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Tröpfelndes Wissen

Am letzten Samstag saßen in Berlin auf dem Bebelplatz 112 Denker an einem großen Tisch und gaben Antworten. Auf 100 Fragen, die die Menschheit bewegen. Sagen die Macher des Projektes „Tröpfelndes Wissen“ (droppingknowledge.org). Macht 11.200 Antworten.

Die Website ist für’n Arsch. Die Antworten sind als Flashseiten realisiert, man kann keinen der Denker direkt verlinken. Ich kann auch keine Liste der Fragen oder Liste der Antwortenden finden. Die Liste der „Visionäre“ hab ich nun versteckt unter „About Us“ gefunden. Eine Liste der 100 Fragen vom Samstag kann ich immer noch nicht finden. Stattdessen kann ich die Antwortenden wie auf einem Glücksrad rotieren lassen. Die Antwortfilme dauern dann ewig, bis sie geladen sind. Mitmachen kann man irgendwie auch, aber dazu hab ich schon keine Lust mehr, weil die Seite dermaßen verbastelt ist, dass es keinen Spaß macht, sich dort länger aufzuhalten.

Sowas kommt wohl heraus, wenn Künstler (die drei Gründer sind welche) etwas Bedeutendes machen wollen: sie laden gute hundert vermeintliche Visionäre an den Tisch, von denen man kaum jemanden kennt und lässt sie dann Antworten auf Fragen in eine Kamera sprechen. Dann packt man das ganze auf eine nahezu unbedienbare Webseite und lässt die Leute hilflos durch Videos und Flashanimationen stolpern.

Heraus kommt gar nichts. Besonders keine lebende Bibliothek, wie es der Anspruch der Seite sein soll. Wenn eine Bibliothek so unaufgeräumt und ungeordnet wäre, dann würde keiner was finden und das Wissen würde in den Regalen vergammeln. Da würde das Wissen dann nicht mal mehr tröpfeln.

„Sabine Christiansen“ mit Unwucht

Ok, das weiß eigentlich jeder, der ab und zu mal „Sabine Christiansen“ guckt, dass dort oft die gleichen Leute aus der Politik sitzen und dann eins, zwei sogenannte Experten.

Die Politiker, glaube ich mal, beachtet eh keiner. Die wiederholen nur am Sonntagabend das, was sie die letzte Woche über auch schon erzählt haben. Interessiert keinen, nimmt wohl kaum jemand mehr ernst. Umso wichtiger sind da die eingeladenen Experten. Sie umweht der Hauch der Unparteilichkeit und des Sachverstandes. Dann sind das vielleicht noch Professoren und schon glaubt der Sabine-Christiansen-Zuschauer, dass der Fachmensch doch Recht haben muss.

In der Praxis sieht das anders aus. Da gibt es eher wirtschafts- und marktliberale und dann eher linke Fachleute, die nicht gleich den Sozialstaat abschaffen wollen. Wie sieht es denn mit der Wichtung der Lager der eingeladenen Fachleute bei Sabine Christiansen aus? Das hat der Transparenzverein „Lobby Control“ jetzt in einer Studie untersucht.

Ergebnis: Sabine Christiansen hat eine Unwucht, die eingeladenen Gäste sind eher neoliberal. Ok, das Gefühl hatte ich beim Gucken bzw. Betrachten der Gästeliste auch oft. (Ja, ich hab Sabine Christiansen eine ganze Weile regelmäßig geguckt, Asche auf mein Haupt. Inzwischen geht mir das Geschwätz zumindest der Wirtschaftsthemen auf den Nerv.)

„Christiansen spielt die Stichwortgeberin für einen neoliberal geprägten Reformdiskurs“, ergänzt Heidi Klein. Insbesondere bei Sendungen zu wirtschaftlichen oder sozialstaatlichen Reformen kämen marktliberale Wissenschaftler deutlich häufiger zu Wort als ihre Kollegen mit alternativen Standpunkten. „Von den zehn Wissenschaftlern, die um ihre Expertenmeinung gefragt werden, stehen sieben in direktem Zusammenhang mit marktliberalen Organisationen oder Denkfabriken“, erläutert Klein.

Was für eine Mission die Gäste vielleicht noch haben könnten oder wessen Herren sie außer der Uni oder ihrem Hauptarbeitgeber sie sonst noch dienen, wird dem Zuschauer nicht mitgeteilt. Die Kenntnis über Think Tanks und ihre Einflussnahme ist in Deutschland eh noch wenig verbreitet, da will Sabine Christiansen auch gar nicht erst mit anfangen.

