Der Spiegel macht mal wieder ein bisschen auf Bild-Zeitung und schürt die Angst vor dem schwarzen islamischen Mann. Unter der Überschrift „Integrationskonflikte – Aufruhr in Eurabia“ meinen sechs Redakteure, dass „der Traum eines friedlichen Multi-Kulti-Miteinanders zerplatzt“ sei. Was zum Teufel ist „Eurabia“?
Im weiteren Verlauf des Artikels über die Beschreibung der Situation der Randale in französischen Vorstädten liest sich das allerdings eher so, als wenn es hier nicht in erster Linie um ethische Konflikte geht, sondern um Armutsprobleme. Junge (Einwanderer-)Männer sind unzufrieden mit ihrer wirtschaftlichen Situation und ihre Wut bricht sich jetzt in Straßenschlachten mit der Staatsmacht bahn.
Der Spiegel weiß dann allerdings etwas zu berichten, was so nirgendwoanders zu lesen ist:
In Clichy-sous-Bois stellten sich plötzlich „große Brüder“ zwischen Ordnungskräfte und Steinewerfer: fromme Bärtige in langen Traditionsgewändern aus dem Umkreis der Moschee, die im Namen Allahs zur Ruhe aufriefen. „Allahu akbar“, schallte es tausendfach aus den Fenstern der Wohntürme zurück. Den Fernsehzuschauern in ihren sicheren Wohnstuben lief es kalt über den Rücken.
Da ist er wieder, der bärtige, böse, in Gewänder gehüllte, „Allah“-rufende Islamist. Schön schaurig, schön klischeehaft, schön falsch. So scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein:
Neuerdings behauptet Sarkozy, die Aufstände seien „perfekt organisiert“. Durch wen? Drogenbanden oder gar Islamisten? Wer die „Jungen“, wie die Schläger in den Medien genannt werden, in ihren Vierteln ausfragt, hört indes nichts von Djihad.
[…] In den gleichen Vorortebezirken mögen zwar ein paar verwirrte Maghrebiner gerade Anschläge für Al-Kaida planen; aber mit den Krawallbrüdern haben sie nichts gemein außer dem „Hass“. [Der Standard, 05.11.05]
Gut, der Spiegel hat also seine These: die Integration ist gescheitert. Andere Erklärungsansätze werden von nun an nicht mehr erörtert, man will ja den Leser nicht mit allzu viel Ausgewogenheit oder sorgfältiger Recherche überfordern. Man hat ein klares Ziel vor Augen, eine Mission, ein Vorurteil, dass man dem Leser näher bringen will.
Dann folgt ein Rundumschlag mit geschätzten Zahlen von Muslimen in Europa und dass prinzipiell alle Anstregungen zur Integration gescheitert sind. Die Niederlande stehen gar „vor den Trümmern ihrer Integrationspolitik“ seit dem Mord am Filmemacher van Gogh. Ein paar Einzelbeispiele von Bedrohungen durch Einwanderer, fertig ist der reißerische Artikel des Spiegel. Etwas kürzer und er hätte auch gut in der Blöd-Zeitung stehen können.
Dass es aber auch eine andere Lesart gibt, beweisen zwei Artikel bei Telepolis, die in einem ruhigen Ton erstmal die Vorgänge, Lage und Hintergründe in Frankreich beschreiben, ohne krampfhaft eine vorschnell aufgestellte These „beweisen“ zu wollen. Im ersten Artikel („Todesfälle, offene Widersprüche, Revolte und Fantasmen über ‚den Islam'“) heißt es:
Die Banlieues rund um die französischen Großstädte funktionieren in den Augen großer Teile der französischen Öffentlichkeit wie ein Brennglas, durch das hindurch alle Ängste vor Unsicherheit und Gewalt konzentriert wahrgenommen werden.
Man könnte auch sagen: in den Augen der Spiegel-Redakteure fungieren die Ereignisse als Brennglas und willkommener Anlass, mal wieder gegen eine liberale Ausländerpolitik zu schreiben. Aber lesen wir weiter bei Telepolis:
Oft in Verbindung mit einer ethnisierten Wahrnehmung (in Form einer Assoziationskette „Banlieues – Islam – Unsicherheit und Bedrohung“). Allerdings sind die französischen Trabantenstädte in Wirklichkeit keine „ethnischen“ Quartiere, wie sie teilweise in US-amerikanischen Großstädten existieren. In ihnen leben vielmehr bunt durcheinander gewürfelte Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Herkunft, die sich durch das gemeinsame Merkmal „Armut“ oder „sozialer Abstieg“ auszeichnen.
Randale in Vorstädten — sowas lässt sich doch bestimmt irgendwie intrumentalisieren?! Darauf sind die Spiegel-Redakteure nicht als erstes gekommen:
Das Angst einflößende „Brennglas“ der Banlieues, in denen sich zahlreiche Krisen- und Gewaltphänomene wie in einem Riesenkessel konzentrieren und von wo sie gleichzeitig – in Form von Fernsehbildern aus den Trabantenstädten – in den letzten Haushalt übermittelt werden, nährt in Frankreich zahlreiche politische Diskurse. Es hat, mit der ideologisierten Aufladung des Sicherheits-/Unsicherheits-Themas, die Wahlkämpfe des letzten französischen Wahljahres 2002 de facto entschieden […]
Der Spiegel macht also weiter Politik, statt seine Leser mit seriösen und weniger tendenziösen Beiträgen zu informieren. Ich war mal gerne Spiegelleser, aber das ist nun auch schon zwei Jahre her. Man könnte sagen, der Spiegel hat sich desintegriert aus Gesellschaft gutrecherchierter und qualitativ hochwertiger Zeitungen und Zeitschriften.
Der zweite Artikel in Telepolis analysiert die Vorstädte auf soziologische Artikel und ist auch lesenswert.
Die Situation ist so vielschichtig, dass man kaum zu einem Urteil kommen mag, nicht wahr? Erst war es nur der Konflikt zwischen Jugendbanden und der Polizei, dann ging es nacheinander um soziale, ethnische und religiöse Fragen, jetzt hat der französische Staat schon ganze Viertel seit einer Weile aufgegeben. Vielleicht liegt es an unserer Nähe zu den Ereignissen, dass wir so genau hinsehen, genau überlegen und analysieren, und nicht zu der erstbesten Erklärung greifen, die der erste Experte uns liefert. Komplex sind die Geschehnisse jedenfalls allemal.
Genau, die Situation ist ziemlich komplex und so richtig hat wohl auch kaum jemand den Überblick. Umso wichtiger ist es, sich erstmal mit vorschnellen Urteilen á la „Die Integration ist gescheitert“ zurückzuhalten. Das ist in meinen Augen politisch motivierter Populismus, egal von wem es geäußert wird.
Aber statt zu analysieren oder Fragen zu stellen, wo die Gründe liegen können (und sie dürften vielfältig sein), versteift der Spiegel sich auf die These, dass die liberale Träumerei der Multi-Kulti-Gesellschaft am Ende ist. Das finde ich bei einem solchen Thema, mit dem leicht Stimmung gemacht werden kann, ziemlich übel. Zur Multi-Kulti-Gesellschaft gehört keinesfalls die Schaffung von Armen-Ghettos, andererseits bedeutet Multi-Kulti durchaus auch eine Integration in eine Gesellschaft von Normen und Werten. Der Spiegel nutzt aber offenbar mal wieder die Gelegenheit gegen die falschverstandene Multi-Kulti-Gesellschaft anzuschreiben.