Archiv der Kategorie: netzkulturelles

Erschütterungen der Macht bei Wikileaks

Wikileaks scheint offenbar in unruhiges Fahrwasser geraten zu sein. Der deutsche Sprecher hat hingeworfen und irgendwie wurde er auch schon vor einem Monat vom Wikileaks-Chefsprecher Julian Assange suspendiert. Und offenbar gibt es Unmut innerhalb von Wikileaks über den Stil von Assange, der als selbstgefälliger Autokrat hingestellt wird.

Damit dürfte wohl eins erreicht sein: der Glaube an die Verlässlichkeit von Wikileaks schwindet. Nicht mal so sehr aus Sicht der Nutzer, sondern vielmehr aus der Sicht der potentiellen Whistleblower. Kein Informant wird sich mit Informationen, die ihm selbst den Job und noch viel mehr kosten können, an eine Plattform wenden, die einen unzuverlässigen Eindruck macht, die von einem Spinner kontrolliert wird.

Zwei Dinge sollte man im Hinterkopf behalten: Wikileaks tritt vielen Mächtigen auf die Füße und somit sollte man Informationen über Wikileaks oder Assange immer mit einer gewissen Vorsicht genießen. Es könnte auch durchaus sein, dass gezielt Unruhe in Wikileaks-Truppe hineingetragen, gezielt vorhandene Konflikte geschürt werden sollen, um Wikileaks zu schwächen oder gar zu zerstören. Daraus will ich keine Verschwörungstheorie basteln, nur sollte man eben im Hinterkopf behalten, dass Wikileaks „Feinde“ hat.
Zum anderen kann eine Plattform für Whistleblower nicht der uneingeschränkten Transparenz frönen. Dadurch bleibt vieles im Ungefähren, vieles bleibt geheimnisvoll sumpfig. Oft nicht viel anders als das, was man an die Öffentlichkeit bringt.

Bleibt zu hoffen, dass sich Wikileaks wieder fängt oder dass sich andere Whistlerblowerplattformen etablieren, vielleicht mit besseren, robusteren Strukturen im Innern. Ich halte solche Plattformen für äußerst wichtig in einer Demokratie.

[via: Netzpolitik, ruhig auch die Kommentare dort lesen]

Artikel von tagesschau.de jetzt bei depub.org

Neulich hatte ich ja über das Verschwinden meiner verlinkten tagesschau.de-Seiten gemosert. Jetzt hat sich jemand (wer?) daran gemacht und hat das tagesschau.de-Archiv (von 1999 an), das über BitTorrent im Umlauf war, auf einen Server gepackt. Es ist jetzt unter depub.org/tagesschau erreichbar. Neue Inhalte kommen wohl von nun an automatisch dazu.

Und das scheint erst der Anfang zu sein. Es sollen nach und nach die anderen, ebenfalls aus dem Netz genommenen Inhalte der anderen öffentlichen-rechtlichen Sender folgen.

Die Idee hinter depub.org ist super. Öffentlich finanzierte Inhalte sollten öffentlich zugänglich sein und dann auch bleiben. Besser wäre es aber imho, wenn es dort passieren würde, wo die Inhalte entstehen – bei den Sendern selbst. Dort kann es redaktionell nachbearbeitet werden, dort kann es jeder leicht finden und dort ist auch Geld für das Hosting vorhanden.

[via: Netzpolitik.org]

Nachtrag I (15.09.10): In meinem letzten Absatz fehlte noch ein Punkt: weil dort auch die Urheberrechte liegen. Und deshalb hat Carta heute beim NDR nachgefragt und dort ist man nicht erfreut über depub.org. Man wolle „mit allen juristischen Mitteln […] vorgehen, soweit dies möglich ist“. Naja, wild entschlossen klingt es nun nicht, vielleicht will man auch vorerst mal nicht verbal auf die Pauke hauen. Mal schauen was draus wird.

Nachtrag II (17.09.10): Zeit online hat ein Interview mit den Machern von depub.org. Und die Pressemitteilung des NDR klingt eher wie ein „Wir finden die Aktion gut, aber dürfen das nicht so offen sagen“-Statement. [via: KoopTech]

Nachtrag III (07.05.12): Links rausgenommen, weil sie nur noch auf eine Domainparking-Seite führen.

