Archiv für den Monat: November 2014

RTdeutsch – Wovor habt ihr Angst?

Der russische Fernsehsender RT hat seit Anfang dieses Monats einen deutschen Ableger: RTdeutsch. Die Aufregung ist groß, der Tonfall ist schrill. Das Label „Propaganda-Sender“ darf dabei nicht fehlen. RTdeutsch ist, wie der Muttersender auch, vom russischen Staat finanziert. Immerhin findet auch eine inhaltliche Auseinandersetzung in den Artikeln statt, indem Übertreibungen, Unwahrheiten und Aus-dem-Zusammenhang-reißen dargestellt werden. Lesenswert und unaufgeregt: Stefan Niggemeier hat für Krautreporter ein Mitglied der RTdeutsch-Redaktion interviewt und Telepolis interviewt Iwan Rodionow, den Chefredakteur des Senders.

Überrascht war ich, dass Netzpolitik.org kategorisch ausschließt, RTdeutsch Interviews zu geben. Man wolle sich „nicht instrumentalisieren“ und neben „irgendwelchen Rechtsaußen“ einordnen lassen. Das ist für mich überängstlich. Der Journalist Olaf Sundermeyer hat seinen Besuch als Interviewgast bei RTdeutsch in der FAZ dokumentiert und vorher ein paar Kollegen gefragt, was sie davon halten:

Ich frage Kollegen, ob ich meine journalistische Integrität verliere, wenn ich die Einladung annehme. Die Resonanz ist recht eindeutig: „Yes“ (BBC); „ja, oder du nutzt die Gelegenheit, denen zu sagen, was du von ihnen hältst“ (Netzwerk Recherche); „ja“ (rbb); „schwierig“ (NDR); „sehr schwierig“ (Deutsche Welle); „die Frage ist nicht, wer dich eingeladen hat, sondern was du sagst!“ (WDR).

Im Ernst? Ein Journalist verliert seine Reputation nicht nur durch das, was er sagt, sondern allein schon dadurch, wo er etwas sagt?! Warum das so ist, erklärt der Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen:

„Weil jeder Interviewpartner automatisch zum Teil der manipulativen Kreml-PR wird. Dessen muss sich jeder Studiogast bewusst sein und entscheiden, ob er das will oder nicht. Ich möchte das nicht“, sagt Christian Mihr.

Wodurch kommt der Automatismus denn zustande? Ist das eine Gesetzmäßigkeit oder eher so ein Branchending?

Woher kommt der Erfolg?

Woher kommt denn der Wunsch, dass es solche Sender gibt? Es gab sogar eine Petition dafür. Meiner Meinung nach rührt er daher, dass viele Menschen ein diffuses Gefühl haben, dass ihnen in den großen Fernsehsendern und Zeitungen nicht alles erzählt wird, dass es dort zu unkritisch zugeht („Medienverdrossenheit“). Das diffuse Gefühl speist sich dabei aus ganz konkreten Anlässen, zuletzt z.B. die doch eher einseitige und wenig komplexe Berichterstattung zur Ukraine-Krise. Man muss also kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um sich hier und da schlecht informiert zu fühlen. Ich empfinde den Journalismus auch als zu stromlinienförmig. Es wird in meinen Augen zu wenig in mehrere Richtungen recherchiert. Für das ganze Bild gibt es das Internet mit unzähligen Nachrichtenseiten und Blogs. Zur Zeit der Finanzkrise fühlte ich mich am besten durch Blogs informiert, Datenschutz und Netzpolitik findet im Mainstream auch wenig statt und wirtschaftspolitische Breite und Tiefe finde ich in Zeitungen auch nicht immer zu meiner Zufriedenheit. Meine Begeisterung und die vieler anderer für „Die Anstalt“ kommt ja daher, dass dort Dinge angesprochen werden, die nur selten in großen Medien zu sehen sind.

Der Erfolg von Nachrichtenseiten oder YouTube-Kanälen, die sich als Anti-Mainstream bezeichnen, ist im Grunde ein Versagen eben jener Mainstreammedien. Je einseitiger es dort zugeht, desto mehr Zulauf wird es woanders geben.
Besonders in den letzten Jahren wurden Doppelstandards bei unseren sog. westlichen Werten geschaffen: Geheimgefängnisse, Drohenkrieg, Guantanamo, komplette Überwachung des Internets – die Kritik daran ist dürftig und teilweise sind wir selbst mit dabei. Wir spielen guter Diktator, böser Diktator. Das sind offene Flanken. Wir machen uns damit unglaubwürdig, Journalisten machen sich damit unglaubwürdig.

