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Tanklasterbombardierung in Afghanistan: Es war eine gezielte Tötung

Vor gut einer Woche hatte ich noch gemutmaßt, dass es bei dem Tanklasterangriff nahe Kunduz in Afghanistan nicht um die Zerstörung der festsitzenden LKW ging, sondern dass es für mich nach gezielter Tötung der Menschen vor Ort aussah.
Seit Samstag herrscht darüber Gewissheit. Im ComISAF-Bericht (Bericht des Oberkommandierenden der ISAF-Truppe McChrystal) steht das so drin und auch in einer Meldung des deutschen Oberst Klein (vom 6. September!) an den damaligen GI Schneiderhan beschreibt er das so:

Am 4. September um 01.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, auf Deutsch: Aufständische) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten.

Möchte man der Leipziger Volkszeitung glauben, dann war der nächtliche Angriff kein spontaner Einfall von Oberst Klein, sondern vielmehr das Ergebnis einer Eskalationsstrategie, zu der eben auch die gezielte Tötung von Taliban gehören sollte. Kanzleramt, Verteidigungsministerium und BND haben diese Strategie ausgearbeitet und abgesegnet.

Wow.
Im Grunde ließ ja der Ablauf in der entsprechenden Nacht auch keinen anderen Schluss zu, als dass die Bundeswehr gezielt Afghanen töten wollte. Aber wenn ich das nun so schwarz auf weiß lese – nennt mich naiv, aber bisher dachte ich, die Bundeswehr hält sich aus sowas raus. Dieser Luftschlag passt auch nicht ins Bild einer „Aufbaumission“.

Damit bekommt diese Nacht vom 3. auf den 4. September eine ganz neue Dimension. Bisher hieß es ja, die Getöteten seien halt bedauerlicherweise Opfer des Angriffs geworden, weil man die Tanklaster zerstören wollte, die zu rollenden Bomben umfunktioniert werden sollten. Jetzt wird aber klar, dass der Angriff Teil einer neuen, härteren Gangart ist, dass die Exekution der Menschen Absicht war.
Vor diesem Hintergrund werden auch die Handlungen von Oberst Klein zumindest militärisch nachvollziehbar. Ihm blieb in der Nacht gar nichts anderes übrig, als den close air support anzulügen, es bestehe Feindkontakt und es gäbe eine unmittelbare Bedrohung. Die Bundeswehr hat nur Schützenpanzer und Tornadoaufklärer vor Ort, hat also für solche Art von Luftschlag gar nicht Ausrüstung in Afghanistan.

Immer interessanter wird jetzt die Frage „Wer wusste wann was?“. Durch den Bericht von Klein vom 6. September, spätestens aber seit dem ComISAF-Bericht vom 28. Oktober der Bundesregierung klar, was bzw. eben wer das Ziel des Angriff war: eine Gruppe Taliban, darunter offenbar 4 Anführer. Die Bundesregierung wusste das (oder zumindest: musste das wissen), hat aber weiterhin die Darstellung aufrecht erhalten, nach der die Tanklaster das Ziel waren. Überrascht dürfte in der Regierung eh niemand gewesen sein, wenn die Sache mit der Eskalationsstrategie stimmt.
Interessantes Detail am Rande: die Fraktionsvorsitzenden hatten seit November Einsicht in den ComISAF-Bericht. Überrascht über die jetzt bekannt gewordenen Details über die wahre Absicht des Bombardements dürfte man auch dort nicht sein.

Mal gucken, ob der Untersuchungsausschuss Licht ins Dunkel bringen kann und ob sich insbesondere die Eskalationsstrategie beweisen lässt. Spätestens dann wäre eine Debatte nötig, was die Bundeswehr in Afghanistan tun soll (kämpfen vs. aufbauen) und was die Bundesrepublik dort eigentlich will. Wollen wir dort mit allen Mitteln des Krieges Taliban jagen oder wollen wir wirklich Aufbauhilfe leisten? Sind präventive Luftschläge ok, auch wenn keine konkrete Gefahr besteht sondern nur irgendwann mal von diesen Menschen ausgehen könnte?
Was wusste eigentlich Kanzlerin Merkel? Ich kann mir nicht vorstellen, dass 140 Menschen in Afghanistan sterben und Frau Merkel geht zur Tagesordnung über. Und was wusste der damalige Außenminister Steinmeier? Das Auswärtige Amt ist formal federführend bei Auslandsmandaten.