Neben der Unausgewogenheit des Gäste- und Themenspektrums bemängelt LobbyControl die fehlende Transparenz über die Hintergründe der Gäste. Verbindungen einzelner Gäste zu Denkfabriken und Kampagnen wie der Stiftung Marktwirtschaft, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oder Unternehmen z.B. aus der Versicherungsbranche würden nicht genannt. „Damit werden den Zuschauern wichtige Informationen vorenthalten, mit denen sie sich ein eigenes Bild von den vertretenen Positionen machen könnten“, kritisiert Ulrich Müller.

Der „Spiegel“ hat es vorgemacht. Dort gibt es seit 10 Jahren auch nur neoliberale Rezepte verordnet.

„Crocodile Hunter“ Irwin von Rochen getötet

Der „Crocodile Hunter“ Steve Irwin wurde bei Dreharbeiten von einem Rochen gestochen ist ist daran gestorben.

Die ziemlich unernste Tiersendung konnte man – wie kann es anders sein? – auf RTL2 sehen. Man könnte auch sagen, dass es eine schwachsinnige Tiersendung war, bei der es weniger um die Tiere als um einfache Effekthascherei unter dem Vorwand, man wolle dem Publikum Tiere vorstellen, ging. Irwin mag dabei durchaus um die Tiere gegangen sein, aber er präsentierte wild lebende Tiere so, als seien sie Spielzeuge, die man auch so behandeln darf.

Ich mochte die Sendung nicht, ich mochte Irwin nicht, ich mochte seine Art nicht, wie er mit Wildtieren umgegangen ist. Alles musste er anfassen, begrabbeln, hochheben, damit rumspielen. Dazu gab es dann passende Kommentare, wie gefährlich die Schlange, die er am Schwanz hochhielt und die dabei aggressiv zischelte und sich windete. Irwin erklärte dann nebenbei hektisch und überschwänglich, was für eine Schlange er gerade ärgerte, woran man sie erkennen kann, wie furchtbar gefährlich sie ist und was für ein Prachtexemplar er da gefangen hatte. Ohne anzufassen hätte er es auch erklären können, der Informationsgehalt wäre gleich geblieben, nur halt wesentlich unspektakulärer.

Es ist kein Wunder, dass Irwin früher oder später an einem Biss oder Stich sterben würde.

Lesen Rezensenten ihre Bücher überhaupt?

Die Frage jedenfalls stellt sich mir, wenn ich in der Berliner Zeitung lesen kann, dass Grass‘ neues Buch schon Wochen vor dem Skandal eine 300 Journalisten geschickt wurde:

Zu diesem Zeitpunkt allerdings hatten bereits mehr als 300 Rezensenten den Roman seit Wochen vor sich liegen. Gelesen hatte jedoch kaum einer den neuen Grass, als die im Hause Schirrmacher inszenierte Bekenntnisbombe abgefeuert wurde. Schließlich sollte das Buch erst zum 1. September im Handel sein und Rezensionen unterlagen einer bis dahin geltenden Sperrfrist. Und keiner der jetzt düpierten Rezensenten und Kritiker hatte wohl den neuen Grass mit so viel Spannung erwartet, dass er ihm vor allen anderen Neuerscheinungen des Literaturherbstes absolute Priorität einräumte. Und die, die es taten, haben die Brisanz der Waffen-SS-Stelle offenbar nicht erkannt.

Von 300 (!) Journalisten hat keiner das Buch so gelesen und dann verstanden, dass Grass darin seine SS-Vergangenheit offenlegt? Kann ich kaum glauben. Die Sperrfrist hätte ja nicht verhindert (oder etwa doch?), dass man aus historischen Dokumenten seine Vergangenheit hervorkramt und dann veröffentlicht.

Wenn man soviele Feuilletonisten hat, die ein Buch erstmal Buch sein ließen, dann ist es auch klar, warum die FAZ, die Grass‘ Vergangenheit schon seit April kannte, es so leicht hatte, daraus einen Coup zu machen.