Das, was ich von RTdeutsch bisher gesehen und gelesen habe, überzeugt mich nicht sonderlich. Mir ist das oft zu platt und einseitig. Aber ich habe auch nichts dagegen, dass der Sender sendet und ich würde ihn auch erstmal nicht als Propaganda-Sender diffamieren. Wenn es sich am Ende wirklich als Propaganda-Sender oder Sender für Rechtsaußen oder „komische“ Leute herausstellt, dann wird man das noch früh genug feststellen.

Nachtrag (03.12.14): Frank-Walter Steinmeier hat sich bei der Verleihung des Lead-Awards auch über mögliche Gründe des steigenden Glaubwürdigkeitsdefizits geäußert:

Vielfalt ist einer der Schlüssel für die Akzeptanz von Medien. Die Leser müssen das Gefühl haben, dass sie nicht einer einzelnen Meinung ausgesetzt sind. Reicht die Vielfalt in Deutschland aus? Wenn ich morgens manchmal durch den Pressespiegel meines Hauses blättere, habe ich das Gefühl: Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch.

Das Meinungsspektrum draußen im Lande ist oft erheblich breiter. Wie viele Redakteure wollen Steuersenkungen, Auslandseinsätze, Sanktionen? Und wie viele Leser? Sie müssen nicht dem Leser nach dem Munde schreiben, genauso wenig wie wir Politiker nur auf Umfragen starren sollten. Aber Politiker und Journalisten gleichermaßen sollten die Bedürfnisse ihrer Leser und Wähler nicht dauerhaft außer acht lassen.

Die Grünen und ihr Problem, keine Verzichtspartei mehr sein zu wollen

Im Zuge des Parteitages lese ich gerade öfter, dass der geplante Veggieday für das schlechte Abschneiden der Grünen bei der letzten Bundestagswahl verantwortlich war. Ich halte das für großen Quatsch. Der Veggieday – also ein fleischloser Tag in der Kantine pro Woche – war nur der Aufhänger, dass die Presse den vermeintlich „wahren“ Charakter der Grünen als Verbotspartei anprangern konnte: Seht her, die Grünen gönnen euch euer Schnitzel/eure Currywurst nicht mehr. Im Sommerloch 2013 fiel das dann auf fruchtbaren Boden, die Medien hatten ein Thema und die Grünen waren mit der Kampagne überfordert. Wohl kaum einer hatte damit gerechnet, dass diese Forderung so ein Aufregerthema werden könnte. Allerdings halte ich die Wahlniederlage durch den Veggieday als Thema für eine Legendenbildung, vielmehr war es die Art und Weise, wie der Veggieday als reine Verbotsdebatte geführt wurde, ohne die Idee dahinter zu thematisieren.
Mich als langjährigen Grünenwähler hatten bei der letzten Wahl grün-schwarze Planspiele abgeschreckt. Ich wollte Merkel abwählen, nicht ihr mit Hilfe der Grünen eine weitere Legislatur ermöglichen. Andere haben sich vielleicht von Steuerplänen (z.T. Erhöhungen) abschrecken lassen. Wodurch auch immer, am Ende haben die Grünen 8,4% bei der BTW 2013 geholt. Damit liegt man am unteren Ende der letzten Bundestagswahl und wohl so ziemlich auf Stammwählerniveau. Aber – und das ist aus Sicht der Grünen wohl das traumatische daran – weit unter den Umfrageergebnissen Monate und Jahre davor. Mitte 2011 waren die Grünen bei etwa 25% (Fukushima-Bonus), Mitte Juli – zwei Monate vor der Wahl – stand man noch bei knapp 15%.

Nach ihrem Parteitag ist den Grünen das Essverhalten des Einzelnen „egal“:

Michael Kellner distanzierte sich deutlich vom Image der Verbotspartei: „Es soll niemandem befohlen werden, wie sie oder er zu leben hat. Wir Grüne diskutieren über gute Regeln, anstatt auf autoritäre Gebote zu setzen.“ Der Fokus liege dabei auf einer Veränderung der Strukturen und nicht des individuellen Verhaltens. […]

Eine knappe Abstimmung gab es zum Umgang mit dem Veggie-Day. Der Bundesvorstands formulierte in seinem Leitantrag, „ob jemand am Donnerstag Fleisch isst oder nicht, ist uns völlig egal.“ Rhea Niggemann aus dem KV Neukölln forderte diese Formulierung zu streichen, weil die hinter dem Veggie-Day stehende ökologische Überzeugung nach wie vor richtig sei. Toni Hofreiter betonte in seiner Gegenrede, dass der Veggie-Day die politische Auseinandersetzung auf die Verbraucher verlagern würde. Wichtiger sei es hingegen, ökologische Standards gegenüber der Industrie und den großen Konzernen durchzusetzen.

