Nun sag ich doch was dazu. Zu Katharina „Lyssa“ Borcherts Homestory mit Bundeskanzlerin Merkel.
Ich mag Reportagen, die mir den Menschen hinter der Figur des Politikers zeigen. Meist werden diese Porträts von Journalisten gemacht, die einen Politiker eine ganze Weile lang begleiten dürfen und Beobachtungen jenseits des Medieninteressen zeigen. Das gibt nicht selten tiefere Einblicke in den Politikbetrieb als man für gewöhnlich aus der Zeitung erfahren kann.
Aber natürlich schrammen solche Porträts immer nah an der PR vorbei. Schon allein deshalb, weil die Gefahr besteht, dass man die Politik dieses Politikers plötzlich gar nicht mal so schlecht findet, weil er auf einmal so menschlich erscheint. Ein gutes Porträt schafft es, den Unterschied zwischen Person und Politik zu wahren.
So nun zu Lyssa: Das Interview war natürlich nicht spontan, wie bei xolo.tv angekündigt, sondern abgesprochen. Spontan war nur Frau Merkel, als das Tage vorher vereinbarte Interview thematisch eine Stunde vorher über den Haufen warf und nur noch über ein bisschen locker plaudern wollte. So wurde aus einem Interview dann eine Homestory.
Der Termin für das Interview mit anschließendem Gespräch übers Bloggen war etwa zehn Tage vorher abgestimmt. Logischerweise läuft man nicht einfach vor dem Kanzleramt auf und ab und hofft, die Kanzlerin spontan zu Gesicht zu bekommen. Das Interview hat sie dann etwa eine Stunde vorher abgesagt und wollte nur über neue Medien reden. Das Mini-Gespräch, also das, was jetzt als Videoblog im Netz stand, kam tatsächlich ganz spontan zustande.
(Lyssa in den Kommentaren auf ihrem Blog)
Letztlich ist nichts gescheites herausgekommen. Es ist kein Interview geworden, weil keine Fragen von Belang gestellt wurden. Es ist kein Porträt, weil die journalistische Auseinandersetzung mit der Figur/Person Merkel fehlt. Stattdessen haben wir eine Homestory bekommen, die am Ende nah an der PR ist, bei der Lyssa vor Stolz, im Kanzleramt zu sein und der Bundeskanzlerin ein paar Plauderfragen stellen zu dürfen, fast platzte. Von einer angehenden Chefredakteurin erwarte ich mehr. Da erwarte ich mehr als ein „Ooohhh, sie ist ja so spontan“. Als Journalistin sollte man weniger Respekt vor einem Amt haben, sonst kann das später mit der Kritik an eben diesem nicht sonderlich gut werden.
Damit erwies sie sich als wesentlich cooler und spontaner als ich („meine Fragen, wo sind meine Fragen, warum ist mein Kopf so leer, Hiiiilfeee“), was z.B. auch erklärt, warum ich zwischendrin so ungeschickt neben ihr am Schreibtisch stehe und eben nicht 30 schlaue Fragen stelle. Gabe und ich waren aber so beeindruckt von ihrer unkomplizierten Art, daß wir das Video auf jeden Fall zeigen wollten, auch wenn es so gar nicht dem entspricht, was wir uns ursprünglich vorgestellt hatten.
(Lyssa über ihre Arbeit bei der Bundeskanzlerin)
Nein, ich sehe nicht ein, warum ich jetzt in Euphorie verfallen soll, nur weil eine Bloggerin mit der Kanzlerin plaudern durfte. Weil es so gewaltig nach Bürgerjournalismus aussieht. Allerdings muss ich nun nicht an Verschwörungstheorien mitstricken Überlegungen weiterspinnen, nach der Lyssa das Interview die Homestory nur machen durfte, weil ihr Vater Jochen Borchert mal Landwirtschaftsminister war und Mitglied der CDU/CSU-Fraktion ist. Statt über Papas Netzwerk hat die Tochter ein eigenes Journalisten-Neue-Medien-Netzwerk geklöppelt, das ihr den Termin mit der Kanzlerin verschaffte:
Das wird mir zwar ohnehin niemand glauben wollen, weil die Vater-Tochter-Erklärung besser in das Weltbild paßt, aber das Zustandekommen des Termins hatte recht wenig mit meinem Vater zu tun und sehr viel mit meinem eigenen Journalisten-Neue-Medien-Netzwerk. Ja, es gab zu einem späten Zeitpunkt eine Rückfrage bei meinem Vater, was denn seine Tochter so für eine sei und geschadet hat die Verwandtschaft in diesem Fall ausnahmsweise auch nicht, aber der eigentliche Kontakt kam ganz anders zustande.
Ich denke nicht, dass ich mit diesem Eintrag Teil einer hysterischen Aufregung bin:
witzig isses nur deshalb, weil man so kritik daran übt dass lyssa völlig naiv und unpolitisch der merkel ne bühne zur imagepoliturr bietet, aber die kritik genauso unsubstanziell, unpolitisch und naiv formuliert wie das was man kritisiert: die eine sagt „i’m excited“, der andere sagt „ich bin empört“.
Ich finde die meiste Kritik, die ich gelesen habe, gar nicht mal so unsubstanziell. An eine zukünftige Chefredakteurin darf ich doch wohl den Anspruch erheben, eben nicht „naiv und unpolitisch“ der Bundeskanzlerin nicht einfach eine Bühne zur Selbstdarstellung zu geben, oder? Spätestens nachdem alles im Kasten war und man sich die Bilder nochmal angesehen hat, hätte Lyssa merken müssen, dass sie da keine gute Arbeit geleistet hat, dass sie eine PR-Arbeit für Merkel abgeliefert hat. Das zu erkennen, das erwarte ich von einer Journalistin.