Schriftsteller sind ja im allgemeinen eher nachdenkliche, besonnene Menschen. Aber Henryk M. Broder findet immer mal wieder welche, die aus der Art schlagen und dann in seinem Sinne gegen vermeintlich falschen Umgang westlicher Gesellschaften mit dem Terrorimus wettern. So geschehen und heute gelesen bei Spiegel Online in einem Interview mit Leon de Winter.
Leon de Winter schreibt auch im aktuellen Heft von Cicero, dass „wir“ im „Krieg sind“. „Wir“ ist der Westen, die anderen, die Feinde, das sind die Islamisten. Das ist genau die Verschärfung, genau die Stimmung, genau Eskalation, die die Terroristen erreichen wollen.
De Winter: […]
Reguläre Armeen können mit dem Terrorismus nicht fertig werden und reguläre Gesetze taugen nicht für die Bekämpfung und Bestrafung der Terroristen. Die machen, was sie wollen, und wenn sie dabei erwischt werden, verlangen sie, dass man sie nach den Regeln behandelt, die sie verachten und die sie nie praktizieren würden, wenn sie das Sagen hätten. Das ist das große Handicap von Demokratien und Rechtsstaaten: Die Terroristen wissen, dass diese sich an die Spielregeln halten, auch im Extremfall. Die Frage, die sich uns stellt, ist daher: Wie kann man überleben, wenn man sich an Regeln hält, die der Feind nicht akzeptiert?
SPIEGEL ONLINE: Die Amerikaner lösen das Problem in Guantanamo auf ihre Weise.
De Winter: Ja. Und dann ist die Empörung der Öffentlichkeit über die Behandlung der Gefangenen größer als die Einsicht, dass die Leute, die dort festgehalten werden, nicht bloß Autos geklaut oder mit Drogen gehandelt haben. Diese Art der „Kriegsführung“ ist uns von den Terroristen aufgezwungen worden.
Aha, man darf also Leute, die nicht nur Autos klauen und Drogen verticken ohne Anklageschrift, ohne Anwalt, ohne all die normalen rechtsstaatlichen Regeln irgendwo einsperren. Wenn sie so böse Dinge angestellt haben, warum klagt man sie nicht an und verurteilt sie? Wo ist das Problem? Vor allem, wo ist das Problem, ihnen die völkerrechtlichen Regeln der Kriegsgefangenschaft zuzugestehen? Das würde Ermittlungen, die Anklage und die eventuelle Verurteilung beim Nachweis von Vergehen nicht behindern.
Es würde aber zu weniger „Empörung in der Öffentlichkeit“ führen. Es würde aber vor allem zu weniger Empörung in arabisch-islamischen Ländern führen, wo eben diese Behandlung von Gefangenen den Radikalen viele Anhänger in die Arme treibt, weil es schönes Beispiel für die Doppelzüngigkeit des Westens („wir sind die Guten“) ist. Und wieso lassen wir uns den von den Terroristen dieses Verhalten aufzwingen? Wer kann uns denn zwingen, diesen unseren Gefangenen Rechte vorzuenthalten? Das ist dumm. Guantanamo machen wir ganz freiwillig.
De Winter: […] Wir müssen begreifen, worauf es ankommt: dass wir als Individuen und als Gesellschaft am Leben bleiben. Sonst haben alle anderen Freiheiten keinen Sinn. Ich kann nicht die Pressefreiheit genießen, wenn ich tot bin, ums Leben gekommen bei einem Terroranschlag. Das klingt banal, aber das ist der Kern der Sache. Im Zweiten Weltkrieg haben die Alliierten den Feind mit aller Macht bekämpft. Es kam dabei zu Grausamkeiten, viele Menschen sind im „friendly fire“ umgekommen.
