Gefährlich leben Journalisten hierzulande zwar nicht – doch ihre Arbeit wird in der Tat behindert: Die Politik hat ein System des Tricksens und Täuschens etabliert. Bei Themen wie dem Anti-Terror-Kampf wird vertuscht und gelogen.
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Klar ist, dass in Deutschland kein Journalist den Tod fürchten muss. Allerdings hat sich in der Politik ein System eingeschlichen, das mit verweigerten Stellungnahmen bis hin zur konkreten Falschinformation agiert. Dieser Politikapparat setzt die Presse nicht mit Gewalt unter Druck, er schüchtert sie auch nicht ein. Regierung und Behörden informieren jedoch nur so, wie es ihnen gerade passt.
(Spiegel Online, 24.10.06)
Ich dachte immer, an dieser Stelle begänne der eigentliche Journalismus, der investigative nämlich. Auf offizielle Pressemitteilungen warten und diese dann umschreiben – das allein kann ja wohl kein Journalismus sein. Seltsam, dass dieses Gejammer über schlechte Informationspolitik der Regierung vom ehemaligen „Sturmgeschütz der Demokratie“ kommt.
Und: Hat sich da was „eingeschlichen“? War es nicht schon immer so, dass Behörden und Regierungen versucht haben, Dinge zu vertuschen, wenn sie schiefgelaufen sind?! Was ist denn daran neu?
Gerade wenn von den Behörden kaum Informationen kommen, dann muss man erst recht nachbohren, muss der Öffentlichkeit klar machen, dass gelogen und getrickst wird. Dann muss man hart recherchieren und die Ergebnisse auch ohne offizielle Bestätigung veröffentlichen.
Stattdessen wird vielfach Kuscheljournalismus betrieben. Gerade auch beim Spiegel. Wann hat denn der Spiegel das letzte Mal eine große Affäre ins Rollen gebracht?
Statt ein Personaltheater mitzuinszenieren, sollte sich der Journalismus wieder auf die Beschreibung, Erläuterung und Einordnung von Vorgängen, deren Zielen und (Un-)Nutzen verpflichten. Das verlangt aber Recherche und weniger das Abwarten auf öffentliche Verlautbarungen. Wie der Hund hinter dem Stöckchen, so springt die Presse jedem hingeworfenen Brocken hinterher, mit Detailfragen und Personaltheater wird vom großen Ganzen abgelenkt. Letztes Beispiel: Gesundheitsreform. Wurde denn bei all dem Hin-und-Her und Wer-gegen-Wen noch nach dem Nutzen, nach dem Sinn der Reform gefragt?
Gerade der in dem SpOn-Artikel erwähnte sog. „Anti-Terror-Kampf“ ist ein gutes Beispiel dafür. Es sind doch nur wenige Journalisten, die da die Maßnahmen noch hinterfragen. Und wenn überhaupt, dann reicht die Kritik nur bis zum nächsten (vereitelten) Anschlag. Dann wird die Frage nach der Sinnhaftigkeit von vermeintlichen Abwehrmaßnahmen nicht mehr gestellt. Dann stehen die Journalisten Seit‘ an Seit‘ mit den sog. Sicherheitspolitikern.
Natürlich wird man nur auf Schnittchen- und Häppchenpartys eingeladen, wenn man Politikern nicht ans Bein pinkelt:
Gemeinsam mit Politikern und Hauptstadtjournalisten feierte Ulrich Wilhelm am Montagabend den Abschied des Fernsehjournalisten Volker Jacobs […].
Man kennt sich, man mag sich – man lässt sich in Ruhe. Investigativer oder wenigstens krititischer Journalismus sieht für mich anders aus. Mit wem man gut Freund bin, den kritisiert man nicht oder nicht so stark. Da guckt man vielleicht auch nicht so genau hin.