Google Street View und der Datenschutz – richtiges Thema, falsches Objekt

Zu Google Street View las ich neulich einen guten Kommentar:

Wenn ich als Bürger schon nicht verhindern kann…

…. dann will ich wenigstens einen riesen Aufriss machen, wenn jemand es wagt, meine Hausfassade zu fotografieren.

Und ich möchte ergänzen: wenn in jedem 2. Haushalt eine Paybackkarte genutzt wird vorhanden ist. Und man könnte die Liste ja noch weiter fortsetzen: elektronische Gesundheitskarte (eCard), elektronischer Steuernachweis (ELENA), RFID-Chips, intelligente Stromzähler …

Ja, das ist wie bei den Nacktscanner damals. Plötzlich gab es was zu sehen, das war was plakatives, was bildhaftes. Da kann man sich dann aufregen, kann ein bisschen mit den Ängsten der Menschen spielen. Wobei – diesmal ist es anders. Damals ging es wirklich um die Privatssphäre (nämlich der mit technischen Mitteln Mensch, der sich vor dem Flughafenpersonal nackig machen muss), diesmal geht es nur um Häuser(!)fassaden(!!).

Ich kann die Aufregung diesmal ehrlich nicht verstehen. Ich kann nicht verstehen, wie man wegen dem Abfotografieren von Häuserfassaden so ein Fass aufmachen kann. Ich kann die Angst vor der Datenkrake Google nachvollziehen und ich bin auch für einen vorsichtigen Umgang mit Google (ich nutze nicht deren Maildienst oder Feedreader, Google Docs ist sicher ne tolle Sache, aber ich habe Bedenken, Google meine Dokumente anzuvertrauen, Cookies mit den Sucheinträgen löscht der Firefox jedesmal wenn ich ihn schließe). Und auch sonst sehe ich zu, dass ich keine allzu große Datenspur im Internet hinterlasse. Aber Himmel, hier es geht um Häuserfassaden. Die kann sowieso jeder sehen.

Was mich aber ein bisschen brechen lässt, ist die Tatsache, dass sich Politiker jetzt plötzlich als große Datenschützer aufspielen. Sonst kacken die auf Datenschutz und legen Datensammlungen noch und nöcher an, wo kein Mensch nachher weiß, wohin die verschwinden und was damit gemacht wird und nun auf einmal wollen sie alle Datenschützer sein. Und morgen, wenn das Thema Street View gegessen ist, geht’s weiter mit der Datensammelei.
Bei den Medien kaum anders: über Street View regt man sich auf, weil Google der große Feind ist, der denen vermeintlich das Geschäft versaut. Also wird druffjehauen. Über die oben genannten wirklichen Datenskandale hat sich die Mainstreampresse nicht so echauffiert.

Nicht missverstehen: das Thema der Diskussion – nämlich Datenschutz – ist ungeheuer wichtig und noch immer hat es nicht die Bedeutung, die ihm eigentlich zukommt. Datensammlungen in Datenbanken, mit allen Möglichkeiten der Anhäufung, des Abgleichs, der unendlichen Speicherdauer und der den Möglichkeiten der Datenverknüpfung müssen diskutiert werden und es muss dafür strenge Regeln geben. Datenvermeidung bzw. Datensparsamkeit ist hier das Stichwort. Aber das Objekt, an dem diskutiert wird – Google Street View – ist dafür meines Erachtens denkbar ungeeignet.

Meine tagesschau.de-Links funktionieren nicht mehr

Nicht nur „meine“ Links funktionieren nicht mehr, sondern viele Links zu tagesschau.de funktionieren nicht mehr. Weil die ARD gemäß dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag einen Haufen ihrer Inhalte aus dem Netz nehmen musste.

