Eine Schlagzeile und ihre Geschichte: Ströbele und die türkische Hymne

Ströbele fordert die deutsche Nationalhymne auf Türkisch – das ist natürlich eine tolle Schlagzeile, die die B.Z. da hatte. Allein, sie stimmt nicht. Macht aber nix, am nächsten Tag rauschte der Blätterwald gewaltig, jeder durfte mal auf den Grünen eindreschen und Ströbele musste wohl aufpassen, dass ihn nicht gleich die Männer mit dem bunten Auto abholen kommen.

Bei B.Z.-Schlagzeilen (gleiches Kaliber wie die Blödzeitung) sollte man eigentlich vorsichtig sein und vorher mal prüfen, ob sie stimmen. In diesem Fall also: Ströbele anrufen und fragen, ob die B.Z.-Meldung stimmt. Dann hätte man sich viel Peinlichkeit ersparen können. Die Nachrichtenagentur dpa z.B. sah das anders und verbreitete den B.Z.-Mist. Eigene Recherchen waren aber auch nicht besser.

Aber lassen wir doch mal Ströbele selbst zu Wort kommen und hören uns an, wie die Boulevard-Zeitung B.Z. zu ihrer Meldung von der „offiziellen türkischen Version der deutschen Nationalhymne“ gekommen ist (Hervorhebung von mir):

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe nie gefordert, den deutschen Text der Nationalhymne durch einen türkischen zu ersetzen oder eine türkische offizielle Version in Deutschland einzuführen. Ich will auch niemanden dazu zwingen oder veranlassen, die Hymne nur noch oder einmal in türkischer Sprache zu singen. Ich habe nur nichts dagegen, dass die Nationalhymne ins Türkische übersetzt wird und von denen, die dies gern tun, auch in türkischer Sprache gesungen werden kann. Ich finde das nach wie vor ganz OK.

Die Idee stammt keineswegs von mir. Eine Berliner Boulevardzeitung hatte mich am zweiten Mai – nicht am ersten April – angerufen und gefragt, was ich davon halte, dass die Einwanderer aus Lateinamerika in den USA die US-Nationalhymne auf Spanisch statt auf Englisch singen. Ich finde das als politisches Signal und überhaupt ganz in Ordnung und habe die Frage entsprechend beantwortet. Dann kam die Nachfrage, ob angesichts der vielen Menschen aus der Türkei, die in Deutschland leben, die deutsche Nationalhymne ins Türkische übersetzt und auch in türkischer Sprache gesungen werden könne. Meine Antwort war, dagegen hätte ich nichts, auch das sei OK.

Das liest sich dann schon ein wenig anders – man könnte auch sagen: es ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was in den Medien verbreitet worden ist. Aus einer „offiziellen Übersetzung“ (= es gibt eine einheitliche Übersetzung, so stand es in der B.Z.) wird kurzerhand eine „offizielle Version“ (= die Nationalhymne wird künftig zweisprachig, so stand es später dann in den Zeitungen). Aus einem „ich könnte mir sowas vorstellen“ (so hat sich Ströbele ausgedrückt) wird dann ein „ich will“ (das macht die B.Z. daraus) oder „Ströbele fordert“ (Nachrichtenagentur AP). Das ist grob fahrlässig und zeigt die Inkompetenz unserer Presse, wahrheitsgemäß zu informieren oder gar zu recherchieren. Stattdessen gibt es Polemik fürs Volk. Die Idee kommt schließlich von Ströbele, das ist der mit dem muslimischen Feiertag, also wird die Sache mit dem verrückten Grünen schon stimmen. Rein damit ins Blatt.

So wie es Ströbele formuliert hat, verliert die Idee natürlich an Brisanz (und auflagen- und quotenfördernder Schlagzeilen). Ich selbst denke, dass die deutsche Nationalhymne auf deutsch gesungen werden sollte, darum heißt sie ja auch so. Vielsprachigkeit im Alltag ok, aber irgendwo sollte man sich dann doch auf einen gemeinsamen sprachlichen Nenner einigen. Was läge in Deutschland also näher, also die Hymne weiterhin auf Deutsch zu singen. Wenn aber ein türkisch- oder italienisch- oder was-auch-immer-stämmiger Deutscher die Hymne gerne mal in der Sprache der Mutter oder des Vaters singen will, warum dann nicht? (Nur so am Rande: Wichtiger wäre mir, dass die Nationalspieler die Hymne auch mal wirklich mitsingen würden.)

[via: taz]

2 Gedanken zu „Eine Schlagzeile und ihre Geschichte: Ströbele und die türkische Hymne

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