Das andere mögliche Ergebnis des Untersuchungsausschusses: man tut seitens der Bundesregierung den Luftschlag als Überreaktion von Oberst Klein ab und bemüht sich weiter um die Aufrechterhaltung des Bildes der Bundeswehr als bewaffnetes THW.

Tanklasterbombardierung durch die Bundeswehr: Zwei Lügen für ein Halleluja

Verteidigungsminister Guttenberg hat den Tanklasterangriff in Afghanistan als „militärisch nicht angemessen“ beurteilt. Den Mut, (s)eine Fehleinschätzung zu revidieren, muss man anerkennen. Außerdem hat Guttenberg diese Neubewertung auch dort verkündet, wo sie hingehört: im Bundestag (nicht vor der Presse oder in einem Interview oder in einen Hinterzimmergespräch).

Aaaber: die Neubewertung ist letztlich nur ein Ausprechen des Offensichtlichen. Guttenberg sagt zwar, er hat jetzt in Unterlagen gelesen, die ihm vorher vorenthalten worden sind und nach dem, was dort drin stand, stellt sich ihm der Vorgang anders dar als noch vor 4 Wochen. Das glaube ich nicht, das ist imho eine Schutzbehauptung, um die Kehrtwende begründen bzw. erklären zu können: die Tanklaster fuhren vom Bundeswehrstützpunkt Kunduz weg, saßen dann im Flussbett fest, keine unmittelbare Gefahr für die Bundeswehr, keine Soldaten verwickelt, zivile Opfer nicht auszuschließen. Dies alles spricht nach ISAF-Regeln gegen einen Luftschlag und trotzdem wurde er angeordnet. „Mit Kanonen auf Spatzen schießen“ fiele mir dabei als Bewertung ein – aber sicher nicht „militärisch angemessen“.

Guttenberg stellt sich mit dieser Neubewertung gegen seinen Amtsvorgänger und gegen die Bundeswehrführung: Jung und Generalinspekteur (GI) Schneiderhan hatten den Militärschlag als angemessen bezeichnet. Diese Diskrepanz zwischen GI Schneiderhan und Guttenberg ist meiner Meinung nach der eigentliche Grund für den Rausschmiss des GI.

Jetzt kriegen wir endlich einen Untersuchungsausschuss. Dazu wird sich der Verteidigungsausschuss in einen solchen umwandeln. Nachteil daran: der Aussschuss tagt in der Regel geheim. Die Opposition will diese Regel zu einer Ausnahme machen – wie bei einem gewöhnlichen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dieser Untersuchungsausschuss hat dann im wesentlichen 2 Fragen zu klären: was passierte in der Bombennacht und wer wusste hinterher wann von den Folgen.

Zwei Lügen und zwei Bomben

Bei Spiegel Online und beim ZDF gibt es zwei ziemlich detailierte, teils aber widersprüchliche Protokolle der Bombennacht. Daraus wird deutlich, dass es keinen Zeitdruck für den Bombeneinsatz gab, es war also keine Affekthandlung, in der schnell mal Fehler passieren. Zwischen der Nachricht, dass die Tanklaster auf der Sandbank festsitzen und dem Bombenabwurf liegen fast 4 Stunden, zwischen der visuellen Bestätigung der festgefahrenen LKWs und dem Bombenfall immerhin noch fast 2 Stunden (nach ZDF-Information gab es die visuelle Bestätigung sogar schon 2 Stunden früher als bei SpOn).
Dann wird von der Bundeswehr Luftunterstützung angefordert und es wird offenbar bestätigt, dass es Feindberührung (troops in contact) gäbe – was eine glatte Lüge ist, aber notwendige Voraussetzung für die Nutzung des close air support in Afghanistan.
Offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen der deutschen Seite und den F16-Piloten über Größe und Menge der Bomben. Außerdem empfahlen die US-amerikanischen Piloten fünfmal ein sogenanntes show of force als niedrige Eskalationsstufe, also ein Drüberdonnern mit den Kampfjets in niedriger Höhe, als Warnung an die Leute am Boden und um diese damit zu verscheuchen. Das wurde von deutscher Seite abgelehnt. Kurz vor dem Bombenabwurf kommt noch die Frage nach der unmittelbaren Bedrohung (imminent threat). Auch die wird – wahrheitswidrig – von deutscher Seite bejaht. Dann fallen die Bomben.