Strukturen ändern statt das Individuum zu verändern. Da wird für mich ein Widerspruch aufgebaut, wo keiner ist. Schlimmer: der Einzelne kann sich somit zurücklehnen und schiebt es auf „die Strukturen“. Aber ohne das Handeln des Einzelnen wird es nicht gehen, auch der kann Strukturen verändern: Macht des Verbrauchers und so. (Um nicht missverstanden zu werden: die Strukturen müssen selbstverständlich geändert, mich stört nur das entweder-oder bzw. das lieber-so-als-so.)
Am Beispiel Fleisch und Veggiday könnte man es folgendermaßen durchdeklinieren: Weil die Forderung auf Fleischverzicht so schlecht ankommt, ändern wir jetzt die Strukturen der Lebensmittelerzeugung. Dadurch wird Fleisch teurer und man kann sich seinen Konsum seltener leisten als vorher. Ergebnis ist das gleiche, nur konnte man für das Gemüse auf dem Teller vorher die Grünen direkt verantwortlich machen, jetzt ist es „das System“.

Das gute daran: am Ende ist das Ergebnis das gleiche – der Fleischkonsum ist geringer. Das schlechte daran: nicht mehr die Grünen werden dafür verantwortlich gemacht, sondern die dahinter liegenden Strukturen. Was das bedeutet, sieht man an der Energiewende. Weil die Preise um ein paar Cent steigen – was vorauszusehen war -, steht plötzlich das Image des Atomausstiegs auf der Kippe, die Energiewende wird madig gemacht und teilweise in Frage gestellt. Obwohl es der richtige Weg ist und angesichts der Endlichkeit fossiler Brennstoffe, dem Klimawandel und der unlösbaren Probleme bei der Kernkraft praktisch alternativlos ist.

Die Grünen waren immer eine Verzichtspartei. Die Grünen haben immer gesagt, wir können nicht so weiter machen wie bisher, wir müssen da umsteuern. Mehrheitsfähig war das noch nie. Die wenigstens hören gerne, dass ihr Lebensstil nicht nachhaltig ist*.
Verbote ziehen aber häufig eine Abwehrhaltung nach sich. Darum ist der Verzicht auf Verbote und Bevormundung sicher nicht ganz falsch und man kann unter Umständen sogar mehr erreichen – mehr Menschen und mehr Ziele. Besser wäre es, eine Idee zu entwickeln, im weiteren Sinne eine Vision zu entwerfen, wofür das ganze gut sein soll. Beispiel Energiewende: Deutschland könnte der Vorreiter für etwas sein, dass alle anderen noch vor sich haben. Wir könnten uns autark in Sachen Energie machen. Beispiel Verzicht aufs Auto: mit ÖPNV und Fahrrad ist man in der Stadt häufig schneller unterwegs. Gesünder ist es auch, weil man sich mehr bewegt. Beispiel Fleischverzicht: den Viecher tut eine weniger intensive Landwirtschaft gut, der Umwelt tut es gut und dem Menschen unter Umständen auch, besonders denjenigen, die ohnehin zuviel essen.

* Nette Anekdote am Rande: Eine Umfrage will herausgefunden haben, dass gerade Anhänger der Grünen am häufigsten das Flugzeug zu nutzen – das aus Klimasicht ungünstigste Verkehrsmittel.

Merkel: Kein too big to fail mehr

Für’s Protokoll: Ab sofort gibt es keine Banken mehr, die too big to fail sind. Hat die Merkel gesagt beim G20-Gipfel in Brisbane:

Nie wieder wird es notwendig sein, dass Steuerzahler dafür eintreten müssen, dass große Banken zusammenbrechen und dann praktisch ein erpresserisches Potential entwickeln und Steuerzahler diese Banken retten müssen.

Auch wenn es schön wäre, wenn es so ist: Ich glaube ihr kein Wort. Auch wenn die Banken jetzt mehr Eigenkapital vorhalten müssen, so sind bei weitem nicht alle Verbindlichkeiten mit Eigenkapital gedeckt.
Die nächste Bankenkrise wird kommen und wir werden sehen, was die Versprechungen und Neuregelungen wert sind.

Nachtrag: Der Münchhausen-Check von Spiegel Online kommt zum gleichen Ergebnis wie ich.