Archiv für den Monat: Oktober 2006

Schädelspielchen am Hindukusch

Die Überraschung über die Totenkopfbildchen von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan erinnert mich an die Unterschichtendebatte: man weiß, dass es sie gibt und doch ist die öffentliche Verwunderung groß, wenn es dann tatsächlich bekannt wird. Wenn man nicht ganz weltfremd ist, dann musste man auch wissen, dass in der Bundeswehr Dinge passieren, die nicht im Handbuch für den Soldaten stehen.

In der Gesellschaft gibt es einen bestimmten Prozentsatz an Idioten, warum sollte das in der Bundeswehr anders sein? Manche Bundis müssen ganz schön einen an der Waffel haben, wenn sie sich Trockenobst in den Arsch schieben lassen oder ihren Dödel neben einem ausgebuddelten Totenschädel zeigen.

Ich denke immer noch, dass die Bundeswehr zur zivilisiertesten und am zurückhaltensten auftretenden Armee der Welt gehört, aber ein gewisser Anteil an Spinnern lässt sich wohl auch dort nicht verhindern. Da kann es auch nicht verwundern, wenn nun neue Fotos auftauchen.

Dann recherchiert halt mehr!

Gefährlich leben Journalisten hierzulande zwar nicht – doch ihre Arbeit wird in der Tat behindert: Die Politik hat ein System des Tricksens und Täuschens etabliert. Bei Themen wie dem Anti-Terror-Kampf wird vertuscht und gelogen.
[…]
Klar ist, dass in Deutschland kein Journalist den Tod fürchten muss. Allerdings hat sich in der Politik ein System eingeschlichen, das mit verweigerten Stellungnahmen bis hin zur konkreten Falschinformation agiert. Dieser Politikapparat setzt die Presse nicht mit Gewalt unter Druck, er schüchtert sie auch nicht ein. Regierung und Behörden informieren jedoch nur so, wie es ihnen gerade passt.
(Spiegel Online, 24.10.06)

Ich dachte immer, an dieser Stelle begänne der eigentliche Journalismus, der investigative nämlich. Auf offizielle Pressemitteilungen warten und diese dann umschreiben – das allein kann ja wohl kein Journalismus sein. Seltsam, dass dieses Gejammer über schlechte Informationspolitik der Regierung vom ehemaligen „Sturmgeschütz der Demokratie“ kommt.
Und: Hat sich da was „eingeschlichen“? War es nicht schon immer so, dass Behörden und Regierungen versucht haben, Dinge zu vertuschen, wenn sie schiefgelaufen sind?! Was ist denn daran neu?

Gerade wenn von den Behörden kaum Informationen kommen, dann muss man erst recht nachbohren, muss der Öffentlichkeit klar machen, dass gelogen und getrickst wird. Dann muss man hart recherchieren und die Ergebnisse auch ohne offizielle Bestätigung veröffentlichen.

Stattdessen wird vielfach Kuscheljournalismus betrieben. Gerade auch beim Spiegel. Wann hat denn der Spiegel das letzte Mal eine große Affäre ins Rollen gebracht?
Statt ein Personaltheater mitzuinszenieren, sollte sich der Journalismus wieder auf die Beschreibung, Erläuterung und Einordnung von Vorgängen, deren Zielen und (Un-)Nutzen verpflichten. Das verlangt aber Recherche und weniger das Abwarten auf öffentliche Verlautbarungen. Wie der Hund hinter dem Stöckchen, so springt die Presse jedem hingeworfenen Brocken hinterher, mit Detailfragen und Personaltheater wird vom großen Ganzen abgelenkt. Letztes Beispiel: Gesundheitsreform. Wurde denn bei all dem Hin-und-Her und Wer-gegen-Wen noch nach dem Nutzen, nach dem Sinn der Reform gefragt?

Gerade der in dem SpOn-Artikel erwähnte sog. „Anti-Terror-Kampf“ ist ein gutes Beispiel dafür. Es sind doch nur wenige Journalisten, die da die Maßnahmen noch hinterfragen. Und wenn überhaupt, dann reicht die Kritik nur bis zum nächsten (vereitelten) Anschlag. Dann wird die Frage nach der Sinnhaftigkeit von vermeintlichen Abwehrmaßnahmen nicht mehr gestellt. Dann stehen die Journalisten Seit‘ an Seit‘ mit den sog. Sicherheitspolitikern.

