Wenn Journalisten was von Genen oder Genetik oder Molekularbiologie schreiben, sind Superlative meist nicht weit weg. Entweder kommt dann der blanke Horror auf uns zu oder die Lösung für nahezu alle unsere Probleme. Fast immer beruhen solche Artikel dann auf schlichter Unwissenheit.
So ließ Frank Schirrmacher im Jahre 2000 sechs Seiten des FAZ-Feuilletons völlig sinnbefreit mit wilden Kombinationen von A, T, C und G bedrucken : ATCG sind die Basen der DNA und das menschliche Genom stand kurz davor, durchsequenziert (fälschlich „entschlüsselt“ genannt) zu werden. Schirrmacher Begeisterung war so groß, dass er einen Teil der menschlichen Basensequenz auf totes Holz drucken ließ.
Auf der DLD-Konferenz 2008 (DLD = digital, life, design) in München vor ein paar Tagen ging es auch um die Firma 23andMe. Christian Stöcker von Spiegel Online war auch vor Ort und hat sich begeistern lassen. Stöcker, der sonst vor allem über IT-Themen schreibt, hat Psychologie studiert und dann in Kulturkritik oder sowas promoviert .
So als schreibt Stöcker einen ziemlich begeisterten Artikel über 23andMe. Erst am Ende wird ein Konkurrenzprodukt erwähnt und schließlich auch noch ein wenig Kritik nachgeschoben. Dass aber beim heutigen Stand der Wissenschaft eine Genanalyse mit vermeintlichen Risikofaktoren vor allem nutzlose, möglicherweise aber angstverursachende Informationen darstellen und dass das Angebot in erster Linie Geldschneiderei sein könnte, davon erfährt man nichts.
Das Angebot von 23andMe suggeriert, als gäbe es von bestimmten Krankheitsbildern einen ganz bestimmten genetischen Fingerabdruck, den man nur zu suchen brauchte. Dem ist aber nicht so. Unser heutiges Wissen über die molekularen und genetischen Ursachen von Krankheiten sind sehr begrenzt. Publizierte Risikofaktoren für bestimmte Krankheiten sind aus verschiedenen Gründen mit großer Vorsicht zu genießen:
- Auch wenn in einer Studie ein Teil der Kranken einen bestimmten Gendefekt hat, ist der Umkehrschluss, dass das defekte Gen zu dieser Krankheit führt, nicht erlaubt. Dieses defekte Gen wird dann meist als Risikofaktor angesehen. Wie stark dieser Faktor ist, lässt sich schwer sagen.
- Wechselwirkungen von mehreren Faktoren lassen sich bisher nicht vorhersagen. Ebensowenig der Einfluss von externen Faktoren wie Ernährung, Bewegung, Stress etc.
Mit diesem Pool von unsicheren Daten möchte 23andMe arbeiten.
Guckt man sich die Webseite an, nimmt ein Teil einen großen Raum ein: Vererbungsanalyse. Wieviele Gene habe ich von meiner Mutter, welche von meinem Opa, wer sind meine früheren Vorfahren etc. Und eben auch die persönliche Risikoanalyse für bestimmte Krankheiten. Aufgrund der oben beschriebenen Probleme, läuft die Auswertung darauf hinaus, dass sie nutzlos sein wird, noch dazu für knappe 1000 US-Dollar.
Zu einem ganz ähnlichen Fazit kommen auch die Kollegen bei Plazeboalarm .
Nichtsdestotrotz hat sich aber Christian Stöcker zu einem weiteren Jubelartikel („Jetzt beginnt die Gen-Revolution“) inspirieren lassen. In diesem ruft er 2008 zu dem Jahr aus, „in dem vier Buchstaben [A, T, C und G – die Basen der DNA] endgültig die Herrschaft über die Medizin“ übernehmen. „Das Genomzeitalter hat begonnen.“ Ahja, gut zu wissen.
Das ist natürlich Quatsch. Das Genomzeitalter hat in der Forschung bereits vor einigen Jahren begonnen. In der praktischen Medizin allerdings – also in der Diagnostik und der Behandlung – spielt das Genom eine vernachlässigbare Rolle (bis auf die Diagnose von bestimmten Erbkrankheiten). Daran wird sich auch so bald nichts ändern. Bisher wurden noch keine DNA-Fingerabdrücke für Krankheiten gefunden, das wird sich so schnell nicht ändern, dafür ist das Wissen zu fragmentiert, zu lückenhaft. Die Gentherapie zur Behandlung von Krankheiten ist noch in einem frühen Experimentierstadium – wie schon seit Jahren.
Ob nun der Hausarzt oder der Arzt an der Uniklinik, beide werden sich auch in 2008 nur sehr wenig für das Genom eines Patienten interessieren.