Eigentlich eine absurde Situation: die Informationssuche findet größtenteils im Internet statt, die öffentlich-rechtlichen Sender aber müssen ihre bereits vom Gebührenzahler bezahlten Inhalte nach einer kurzen Frist wieder offline nehmen. Ich oute mich mal indem ich sage, ich zahle aus Ãœberzeugung meine Rundfunkgebühren, weil ich denke, dass das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem eine gute Sache ist (bei aller berechtigten Kritik daran). Und trotzdem darf ich mir diese Dinge nach ein paar Wochen nicht mehr ansehen oder anhören. Da stimmt doch was nicht. Stattdessen sollte es ein offenes Archiv geben, in dem alle Inhalte der Öffentlich-Rechtlichen gespeichert sind – für alle Zeit.

Die Lobbyisten der Printmedien hatten zwar die Hand an der Feder, die den Gesetzestext zum Rundfunkstaatsvertrag schrieb, einen entscheidenden Beitrag zu ihrer Rettung wird diese Löschaktion trotzdem nicht liefern. Stattdessen werden schon bezahlte Inhalte aus dem Netz getilgt und die Leute gucken auf leere 404-Fehlerseiten. Und denen geht das Gelösche noch nicht mal weit genug.
Wenn ich irgendwohin einen Link setze, dann denke ich mir ja was dabei. Dann steht da auf der Seite etwas, das zum Inhalt des Blogpostings passt, das ihn ergänzt, vertieft und verdeutlicht, vielleicht ergibt der Eintrag ohne die verlinkte Seite nicht mal Sinn.

(Ich weiß, dass die Löschung schon im Juni stattfand. Aufgeregt habe ich mich schon damals darüber, fand aber jetzt erst Zeit, darüber zu schreiben.)

Vorratsdatenspeicherung ist nicht grundsätzlich verfassungswidrig

Man merkt es schon an der Ãœberschrift: ich bin nicht begeistert vom gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung.

Die Pressemitteilung zum Urteil trägt den Titel „Konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung nicht verfassungsgemäß“. Und genau deshalb bin ich wenig begeistert. Das Gesetz ist so wie es jetzt ist, verfassungswidrig, nichtig, und alle aufgrund dieses Gesetzes gespeicherte Daten sind sofort zu löschen. Aber grundsätzlich ist die anlasslose Speicherung aller Verbindungsdaten über einen Zeitraum von 6 Monaten verfassungsgemäß.

Das BVerfG sagt mal wieder, dass in der Politik schlampig gearbeitet wurde, aber daran ist man inzwischen gewöhnt. Es werden ja in letzter Zeit reihenweise Gesetze in Karlsruhe kassiert. Ein bisschen Feintuning hier, eine Konkretisierung dort, eine Einschränkung da hinten und dann kann die neue Vorratsdatenspeicherung beginnen. Das eigentliche Ziel, nämlich das massenhafte Speichern von unvermeidbaren Spuren der Telekommunikation ohne konkreten Anlass oder gar Verdacht für grundgesetzwidrig erklären zu lassen, wurde klar verfehlt.

Für die Abmahnindustrie fiel außerdem noch ein Leckerli ab: Zwar dürfen die Verbindungsdaten nur zu Abwehr schwerer Straftaten abgefragt und eingesetzt werden, für die Abfrage der IP-Adressen gilt das aber nicht. Hier sind die Hürden deutlich niedriger, sogar „gewichtige Ordnungswidrigkeiten“ können genügen. Ein Richtervorbehalt ist auch nicht nötig. Die Musikindustrie frohlockt dann auch bereits.

Alles in allem also ein enttäuschendes Urteil.

Empfehlenswertes zum Weiterlesen:
Der Spiegelfechter
Rechtsanwalt Jens Ferner
Jurist Max Steinbeis
Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung

Petition für Open Access

Lars Fischer hat eine Petition gestartet, in der gefordert wird, dass öffentlich finanzierte Forschung allen Bürgern kostenlos zugänglich gemacht wird. Lars erklärt in einem Blogeintrag die Petition auch noch mal näher. Zahlreiche Wissenschaftsorganisationen sind ebenfalls dafür.
Also: durchlesen und bei Zustimmung mitunterzeichnen.