Der Spindoktor analysiert die Kampagne, zu der sich die FAZ offenbar freiwillig hat einspannen lassen und zieht das Fazit:

Da zeigt der Saubermann-Feuillton- und Kulturbetrieb seine wahre Fratze: Spinning im Kulturbetrieb sorgt seit Jahren für Selbstvermarktung. So also verdienen alle: die FAZ steigert morgen vermutlich ihre Auflage kräftig, Wickert kann behaupten, er mache eine tolle, neue Sendung, Grass und dessen Verlag verdienen wieder einmal prächtig.
Das alles muss einen nicht stören, allerdings ist es in diesem Fall weder inhaltlich noch von der Person her würdig, eher despektierlich. So verabschieden wir uns an dieser Stelle von Grass und suchen uns einen neuen, glaubhaften Moralisten.

Grass‘ Rolle in dem Spielchen ist mir noch nicht ganz klar. Ich traue ihm zwar zu, dass ihm ein Hype um sein neues Buch und daraus resultierende Verkaufszahlen ganz recht sind, aber dass er sich an Stillhalteklauseln o.ä. hält, sieht ihm nicht ähnlich. So würde ich ihn nicht einschätzen. Er mag sich aber vielleicht gesagt haben, die übrigen 300 Journalisten, die das Buch schon den ganzen Sommer über haben, hatten genug Zeit, hinter sein kleines Geheimnis zu kommen. Weil sie es nicht sind, hat er dann der FAZ ein Interview gegeben, in dem er im Grunde nur mit dem raus kommt, was schon seit Monaten für wenige hundert Schreiberlinge zu lesen war. Die FAZ hatte riesiges Glück, dass keiner die Tragweite von Grass‘ neuem Buch erkannt hatte.

Der Coup liegt auf Seiten der FAZ, die es geschafft hat, dass nirgendwo sonst Grass‘ Vergangenheit bekannt war und sein Geständnis deshalb exklusiv dort abgedruckt werden konnte. Der Medienrummel, der anschließend folgte, wäre sowieso gekommen, davon bin ich überzeugt. Zu groß war die Überraschung, dass Grass in den letzten Kriegsmonaten bei der SS war und es bis heute verschwieg. Für den Steidl-Verlag hätte es so und so gute Werbung für das Buch gegeben. Es sieht allerdings so aus, als habe Grass mit dem Interview den Stein ins Rollen gebracht und es dadurch für die FAZ zu einer self-full-filling prophecy gemacht. Und irgendwie steht er dabei doof da.

Grass – eigene Vergangenheit und Moral

Günter Grass wurde also 1944 als 17-Jähriger zum Volkssturm in eine Einheit der Waffen-SS einberufen. Das sagt er uns erst jetzt, in einem Interview mit der FAZ.

In diesem Interview redet er über die Themen seines Buches „Beim Häuten der Zwiebel“, in dem er seine Jugend beschreibt. Sein Eingeständnis ist also keine PR für das, sondern es ist Teil des Inhaltes seines Buches. Spätestens wenn das Buch herausgekommen wäre, hätte es in allen Zeitungen gestanden, dann wäre die Bombe eh geplatzt und der Tanz in den Feuilletons nicht weniger heiß gewesen. Trotzdem unterstellt die Judenzentralratspräsidentin Knobloch einfach mal, es handele sich um PR.

Auch andere Kritiker Grass‘ kriechen jetzt aus ihren Löchern und braten ihm kräftig eins über: Henryk Broder und der Michael Wolffsohn zum Beispiel sprechen ihm gleich jede moralische Glaubwürdigkeit ab. Broder meint gar, Grass rede „fast immer […] Unsinn“. Jaha, na endlich können sie mal auf das pfeifenrauchende Plappermaul draufhauen, jippie.

Grass war derart damit beschäftigt, Pinter zu preisen und die USA zu verdammen, dass er keinen Satz, kein einziges Wort über den iranischen Präsidenten Ahmadinschad verlor, dessen Drohung, Israel von der Landkarte zu tilgen, ihm unmöglich entgangen sein konnte.
(Broder, Spiegel Online, ebd.)

Der Herr Broder zählt zwar auch niemals die Verbrechen der USA oder Israels mit auf, wenn er über Ahmadinschad schreibt, aber von Grass kann man das natürlich eben mal so verlangen.

Sicher doch hätte Grass früher mit seiner Geschichte der Zugehörigkeit der Waffen-SS rauskommen müssen, keine Frage. Seine Kritik an anderen, sich nicht gut genug ihrer Nazivergangenheit auseinandergesetzt zu haben, ist natürlich dadurch entwertet weil doppelzüngig. Nichtsdestotrotz bleibt Grass‘ Kritik richtig und er hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, für die Ideologie der Nazis empfänglich gewesen zu sein.