Vielleicht nochmal zum Verständnis: Wir sind nicht im Krieg. Es gibt keinen Grund, „alle anderen Freiheiten“ über Board zu werfen, weil jedes Jahr irgendwo auf der Welt ein Terrorist ein paar Menschen in die Luft jagt. Die westliche Welt hat in den letzen 4 Jahren 3 Anschläge erlebt (New York/Washington, Madrid, London). Das kann man wahrlich keinen Krieg nennen.
Der Vergleich mit dem 2. WK, der auch im Cicero-Artikel bemüht wird, ist unangebracht und bauscht den islamistischen Terror unnötig auf. Krieg führt eher der Westen, der Afghanistan und dann den Irak „befreit“.
De Winter: Wir können den Terrorismus nicht mit konventionellen Modellen wie Armut, Unterdrückung oder Mangel an Perspektiven erklären. Sie reichen aus, um die Aggressivität von arbeitslosen Jugendlichen zu analysieren, nicht aber das Verhalten von Terroristen, die bereit sind, eine Kathedrale, den Vatikan oder einen Atomreaktor in die Luft zu jagen. Aber wir tun trotzdem so, als hätten wir es mit benachteiligten, schwer erziehbaren Jugendlichen zu tun, weil wir uns zumindest auf diesem Gebiet gut auskennen. Und deswegen fragen sich jetzt wieder alle, ob in England, in Deutschland oder hier bei uns in Holland: Was haben wir falsch gemacht, dass die so geworden sind? Viele fragen sich: Wer hat diese vier verführt? Wer war es, der sie einer Gehirnwäsche unterzogen hat? Dahinter steckt die Überlegung, dass sie nichts dafür können. Aber diese jungen Männer waren nicht dumm, sie waren nicht ungebildet, sie waren nicht arm. Sie haben eine böse Idee in die Tat umgesetzt, weil sie es wollten.
Auch wenn sie nicht dumm waren, bleibt trotzdem die berechtigte Frage: Wie wurden sie zu dem, was sie sind? Denn auf die Welt gekommen sind sie gewiss nicht als Selbstmordattentäter. Das Fragen nach den Ursachen ist keine Suche nach Entschuldigungen, sondern die Suche nach Erklärungen. Wenn man die Ursachen kennt, kann man auch nach Lösungen suchen, die das Übel bei der Wurzel packen statt nur die Symptome zu kurieren.
SPIEGEL ONLINE: Und uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten?
De Winter: Es sei denn, die Muslime unternehmen selber etwas, um solche Anschläge zu verhindern. Das ist zurzeit meine einzige Hoffnung. Es reicht nicht, dass sie hinterher sagen: „Wir haben damit nichts zu tun, die Terroristen handeln weder in unserem Namen noch im Namen des Islam“. Sie müssen begreifen, dass die Terroristen aus ihrer Mitte kommen und dass das, was sie tun, mit dem Islam zu tun hat. Das müssen sie einsehen, um solche radikalen Tendenzen neutralisieren zu können. Wir sind nicht in der Lage, den Terroristen wirksam zu begegnen, wenn die Muslime uns nicht dabei helfen.
Die einzigen vernünftigen Sätze im ganzen Interview. Immerhin. Wenn wir Muslime dazu bringen wollen, sich für unsere Gesellschaft einzusetzen, müssen wir ihnen zeigen, dass es sich _für_ sie zu kämpfen lohnt. Sie müssen spüren, dass sie etwas von ihr haben. Das erreicht man nicht durch Ausgrenzung. Integration geht aber nur von beiden Seiten.
Die liberalen, rechtsstaatlichen Demokratien dürfen sich nicht untreu werden und voreilig alle jahrhundertelange erkämpften Werte über Board werfen. Wir müssen beweisen, dass wir keine Schönwettergesellschaften sind. Gerade jetzt müssen wir unsere Normen und Werte verteidigen. Gerade weil sie unter Beschuss stehen. Wenn wir Rechte einschränken, Freiheiten abschaffen, Menschen unterdrücken, _dann_ haben die Terroristen gewonnen.
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