Sinn der Petition ist es, dass wissenschaftliche Artikel auch frei verfügbar sein müssen, wenn die Forschung dahinter mit öffentlichen Gelder (was zum allerallergrößten Teil der Fall ist) bezahlt worden ist. Im Normalfall ist es nämlich so, dass wissenschaftliche Aufsätze (sog. „Paper“) in Fachzeitschriften publiziert werden. Der Zugang zu diesen Zeitschriften ist häufig nur gegen saftige Abogebühren möglich (oder gegen hohe Gebühren für einen einzigen Artikel). Wer keinen Zugang über die Uni oder eine Bibliothek hat, guckt in die Röhre. Das soll sich ändern, indem alle Paper auch auf einem sinnigerweise zentralen Server frei zugänglich gemacht werden – für jeden Interessierten.

Der beste Weg wäre es natürlich, wenn alle Zeitschriften nur noch nach dem Open-Access-Modell funktionieren würden. Dahin ist es aber ein weiter Weg, weil Wissenschaftsverlage prächtig am bisherigen Prinzip verdienen. Wissenschaftler suchen sich für ihre Publikationen das Journal mit dem höchsten Ansehen („Impact Factor“) aus, das jeweilige Access-Modell spielt dabei meist keine Rolle.
Das zu ändern ist aber langer Prozess, der aber schon begonnen hat. Das aber nur zur Information, das ist nicht Bestandteil der Petition.

Open Access sollte in einer Wissensgesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein – erst recht, wenn die Forschung von der Gesellschaft auch bezahlt wird.

[via: Jens Scholz und heise online]

Erweckung

Etwas gutes hat die Netzsperrendiskussion ja auch: von mangelnder Relevanz von Blogs redet wohl zur Zeit niemand. Oder von einem Blogherbst bzw. Blogblues. Die knapp 135.000 Stimmen für die bisher erfolgreichste ePetition wäre ohne Blogosphäre (und auch Twitter) nie zustande gekommen, der kleine Achtungserfolg der Piratenpartei bei der Europawahl mit knapp 230.000 Stimmen – ohne Blogs und Twitter undenkbar. Und überhaupt hätte es ohne Blogs keine argumentative Auseinandersetzung in diesem Ausmaße über die Netzsperren gegeben. Erst nach und nach sind die klassischen Medien aufgesprungen und haben die gebloggten Argumente aufgenommen. Die Entschärfung des Zensursula-Gesetzes ist sicher auch auf die massive Kritik aus dem Internet zurückzuführen.

Angefangen hat es damals mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Wer darüber mehr wissen wollte, musste Blogs lesen. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass die herkömmlichen Medien falsch, unausgewogen oder gar nicht über bestimmte Themen berichten, dann suchen sich diese Menschen eben andere Verbreitungswege. Das war damals beim nach 9/11 und beim Irakkrieg in den USA so, das ist heute bei Datenschutz-, Bürgerrechts- und Netzthemen in Deutschland der Fall. Dort drüben sind Blogs und Social Networks bereits eine relevante Größe, an der man nicht mehr vorbeikommt. Spätestens seit dem Wahlkampf von Obama ist das auch hier sichtbar.

Ich bin zuversichtlich, dass eine ähnlich einflussreiche Netzgemeinde in Deutschland auch möglich ist, es ist bereits jetzt eine beispiellose Politisierung zu erkennen. Die kommende Bundestagswahl wird das wahrscheinlich noch nicht signifikant beeinflussen, aber die Zeit wird kommen.

Die Netzsperren und die Unfähigkeit zur Kursumkehr

Der Rubikon wurde überschritten: das Netzsperrengesetz ist da .

Die SPD konnte bzw. wollte das Gesetz nicht verhindern. Nun kloppt alles auf die SPD ein. Aber immerhin wurde das Gesetz durch die SPD entschärft. Darauf weist John Dean hin :

Johnny sagt Tschüss zur SPD, weil diese entscheidende Punkte (siehe Heise-Artikel) der Protestbewegung in die Verhandlungen eingebracht hatte und erfolgreich durchgesetzt hat. Darunter:

– keine Strafbarkeit [der Klicks auf das Stoppschild]
– keine Anwendung über KiPo hinaus
– Befristung des Gesetzes auf 3 Jahre
– Einbindung des Datenschutzbeauftragten
– Bevorzugung von Löschen statt Sperren

Im Prinzip hat er damit recht, das Gesetz wurde entschärft. Nur wurde es dadurch nicht besser. Die Kategorie der Verbesserung gibt es bei diesem Gesetz nicht. Es ist nutzlos und dient nicht dem vorgebenen Zweck der Bekämpfung von KiPo, es ist und bleibt überflüssig und nicht zielführend.

