Vertane Chance. Das Jahr beginnt hoffnungsvoll: Barack Obama wird US-Präsident und die (wirtschafts-)konservative FAZ bringt eine Serie zur Zukunft des Kapitalismus. Auch sonst wird viel über den Kapitalismus geredet und geschrieben. Tenor: So wie bisher geht es nicht weiter, kann es nicht weitergehen. Es schien, als hätte man begriffen, dass der Markt dem Menschen zu dienen habe und nicht umgekehrt.
Die Finanz- und später dann die Wirtschaftskrise schwappte aus dem Jahr 2008 ins vergangene Jahr rein. Die Geldwirtschaft stand am Abgrund, es erfolgte die Rettung durch Staat und Gesellschaft (vulgo: Steuerzahler). Genau der Staat, sich zuvor aus immer mehr Bereichen heraushalten sollte, musste nun einspringen und hunderte Milliarden ausgeben, weil Bankster sich mit „Wert“papieren verzockt hatten, die sie selbst nicht verstanden hatten und deren Risiko keiner mehr einschätzen konnte.
Doch dann: im Laufe des Jahres erholten sich die Banken aufgrund der Staatsgarantien und des zinslosen Geldes der Zentralbanken wieder. Die Regierungen versäumten es, den Banken im Gegenzug zur milliardenteuren Rettung klare Regeln aufzuzwingen. Mittlerweile machen die Banken ähnlich weiter wie wie bisher. Aber eins haben sie gelernt: sie können nicht pleite gehen, sie sind too big to fail. Was bisher nur ein Postulat war, wurde jetzt zur Gewissheit. Die politische Konsequenz daraus aber fehlt: Entweder dürfen Banken nicht mehr so groß werden, dass ihre Pleite weitere Kreise zieht oder sie müssen so streng reguliert werden, dass eine Pleite faktisch ausgeschlossen wird.
Eine Branche ist erstaunlich gut weggekommen: die Ratingagenturen. Sie haben mit ihren Bewertungen erst dafür gesorgt, dass diese Spekulation in diesem Ausmaß überhaupt möglich war. Änderungen am Ratingwesen? Fehlanzeige.
Zusammen mit der Diskussion um einen gezähmten Kapitalismus und dem bevorstehenden Klimawandel schien es für mich als würde es tatsächlich in Richtung Nachhaltigkeit gehen.
Doch bisher hat sich nicht viel bewegt: der Klimagipfel in Kopenhagen war ein Reinfall und aus den Löchern kommen jetzt wieder die Quacksalber, die uns marktliberale Reformen aufschwatzen wollen. Symptomatisch dafür: das sog. „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ der schwarz-gelben Bundesregierung – als wenn uns beschleunigtes Wachstum langfristig vor irgendetwas retten könnte. Chance vertan.
Hoffnung. Die heftige Debatte um die Internetsperren von Zensursula waren die Initialzündung: es entstand eine politische Bewegung im Netz. Mit Demonstrationen und einer erfolgreichen (aber vom Bundestag vorerst ignorierten) Petition und vielen Debatten im Netz. Außerdem wurde eine neue Partei an die Oberfläche gespült und erstmals sichtbar: die Piratenpartei. Der Anfang einer neuen Bewegung, geboren im Netz? Mal gucken, wohin es mit der Piratenpartei geht, ob man diese Bewegung verstetigen kann. Ich bin gespannt.
Prägendstes Buch. Das war in diesem Jahr das Buch „Grenzen des Wachstums – Das 30-Jahre-Update“ von Dennis Meadows. Es ist kein apokalyptisches Buch, aber ein sehr eindringliches. Wir unterschätzen die Wucht des exponentiellen Wachstums und der Markt ist blind für Vorgänge in der Natur.
Ebenfalls gut: „Wie wir arbeiten werden“: Der Weg in die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, bedingsloses Grundeinkommen, neue Formen der Arbeit, Erwerbsarbeit allein wird nicht die Zukunft sein.
Enttäuschendstes Buch. „Gescheitert: Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert“ von Heiner Flassbeck. Zuviel Rechthaberei, zuviel „hab ich ja schon immer gewusst/gesagt“, Flassbeck ist weiterhin in der Wachstumideologie gefangen. Außerdem wird die Titelfrage nicht beantwortet. Schade, ich hatte mehr erwartet.
Erkenntnis. Kapitalismus ist ein Schneeball-, Kettenbriefsystem bzw. Pyramidenspiel.