Die Verteidigung meiner Diplomarbeit verzögert sich ebenso noch wie die Suche nach einer Doktorandenstelle. BAföG läuft aber zum Ende dieses Monats aus. Da ich aber weiterhin Miete zahlen muss und auch was essen möchte, bleibt nur der Gang zum Sozialamt zur ARGE. Die nimmt sich der ALG-II-Empfänger an.
Ich war noch nie im Sozialamt und nur kurz zwischen Schulzeit und Zivildienst mal beim Arbeitsamt. Also informiere ich mich erstmal im Internet, schon um zu wissen, wo ich überhaupt hin muss. Für mich ist also die Abteilung in Halle/Neustadt zuständig. Es ist überhaupt schon eine großartige Idee, in einer Stadt mit knapp 250.000 Einwohnern und gut 20% Arbeitslosenquote nur zwei dieser Geschäftsstellen einzurichten.
Bei der ARGE kann man keine Formulare runterladen, Informationen zu ALG II sind auch nicht zu finden. Super. Das nennt man Service. Also weiter zu den Webseiten der Arbeitsagentur und dort die nötigen Formulare runtergeladen. Tolle Formulare, lassen sich sogar am Rechner ausfüllen. Das tu ich dann auch, ist auch einfacher als ich dachte. Mit dem ausgefüllten Antrag fahre ich dann einmal quer durch Halle, bis ich in Neustadt bin. Dort irre ich ein wenig durch abrissreife DDR-Hochhäuser umher, bis ich endlich die Geschäftsstelle der ARGE finde. Mit Menschenschlange davor und ganz vielen Menschen drin. Zumindest hat es aufgehört zu regnen.
Die Wartenden erfüllen die Vorstellung, die man von ALG-II-Empfängern hat: übergewichtige Frauen mit schlecht gefärbten Haaren in Schlabberklamotten, billig aussehende, untergewichtige, aufgedonnerte Mädels mit Handtäschchen, schwangere Frauen, Frauen mit weinenden Kindern im Kinderwagen oder auf dem Arm und nicht zuletzt allerhand Fremdsprachen. Also genau das Panoptikum, was ich vor meinem geistigen Auge sehe, wenn ich an Hartz IV und Großstadt denke.
Die Schlange vor mir löst sich aber schnell auf und ich bin dran. Ein langer Thresen, abgetrennt durch kleine Wände, wie sie in Männerklos zu finden sind, damit man sich nicht gegenseitig beim Pinkeln aufs beste Stück guckt. Hier waren sie ein bisschen höher. Da sitzt dann eine ältere Frau, die auf ihren Bildschirm guckt und erst auf mein freundliches „Guten Tag“ den Kopf hebt.
„Ich möchte meinen ALG-II-Antrag abgeben, ich hab die Formulare aus dem Internet geladen und ausgefüllt. Es ist mein Erstantrag“ sage ich. – „Dafür brauchen Sie erst einen Termin“ kommt es mir über den Thresen entgegen. Dann gibt sie mir einen Zettel, auf dem eine Telefonnummer markiert ist, die ich doch bitte anrufen soll zwecks Terminvereinbarung. So ziehe ich leicht angesäuert samt ausgefülltem und nicht abgegebenen Antrag wieder von dannen. Einen Termin für die Abgabe eines Antrags? Ich wäre nicht drauf gekommen, dass sowas nötig ist. Die Schlange vor der Anmeldung ist inzwischen länger und reicht nun deutlicher ins Freie als vorher.
Also wieder durch die halbe Stadt zurück nach Hause. Die Telefonnummer angerufen, zweieinhalb Minuten Warteschleife ertragen („Legen sie bitte nicht auf!“, „Eine Leitung ist schon für Sie reserviert“), dann meldet sich eine freundliche Dame. „Ich möchte gern einen Termin haben für die Abgabe des ALG-II-Antrags.“ – „Dazu brauche ich ihre Kundernummer.“ „Ich hab noch keine, es ist ja mein Erstantrag“, sage ich. „Ihre Kundennummer der Agentur für Arbeit“, meint sie dazu. Ok, die gebe ich ihr durch und sie findet mich, denn sie kann mir meinen vollen Namen nennen. „Sie sind hier noch nicht gemeldet“, sagt sie. Ja, das ist richtig, ich habe mich in Halle auch noch nicht arbeitslos gemeldet. So komme sie nicht ins Programm rein (Tipp: die können sicher helfen) und könne mir somit keinen Termin geben.
Na super. Also muss ich erst zur „richtigen“ Agentur für Arbeit in Halle, um Hallo zu sagen. Danach bekomme ich einen Termin für die ARGE. Und das alles nur, um einen Antrag abgeben zu können.
Dann warte erstmal ab,bis die dort feststellen,dass vielleicht noch ein paar Unterlagen fehlen,dann darfst du noch ein gutes halbes dutzend Mal dort antanzen,dein Antrag ist dann aber immernoch nicht in „richtiger“ Bearbeitung ;-)
Und nicht zu vergessen: Bloß nicht umziehen, weil das auch in jeder Kommune anders gehandhabt wird, und du deine bisherigen Erfahrungen in die Tonne treten kannst. Bei uns beispielsweise schickt man dich bei der Agentur weg, wenn du dich erst einmal arbeitslos melden willst, aber nur Hartz IV kriegst: „Da müssen Sie direkt zum Job-Center“. Klasse.
Ich sehe schon, es haben auch andere schon so ihre „lustigen“ Erfahrungen gemacht.
Einen Termin für die ARGE hab ich jetzt immerhin: am 11.10.05. Besonders eilig haben die es offenbar nicht. Und ein „Arbeitspaket“ hab ich erhalten, was ich jetzt ausfüllen, damit man mich „bei der Arbeitsplatzsuche gezielt unterstützen kann“. Danke, das brauchen die von der Agentur nicht. Ich glaub, das mit der Doktorandenstelle krieg ich selbst besser und schneller hin.
9 Uhr am JobvCenter angekommen. 9:30 bin ich dann doch schon ander Reihe, ging ja fix.
JobCenter: Dann mache ich ihnen mal einen Termin. Zehnuhrdreissig, fünfte Etage.
Ralf: Öhmmm … ich will doch nur den Antrag abgeben.
JC: Ja, dafür brauchen Sie eine Termin.
Ralf: Zehndreissig, fünfte? OK.
10:30 Uhr in der fünften Etage. Keiner da. 10:45, immer noch keiner da. 11:00 Uhr, Ralf klopft wahllos an eine Tür und stellt Fragen.
JC: Ne, der Herr W ist nicht da. Der ist krank.
Ralf: Aber ich ahb eine Termin bei ihm. Ich will …
JC: Wo haben Sie denn den Termin her?
Ralf: Vom Tresen unten. Grade vor gefühlten 3 Tagen bekommen.
JC: Kann gar nicht sein. Die wissen doch … ach Mensch. Dann müssen Sie noch mal runter und sich einen anderen Termin holen.
11:10 Uhr Empfang im JobCenter. Lange Schlange, ich muss bis 11:50 Uhr warten.
Ralf: Hello again. Ihr Herr W ist krank. Ich brauche einen anderen Termin.
JC: Tja. Es ist Freitag. Es ist 12 Uhr. Wir haben zu. Sie müssen Montag wieder kommen.
Ralf: …… wo ist meine Kettensäge?
JobCenter und ALG-II ist wie Google. Alles Beta.