Die Entscheidungsstrukturen in der Nacht sind offenbar auch nicht ganz klar. Bisher stellt sich das alles so dar, dass nur Oberst Klein und ein Oberfeldwebel den Einsatz befehligt haben, Vorgesetzte oder andere Stellen waren nicht involviert. So richtig glauben kann ich das nicht. Im Artikel der Hannoverschen Allgemeinen werden ja mal wieder die KSK ins Gespräch gebracht. Sind die involviert, tauchen die in Berichten nicht auf. Aber auch ohne die KSK kann ich mir eine fehlende Rücksprache nicht vorstellen. Immerhin will man eine große Anzahl von Menschen töten, Zeit genug für Konsultationen war vorhanden, es bestand kein schneller Handlungsbedarf.

Gezielte Tötung?

Für mich stellt sich das Szenario mittlerweile so dar, dass eine große Anzahl von Menschen getötet werden sollte. Zumindest aber hat man eine große Opferzahl billigend in Kauf genommen und nichts unternommen, um die Opferzahl zu verringern. Selbst wenn man seitens der Bundeswehr davon ausgegangen war, dass sich vor Ort „nur“ Taliban befanden und man die gestrandeten Tanklaster als willkommenen honeypot gesehen hat, wäre das eine neue Qualität der Kriegsführung der Bundeswehr in Afghanistan. Dann möchte ich sehen, wie Guttenberg und Merkel vor dem Bundestag erklären, dass die gezielte Tötung von Taliban jetzt zum Auftrag der Bundeswehr dazugehören.
Wobei „gezielte Tötung“ eben bei solchen Luftschlägen Blödsinn ist. Eine Bombe unterscheidet nicht zwischen Taliban, freiwilligen Taliban-Anhängern, gezwungenen Taliban-Anhängern und einfachen Zivilisten. Es macht einfach nur Wumms und 140 Menschen sind tot.
Seltsam auch, dass nach der Bombardierung keiner nachguckte, was los ist und zum Ort des Geschehens fuhr. Erst gegen Mittag war die Bundeswehr vor Ort – als viele Spuren schon beseitigt waren.

Wer wusste wann was?

Und damit komme ich zur zweiten Frage, die der Untersuchungsausschuss zu klären hat: Wer wusste wann was. Es hieß ja hinterher, es seien keine Zivilisten zu Schaden gekommen, auch GI Schneiderhan hat das behauptet. Dabei gab es den Bericht der Feldjäger und andere Berichte, die ziemlich deutlich machen, dass es sehr wahrscheinlich zivile Opfer gab. Wurden diese Berichte wirklich dem damaligen Verteidigungminister Jung vorenthalten? Kam das entsprechende Refererat im Kanzleramt schon früh zum offensichtlichen Entschluss, dass der Bundeswehroberst nicht angemessen gehandelt hat? Das Dementi folgte zwar prompt, aber wie glaubhaft ist das? Oder wie es ein Journalist in der Pressekonferenz formulierte:

Da wird die Bundeswehr sozusagen in den schwerwiegendsten Konflikt verwickelt, den sie seit ihrer Gründung zu bestehen hatte, es liegt auf der Hand, dass vermutlich sogar Kinder von der Bundeswehr getötet worden sind, und dann interessiert sich im Bundeskanzleramt – ich sage es einmal grob – kein Schwein dafür, was eigentlich dahinter steckt.