Frank Schirrmacher, von dem ich sonst nicht viel halte, hat in diesem Fall recht, wenn er sagt, Grass hat den richtigen Zeitpunkt verpasst. Gelegenheiten hätte er genug gehabt, genutzt hat er davon keine – so sieht’s wohl aus. Grass wollte es dann doch ans Licht bringen, bevor es ein anderer tut und Grass womöglich posthum entwertet wird. Jetzt kann er diese Debatte noch selbst mitbeeinflussen.

Die moralische Instanz Grass ist aber für mich keinesfalls am Wanken. So groß war sie für mich eh nicht. Aber dass man jetzt seine sämtlichen Kommentare zu Themen der Zeitgeschichte, zu Politik und Gesellschaft „entwertet“ sieht, ist absurd. Er war einer der weniger Intellektuellen in Deutschland, die sich zu aktuellen Themen zu Wort gemeldet haben. Man muss ja nicht mit seiner Meinung übereinstimmen, aber als Mahner, als Denker hat(te) er seine Berechtigung.

Nachtrag (16.08.06): In Kriegsgefangenschaft hat er gegenüber den Amerikanern seine SS-Mitgliedschaft zugegeben. Wer wollte, konnte das sogar in der Wehrmachtsauskunftstelle nachrecherchieren.

Fotos, selbst gezeichnet

Fotos kann man nicht nur (digital oder analog) knipsen, sondern auch am Computer zeichnen. Das Ergebnis ist von echten Fotos hinterher kaum zu unterscheiden. Sie sehen zwar allesamt wie nachbearbeitete Fotos aus, die Oberflächen sind einfach zu glatt. Aber trotzdem erstaunlich, wie realistisch man mit Grafikprogrammen zeichnen kann.

Dann braucht man bald keine Cover-Models nachbearbeiten, sondern kann sich das Wunschmodel dann am Computer zurechbasteln.

[via: Computerbase]

Einflüsterer der Mediengesellschaft

Vieles im Journalismus ist Recycling, sagt Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg. Der hat eine Studie durchgeführt und die als Buch veröffentlicht: Die Souffleure der Mediengesellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland

Plazeboalarm zum gleichen Thema: Wenn der Schwanz mit dem Hund

Und auch der Werbeblogger zum Thema „Mehr PR“ (Weischenberg ist allerdings hier nicht das Thema, sondern die Ergänzung von Werbung durch PR. Das macht es nicht besser.)

Wir dürfen uns also in Zukunft auf (noch) mehr PR bzw. versteckter Werbung einstellen. Und das wohl auch in Blogs. Also wachsam sein. Denn: „Alles, was wir über die Welt erfahren“, so der Soziologe Niklas Luhmann, „wissen wir aus den Massenmedien!“

Erinnerungen an den RIAS

Bin neulich beim Spreeblick über den Link zu einem RIAS-Archiv gestolpert. RIAS – oder besser: RIAS 2 – war der Sender, den meine Schwester früher gehört hat. Ist also Teil meiner Kindheitserinnerungen. In berlinnahen Gebieten in Brandenburg konnte man Westsender ohne Probleme hören und die meisten haben das wohl auch gemacht. Da lief einfach die bessere Musik als im DDR-Radio. Manche mögen vielleicht sagen, RIAS 2 war der erste Dudelfunk in Berlin.

Aber egal. Ich hab jedenfalls RIAS 2 mitgehört damals als Kind. Ich erinnere mich besonders an den „alten Ami“ Rick de Leisle und an die Freiheitsglocke inklusive Freiheitsschwur. Besonders sogar an den Freiheitsschwur. Hab ich damals als Kind (als der RIAS 1992 aufhörte zu existieren und in R.S.2 unteraufging, war ich 12 Jahre alt) kaum verstanden, was er bedeutete:

Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen.

Ich erinnere mich daran, dass es furchtbar ernst, von einem Mann mit tiefer Stimme vorgetragen wurde. Mit dem Text konnte ich wenig anfangen, den tieferen Sinn hab ich damals wohl nicht kapiert. Schon gar nicht, dass die DDR, in der ich lebte, ja nach dieser Definition in die Kategorie Tyrannei fiel. Aber dass man irgendwie gegen „das Böse“ kämpfen sollte, ist schon hängengeblieben.
In der Art, wie das vorgetragen wurde, wurde aber schon klar, dass es eher ein verbaler Kampf sein kann. Nicht so ein Kampf Gut gegen Böse wie er bespielsweise jetzt von George W. Bush ausgerufen wurde. Sondern eher im Sinne des Art. 20 des Grundgesetzes.

