Die Fantasie des Journalisten im Angesicht einer Demo

Ein Redner bei der Demo in Rostock gegen den G8-Gipfel redet was von „Krieg“, die Nachrichtenagentur dpa kriegt das in den falschen Hals und verbreitet eine Falschmeldung, reichlich Zeitungen drucken den Mist (kennt man ja) und dpa korrigiert ihren Fehler erst 3 Tage später. Soweit das Geschehene.

Das für mich Erstaunlichste daran: Manche Journalisten schmücken die dpa-Meldungen dann noch einmal richtig aus. Wohl deshalb, damit für den Leser der Eindruck entsteht, der Redakteur berichte direkt von der Front:

In anderen Schweizer Zeitungen fantasiert Berlin-Korrespondent Helmut Uwer:

Einer der laut Polizeiangaben 3000 Militanten kletterte auf eine Bühne und gab die Parole aus: “Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.�

In den Stuttgarter Nachrichten reichern Peter Gärtner und Axel Büssem die falsche Meldung mit neuen Details an:

Während ein Attac-Vertreter aufrief, Ruhe zu bewahren, heizte ein Redner der Autonomen die Stimmung noch an: “Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.� Viele pfiffen und buhten daraufhin.

Auch Annika Fischer, die Autorin der “Westdeutschen Allgemeinen Zeitung�, hat die dpa-Ente ausgeschmückt:

“Wir müssen den Krieg in diese Demo tragen!�, ruft ein junger Mann ins Megafon, aber vorn an der Bühne stehen immer noch die (farben-) frohen Linken, beschwören eine “andere Welt� und reden von einer “schönen Veranstaltung�.

(Die Zitate hat Stefan Niggemeier zusammengetragen, Hervorhebungen von mir)

Zur Klarstellung: Es kletterte keiner der Demonstranten auf die Bühne, um die vermeintliche Kriegsparole auszugeben, er war auch kein Redner der Autonomen sondern Walden Bello, philipinischer Soziologieprofessor und Träger des Alternativen Nobelpreises. Er ist einer der Redner auf einer Kundgebung. Wie unschwer zu erkennen ist, ist er kein junger Mann mit einem Megafon. Wozu das Umherfantasieren?

Wohl kaum eine Zeitung wird eine Korrektur der Falschmeldung bringen. Wenn doch, dann vermutlich in einem Fünfzeiler im hinteren Teil des Blattes. Kann ja jeder selbst in seiner Zeitung nachgucken.

Wenn man sich Regional- und Lokalzeitungen anguckt, dann besteht der überregionale Teil fast nur aus Agenturmaterial. Und daraus, aus dem Fernsehen und aus der Blöd-Zeitung informiert sich der wohl größte Teil der Bevölkerung. Da bekommt dann solch eine (und jede andere) Falschmeldung einen großen Impact. Ich lese selbst sehr wenig Lokalzeitung. Wenn ich es dann aber doch einmal tue, bin ich immer wieder überrascht, von welch teilweise schlechter Qualität einerseits die Artikel und andererseits die Kommentare sind. Wer allein das liest und vielleicht noch ein bisschen Fernsehen schaut, der ist schlecht informiert.

2 Gedanken zu „Die Fantasie des Journalisten im Angesicht einer Demo

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