Das „Wer wusste Wann Was“ ist zwar für die Presse interessanter, weil es dabei um Personen geht und vielleicht wird auch noch der ein oder andere Kopf rollen, aber das eigentlich wichtige des Untersuchungsausschusses ist meiner Meinung nach die Frage: Wie konnte es zu diesem Bombardement kommen? Wer hat das entschieden auf der Basis welcher Fakten und mit welcher Absicht?

Was mich auch wundert: Warum kommen die vielen Berichte und Recherchen in der Presse erst jetzt? Der Tanklasterangriff war am 3. September, also vor 3 Monaten. Der Spiegel stellt zwar die richtigen Fragen, aber warum erst jetzt? Warum nicht schon vor der Bundestagswahl? Gab es eine Beißhemmung, um das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten?

Wir werden sehen, was der Untersuchungsausschuss zu Tage fördert – und was davon an die Öffentlichkeit gelangt. Bisher kam ziemlich viel ans Licht und dafür, dass es am Anfang hieß, alles sei supi gelaufen, sind ziemlich viele Köpfe gerollt.

[Für das ganze Bild: eine Linkliste mit Originalquellen gibt es bei „Augen geradeaus!“]

Petition für Open Access

Lars Fischer hat eine Petition gestartet, in der gefordert wird, dass öffentlich finanzierte Forschung allen Bürgern kostenlos zugänglich gemacht wird. Lars erklärt in einem Blogeintrag die Petition auch noch mal näher. Zahlreiche Wissenschaftsorganisationen sind ebenfalls dafür.
Also: durchlesen und bei Zustimmung mitunterzeichnen.

Sinn der Petition ist es, dass wissenschaftliche Artikel auch frei verfügbar sein müssen, wenn die Forschung dahinter mit öffentlichen Gelder (was zum allerallergrößten Teil der Fall ist) bezahlt worden ist. Im Normalfall ist es nämlich so, dass wissenschaftliche Aufsätze (sog. „Paper“) in Fachzeitschriften publiziert werden. Der Zugang zu diesen Zeitschriften ist häufig nur gegen saftige Abogebühren möglich (oder gegen hohe Gebühren für einen einzigen Artikel). Wer keinen Zugang über die Uni oder eine Bibliothek hat, guckt in die Röhre. Das soll sich ändern, indem alle Paper auch auf einem sinnigerweise zentralen Server frei zugänglich gemacht werden – für jeden Interessierten.

Der beste Weg wäre es natürlich, wenn alle Zeitschriften nur noch nach dem Open-Access-Modell funktionieren würden. Dahin ist es aber ein weiter Weg, weil Wissenschaftsverlage prächtig am bisherigen Prinzip verdienen. Wissenschaftler suchen sich für ihre Publikationen das Journal mit dem höchsten Ansehen („Impact Factor“) aus, das jeweilige Access-Modell spielt dabei meist keine Rolle.
Das zu ändern ist aber langer Prozess, der aber schon begonnen hat. Das aber nur zur Information, das ist nicht Bestandteil der Petition.

Open Access sollte in einer Wissensgesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein – erst recht, wenn die Forschung von der Gesellschaft auch bezahlt wird.

[via: Jens Scholz und heise online]

Alles ok beim Tanklasterbombing in Afghanistan?

Vor knapp zwei Monaten ließ die Bundeswehr ein paar geraubte und dann gestrandete Tanklastzüge in Afghanistan bombardieren.

Die NATO hat eine Untersuchung veranlasst. Der Bericht ist geheim und das Pressestatement vom deutschen Generalinspekteur Schneiderhan war mehr als dürftig und diente wohl mehr dazu den verantwortlichen Oberst zu schützen als Informationen zu liefern oder gar die Sachlage aufzuklären. Fakten zum konkreten Ablauf nennt Schneiderhan so gut wie gar nicht, stattdessen spricht er davon, dass man die Gesamtsituation (Angriffe auf die Bundeswehr, LKWs für Attentate etc.) vor der Bombardierung nicht außer acht lassen darf. Mag alles richtig sein, erklärt aber dieses konkrete Bombardement nicht. Es bleiben sehr viele Fragen offen.

