Uwe-Karsten Heye, derzeit Vorsitzender des Vereins „Gesicht zeigen!“ und Chefredakteur des SPD-Parteiblattes „Vorwärts“ und vormals Regierungssprecher der Regierung Schröder, hat natürlich Recht, wenn er auf Rechtsextremismus im Osten und die Gefahr für nicht Deutschaussehende hinweist. Aber warum muss er so übertreiben, in dem er davon spricht (Transkript, rechts auch das Gespräch als Audio on Demand), dass man aus bestimmten Gegenden in Ostdeutschland „möglicherweise lebend nicht wieder“ herauskommt.
Warum diese sprachliche Eskalation? Die Lage ist schon schlimm genug, da muss man nicht noch mit der verbalen Brechstange daherkommen. Ist doch klar, dass sowas zu Kritik an Heye (statt am Rechtsextremismus) und Relativierungen führt, die dann wiederum in ein „oooch, ist doch alles halb so schlimm“ abgleiten können. Statt sachlicher Debatte um Rechtsextremismus in Ost und West und Nord und Süd geht es um die Aussagen von Heye.
Selbst der Afrikarat drückt sich vorsichtiger aus, wenn er davon spricht, dass es „‚No go Areas‘ – Gebiete, in denen Menschen mit sichtbar afrikanischer Herkunft einem hohen Risiko rassistisch motivierter Gewalt ausgesetzt sind“ gäbe.
Nachtrag (10.02.07): Die These vom ausländerfeindlichen motivierten Überfall ist nicht mehr zu halten.
Er spricht einfach aus Verantwortung.
Was hätte er denn sonst sagen sollen?
Daß man in bestimmten Gegenden Ostdeutschlands möglicherweise gut beraten ist, das eine oder andere Heftpflaster – für alle Fälle – dabei zu haben?
Verdammt nochmal, in Deutschland werden auf der Straße Menschen fast totgeprügelt, weil sie die falsche Hautfarbe haben.
Und die Bevölkerung regt sich über einen Mann auf, der das endlich mal zur Sprache bringt?
Heye hat den Eindruck erweckt, als wenn hinter jedem Baum „in Brandenburg und anderswo“ ein Neonazi steht und dem erstbesten Dunkelhäutigen die Keule über den Schädel zieht. In dieser Pauschalität, in dieser Schlichtheit und Überzogenheit muss sowas Protest und Abwehr hervorrufen.
Heye hat ja im Grunde ein bekanntes Problem angesprochen, aber er hat es übergeigt. Und darum hat er seiner eigenen Sachen einen Bärendienst erwiesen, weil sich nun alle (ja, ich gehöre auch dazu) mehr mit Heyes Äußerungen statt mit dem eigentlichen Problem beschäftigen. Mich stört nicht, was gesagt hat, sondern nur wie er es gesagt hat. Es lässt sich nunmal keiner gern pauschal als neonazistischer Ausländerschläger darstellen.
Noch weniger gern läßt sich jemand von einem neonazistischen Ausländerschläger den Schädel einschlagen.
Aber Heye hat doch gar nicht pauschalisiert.
Er sagte, daß er Dunkelhäutigen nicht raten würde, dort hinzugehen.
Genausowenig wie ich Dir – ich nehme mal an, Du hast eine helle Hautfarbe – raten würde, einen Bummel in der Bronx zu machen.
Er pauschalisiert, in dem er in erster Linie von Brandenburg spricht. In absoluten Zahlen ist das Risiko einer fremdenfeindlichen Gewalttat in NRW sicher nicht geringer (bezogen auf die Bevölkerung kommt es zu weniger Gewalt, aber das dürfte einem Gewaltopfer recht egal sein).
Hätte er nur No-go-Areas thematisiert, in die man vielleicht nicht allein und nach Einbruch der Dunkelheit gehen sollte, hätte er von einem teilweise latenten und gesellschaftlich akzeptierten Rassismus („Ich hab ja nix gegen Ausländer, aber …“) gesprochen, dann hätte Heye auch kaum solch einen Widerspruch provoziert. Heye tut aber so, als würde man als Farbiger in Brandenburg minütlich um sein Leben fürchten müssen. Das ist pauschal, vor allem aber maßlos übertrieben.
Das Beispiel mit der Bronx halte ich für den ersten Schritt in die Relativierung. Ebenso könnte man argumentieren, eine Frau solle halt nicht nachts allein durch den Stadtpark gehen (sollte sie wohl wirklich nicht), dann sei sie selber schuld, wenn sie ausgeraubt oder vergewaltigt wird. Das Risiko, von einem Auto angefahren oder überfahren zu werden, ist sicher ungleich größer als Opfer einer Gewalttat zu werden; das Risiko, im Auto zu sterben, ist größer als auf offener Straße. Trotzdem pappt nicht auf jedem Auto die Warnung, man könne aus der Kiste möglicherweise nicht mehr lebend herauskommen. Damit beginnt aber dann eine Relativierung hin zu einem „ist doch alles nicht so schlimm“. Darum sind Übertreibungen á la Heye m.E. kontraproduktiv.
In der Sache hat Heye Recht, mit seinem letzten Teilsatz hat er übertrieben und damit die Debatte in eine falsche Richtung gelenkt: statt über Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland redet man jetzt über Heye.
Heye hat ja beim Radio-Interview nicht damit gerechnet, dass seine Antworten eine solch mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das Problem ist nicht Heyes Meinung zum Rechtsextremismus, sondern die Übertreibung, dass jeder Fremde in Brandenburg beim ersten Erblicken ermordet wird. Das sehen 200.000 Touristen jährlich in Brandenburg sicher etwas differenzierter.
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So lautet das Verhältnis rechtsextremistisch motivierter Tötungsdelikte und nicht-rechtsextremistisch motivierter Tötungsdelikte in Deutschland. Nur mal so, um die Dimensionen zu verdeutlichen. Anscheinend haben wir hier ganz allgemein ein Gewaltproblem.