Nutzloses kann man nicht verbessern

Ich lasse mich mal kurz auf Diskussion um eine Entschärfung ein: ob diese Argumente wirklich so stichhaltig sind, ist fraglich .

Die Befristung ist immerhin etwas. Vor dem Auslaufen gibt es eine Evaluierung. Klingt gut, ist es aber nicht. Gerade diese Evaluierung bietet die Möglichkeit, aufgeblasene Zahlen von Zugriffen auf die Stoppseiten zu präsentieren, um das dann als Erfolg des Gesetzes zu verkaufen („Jeder Klick ein Kinderschänder.“). Die ahnungslose Presse schreibt es dann auf. Schwupp, hat man Pseudoargumente für das Gesetz. An ein Auslaufen des Gesetzes mag ich nicht glauben.

Auch die Bevorzugung des Prinzips „Löschen vor Sperren“ liest sich erstmal gut. Es ist aber wohl eher ein Gummiparagraph, der vom BKA nach eigenem Gusto ausgelegt werden kann. Das BKA selbst entscheidet, wann es eine Löschung versucht und wann sie es beim Sperren belässt.

Das 5-köpfige Gremium beim Datenschutzbeauftragten kann jederzeit auf die Sperrliste zugreifen und soll quartalsweise stichprobenartig die Liste kontrollieren. Stößt man dabei auf eine fälschlicherweise gesperrte Domain, so wird diese dann entfernt.
Würde man die Überwachung der Sperrliste ernst nehmen, würde man die gesamte Liste oder zumindest die Neueinträge sofort (von Richtern) prüfen lassen.

Aber zurück zum Grundsätzlichen: Warum hält man seitens der SPD überhaupt an diesem Gesetz fest? Alle Fachleute sagen, dass es einerseits rechtlich bedenklich und andererseits nutzlos ist. Auch der ein oder andere aus den eigenen Reihen warnt vor dem Gesetz. Die Bundesregierung bzw. das Familienministerium ist in zentralen Punkten ahnungslos . Jedem, der noch klar bei Verstand ist, sollte also einleuchten, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, dieses Gesetz überhaupt zu machen. Keinem Kind wird damit geholfen, es ist nutzlos .

Kursumkehr unmöglich

Offenbar gibt es keine Möglichkeit der Kursumkehr, wenn so ein Gesetz erstmal auf dem Weg ist. Sich hinzustellen und einzugestehen, dass man auf dem Holzweg ist, dass man sich hat überzeugen lassen, dass diese Netzsperren der falsche Weg sind, kommt offenbar nicht in Frage. Da kackt man lieber auf Vernunft und Sachverstand statt zwei Minister (Zypries und Zensursula) mal für eine Weile dumm dastehen zu lassen. Nein, statt das Gesetz aufzugeben, doktort man hilflos am Gesetz herum, in der Hoffnung, damit das Schlimmste zu verhindern und einen „Kompromiss“ zu finden. So wie sonst auch. Man kommt offenbar aus diesen üblichen Ritualen des Politikbetriebs nicht heraus. Niemand zieht die Reißleine, die Notbremse.

Stattdessen wird das Gesetz im Eiltempo durchs Parlament gepeitscht, die bisher größte ePetition, die Meinung von über 130.000 Bürgern wird ignoriert. 45 min Aussprachezeit gab es, kein Minister war anwesend, die Drucksache weist noch einen veralteten Entwurf aus, der noch nicht die Eigenständigkeit und die Änderungen am Gesetz beinhaltet. (Kleine Widerlichkeit am Rande: Jörg Tauss wird vom eigenen Fraktionskollegen die Zwischenfrage verweigert (MdB Dörrmann: „von jedem anderen ja, aber nicht von Kollege Tauss“). Wer solche Kollegen hat, braucht keine Feinde mehr.)