Guckt man sich einmal diese grafische Rekonstruktion der Ereignisse vom Spiegel an, dann ist die Bombardierung einfach nicht nachvollziehbar. Die Tanklaster sind vom Bundeswehrstützpunkt weg gefahren und saßen auf einer Sandbank im Fluss fest. Es ging keine unmittelbare Gefahr von den LKWs aus. Die damalige Behauptung der Bundeswehr, es sollte ein Attentat auf das Bundeswehrlager in Kunduz verhindert werden, ist darum nicht haltbar.
Schneiderhan wiederholt in seinem Statement diese Behauptung (er spricht nur noch von „einem größeren geplanten Anschlag“) nicht, möchte aber – indem er diffus von der „militärischen Gesamtlage in Kunduz“ spricht – trotzdem den Eindruck erwecken, dass es genau um die Verhinderung eines solchen Attentats ging. Eine Erklärung, warum die Tanklaster in die Luft gejagt werden mussten bzw. worden sind, bleibt Schneiderhan schuldig.

Über die getöteten Zivilisten sagt Schneiderhan dann folgendes:

Der NATO-Bericht führt lediglich an, dass lokale Führer vor Ort von möglicherweise 30 – 40 toten und verletzten – wie es im Bericht heißt – „Civilians“ berichteten. Er bestätigt damit nicht, dass durch den Luftschlag unbeteiligte Personen getötet wurden. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es sich in der Nacht zum 4. September für Oberst Klein so darstellte, dass keine Unbeteiligten vor Ort waren.

Was für eine eklige Haarspalterei. Nur weil die Zivilisten am Ort des Geschehens waren, waren es keine Unbeteiligten und somit zum Abschuss freigegeben? Vielleicht waren sie tatsächlich dort, um den Laster aus dem Flussbett zu befreien, möglicherweise wurden sie dazu gezwungen oder sie haben sich Benzin abgezapft oder auch beides. Darf man diese Menschen deshalb einfach in die Luft jagen? Hatten die Menschen überhaupt die Möglichkeit, sich rechtzeitig zu entfernen, wurden sie gewarnt (Tiefflüge, Warnschüsse o.ä.)?

Keine Erklärung dazu von Schneiderhan. Die Bundeswehr vertuscht weiter und tut so, als sei alles supi nach Vorschrift verlaufen, die Opfer waren bloß böse Taliban und die offenen Fragen werden ignoriert.

Nachtrag (31.10.09): Der Spiegel hat offenbar mehr Einblick in den Nato-Bericht erhalten. Und danach lief eben nicht alles nach Vorschrift:

Der Nato-Bericht über den tödlichen Luftangriff auf zwei Tanklaster in Kunduz weist SPIEGEL-Informationen zufolge auf klare Fehler in der deutschen Operationsführung hin. Oberst Klein, Kommandeur des Wiederaufbauteams in Kunduz, habe sich nicht an das Standard-Einsatzverfahren, die sogenannten Standing Operation Procedures (SOP), gehalten.

So habe er die Luftunterstützung mit der Begründung angefordert, seine Truppen hätten Feindberührung, obwohl sich keine Isaf-Soldaten in der Nähe der Tanker aufhielten. Er habe es abgelehnt, als niedrigere Eskalationsstufe die F-15-Jagdbomber zunächst im Tiefflug über die Tanker fliegen zu lassen. Zudem sei es möglich, dass es angesichts der unübersichtlichen Lage nicht ausreichend war, sich auf eine einzige menschliche Quelle und die Live-Bilder der Luftunterstützung zu verlassen.

Schneiderhans Versuch, seinen Oberst zu schützen in allen Ehren, aber hat er wirklich geglaubt, die Ergebnisse des Berichts kommen nicht ans Licht?

Atomgetriebene Brisanz

Ich bin nun sicherlich kein Freund der Atomenergie, aber man muss auch nicht gleich aus dem Häuschen geraten, wenn irgendwo das Stichwort Atomkraft fällt. Und erst recht muss man keinen Skandal aus etwas machen, das kein Skandal ist. So wie die Financial Times Deutschland (FTD) am gestrigen Mittwoch.