Natürlich wird man nur auf Schnittchen- und Häppchenpartys eingeladen, wenn man Politikern nicht ans Bein pinkelt:

Gemeinsam mit Politikern und Hauptstadtjournalisten feierte Ulrich Wilhelm am Montagabend den Abschied des Fernsehjournalisten Volker Jacobs […].

Man kennt sich, man mag sich – man lässt sich in Ruhe. Investigativer oder wenigstens krititischer Journalismus sieht für mich anders aus. Mit wem man gut Freund bin, den kritisiert man nicht oder nicht so stark. Da guckt man vielleicht auch nicht so genau hin.

Und wenn man mehr Behördenoffenheit fordert, warum waren dann das Informationsfreiheitsgesetz oder das Verbraucherinformationsgesetz kaum ein Thema in der Presse? Beide Gesetze – je offensiver gegen sog „Amtsgeheimnisse“ ausgelegt, desto besser – würden auch das Recherchieren erleichtern.

Exzellente Pläne

Letzten Freitag wurde die deutsche Forschungselite benannt. Wurde sie? Nein, wurde sie nicht. Es wurde festgelegt, wo demnächst Spitzenforschung stattfinden soll. Anders als es den Eindruck machte, ging es beim Wettbewerb der Exzellenzinitiative nicht darum zu bestimmen, welche Unis die beste Wissenschaft betreiben, sondern es sollten Orte zukünftiger Spitzenforschung festgelegt werden, über die dann ein Geldsegen hereinbricht.

Wie würde man normalerweise vorgehen, wenn man Spitzenunis küren will? Dazu muss man erstmal wissen, was man unter „Spitze“ versteht. Unter Spitze in diesem Wettbewerb verstand man den Bereich Forschung. Es ging also nicht um die Lehre, gute Betreuung von Studenten, hohe Motivation des Lehrpersonals, gute Lernbedingungen für Studenten etc.

Ok, kann man so machen, ist eine politische Entscheidung. Wie könnte man also bei der Forschung Exzellenz feststellen. Nun, da könnte man nach Publikationen der Wissenschaftler gucken, wieviel sind davon da, wo wurden sie publiziert, welchen Wert hatten diese Publikationen. Zudem könnte man gucken, wie mit dem erforschten Wissen umgegangen wird. Gibt es Produktentwicklungen, gibt es Patente, gibt es Ausgründungen aus der Uni heraus? Darf man allerdings nicht überbewerten, sonst würde die Grundlagenforschung, die sich vorerst nicht um Anwendungen kümmert, benachteiligt.
So könnte man herausfinden, welche Unis oder welche Fakultäten oder welche Fachbereiche gute Forschung betreiben. Dort, wo schon gute Forschung betrieben wird, belohnt man das, indem man es gezielt fördert.

Das ist alles nur geplant

Man kann das Pferd aber auch von hinten aufzäumen. So geschehen bei der Exzellenzinitiative. Dort wurden die Unis aufgefordert, Anträge und Pläne für zukünftige Forschungsvorhaben vorzulegen. Konkret ging es um den Aufbau sog. Graduiertenschulen (vergleichbar mit Graduiertenkollegs) und Exzellenzclustern, an denen dann internationale Spitzenforschung stattfinden soll. Diese Pläne wurden dann in Gremien und Kommissionen (PDF) begutachtet und dann wurde ohne nachvollziehbare und ohne öffentlich bekannte Kriterien die besten Anträge und Pläne gekürt.

Um das nochmal zu verdeutlichen: die besten Pläne wurden ausgezeichnet. Wer also besonders gut und blumig beschreiben kann, was er in den nächsten Jahren so vorhat, wird ohne Vorleistung und im Voraus mit dem Titel „exzellent“ geadelt.

Am Freitag wurden 3 Hochschulen (LMU München, TU München und TH Karlsruhe) „Zukunftskonzepte zum projektbezogenen Ausbau der universitären Spitzenforschung“ bescheinigt. Weil das sperrig klingt, wurde daraus der Begriff Spitzenuniversität. Sind das wirklich Spitzenunis? Nein. Sie haben nur in den beiden Föderbereichen „Graduiertenschule“ und „Exzellencluster“ schon erfolgreich abgeschnitten. Aufgrund zweier (vermeintlich) guter Pläne erteilt man der dazugehörigen Hochschule dann die Auszeichnung „Eliteuni“. Auch hier wieder, ohne dass überhaupt eine Leistung erbracht wurde. Es interessiert auch nicht, wie furchtbar schlecht der Rest die Uni ist.