Wie auch immer, Freiheit und Würde des Menschen und dass das wichtige Dinge sind, die es zu verteidigen gilt, hab ich wohl damals schon verstanden. Vielleicht habe ich das sogar tiefer verinnerlicht, als mir bewusst ist.

Wer die Glocke und den Schwur hören will, kann entweder sonntags um ganz kurz vor 12 Uhr Deutschlandradio Kultur einschalten oder eine historische Aufzeichnung im Radiomusuem finden.

(Falsche) Zahlen und Fakten zu Kana

Am vergangenen Sonntag, 30. Juli, ist im libanesischen Kana ein ziviles Wohnhaus von der israelisches Armee getroffen und damit in Schutt und Asche gelegt worden.

Die Anzahl der Toten: glaubt man den Presseagenturen oder seriösen Blättern, dann sind zwischen 50 und 60 Menschen umgekommen. Die Zahl wurde wohl von libanesischer Seite kolportiert. Warum man allerdings nicht auf die Zahlen des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) zurückgreift, das von 28 geborgenen Leichen, u.a. 19 toten Kindern, spricht, ist mir ein Rätsel. Zumal die Pressemitteilung des IKRK vom 30. Juli stammt, also frisch genug für eine Weiterverbreitung in der Presse.

Von der israelischen Armee hatte es nach dem Angriff geheißen, man habe auf das Haus in Kana gefeuert, weil Hizbollah von dort aus bzw. aus dem Dorf Kana Raketen gen Israel flogen. Jetzt, nach ersten Untersuchungen der Armee stellt sich das anders dar:

It now appears that the military had no information on rockets launched from the site of the building, or the presence of Hezbollah men at the time.

The Israel Defense Forces had said after the deadly air-strike that many rockets had been launched from Qana. However, it changed its version on Monday.

The site was included in an IAF plan to strike at several buildings in proximity to a previous launching site. Similar strikes were carried out in the past. However, there were no rocket launches from Qana on the day of the strike.
(Haaretz, 01.08.06)

Wie wäre es mal mit ein bisschen mehr Recherche und Quellencheck, liebe deutsche Journalisten? Gerade im Krieg ist jede Nachricht von Seiten der Kriegsparteien potentielle Propaganda.

Die FAZ versucht sich heute an ein wenig Rückschau, unterschlägt aber komplett die Tatsache, dass es keine Raketen aus Kana gab. Stattdessen ein paar unbewiesene Behauptungen, dass Hisbollah das Haus selbst gesprengt hätte oder Raketen dort gelagert hätte. Dass Häuser auch später einstürzen können, weiß man von Erd- bzw. späteren Nachbeben.

[via: Rebellmarkt]

Nachtrag (3. August): Heute berichtet die deutsche Presse über den Militärbericht. Von Raketen aus Kana ist keine Rede, stattdessen habe man das Haus zerstört, weil man dort Waffen bzw. einen Hisbollah-Unterschlupf vermutet hat.

Lyssa und Kanzlerin Merkel: naiv und unpolitisch

Nun sag ich doch was dazu. Zu Katharina „Lyssa“ Borcherts Homestory mit Bundeskanzlerin Merkel.

Ich mag Reportagen, die mir den Menschen hinter der Figur des Politikers zeigen. Meist werden diese Porträts von Journalisten gemacht, die einen Politiker eine ganze Weile lang begleiten dürfen und Beobachtungen jenseits des Medieninteressen zeigen. Das gibt nicht selten tiefere Einblicke in den Politikbetrieb als man für gewöhnlich aus der Zeitung erfahren kann.

Aber natürlich schrammen solche Porträts immer nah an der PR vorbei. Schon allein deshalb, weil die Gefahr besteht, dass man die Politik dieses Politikers plötzlich gar nicht mal so schlecht findet, weil er auf einmal so menschlich erscheint. Ein gutes Porträt schafft es, den Unterschied zwischen Person und Politik zu wahren.

So nun zu Lyssa: Das Interview war natürlich nicht spontan, wie bei xolo.tv angekündigt, sondern abgesprochen. Spontan war nur Frau Merkel, als das Tage vorher vereinbarte Interview thematisch eine Stunde vorher über den Haufen warf und nur noch über ein bisschen locker plaudern wollte. So wurde aus einem Interview dann eine Homestory.