Angeblich hält Frau Schavan vom Bundesbildungsministerium eine „Atomstudie“ bis nach der Bundestagswahl zurück, weil ihr die Ergebnisse dieses „brisanten Gutachtens“ (mehr AKWs, Endlager in BaWü) nicht passen. Daran ist so ziemlich alles falsch.

– Die Studie ist keine Atomstudie sondern ein „Konzept für ein integriertes Energieforschungsprogramm für Deutschland“. Darin kommt naturgemäß die Atomenergie als Möglichkeit der Energieversorgung vor. Die Autoren der Studie beschreiben auch, dass die neuen AKWs der 4. Generation sicherer und effizienter sind, sodass weniger Uran verbraucht wird und am Ende weniger Atommüll anfällt. Das klingt alles recht begeistert und die Probleme mit der Endlagerung werden zwar angesprochen, aber imho nicht ausreichend stark gewichtet. Trotzdem: ein „unverhohlenes Plädoyer“ bzw. eine „Preisung“ neuer AKWs, wie von der FTD behauptet, erkenne ich darin nicht. Als mögliche Endlagerstätten werden – neben den Salzstöcken wie z.B. in Gorleben – auch „Tonsteinformationen“ erwähnt. Damit deutlich, dass die Beschränkung der Endlagersuche auf Salzstöcke eine politische und keine wissenschaftliche Gründe hat. Tonsteinsedimente gibt es auch in BaWü und vielleicht auch in anderen unionsregierten Ländern, die zwar Atomenergie toll finden, aber von einem Endlager in ihrem Bundesland nichts wissen wollen.
Neben der Atomkraft (5 von 61 Seiten) nehmen erneuerbare und fossile Energien und die Energieeffizienzsteigerung breiten Raum ein.

– Frau Schavan hält die Studie nicht unter Verschluss bis nach der Bundestagswahl, sondern die Institutionen, von denen die Studie erarbeitet worden ist, haben sich darauf verständigt, die Ergebnisse erst nach der Wahl (am 15. Oktober) vorzustellen, um eine möglichst ruhige Diskussion zu ermöglichen. Das klingt für mich plausibel, denn dass das Gutachten im Wahlkampf offenbar wirklich nicht sachlich diskutiert werden kann, zeigen ja jetzt die Reaktionen. Frau Schavan dürfte die Verschiebung der Gutachtenpräsentation allerdings ganz gelegen gekommen sein: eine Atom- und Endlagerdebatte kann die CDU nicht gebrauchen.
Von einer Verschlusssache kann auch deshalb keine Rede sein, weil eine Zusammenfassung („Executive Summary“) der Studie auf der Seite der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften einsehbar ist. (Nachtrag: Offenbar wurde die Studie erst nach der Diskussion gestern nachmittag online gestellt [siehe Kommentar Nr. 25 bei netzpolitik.org, leider nicht direkt verlinkbar])

Alles in allem ist das Gutachten, soweit man das aus der Zusammenfassung ablesen kann, nicht „brisant“ (aber interessant und diskussionswürdig, weil der Schwerpunkt imho zu wenig auf erneuerbaren Energie liegt) und mit Sicherheit keine Aufregung über eine vermeintliche „Atomstudie“ wert.

Bundeswehr lässt in Afghanistan Tanklaster bombardieren

Bundeskanzlerin Merkel verbittet sich Kritik aus dem In- und Ausland. Soweit kommt’s noch.

Was soll bei den Untersuchungen raus kommen, das dieses Bombardement rechtfertigt? Warum bombadiert man zwei auf einer Sandbank gestrandete, fahrunfähige Tanklaster? Die stellten doch in diesem Moment keine Bedrohung dar. Für niemanden. Möglichweise sollten sie für einen Selbstmordanschlag benutzt werden. Gibt’s Belege dafür? Warum beobachtet man die Lastwagen nicht oder schießt sie bewegungsunfähig? Mittels Bombe oder Rakete in die Luft können hätte man sie immer noch.

