Einmal mehr: Von Ahnungslosen im Netz und Arroganten in Redaktionen

Woher nehmen eigentlich Journalisten die Unverfrohrenheit, sich selbst als Quell der Qualität zu gebärden und alle anderen pauschal als „Amateure“* zu verunglimpfen, die eben zu jener Qualität nicht fähig sind.

Die Amateure haben eine Schul- und Berufsausbildung genossen, viele von ihnen ein Studium. Sie sind also mitnichten Amateure, sondern mindestens auf einem Gebiet Fachleute. Hinzu kommt mehr oder weniger jahrzehntelange Lebenserfahrung und ein mit Liebe seit langem gepflegtes Hobby. Wer seit Jahrzehnten Vögel beobachtet ist kein schlechterer Ornithologe als ein Biologe an der Uni. Warum auch? Beide haben vermutlich die gleichen Lehrbücher gelesen und beide dürften ähnlich viel praktische Erfahrung mitbringen, der Hobbyist vielleicht sogar mehr davon.

Und eben jene Amateure sind es, die die Wikipedia und Blogs schreiben und in Foren diskutieren. Es ist ein unglaubliche Menge an Arroganz erforderlich, diesen Menschen vorzuwerfen, sie könnten keine Qualität erzeugen.

Dahinter steckt die Angst, dass die Meinungsführerschaft verloren geht und dass sichtbar wird, dass einerseits der Journalist weniger klug ist, als er vorgibt und andererseits die Masse weniger dumm ist, als man angenommen hat. Scheint eine verbreitete Angst zu sein.

Kann mal jemand kräftig am Herrn Graff rütteln?! Seine auf der letzten Seite angeführten Beispiele belegen genau das Gegenteil dessen, was er zu beweisen versucht: Die Masse (Wikipedia) macht Fehler, der intern kontrollierte Journalismus nicht. Gerade hat eine Untersuchung im Stern festgestellt, dass die Wikipedia genauso fehlerfrei ist wie der Brockhaus. Und die sog. Qualitätsmedien sind nicht frei von Fehlern. Nur mal exemplarisch seien hier die Fantastereien anlässlich des G8-Gipfels genannt. Wer regelmäßig Blogs liest, kennt noch mehr von Journalisten verzapften Blödsinn.

Warum ist denn die Qualität der Wikipedia nicht schlechter als die des Brockhaus? Vermutlich weil für den Brockhaus genau die gleichen Leute schreiben wie für die Wikipedia. Beim Brockhaus nimmt man an, es handle sich um Doktoren und Professoren und würde man nachfragen, würde man wohl feststellen, dass es genauso ist. In der Wikipedia schreiben auch Doktoren, Doktoranden und andere Graduierte mit. Und andere Menschen, die aus Liebe zu einem Hobby Fachleute geworden sind. Nur weiß es dort keiner und die anonyme Masse kennt keine akademischen Grade.
Anders als Journalisten ist fast jeder durch Ausbildung/Studium Fachmann für irgendetwas.

Bei Kommentaren zum Weltgeschehen ist es noch mal eine ganz andere Sache: Hier kann jeder was zu sagen. Und es sollte auch jeder. Schließlich sind leben wir in einer Demokratie und ein jeder sollte sich eine Meinung bilden. Und Meinung bilden erfordert zwei Dinge: Nachdenken, den eigenen Kopf anstrengen und Faktenwissen zum Themengebiet. Das Faktenwissen ist nach wie vor ungleich verteilt, aber das Internet macht auch hier den Zugang zu Statistiken und Studien für Jeden leichter. Somit ist der limitierende Faktor für eine kluge Meinungsäußerung nur noch der eigene Intellekt. Und ich bin mir sicher, dass es da draußen, jenseits des Journlismus, eine Menge Leute gibt, die in diesem Punkt so manches Leitartikler und Redakteur in hoher Position in die Tasche steckt.

Ich glaube nicht, dass es im Journalismus mehr kluge Menschen gibt als draußen im Land. Weil es aber mehr Menschen draußen im Land gibt als Journalisten, gibt es da draußen auch mehr kluge Menschen als im Journalismus.
Ich habe jedenfalls in den letzten Jahre viele kluge Dinge von klugen Menschen in Blogs gelesen.

* Zum Stichwort Amateure vs. Profis fällt mir ein Zitat ein, das häufig in Signaturen in Foren auftaucht: „Habe keine Angst, etwas neues auszuprobieren. Bedenke, die Arche wurde von einem Amateur gebaut, die Titanic von Profis.“ (engl.: „Never be afraid to try something new. Remember, amateurs built the Ark, professionals built the Titanic.“)

Ein Gedanke zu „Einmal mehr: Von Ahnungslosen im Netz und Arroganten in Redaktionen

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