Das kann man alles so machen, wie es geschehen ist. Nur dann sollte man die ganze Aktion eine Nummer tiefer hängen. Wir haben nämlich hier noch keine Spitzenforschung, wir sind erst beim Aufbau. Schon gar nicht haben wir Spitzenunis gefunden, wir drei Unis gesagt, sie sollen welche werden. Fürs Jubeln ist es also noch zu früh.

Vor allem sollte man aber nun nicht die Hände in den Schoß legen und sich freuen, dass wir nun bald deutsche Harvards haben. Deutsche Hochschulen sind nach wie vor chronisch unterfinanziert, viele Hörsäle und Seminare immer noch überfüllt, die Betreuung durch Professoren und anderes Lehrpersonal ist immer noch verbesserungswürdig.

Lesenswert im Zusammenhang der Exzellenzinititive sind die Artikel von Jürgen Kaube in der FAZ.

Jagd auf Filesharer mit Vorratsdaten?

Ein Nachtrag zum Thema Vorratsdatenspeicherung von gestern. So ein Datenbestand weckt Begehrlichkeiten. Oder anders ausgedrückt: man wird die Daten auch anders nutzen wollen:

Günther Krings, Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für die zweite Stufe der Urheberrechtsreform, hatte zuvor im Magazin Focus erklärt: „Wenn beim Provider die Daten vorhanden sind, kann man sie auch für die Verfolgung von Copyright-Verstößen nutzen.“

Jaja, erst drückt man ein Gesetz durch, indem man den Leuten erzählt, man wolle damit Terroristen und Kinderschänder jagen, hinterher kommt man auf die Idee, man könne die Daten ja auch anderweitig nutzen. Schließlich liegen die Daten rum und es wäre doch eine Schande, wenn die Polizei dann keinen Zugriff darauf hätte, wenn es nötig ist. Irgendein Vorwand wird sich schon finden lassen, um die Verbindungsdaten dann auch für andere Zwecke zu nutzen.

Wie das gehen kann, zeigt das Beispiel der LKW-Maut. Da existiert eine explizite Zweckbindung der Daten, §7 Abs. 2 legt fest, dass jede Nutzung über die Abrechnungszwecke hinaus unzulässig sind. Der Wille, die Daten auch zur Fahndung zu nutzen sind groß. Und dann ist auch schnell mal ein Fall zur Hand, mit dem sich die Aufhebung der Zweckbindung rechtfertigen lässt. Ein Kind wurde getötet, der Täter vermutlich LKW-Fahrer und mit den Mautdaten könnte man ihn möglicherweise schneller fassen. Schwups, schon wird gefragt, ob Datenschutz gleich Täterschutz ist.
Kommt die Formulierung jemanden bekannt vor? Mir schon.

Bildblog und die Dieckmann-Fotoaktion

Die Bildblogger schlagen zurück. Fotografiert Kai Dieckmann! heißt die Aktion und soll eine Replik auf die Bild-Leserreporter und die Nichtachtung der Privatsphäre prominenter Leute im Allgemeinen in der Blöd-Zeitung sein. Die Leser des Bildblog werden dazu aufgefordert, den Bild-Chefredakteur

in Badehose am Strand oder in einer Bäckerei oder auf dem Parkplatz oder am Flughafen oder im Flugzeug oder eingenickt im Flugzeug oder beim Shopping oder beim Nase-Bohren nachdenklich oder frischverliebt auf Sylt oder mit seiner Familie aus einem Nobel-Restaurant kommend oder in einer Tankstelle oder beim Italiener oder bei der Arbeit oder ganz ungeschminkt oder ganz entspannt mit einem Bierchen in einer Bar oder beim Pinkeln beim Pinkeln oder oder…

zu fotografieren und dann die Bilder einzuschicken. Die „besten“ davon sollen dann ausgewählt und veröffentlicht werden.