Auf den Luftbildern waren bewaffnete Menschen rund um die LKWs zu sehen. Was macht das für einen Unterschied? Seit wann wird ein Tanklasterraub (nein, es war nicht nur Diebstahl, die Fahrer wurden an der fingierten Straßensperre umgebracht) oder das Zapfen von Benzin mit dem Tod durch die Bombe bestraft? Und da interessiert es mich auch gar nicht, ob sich am Tanklaster „nur Taliban“ oder auch Zivilisten aufgehalten haben. Der Unterschied dürfte ohnehin fließend sein. Die Bombardierung widerspricht nicht zuletzt den aktuellen Leitlinien für die ISAF, in denen das Schützen der Zivilbevölkerung an oberster Stelle steht.

Dazu kommt dann noch die unterirdische Informationspolitik von Verteidigungsminister Jung, der solange vertuscht oder leugnet, bis die Infornation dann auf anderem Wege herauskommt und man die Wahrheit nicht mehr unterdrücken kann. Die deutsche Presse tut sich auch nicht gerade als sonderlich investigativ hervor. Aber das ist nichts neues, der ganze Afghanistaneinsatz wird journalistisch kaum begleitet. Der erste ausführliche Bericht zum Ablauf erschien in der Washington Post .

Lesenswert in diesem Zusammenhang sind auch das Weblog „Augen geradeaus“ von Thomas Wiegold beim Focus, der Sammelbeitrag mit bekannten Fakten aus deutschen und internationalen Zeitungen und der Beitrag vom Spiegelfechter zum Ablauf des Geschehens.

Fremdbestimmte SPD?

Die Nachdenkseiten machen ein bisschen auf Verschwörungstheoretiker und mutmaßen, die SPD sei fremdbestimmt. Anders kann sich Albrecht Müller den Niedergang der SPD über die letzten Jahre nicht erklären.

Das halte ich für Quatsch. Die SPD ist nicht fremdgesteuert, sie hält weiter den Kurs der letzten Jahre, nur erkennen viele Menschen jetzt, dass er falsch war und wählen sie deshalb nicht mehr.

Die SPD hat sich ab Mitte der Neunziger Jahre des vorigen Jahrtausends zu modernisieren versucht. Modernisieren hieß damals – dem Zeitgeist folgend – den Wirtschaftsliberalismus („Neoliberalismus“) gut zu finden und eine wirtschaftsfreundliche Politik zu machen. Publizistisch wurde damals aus allen Rohren gefeuert: kaum eine Zeitung, kaum ein Buch, kaum eine Talkshow, in denen nicht wirtschaftsliberale Rezepte als Heilmittel gepriesen wurden. Sozialer Ausgleich, soziale Gerechtigkeit war veraltet, das roch muffig nach siebziger Jahre, neoliberal hingegen war en vogue. Und ganz ehrlich: wer hat denn den Quatsch von damals, dass nur Privatisierungen, Lohnzurückhaltungen, Steuersenkungen und geringere Sozialleistungen dieses Land am Laufen halten, nicht geglaubt? War auch schwer, denn Denkalternativen musste man mühsam suchen. Der Blick in die Zeitung oder das Fernsehen versprach nur Neoliberalismus. Wer da nicht mitmachte, wurde publizistisch abgebürstet. Man gucke sich dazu mal ein wenig im Archiv des Spiegels rund um die Ära Schröder um.

Die Sozialdemokraten hatten mit dieser Form der Wirtschaftsfreundlichkeit Ende der Neunziger ja auch Erfolg: z.B. Blair in Großbritannien, Schröder in Deutschland und Jospin in Frankreich. Im Zuge dessen wurde das komplette Führungspersonal auf wirtschaftsliberal getrimmt, wer nicht mitzog, flog raus oder ging von selbst (Lafontaine, WASG).

Mit dieser Führungsschicht haben wir es noch heute zu tun. Die können auch gar nicht anders, die haben sich umpolen lassen und können nun nicht mehr zurück. Zurück würde bedeuten, das (öffentlich) Gesagte und Gedachte der letzten zehn, fünfzehn Jahre plötzlich für falsch zu halten. Nein, die machen so weiter, auch wenn sie damit sehenden Auges gegen die Wand fahren. Die sitzen aber höchstselbst am Steuer, möglicherweise liegt aber auf dem Beifahrersitz noch das ein oder andere Buch eines neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlers oder sonstigen Publizisten.

