Das Bundesverfassungsgericht hat heute also doch die Auflösung des Bundestages durch Horst Köhler nach der „unechten Vertrauensfrage“ von Kanzler Schröder für rechtens erklärt.
Allerdings haben sieben von acht Verfassungsrichter des 2. Senats Schröders Weg deutlicher gebilligt, als ich es gedacht hätte. Ich war eher von Zähneknirschen oder Bauchschmerzen ausgegangen. Die Richter haben sich aber durchaus eine Menge Gedanken gemacht über Art. 68 GG und dessen Bedeutung. Ihre Argumentation ist schlüssig, wenn man die am Anfang aufgestellten Prämissen (u.a. mangelnde Handlungsfähigkeit des Kanzlers bei schwacher Mehrheit und widerspenstigen Abgeordneten) teilt.
Das Urteil gibt dem Bundeskanzler sehr viel Handlungsspielraum und erlaubt ihm in diesem Rahmen sogar eine „auflösungsgerichtete Vertrauensfrage“, wie die unechte Vertrauensfrage jetzt heißt. Ein Bundeskanzler kann also behaupten, er habe keine Mehrheit mehr im Bundestag und das muss lediglich „plausibel“ sein. Recht hat das Gericht, wenn es meint, dass man dem Kanzler schwer das Gegenteil beweisen kann. Also muss das Verfassungsgericht es glauben. Beziehungsweise, wenn der Kanzler eine politische Entscheidung trifft und das Parlament auflösen möchte, dann stehen zwei andere Organe (Bundestag und -präsident) Gewehr bei Fuß, um ihrerseits eine politische Entscheidung zu treffen und den Weg für Neuwahlen frei zu machen – oder auch nicht.
Und das ist auch der Kern der Sache, an dem sich das ganze Urteil entlanghangelt: Die Vertrauensfrage ist ein _politisches Instrumentarium_ des Bundeskanzlers und da hat sich das BVerfG nur einzumischen, wenn es missbraucht wird. Davor kommen aber Bundestag und -präsident als Korrektive.
Zwei Dinge stören mich am Urteil:
1.) Das BVerfG gibt dem Kanzler quasi das Recht auf eine automatische Mehrheit. Er hat ein Recht darauf, dass seine Politik umgesetzt wird. Er muss also nicht drum kämpfen und damit Kompromisse machen. Ein paar Abgeordnete, sie nicht alles mittragen wollen, sind in den Augen der Mehrheit des BVerfGs also schon ein Verlust der Handlungfreiheit der Regierung. Gegen diese Lesart verwahrte sich Richter Jentsch, der diese Situation als politischen Alltag bezeichnete.
2.) Wir haben also jetzt ein (Selbst-)Auflösungrecht des Bundestages. Durch die Hintertür, versteht sich. Aber anders als bei einem jetzt dikutierten, verfassungsrechtlich verbrieften Selbstauflösungsrecht, reicht bei Art. 68 schon die absolute Mehrheit des Bundestages, also die Regierungsparteien aus. Das ist die schlechteste aller Welten und schwächt den Bundestag.
Kurz und knapp, aber gut zusammengefasst. Habe ich gleich mal verlinkt. :)
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