Jetzt haben wir also das Netzsperren-Gesetz, das eine Zensurinfrastruktur aufbaut. Man muss nicht paranoid sein, um zu befürchten, dass das erst der Anfang ist. Muss wohl wieder Karlsruhe ran. Aber das kann ja auch nicht die Lösung sein.

Nachtrag: Die Liste der namentlichen Abstimmung ist draußen. Von der CDU hat einer mit Nein gestimmt, bei der SPD gab es nur 3 Neinstimmen und 3 Enthaltungen. Bei den Grünen gab es für mich überraschende 15 Enthaltungen (bei 48 anwesenden MdBs). Was wollen diese Abgeordneten mir damit sagen?

Zunehmende Politisierung in den Blogs

Mir kommt es gerade (also so seit etwa ein paar Wochen) so vor, als wenn es sowas wie eine politische Begeisterung, eine politische Aufbruchsstimmung, mindestens aber eine stärkere Politisierung von Blogs gibt. Ich weiß nicht, wie ich das nennen soll, aber soviel politisches Nachdenken und Schreiben in den deutschen Blogs war selten noch nie, oder?

Der Auslöser ist wohl wirklich „Zensursula“ von der Leyens Netzsperrengesetz. Danach gab es zahlreiche gute Artikel um das Thema Generationenkonflikt bzw. die digitale Spaltung. Dann gab es zahlreiche Antworten auf Soboczynskis Aufsatz in der Zeit, der jedes Netzverständnis vermissen ließ.
Erst ein paar Tage alt ist der Fall Ruhrbarone vs. Silvana Koch-Mehrin und ihre Parlamentspräsenz, seltsame Rechenoperation und juristisches Spiegelfechten.

Und gestern bzw. heute, am Europawahlwochenende, kann ich Wahlaufrufe und Wahlempfehlungen lesen, Gedanken darüber, ob die Piratenpartei die neue SPD ist und warum man nicht nur das kleinere Übel wählen sollte, sondern eine echte Alternative, wenn es sie denn schon gibt.

Deutsche Blogs waren imho nie so unpolitisch, wie immer behauptet und geschrieben wurde, aber zur Zeit wird diese Politisierung in meinen Augen besonders deutlich. Diese Politisierung betrifft nicht nur die größeren Blogs (aka Alphablogger), sondern das geht quer durch die gesamten Blogs. Das finde ich richtig gut.

Hass eines Intellektuellen auf das Netz

Achherje. Adam Soboczynski reiht sich ein in eine längere Liste derer, die ihrer Abscheu gegenüber amateurhaftem Geschreibsel Ausdruck verleihen.

Soboczynski versteigt sich in der Zeit zu der These, das Netz wäre der Feind des Intellektuellen, Intellektuelle würden gar „im Internet mit Hass verfolgt“ werden. Geht’s noch ein bisschen dramatischer, noch ein bisschen abwegiger, noch ein bisschen lächerlicher?! Einziger Beleg für seine steile These: vermeintlich „höhnische“ Leserkommentare unter Feuilletonartikeln, weil sie den Text nicht verstehen oder es für unverständliches Geschwurbel halten. Dabei kann es nur eine Erklärung für derartige Kommentare geben: der Leser ist zu doof für die hochtrabenden Texte. Das kann bei einem Teil der Kritik durchaus auch zutreffend sein, aber die Idee, dass das der Text schlicht unverständlich gewesen sein könnte, kommt Soboczynski nicht.

Ãœberhaupt trieft der Zeit-Artikel nur so vor Arroganz. Ãœberall Laien, die einfach so ihre Gedanken ins Internet absondern:

Bekämpft wird [der Intellektuelle] heute von gleich mehreren Seiten.
[…] von einer heraufziehenden Laienkultur, die sich ihrer Unbedarftheit rühmt: vom Kneipier, der einen Blog über den Bundestagswahlkampf führt, über die Verwaltungsfachangestellte, deren Gedichte jeder Verleger aus guten Gründen ignorierte, zum Programmierer, der nach Schichtende den Afghanistankonflikt analysiert. Es eint der Neid die Amateure. Was zu kompliziert scheint, wird verhöhnt. Gemeinschaft soll endlich wieder sein, wo noch Gesellschaft ist. Nichts anderes meinen Heil versprechende Begriffe des Netzes wie »Interaktion«, »Partizipation« oder »E-Community«, die jene Selektionsmechanismen aus der Welt zu schaffen versprechen, auf deren Anerkennung jeder Aufklärungsdiskurs beruht.