Linke Normalität

Erinnert sich noch jemand an die Aufregung, als Andrea Ypsilanti in Hessen im Januar 2008 mit der Linkspartei zusammenarbeiten wollte? Und jetzt, nach den Landtagswahlen im Saarland, in Thüringen und Sachsen ist eine Koalition mit der Linken kein Schreckgespenst mehr. Auch die SPD-Spitze in Berlin nimmt das Thema rot-rote-Koalition offen in den Mund (vorerst, also bis 2013, nur in den Ländern).

Ist die SPD also tatsächlich im Fünfparteiensystem angekommen? Nimmt die SPD doch noch Vernunft an und behandelt die Linke nicht wie Aussätzige sondern wie einen potentiellen Koalitionspartner? Begreift die SPD die Bedeutung von Linkskoalitionen? Das wäre ja endlich ein Stück Normalität.

Politische Landschaftspflege

Ich weiß nicht so recht, was ich von der Geburtstagsfeier für Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann im Bundeskanzleramt halten soll. Die Finanzierungsfrage finde ich dabei am uninteressantesten. Die Verköstigung von 30 Leuten – das fällt in keinem Staatshaushalt auf.

Ist das alles wirklich so normal? Ein Regierungschef (oder eine -chefin) braucht nun eben mal Informationen aus erster Hand der Mächtigen und Wichtigen der Republik. Mag sein, aber diese Mächtigen und Wichtigen werden in erster Linie das Wohl ihres Unternehmens, ihrer Branche, ihres Verbandes oder ihrer Klientel im Blick haben. Solche Treffen sind eben auch Lobbyismus und es bleiben Hinterzimmergespräche, die Öffentlichkeit erfährt davon nix, eine Kontrolle ist nicht möglich. Natürlich liegt es immer noch am Politiker selbst, was er daraus macht, ob er Einzelinteressen unterstützt oder dem Gemeinwohl dient. Man hört aber seltener davon, dass Vertreter von Sozialverbänden, Arbeitslosenorganisationen oder Umweltaktivisten eingeladen werden. Und dadurch kriegen diese Kaminzimmergesprächen einen mehr oder minder schweren Drall. Meistens ist eben doch nur sehr einseitige politische Landschaftspflege.

Und in diesem konkreten Fall war es eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus Politikern, Managern und Journalisten. Welchem Zweck soll so ein Treffen dienen? Wem ist mit so einem Abendessen im Kanzleramt geholfen? Und was machen Journalisten (Döpfner vom Springer-Verlag, Dieckmann von Bild, Friede Springer und Schirrmacher von der FAZ) dort? Heute mit den Mächtigen speisen, ein bisschen plauschen und einen „netten Abend“ miteinander verbringen – und ihnen morgen investigativ-journalistisch an den Karren fahren? Das glaube ich nicht; da nimmt die Beißhemmung ab.

Deal gegen Entlassungen?

Die Financial Times Deutschland schreibt, dass es ein Stillhalteabkommen gäbe zwischen der Regierung und der Industrie, bis zur Bundestagswahl auf Entlassungen zu verzichten. Das Bundesarbeitsministerium dementiert.

Aber so abwegig finde ich das gar nicht. Darüber wird sicher nichts schriftliches vorliegen, sowas hängt man nicht an die große Glocke. Darüber wird man sich eher informell in abendlichen Kungelrunden, wie z.B. Ackermanns Geburtstagsessen bei der Kanzlerin, geeinigt haben. Als Gegenleistung gabs von der Bundesregierung eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes. Und schon ist der Deal perfekt: die Industrie darf ihre Überkapazitäten teilweise auf den Staat/Steuerzahler/Beitragszahler abwälzen und die Regierung (SPD und CDU/CSU) bekommt einen ruhigeren Wahlkampf. Idee steht, Kopfnicken auf beiden Seiten, Umsetzung durch Personalabteilung bzw. Regierungsbeamte folgt.

Klingt für mich plausibel.