Der Termin für das Interview mit anschließendem Gespräch übers Bloggen war etwa zehn Tage vorher abgestimmt. Logischerweise läuft man nicht einfach vor dem Kanzleramt auf und ab und hofft, die Kanzlerin spontan zu Gesicht zu bekommen. Das Interview hat sie dann etwa eine Stunde vorher abgesagt und wollte nur über neue Medien reden. Das Mini-Gespräch, also das, was jetzt als Videoblog im Netz stand, kam tatsächlich ganz spontan zustande.
(Lyssa in den Kommentaren auf ihrem Blog)

Letztlich ist nichts gescheites herausgekommen. Es ist kein Interview geworden, weil keine Fragen von Belang gestellt wurden. Es ist kein Porträt, weil die journalistische Auseinandersetzung mit der Figur/Person Merkel fehlt. Stattdessen haben wir eine Homestory bekommen, die am Ende nah an der PR ist, bei der Lyssa vor Stolz, im Kanzleramt zu sein und der Bundeskanzlerin ein paar Plauderfragen stellen zu dürfen, fast platzte. Von einer angehenden Chefredakteurin erwarte ich mehr. Da erwarte ich mehr als ein „Ooohhh, sie ist ja so spontan“. Als Journalistin sollte man weniger Respekt vor einem Amt haben, sonst kann das später mit der Kritik an eben diesem nicht sonderlich gut werden.

Damit erwies sie sich als wesentlich cooler und spontaner als ich („meine Fragen, wo sind meine Fragen, warum ist mein Kopf so leer, Hiiiilfeee“), was z.B. auch erklärt, warum ich zwischendrin so ungeschickt neben ihr am Schreibtisch stehe und eben nicht 30 schlaue Fragen stelle. Gabe und ich waren aber so beeindruckt von ihrer unkomplizierten Art, daß wir das Video auf jeden Fall zeigen wollten, auch wenn es so gar nicht dem entspricht, was wir uns ursprünglich vorgestellt hatten.
(Lyssa über ihre Arbeit bei der Bundeskanzlerin)

Nein, ich sehe nicht ein, warum ich jetzt in Euphorie verfallen soll, nur weil eine Bloggerin mit der Kanzlerin plaudern durfte. Weil es so gewaltig nach Bürgerjournalismus aussieht. Allerdings muss ich nun nicht an Verschwörungstheorien mitstricken Überlegungen weiterspinnen, nach der Lyssa das Interview die Homestory nur machen durfte, weil ihr Vater Jochen Borchert mal Landwirtschaftsminister war und Mitglied der CDU/CSU-Fraktion ist. Statt über Papas Netzwerk hat die Tochter ein eigenes Journalisten-Neue-Medien-Netzwerk geklöppelt, das ihr den Termin mit der Kanzlerin verschaffte:

Das wird mir zwar ohnehin niemand glauben wollen, weil die Vater-Tochter-Erklärung besser in das Weltbild paßt, aber das Zustandekommen des Termins hatte recht wenig mit meinem Vater zu tun und sehr viel mit meinem eigenen Journalisten-Neue-Medien-Netzwerk. Ja, es gab zu einem späten Zeitpunkt eine Rückfrage bei meinem Vater, was denn seine Tochter so für eine sei und geschadet hat die Verwandtschaft in diesem Fall ausnahmsweise auch nicht, aber der eigentliche Kontakt kam ganz anders zustande.

Ich denke nicht, dass ich mit diesem Eintrag Teil einer hysterischen Aufregung bin:

witzig isses nur deshalb, weil man so kritik daran übt dass lyssa völlig naiv und unpolitisch der merkel ne bühne zur imagepoliturr bietet, aber die kritik genauso unsubstanziell, unpolitisch und naiv formuliert wie das was man kritisiert: die eine sagt „i’m excited“, der andere sagt „ich bin empört“.

Ich finde die meiste Kritik, die ich gelesen habe, gar nicht mal so unsubstanziell. An eine zukünftige Chefredakteurin darf ich doch wohl den Anspruch erheben, eben nicht „naiv und unpolitisch“ der Bundeskanzlerin nicht einfach eine Bühne zur Selbstdarstellung zu geben, oder? Spätestens nachdem alles im Kasten war und man sich die Bilder nochmal angesehen hat, hätte Lyssa merken müssen, dass sie da keine gute Arbeit geleistet hat, dass sie eine PR-Arbeit für Merkel abgeliefert hat. Das zu erkennen, das erwarte ich von einer Journalistin.