Vizekanzler in Teilzeit“. Ich hätte jetzt eher erwartet, dass Kommentare kommen, dass ein Nachmittag in der Woche das Kind von der Kita abzuholen ein bisschen dürftig ist als Vateraufgabe. Das ist jedenfalls meine Meinung. Ich würde einen Nachmittag in der Woche für mein Kind als viel zu wenig empfinden. Die Meinung im Forum ist aber genau anders: Gabriel sei priviligiert (als Politiker und Beschäftigter im öffentlichen Dienst) und nur deshalb sei sowas überhaupt möglich, in der Privatwirtschaft und erst recht bei Führungskräften dürfe es sowas gar nicht geben. Man wirft Gabriel eine laxe Einstellung zum Job vor, der nicht bereit ist, „alles“ für seinen Job zu geben.

Ja, natürlich ist diskriminierungsfreie Teilzeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch eher die Ausnahme als die Regel, sonst würde es ja nicht diese Aktionen und Initiativen geben. Und es würden sich nicht auch soviele Menschen genau das wünschen – sondern würden es längst machen. Für mich ist das Maulen nichts weiter als Denkfaulheit: ein 40-Stunden-Vollzeitjob ist die Norm, alles andere nur ein Kompromiss. Und diese Denkfaulheit kommt offenbar von Leuten, die eben keine Kinder haben. Wenn wir an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nichts ändern, könnte ein Phänomen zum Problem werden: die, die Karriere machen und dann die Entscheidungsträger sind, haben keine Kinder und treffen dann Entscheidungen – in der Politik und in Unternehmen – die eben an den Bedürfnissen der anderen vorbeigehen – denen mit Kinder.

Denkfaulheit ist es auch deshalb, weil Teilzeit eine Frage der Organisation ist. Der Tag hat 24 Stunden, der Vollarbeitstag „nur“ 8 Stunden und trotzdem gibt es bestimmte Bereiche, die rund um die Uhr funktionieren müssen: z.B. Polizei, Krankenhäuser, Tankstellen. Also muss das organisiert werden. Sowas lässt sich auch organisieren, egal ob die Mitarbeiter nun 40, 30 oder 20 Stunden in der Woche arbeiten. Teilzeit für Soldaten sei Quatsch, heißt es dann, schließlich kann keiner nach 4 Stunden die Waffe fallen lassen. Nein, natürlich nicht. Aber bisher lässt auch kein anderer Soldat mit einer 40-Stunden-Woche nach exakt 8 Stunden die Waffe fallen und kein Polizist tut sowas und kein Chirurg lässt das Skalpell fallen. Es sind ja nur Durchschnittszeiten. Wenn längere Zeiten an einem Tag nötig werden, dann sind halt die freien Tage danach auch länger. Wo ist das Problem?!
Ich weiß auch nicht, woher die Vorstellung kommt, man könne mit z.B. 30 Wochenstunden keine so gute Leistung erbringen, dass man Karriere machen kann. Diese 40 Stunden sind doch nicht als letzte Weisheit vom Himmel gefallen und stehen in Stein gemeißelt für die Ewigkeit, das ist eher eine willkürlich Norm (bzw. genaugenommen ist es geschichtlich gesehen eine gewerkschaftlich und politisch erkämpfte Abeitszeitreduktion). Aber diese 40 Stunden stehen nicht selten einem angenehmen Familienleben im Weg.

Es muss da einen gesellschaftlichen Wandel im Denken geben. Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss zum Normalfall werden, mit reduzierter Arbeitszeit und beruflicher Weiterentwicklung auch wenn man sich weiterhin um seine Kinder kümmern möchte – was nun mal Zeit beansprucht. Mit Homeoffice und Vernetzung wäre die Organisation der Arbeit auch so einfach wie nie.
Andere gehen noch weiter und fordern gleich eine grundsätzliche Reduktion der Normarbeitszeit hin zu einer 30-Stunden-Woche. Das würde sicherlich einiges entschleunigen. Aber das wäre ein eigenständiger Blogeintrag wert.