Gestern ist es im Deutschen Bundestag zum Tabubruch gekommen: die Unionsfraktion und die FDP haben sich die Mehrheit für ihren Entschließungsantrag bei der AfD geholt. Eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen war zuvor auf Bundesebene undenkbar und Friedrich Merz hatte das bisher auch immer ausgeschlossen.
Für mich stellt sich die Frage: warum tut er das? Warum setzt Merz seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel? Warum dieser Tabubruch? Es ging um einen Entschließungsantrag, also quasi um nichts, die parlamentarische Version von Symbolpolitik: eine nichtbindende Aufforderung (der Opposition) an die Regierung, etwas zu tun.
Inhaltlich verstoßen die Forderungen sehr wahrscheinlich gegen europäisches (Zurückweisungen an der Grenze) und deutsches (unbefristetes Ausreisegewahrsam) Recht. Als wahrscheinlich nächster Kanzler müsste Merz sich gegen seine eigenen Entschließungsantrag stellen – oder bewusst Recht brechen. Also: was will er?
Glaubt Merz wirklich, er kann so im Wahlkampf punkten? Da muss es doch irgendeinen Politikberater in seinem Umfeld geben, der ihm sagt, dass er auf dem Spielfeld der Populisten der AfD nur verlieren kann. Merz gilt ja nicht erst seit gestern als affektgesteuert, als jemand, der sich verbal in bestimmten Situationen nicht mehr im Griff hat. Denen sind tatsächlich umsetzbare Forderungen egal, weil sie keine Regierungsverantwortung erwarten. Aber Merz will und muss demnächst reale Politik machen.
Dieser Entschließungsantrag ist purer Populismus. Neben der Rechtswidrigkeit hätte keiner der dort geforderten Punkte die jüngsten Anschläge von Solingen, Mannheim, Magdeburg oder Aschaffenburg verhindert. Es gibt viel weniger ein Vollzugs- als Gesetzesdefizit. Die verantwortlichen Innenminister der Länder werden zumeist von der CDU gestellt. Der Antrag impliziert das Versprechen, als können damit ähnliche Taten in der Zukunft sicher verhindert werden. Die Realität wird zeigen, dass es keine 100%ige Sicherheit geben wird. Und er zeichnet ein Bild, also würden Mordanschläge nur von migrantischen Menschen ausgehen.
Merz hat sich einstmals zugetraut, die Zustimmung zur AfD „zu halbieren“. Damals – 2018 – stand die AfD bei ungefähr 15%. Derzeit steht sie bei 20% und die CDU bei 30%. Das Ziel von damals klar verfehlt, aber dennoch ein komfortabler Vorsprung. Wie die Frage: Warum dann also jetzt dieser Tabubruch? Auch wahltaktisch macht das keinen Sinn. Wenn es dumm läuft, verprellt Merz gemäßigte Unions-Wähler und stärkt die AfD. Derzeit liegen knapp 10 Prozentpunkte zwischen beiden. Wenn die Union nur 5 Prozentpunkte einbüßt und die AfD noch 5 dazugewinnt, wäre Gleichstand angesagt. Und wenn es ganz dumm läuft, dann verliert Merz sogar den schon sicher geglaubten Wahlsieg für die Union.
Die CDU scheint derweil zumindest zu ahnen, welchen Pyrrhussieg sie errungen hat: bei der Bekanntgabe des Ergebnisses, einer ganz knappen Mehrheit mit 4 Stimmen, hat nur die AfD gejubelt. Nicht die Union, nicht die FDP. Gruselige Bilder sind das.