Die Blogosphäre beschäftigte sich entsprechend mit dem Thema. Manche fanden die Aktion gut, andere werfen dem Bildblog vor, sich auf Bild-Niveau herabzubegeben. Die Gutfinder meinen, Dieckmann hätte es nicht anders verdient und man muss gegen die Bildzeitung mit entsprechend scharfen Waffen vorgehen. Die Nicht-Gutfinder meinen, auch Onkel Dieckmann habe ein Persönlichkeitsrecht, dass man nicht mit Füßen treten sollte, auch wenn er es mit seiner Bildzeitung jeden Tag tut, man darf nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, man kann sich nicht über die Leserreporter echauffieren, um sie dann selbst auf Dieckmann zu hetzen.

Im ersten Moment war ich auch einer der Nicht-Gutfinder, aus den genannten Gründen. Je mehr ich darüber gelesen habe und je länger ich darüber nachdenke, dann ist es keine Aktion der Marke „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Es ist ein doppeltes Experiment: Wir wollen sehen, was für Fotos man auf diese Weise bekommen kann. Und wie Kai Diekmann damit umgeht, wenn er sich der gleichen Aufmerksamkeit ausgesetzt sieht, wie sie dank der Aufrufe seiner Zeitung andere Prominente ertragen müssen.

Wir werden im Gegensatz zu “Bild� mit eventuellen “Schnappschüssen�, die wir bekommen, verantwortungsvoll umgehen.
(beide Zitate von Stefan Niggemeier beim Blogruf)

Natürlich haben wir mit kritischen Reaktionen auf die BILDblog-Aktion „Fotografiert Kai Diekmann!“ gerechnet. Diese Debatte ist eines ihrer Ziele. Aber in vielen Fällen erscheint mir die Kritik bislang sehr reflexhaft.

Als ob es einen Konsens gebe, dass solche Fotos von jemandem, die nicht bei offiziellen Auftritten entstehen, eigentlich unzulässig sind. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt einen breiten Konsens in unserer Gesellschaft, jenseits irgendwelcher Gesetze, dass solche Fotos zulässig sind. Dass Prominente sich sowas gefallen lassen müssen. Alle Medien sind voll von solchen Aufnahmen, nicht nur „Bild“. Auch der „Stern“, die „Bunte“, ARD und ZDF, die Boulevardmagazine der Privatsender. Das ist nichts besonderes mehr, das ist Alltag, ob mir das gefällt oder nicht. (Mir gefällt es nicht.) So zu tun, als sei diese Art von Fotos geächtet und nur das vermeintliche Schmuddelblatt „Bild“ würde sich darüber hinwegsetzen, ist absurd.
(beide Zitate bei Stefan Niggemeier selbst)

Es ging also darum, eine Debatte anzustoßen. Nicht nur über die Bildzeitung oder über die Leserreporter oder die Blödzeitung und ihren Schmuddeljournalismus oder über Kai Dieckmann. Es geht m.E. erstens darum, wie normal es die meisten doch finden, wenn Prominente in der Öffentlichkeit in privaten Situationen fotografiert werden. Denn was unterscheidet eigentlich Dieckmann von den vielen Prominenten, die ein Anrecht auf Privatheit* haben? Eigentlich gar nichts. Und doch erregt der Aufruf, Dieckmann zu fotografieren ungleich mehr die Gemüter als die tägliche Fotografiererei durch professionelle Paparazzi oder Leserreporter.
Die „etablierte“ Presse, die Teil des Problems ist, hat bisher nur wenig auf die Aktion der Bildblogger reagiert.

Zweitens geht es wohl auch darum, Dieckmann eins auszuwischen und unter Druck zu setzen. Vielleicht will man sogar eine Klage provozieren, in deren Verlauf sich Dieckmann öffentlich von den Richtern sagen lassen muss, dass er für sich keine Rechte einklagen kann, die er anderen nicht zugesteht.

Und vielleicht geht auch darum zu gucken, zu welchen Stalking-Fähigkeiten die Bildblogleser in der Lage sind. Ob sie Dieckmann wirklich in kompromittierenden oder wenigstens peinlichen Situationen erwischen können. Wenn wirklich Bilder von Dieckmann im Bildblog erscheinen sollten, traue ich den Bildblogger soviel Verstand zu, dass sie sich eben nicht auf der Bildniveau runterziehen lassen und höchstens banale Alltagsbilder von Dieckmann zeigen werden. Genauso banal nämlich, wie das meiste der Promibildchen auch.