Ja, es darf jeder mitreden. Auch ohne Sachverstand. Das war noch nie anders, das Internet macht es nur sichtbar. Passierte früher nur in der Kneipe, am Stamm- oder Küchentisch. Aber warum soll nicht der Kneipier oder die Verwaltungsfachangestelle kluge, lesenswerte Gedanken haben können? Warum sollte der Afghanistankrieg oder die Bundestagswahl zu kompliziert sein für das vermeintlich einfache Volk? Partizipation und Interaktion sind obendrein keine Begriffe des Netzes, sondern Begriffe einer bürgerlichen Gesellschaft. Die überkommenen Selektionsmechanismen hingegen, nach denen ein paar Verleger und Chefredakteure entscheiden konnten, was das Volk zu sehen, hören und lesen bekommt, neigen sich glücklicherweise dem Ende. (Und tun wir bitte nicht so, als wenn diese Mechanismen in der Vergangenheit dafür gesorgt hätten, dass nicht fachlicher Unsinn geschrieben worden wäre.)
Andere Selektionsmechanismen – wer Unfug sagt oder schreibt, wird über kurz oder lang ignoriert – funktionieren auch im Netz.

Ein Beitrag im Netz, so die Verheißung, werde in der sogenannten Wissensgesellschaft wertvoller, je mehr Autoren an ihm herumlaborieren, ihn kommentieren, entweihen, seine wohlkomponierte Geschlossenheit aufbrechen, ihn kollektivieren zur flüchtigen Gedankenkolchose. Kooperation und Austausch sind die heiter propagierten Fetische, im Netz wie in Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen, die Muße bekämpfen und intellektuelles Einzelgängertum, da sie für die Volksgemeinschaft nicht verwertbar scheinen.

Das ist keine Verheißung, sondern das ist ein Erfahrungswert: nur selten besitzt ein Mensch soviel Genie, dass seine Gedanken nicht durch andere erweitert und verbessert werden könnten. Auch Kunstwerke sind eigentlich nie das Werk eines einzelnen (auch wenn es gerne so dargestellt wird; es gibt immer Einflüsse von außen: Hinweisgeber, kritische Freunde, Korrekturleser etc.) und Wissenschaft ist es schon gleich gar nicht. Wissenschaftliche Erkenntnisse bauen immer auf den Vorarbeiten anderer auf und werden später durch andere erweitert oder gar widerlegt. „Intellektuelles Einzelgängertum“ ist ein arroganter Selbstbetrug, der die eigene Fehlbarkeit ignoriert und auf direktem Weg in den Elfenbeinturm führt.

Der Intellektuelle wird untertauchen wie der Taucher in die Tiefe, er wird Internetrandzonen bewohnen, Foren, die nur von seinesgleichen aufgesucht werden. Wie ja auch die Bullenzüchter der Welt sich heute in geschlossenen Zirkeln austauschen oder die Hebammen über ihr Wirken. Jedoch als der, der er bislang war, Störenfried des Konsenses, Vermittler von Wissensbeständen, Korrektiv des Staats, wird er verschwinden. Seine Spur ist eine, die bald schon Wellen glätten.

Und nun auch noch der weinerliche und gekränkte Intellektuelle. Ja, wir brauchen Querdenker, kluge Köpfe, die über den Tellerrand hinausgucken. Aber bitte keine arroganten, bornierten, unreflektierten Mist absondernden Intellektuellen. Die Eingangsthese wird durch nichts belegt, eine Verfolgungsjagd findet nicht statt, nirgendwo sonst könnte sich der Intellektuelle so austoben wie im Internet. Nicht das Internet hat einen Hass auf Intellektuelle, sondern hier hat umgekehrt ein Intellektueller Hass auf das Internet.

[via: Rivva]

Lesenswert sind auch Falk Lüke und die ausführlichere Replik auf Soboczynski von Marcel Weiß auf netzwertig.com.