Und wenn man mehr Behördenoffenheit fordert, warum waren dann das Informationsfreiheitsgesetz oder das Verbraucherinformationsgesetz kaum ein Thema in der Presse? Beide Gesetze – je offensiver gegen sog „Amtsgeheimnisse“ ausgelegt, desto besser – würden auch das Recherchieren erleichtern.
Problem ist bei einigen Sachen aber auch, dass man eine Antwort der Stadt-, Landes- oder Bundesregierung braucht, um seine Geschichte schreiben zu können. Wenn die aber geschickt sind, dann reagieren die erst, wenn es zu spät ist, d.h. entweder hält man die Druckpressen an oder lässt es gleich bleiben. So kann man beispielsweise durch erst in letzter Sekunde authorisierter Interviews jede Menge Dinge machen, da man nicht mehr die Zeit hat das alles durchzulesen und zu entscheiden es so auf keinen Fall zu drucken. Schließlich will man die Geschichte für die Sendung, das Heft oder seine Zeitung, damit es nicht nächste Woche kalter Kaffee ist.
Und was will man berichten, wenn die mit einem nicht mehr reden wollen? Wenn man die einzige Zeitung vor Ort ist mag das gehen. Wenn aber einem freinen Mitarbeiter die einzige Zeitung vor Ort bestimmte Aufträge nicht mehr gibt, weil sich die Stadt beschwert hat, dann wird es schwierig für den Einzelnen. Denn selbst wenn einer so unverzichbar brilliant scheint, so könnte ich mir vorstellen, dass es auf die paar Karat nicht ankommt.
Blöde Situation, ein Arbeitgeberarbeitsmarkt gefährdet nunmal die Demokratie.
Gibt es in Deutschland gegenüber der Presse keine Auskunftspflicht?
Ich wünschte mir, dass die Presse mangelnde Zusammenarbeit der Behörden öffentlich machen würde.
Auf solche Spielchen sollte sich die Presse imho gar nicht einlassen. Dann gibt’s halt das Interview nicht. Ist das für die Auflage so entscheidend? Sind nicht eher die selbstrecherchierten Geschichten die am besten laufenden?
Ich kann da auf eine TAZ-Geschichte von 2003 verweisen:
Die TAZ entschloss sich damals das publik zu machen, aber vermutlich läuft das öfters so. Und jedesmal seine Quellen und Kontakte aufs Spiel zu setzen? Für etwas was sowieso vergessen wird?
Aber wo bleibt denn da die Pressefreiheit, wenn sich auf solche Spielchen einlässt? Wenn man sich alles absegnen und alles bestätigen lässt, dann entsteht bei mir der Eindruck der Mauschelei, bei der Politiker und Behörden die Berichterstattung abnicken.
Die Presse hat die Pflicht, Vorgänge der Politik zu beleuchten und darüber zu berichten und Politiker wollen ihre Politik über die Presse verkaufen. Wer nicht zusammenarbeitet, hat im wahrsten Sinne des Wortes eine schlechte Presse und wird nicht wiedergewählt. Im Prinzip liegen doch alle Trümpfe bei der Presse. Vielleicht seh ich das auch alles zu idealistisch. Vielleicht müssen auch per Gesetz Behörden und Ämter zur Zusammenarbeit mit der Presse verpflichten, wenn sie es von sich aus nicht tun.
Und dann hätte ich gerne mehr investigativen statt Kuscheljournalismus in Deutschland, bei dem man sein Ohr möglichst nah am Politiker haben will und ihn dafür in Ruhe lässt.
Wenn ich sowas im Taz-Artikel lese,
dann muss man doch sagen, dass sich die Presse mit diesen Mauschelzirkeln selbst in eine Abhängigkeit gebracht hat. Wer in der Öffentlichkeit außerhalb der Journalistenkreise weiß denn von solchen „Hintergrundkreisen“ und wie dort Nachrichten gemacht werden? Hier hat sich doch die Presse selbst korrumpiert und jammert dann hinterher, wenn die Informationen nicht in der gewohnten Weise fließen. Das ist ja auch einfacher als Recherchearbeit.