* Es gibt da natürlich auch eine Sorte Prominenter, die nur zu gern ihr Privatleben in der Boulevardpresse ausbreiten, um im Gespräch zu bleiben. Nur wenn es gerade im Privatleben nicht gut läuft, dann wollen sie die Presse plötzlich ausperren. In solchen Fällen ist die plötzliche (Wieder-)Entdeckung der Privatheit grenzwertig und nicht so recht einzusehen.

Die Wiederentdeckung der Unterschicht

Oh, Deutschland hat eine Unterschicht, welch‘ Ãœberraschung. Da braucht man sich nicht vor erschrecken, das Phänomen ist nicht nur Soziologen bekannt. Der Armutsbericht der Bundesregierung* ist dafür eine interessante Lektüre. Es hilft auch nicht, wenn man ganz generell keine Schichten in Deutschland sehen will, wie Münterfering:

„Es gibt keine Schichten in Deutschland“

Was ist passiert? Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat eine Studie mit dem Titel „Gesellschaft im Reformprozess“ erstellt, in der es um politische Typen geht. Veröffentlicht wird die Studie erst Ende 2006, Teile davon sind bekannt geworden und darum jetzt die Aufregung.

Diese „politischen Typen“ wurden nach ihren politischen Wertevorstellungen und Einstellungen zusammengestellt, um zu klaren Aussagen über neue „politische Milieus“ zu kommen.

Die Studie kommt dabei zum Ergebnis, dass es 9** politische Typen (PDF,) gibt, u.a. eben auch das „abgehängte Prekariat“

Das Abgehängte Prekariat (8%) ist geprägt von sozialem Ausschluss und Abstiegserfahrungen. Diese Gruppe hat einen hohen Anteil berufsaktiver Altersgruppen, weist den höchsten Anteil an Arbeitslosen auf und ist zugleich ein stark ostdeutsch und männlich dominierter Typ. Mit der Großen Koalition sind sie in hohem Maße unzufrieden. Nichtwähler sind ebenso überproportional vertreten wie Wähler der Linkspartei und rechtsextremer Parteien.

SPD-Vorsitzender Beck machte daraus die eine „Unterschicht“ und schon war die Aufregung groß. 8% der Deutschen gehören der Studie nach dazu, 4% in West- und beachtliche 20% in Ostdeutschland. Jeder Fünfte lebt dort am Rande der Gesellschaft und es geht hierbei nicht nur um materielle Dinge. Diese Gesellschaftsgruppe fühlt sich von der Gesellschaft ausgeschlossen, versteht die Politik nicht, fühlt sich vom Staat allein gelassen, ist arbeitslos oder in unsicheren Arbeitsverhältnissen, hat was gegen Ausländer und wählt auch gerne mal eine rechtsextreme Partei. (siehe Material der Süddeutschen Zeitung, PDF) Ähnliches hatte ich neulich schon mal beim Thema NPD angedeutet.

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Aktion gegen Vorratsdatenspeicherung: Post vom MdB

Vor einiger Zeit bin ich über heise online auf eine Aktionsseite gegen die Vorratsdatenspeicherung gestoßen. Mittels Formular konnte man eine E-Mail schreiben und diese dann an alle 448 Abgeordnete von CDU/CSU und SPD schicken. Normalerweise mache ich bei solchen Dingen nicht mit, weil ich an der Wirkung einer Spam-Kampagne, in der hunderte gleichlautende Mails verschickt werden, bezweifle.
In diesem Fall musste man aber die Mail selbst verfassen, es ging also nicht darum, nur einmal auf einen Absenden-Button zu klicken. Ich halte von der Vorratsdatenspeicherung nichts, darum habe ich einfach mal ein paar Zeilen verfasst.

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Zugriff auf bis zu 197 Datenbanken durch Sicherheitsbehörden

Das Bundesinnenministerium hat nach einer Anfrage der Linksfraktion eine Aufstellung über zentrale Dateien angefertigt, auf die Sicherheitsbehörden heute schon zugreifen können. Nach der Aufstellung gibt es insgesamt 197 Dateien (Datenbanken) mit 60 Millionen Datensätzen, auf die Polizei, Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Zollkriminalamt zugreifen können.
[…]
In der Aufstellung sind nicht die Dateien enthalten, die Verfassungsschutz, BND und MAD angelegt haben.
heise online, 11.10.06

197 Datenbanken mit Millionen Datensätzen – das sind Zahlen, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Hinzu kommen dann noch mal die Datenbanken der Geheimdienste. Da soll noch einer sagen, der deutsche Sicherheitsapparat wisse nichts über seine Bürger und brauche deshalb unbedingt noch eine 198. Datenbank.

[via: netzpolitik.org]

Pfusch bei Edelman

Genauso hab ich mir die Arbeit von PR-Leuten vorgestellt: Ein paar mit wichtig klingenden englischen Titeln, auf dem Papier topausgebildete und sicher hochbezahlte Leute machen irgendwas. Machen viel Wind darum, basteln ein paar Diagramme und Grafiken und stellen dann ihr Ergebnis vor. Eigentlich haben sie von der Materie keine Ahnung und die Zahlen sind auch nicht belastbar, macht aber im Normalfall nichts. Der Kunde hat ja von der Materie noch weniger Ahnung, sonst würde er nicht für viel Geld externen (vermeintlichen) Sachverstand kaufen.

Diesmal ist alles anders. Man zeigt die Zahlen nicht in einem Konferenzraum mit einem runden Holztisch, Getränken und Knabbergebäck, sondern man macht sie öffentlich amtlich: die einflussreichsten Blogs in Deutschland, Frankreich und Italien. Schon die Grafik zu den Top-Ten-Blogs aus Deutschland enthält zwei Schreibfehler und zwei eher unbekannte Blogs. Hier wurde also gepfuscht.

Wie durchgängig der Pfusch ist, zeigt der Popkulturjunkie, der auch die deutschen Blogcharts aus den Technoratidatenbanken extrahiert. Wenigstens der Blogger und Edelman-Angestellte Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach („Der Haltungsturner“) gibt Fehler zu und entschuldigt sich. Erklären kann (oder will) er den Pfusch allerdings auch nicht. Blödsinn aus meiner Sicht ist es allerdings, die Zahlen jetzt nachträglich als „vorläufig“ darzustellen. Eine Profi-Agentur geht nicht mit falschen Zahlen an die Öffentlichkeit und lässt dann die Fehler wie in einem Betatest vom Publikum herausfinden. Selbst vorläufige Zahlen, so man sie veröffentlicht, sollten tendenziell richtig sein. Wie der PKJ aber zeigt, ist der Fehler in der Edelman-Statistik grundsätzlicher Natur.

Halten wir fest: ein PR-Agentur erstellt Statistiken. Schon bei weniger genauem Hinsehen erkennt man Fehler, die sich bei genauerem Hinsehen als grobe Pfuscherei und heiße-Nadel-Stickerei entpuppen.
Stellt sich mir die Frage: arbeiten die immer so und fällt es sonst nur nicht auf, weil die Empfänger der Zahlen ahnungslos von der Materie sind?

(Über Sinn und Unsinn von Blogcharts lässt sich streiten. Auch darüber, ob man aus der Anzahl der Links eine wie auch immer geartete Relevanz oder einen Einfluss innerhalb der Blogosphäre herauslesen kann. Man auch wunderbar darüber streiten, wie zuverlässig die Zahlen von Technorati überhaupt sind angesichts der nicht seltenen Ausfälle des Pingservices dort. Wie zuverlässig kann überhaupt eine Statistik sein, die auf unzuverlässigen Rohdaten basiert?)

Nachtrag (16.10.06): Letzten Donnerstag gab es bei Edelman eine schon länger angesetzte Gesprächsrunde, die anders geplant war und jetzt also kleines Krisengespräch umfunktioniert wurde. Mit dabei waren Johnny Haeusler, Felix Schwenzel, Nico Lumma, Jens Schröder als Blogger und Peter Hirshberg von Technorati und David Brain von Edelman Europe.
Aus der (mitgefilmten) Diskussion (lesenswert nacherzählt beim Blogruf) wurde eine Präsentation von Technorati durch Technorati, die erste halbe Stunde des Videos war todlangweilig, der Rest soll nicht besser sein. Schlechte Arbeit bleibt einfach schlechte Arbeit, da helfen auch viele Worte und langatmige Präsentationen nicht. Die Präsentation wirkte routiniert, so macht man das wohl immer bei den PR-lern, eine Diskussion war nicht erwünscht, ist wohl auch nicht üblich, der Kunde will Zahlen haben. Nur saßen hier keine Kunden am Tisch, sondern Vertreter des Untersuchungsmaterials „Blogosphäre“.